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OGH vom 11.09.1980, 8Ob99/80

OGH vom 11.09.1980, 8Ob99/80

Norm

ABGB § 140;

ABGB § 1327;

ASVG § 332;

Kopf

SZ 53/113

Spruch

Deckungsfonds für Waisenrenten und Waisenpensionen der Sozialversicherungsträger sind Ansprüche der Kinder nach § 1327 ABGB sowohl wegen entgangenen Barunterhalts als auch wegen entgangener Pflegeleistungen der Eltern

(OLG Wien 16 R 19/80; KG St. Pölten 5 Cg 123/79)

Text

Am wurde Gertrud W bei einem Verkehrsunfall in Heuberg (Gemeinde Sch, NÖ) getötet. Es ist unbestritten, daß der Erstbeklagte, der den Unfall verschuldete, nach den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches ohne betragliche Beschränkung für die Unfallsfolgen haftet, die Zweitbeklagte hingegen nur nach den Bestimmungen des Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetzes.

Gertrud W hinterließ einen Ehegatten und zwei eheliche Kinder, den am geborenen Sohn Johannes und den am geborenen Sohn Harald. Sie war als Krankenschwester berufstätig und sozialversichert.

Auch der Ehemann der Gertrud W war berufstätig. Die Ehegatten legten ihre Einkommen zusammen. Von diesem Gesamteinkommen wurden die Fixkosten bestritten und vom Rest der Familienunterhalt gedeckt. Daran waren die beiden Kinder mit je 15% beteiligt. Die Mutter trug (entsprechend dem Verhältnis ihres Einkommens zum Gesamteinkommen) mit 41.25% zum Unterhalt der Kinder bei. Ausgehend von diesen Berechnungsgrundlagen hätten die beiden Kinder in der Zeit vom bis von der Mutter einen Barunterhalt von 24 832 S erhalten.

Darüber hinaus leistete Gertrud W als Mutter die gesamte Pflege der beiden Kinder. Sie wendete für die Pflege jedes Kindes täglich mindestens 1.5 Stunden auf; eine Pflegestunde ist mit 40 S zu bewerten. Für die Zeit vom bis sind die Pflegeleistungen der Mutter gegenüber den beiden Kindern in diesem Ausmaß mit 57 720 S zu bewerten.

Die Erstklägerin hat den beiden Kindern der Getöteten Waisenpensionen zu leisten, die Zweitklägerin, weil ein Arbeitsunfall vorlag, Waisenrenten. Für die Zeit vom bis bezahlte die Erstklägerin jedem der beiden Kinder an Waisenpension 5043.10 S, zusammen daher 10 086.20 S. Die Zweitklägerin bezahlte in diesem Zeitraum jedem der beiden Kinder an Waisenrente 16 306.90 S, zusammen daher 32 613.80 S. Überdies leistete die Zweitklägerin an den Witwer einen Begräbniskostenbeitrag von 4251.20 S. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Erstklägerin Zahlung von 10 086.20 S samt Anhang (Ersatz der an beide Kinder in der Zeit vom bis geleisteten Waisenpensionen) und die Zweitklägerin Zahlung von 36 865 S samt Anhang (Ersatz der an beide Kinder in diesem Zeitraum geleisteten Waisenrenten und des dem Witwer geleisteten Bestattungskostenbeitrages). Überdies stellen beide Klägerinnen ein Feststellungsbegehren.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Begehren der Klägerinnen auf Ersatz der an beide Kinder erbrachten Rentenleistungen.

Die Klägerinnen stützen dieses Begehren auf die Behauptung, daß die hinterbliebenen Kinder, für deren Unterhalt die getötete Mutter nach dem Gesetz zum Teil zu sorgen gehabt und gesorgt habe, das, was ihnen durch den Tod der Mutter entgangen sei, von den Beklagten ersetzt verlangen könnten. Dieser Entgang der Kinder sei für den hier in Frage stehenden Zeitraum vom bis mit insgesamt 89 024 S anzusetzen; er umfasse den früher von der Mutter für den Unterhalt der Kinder aufgewendeten Einkommensanteil von 30 624 S und den Wert der von ihr erbrachten Pflegeleistungen von 58 400 S. Diese Schadenersatzansprüche der Kinder seien auf die Klägerinnen, soweit diese Leistungen zu erbringen gehabt hätten, im Wege der Legalzession des § 332 ASVG übergegangen.

Die Beklagten wenden ein, daß die Klägerinnen den Deckungsfonds für die von ihnen erbrachten Rentenleistungen unrichtig berechnet hätten; insbesondere bestehe zwischen der Waisenversorgung in der gesetzlichen Pensions- und Unfallversicherung einerseits und dem durch den Ausfall der mütterlichen Betreuungsleistungen entstandenen Schaden der Kinder andererseits keine sachliche Kongruenz.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 5860 S samt Anhang an die Erstklägerin und zur Zahlung von 23 223.20 S samt Anhang an die Zweitklägerin. Es gab den Feststellungsbegehren der beiden Klägerinnen statt und wies das Leistungsmehrbegehren der Erstklägerin auf Zahlung eines weiteren Betrages von 4226.20 S samt Anhang und das der Zweitklägerin auf Zahlung eines weiteren Betrages von 13 641.80 S samt Anhang ab.

Den beiden Kindern sei durch den Tod ihrer Mutter im Zeitraum vom bis nicht nur die Barunterhaltsleistung von 24 832 S, sondern auch die mit 57 720 S zu bewertenden Pflegeleistungen entgangen. Die Schadenersatzansprüche wegen der entgangenen Pflegeleistungen seien jedoch mangels sachlicher Kongruenz nicht gemäß § 332 ASVG auf die Klägerinnen übergegangen. Die von den Klägerinnen geleisteten Beträge zur Waisenversorgung stellten ihrem Wesen nach einen Ausgleich für den Ausfall der von der Mutter geleisteten Barunterhaltsbeiträge aus ihrer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit als Krankenschwester dar; nur in diesem Umfang seien die Schadenersatzansprüche der beiden Kinder nach § 332 ASVG auf die Klägerinnen übergegangen. Die Sozialversicherung erstrecke sich grundsätzlich nicht auf den privaten Lebenskreis, in den der Pflegeaufwand falle. Der Deckungsfonds für die Waisenpensionen bzw. Waisenrenten bestehe daher lediglich in der Schadenersatzforderung für den entgangenen Geldunterhalt in der Höhe von 24 832 S. Daran seien die beiden Klägerinnen nach dem Verhältnis der von ihnen erbrachten Leistungen mit 5860 S (Erstklägerin) bzw. 18 972 S (Zweitklägerin) regreßberechtigt. Hinsichtlich des von der Zweitklägerin gezahlten Begräbniskostenbeitrages bestehe ein ausreichender Deckungsfonds.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Klägerinnen die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens ab.

Nach der seit geltenden Rechtslage hätten beide Elternteile zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse der Kinder nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Elternteil, der den Haushalt führe, in dem er die Kinder betreue, leiste dadurch seinen Beitrag und habe darüber hinaus zum Unterhalt seiner Kinder beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse der Kinder nicht imstande sei oder mehr leisten müßte, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre. Daraus ergebe sich, daß jeder zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse der Kinder geleistete Beitrag der Eltern, möge er in Sach-, Geld- oder Dienstleistungen bestehen, als gesetzlicher Unterhaltsbeitrag anzusehen sei. Daraus folge, daß den beiden Kindern der Getöteten gegen die Beklagten Ansprüche auf Ersatz der gesamten mütterlichen Unterhaltsbeiträge, also auch der entgangenen Betreuungsleistungen, zustunden. Die Waisenpensionen bzw. Waisenrenten, die die Klägerinnen als Träger der Pensions- bzw. Unfallversicherung der Getöteten bezahlten, sollten den Wegfall des gesamten Unterhaltsbeitrages der Mutter ausgleichen. Sie dienten daher dem selben Zweck wie die einheitlichen Schadenersatzansprüche, die den Kindern wegen der entgangenen mütterlichen Unterhaltsbeiträge einschließlich der Betreuungsleistungen nach § 1327 ABGB gegen die Beklagten zustunden. Diese Leistungen der Klägerinnen seien daher mit den Schadenersatzansprüchen der Kinder sachlich kongruent. Aus den Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes über die Höhe der Waisenpension bzw. der Waisenrente lasse sich nicht ableiten, daß diese Bezüge lediglich einen Ersatz für den Verlust des Erwerbseinkommens des getöteten Versicherten darstellten; es handle sich hier nur um Vorschriften über die Bemessung dieser Leistungen an die Hinterbliebenen. Den Regreßansprüchen der beiden klagenden Sozialversicherungsträger für die von ihnen geleisteten Waisenpensionen bzw. Waisenrenten sei daher als Deckungsfonds der volle Entgang der beiden Waisen an mütterlichen Unterhaltsleistungen im Sinne des § 1327 ABGB zugrunde zu legen, also alles, was die Kinder von ihrer Mutter erhalten hätten, wenn die ihnen gesetzlich unterhaltspflichtige Mutter nicht getötet worden wäre und weiterhin ihre Unterhaltsbeiträge einschließlich der Betreuungsleistungen hätte erbringen können. Der Deckungsfonds für die von den beiden Klägerinnen an die Kinder erbrachten Rentenleistungen betrage somit für den hier in Frage stehenden Zeitraum 82 552 S, sodaß dem Begehren der Klägerinnen auf Ersatz der erbrachten Rentenleistungen von 42 700 S vollinhaltlich stattzugeben sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Vorwegzunehmen ist, daß bereits vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes (BGBl. 403/1977) die einheitliche Rechtsprechung dahin ging, daß die der ehelichen Mutter auferlegte Pflicht zur Pflege ihrer Kinder der gesetzlichen Unterhaltspflicht gleichzuhalten sei und daß daher der Schadenersatzanspruch des Kindes nach Tötung der Mutter im Sinne des § 1327 ABGB auch den Ersatz des durch den Entgang der Pflegeleistungen der Mutter entstandenen Schadens umfasse (ZVR 1978/16; ZVR 1978/320 u. a.). Davon nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Neuordnung des Kindschaftsrechtes abzugehen besteht kein Anlaß, zumal durch die nunmehr in Geltung stehenden Bestimmungen des § 140 Abs. 1 und Abs. 2 ABGB eindeutig klargestellt ist, daß die von der ehelichen Mutter im Rahmen der Haushaltsführung den Kindern erbrachten Pflegeleistungen als Beitragsleistungen zur Deckung der Unterhaltsbedürfnisse der Kinder anzusehen sind (s. dazu 587 Blg. Nr, XIV. GP zu § 140 ABGB, abgedruckt in Klang[2], ErgBd., 45; Kunst, Zu den möglichen Auswirkungen der Familienrechtsreform auf das Haftpflichtrecht, SozSi. 1976, 65 ff.). Der Ersatzanspruch des Kindes nach Tötung seiner Mutter im Sinne des § 1327 ABGB umfaßt somit auch nach der seit geltenden Rechtslage nicht nur die entgangenen zur Deckung seines Unterhaltes erbrachen Bar- und Sachleistungen, sondern auch die entgangenen Pflegeleistungen.

Zu prüfen bleibt, ob und in welchem Umfang im vorliegenden Fall derartige Schadenersatzansprüche der beiden Kinder der Getöteten auf die Klägerinnen übergegangen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 28/150; SZ 44/93 u. v. a.) tritt der Forderungsübergang nach § 332 Abs. 1 ASVG nur insoweit ein, als kongruente Leistungen des Sozialversicherungsträgers den Forderungen des Versicherten gegenüberstehen. Es gehen also nur jene Schadenersatzansprüche im Sinne dieser Gesetzesstelle über, die der Deckung eines Schadens dienen, den auch die Sozialversicherungsleistung liquidieren soll (s. dazu Krejci, Kongruenzlehre und Quotenvorrecht nach § 332 ASVG und § 1542 RVO in; ZAS 1974, 6).

Wenn nun die Beklagten aus den Bestimmungen des § 218 Abs. 2 ASVG über die Höhe der Waisenrente und des § 266 ASVG über das Ausmaß der Waisenpension abzuleiten versuchen, daß diese Leistungen der Sozialversicherungsträger zur Hinterbliebenenversorgung nur dem Ausgleich des entfallenen Erwerbseinkommens des Getöteten dienten und daß daher der Schadenersatzanspruch der Waisen wegen Entganges der ihnen vom Getöteten außerhalb seiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit erbrachten Pflegeleistungen keinen Deckungsfonds für die von den Sozialversicherungsträgern zur Waisenversorgung erbrachten Leistungen bilde, kann ihnen nicht gefolgt werden, weil sie damit den Zweck der Waisenversorgung durch die Sozialversicherungsträger in einer im Gesetz nicht gedeckten Weise einengen. Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, enthalten die genannten Gesetzesstellen Bestimmungen über die Bemessung bzw. über die Höhe der Waisenversorgung. Gerade aus den in diesem Gesetzesstellen normierten höheren Sätzen für doppelt verwaiste Kinder, die auch dann zu gewähren sind, wenn der zweite Elternteil nicht sozialversichert war, ergibt sich aber, daß die Leistungen der Sozialversicherungsträger zur Waisenversorgung nicht nur den Ausgleich des Entfalles des Arbeitseinkommens des getöteten Sozialversicherten bezwecken, sondern schlechthin der erhöhten Hilfsbedürftigkeit verwaister Kinder Rechnung tragen sollen (vgl. Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes, 367). Daraus ergibt sich eindeutig, daß kein Anlaß besteht, den Deckungsfonds für die von den Sozialversicherungsträgern erbrachten Leistungen an Waisenpensionen bzw. Waisenrenten auf die Schadenersatzansprüche der Waisen wegen entgangener Unterhaltsleistungen in Form von Bar- oder Sachleistungen zu beschränken, sondern daß dieser Deckungsfondes entgegen der Meinung der Revisionswerber auch die Schadenersatzansprüche der Waisen im Sinne des § 1327 ABGB wegen entgangener Pflegeleistungen der getöteten Mutter umfaßt (s. dazu auch Kunst, a. a. O., 71 und die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes, VersR 1966, 487 und VersR 1971, 1043).

Mit Recht hat daher das Berufungsgericht im vorliegenden Fall die diesbezüglichen Ersatzansprüche der Waisen in den den Klägerinnen zur Verfügung stehenden Deckungsfonds einbezogen und auch bezüglich dieser Ersatzansprüche das Vorliegen der Voraussetzungen der Legalzession im Sinne des § 332 Abs. 1 ASVG, insbesondere die sachliche Kongruenz, bejaht. Dadurch wird entgegen der Rechtsmeinung der Revisionswerber weder der Schadenersatzanspruch der Waisen verkürzt noch wird dadurch vernachlässigt, daß sich die Sozialversicherung grundsätzlich nicht auf den privaten Lebenskreis des Versicherten erstreckt (s. dazu SZ 44/93). Denn es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um Ansprüche des Sozialversicherten, sondern um solche von Angehörigen (§ 123 Abs. 2,§ 252 ASVG), die selbst eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit gar nicht ausübten.