OGH vom 25.10.2016, 8Ob99/16s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Amhof Dr. Damian GmbH Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.396.663,36 EUR sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 60/16z 14, mit dem festgestellt wurde, dass das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom , GZ 27 Cg 47/15b 10, als nicht gefällt anzusehen sei und die Berufung sowie die Berufungsbeantwortung zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückverwiesen und diesem die Fortsetzung des Berufungsverfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Aufgrund der Wechselklage vom erließ das Erstgericht am einen Wechselzahlungsauftrag, gegen den die Beklagte fristgerecht Einwendungen erhob.
In der Tagsatzung vom erklärte das Erstgericht die Verhandlung für geschlossen und behielt die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vor. Als nachfolgende Ordnungsnummer (ON 10) erliegt ein Urteil im Akt, nach dem der Wechselzahlungsauftrag aufrecht erhalten wird. Dieses Urteil, das mit datiert, sowie die darauf befindliche Zustellverfügung weisen keine Unterschrift auf.
Neben der Zustellverfügung finden sich zwei Abfertigungsvermerke, aus denen sich ergibt, dass das Urteil am und die korrigierten Protokollausfertigungen am in der Kanzlei einlangten und die Abfertigung (offenbar laut Zustellverfügung) am erfolgte.
Die in weiterer Folge einlangende Berufung wurde aufgrund einer Zustellverfügung der Erstrichterin zugestellt. Nach Einlangen der Berufungsbeantwortung verfügte die Erstrichterin „Vorlagebericht“. Auch dieser wurde von ihr unterschrieben.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Berufungsgericht fest, dass das Urteil vom als nicht gefällt anzusehen sei und wies die Berufung und die Berufungsbeantwortung zurück. Das Original des Urteils sei von keinem Entscheidungsorgan unterschrieben, weshalb es keine Urschrift darstelle, sondern ein „Nichturteil“. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei dies beschlussmäßig auszusprechen. Da es gegen ein solches Nichturteil kein Rechtsmittel gebe, seien die Rechtsmittelschriften zurückzuweisen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragte, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig und auch berechtigt.
1. Gemäß § 418 ZPO ist die für die Gerichtsakten bestimmte schriftliche Abfassung des Urteils vom Vorsitzenden des Senats (bzw vom Einzelrichter) zu unterschreiben. Nach § 62 Abs 1 Geo versteht die Geo unter Urschrift der Erledigung die Niederschrift, in der die Entscheidung, Erklärung, Mitteilung, Anfrage usw des Gerichts in maßgeblicher Form gefasst wird. Die Urschrift ist vom Richter (vom Vorsitzenden des Senats) oder vom Bediensteten, von dem die Erledigung ausgeht, zu unterfertigen.
Die Bindung des Gerichts tritt bei Urteilen, die der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten wurden, aber erst mit der Übergabe in schriftlicher Abfassung an die Geschäftsstelle ein (§ 416 Abs 2 ZPO).
2. Richtig ist, dass, wurde ein Urteil weder von einem Richter hergestellt noch – soweit es auf Weisung oder Anleitung eines Richters verfasst wurde – von einem Richter genehmigt, ein „Nichturteil“ vorliegt, das – auch wenn es ausgefertigt und den Parteien zugestellt wird – keine Rechtswirkungen entfaltet (RIS Justiz RS0040740; Bydlinski in Fasching/Konecny ² III § 418 Rz 1).
3. Zu prüfen ist aber, ob auch bei irrtümlicher Nichtunterfertigung einer Entscheidung, die vom Entscheidungsorgan der Geschäftsstelle zur Abfertigung übergeben wurde, ein Nichturteil vorliegt oder ein allenfalls einer Verbesserung zugänglicher Formmangel.
Fasching führte dazu in der 1. Auflage des Kommentars zu den Zivilprozessgesetzen aus, notwendiger Bestandteil der „Abschrift des Urteils“, also der Urschrift des Urteils, sei die persönliche Unterschrift des Senatsvorsitzenden oder Einzelrichters. Das Fehlen der Unterschrift unter der Urschrift der Ausfertigung eines mündlich verkündeten Urteils bewirke weder die Nichtigkeit noch die Anfechtbarkeit dieses Urteils. Das gleiche gelte auch für vorbehaltene Urteile, soweit die Urschrift vom Verhandlungsrichter selbst angefertigt (oder aufgrund seiner Weisung und nach seiner Anleitung hergestellt und durch ihn genehmigt) worden ist. Sei die Urschrift eines vorbehaltenen Urteils von einem anderen Richter als dem Verhandlungsrichter angefertigt oder genehmigt, sei das Urteil nach § 477 Abs 1 Z 2 ZPO nichtig, in allen anderen Fällen sei von einem Nichturteil auszugehen ( Fasching , ZPR III, 803 f).
Schon Pollak , System des Österreichischen Zivilprozeßrechtes (1932), 516, verwies darauf, dass die Unterschrift des Richters den Urteilsspruch erst zum ausgefertigten Urteil mache, sie sei daher auf der Urschrift unerlässlich, es sei denn das Urteil wirke schon durch die Verkündung gegenüber den Parteien oder der Richter sei dauernd an der Unterfertigung verhindert. Zu diesem letzten Fall verweist er auf die KaisV (RGBl 1915/372), über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder Schriftführers. „In allen anderen Fällen“ seien die fehlenden Unterschriften jederzeit nachtragbar und nachzutragen.
Bydlinski in Fasching/Konecny ² § 418 ZPO, Rz 1, geht davon aus, dass es bei der schriftlichen Ausfertigung vorbehaltener Urteile wohl nicht ausreiche, dass die Urschrift vom Verhandlungsrichter selbst angefertigt oder aufgrund seiner Weisung und nach seiner Anleitung hergestellt und durch ihn genehmigt worden ist, sofern nicht (aktenkundig) feststeht, dass der Richter eben dieses Schriftstück der Geschäftsstelle zur Urteilsausfertigung übergeben hat.
4. In der Entscheidung 17 Os 25/13z hat der Oberste Gerichtshof zur Bedeutung der Unterschriftlichkeit ausführlich Stellung genommen:
„(Gerichtliche) Entscheidungen sind Willensakte. Konstitutives Element ist die (mündliche oder schriftliche) Erklärung des – von der Rechtsordnung dazu berufenen – Organwalters, ein Ergebnis sei von ihm gewollt. Liegt eine derartige Erklärung unmissverständlich vor, ist die – auch dem äußeren Erscheinungsbild entsprechende – Entscheidung dem Organ und damit dem Staat zuzurechnen.
Allerdings sehen Verfahrens und Organisationsvorschriften (§§ 418 Abs 1, 429 Abs 1 ZPO [hier iVm § 78 Abs 1 EO], §§ 62 Abs 1 und 108 Abs 5 Geo; vgl auch § 270 StPO) vor, dass Akten (Geschäftsstücke) dem zuständigen Organ (Richter oder Rechtspfleger) vor der Erledigung vorgelegt werden, damit dieses den Inhalt der Entscheidung oder Verfügung entweder selbst gestalten oder einen vorbereiteten Entwurf (vgl § 56 Abs 5 GOG, § 113 Geo) kontrollieren kann, bevor es durch Übergabe der von ihm unterschriebenen Urschrift an die Geschäftsstelle dieser den Auftrag erteilt, das zur Durchführung der Erledigung Erforderliche vorzunehmen (§ 109 Abs 1 Geo). Bindung des Gerichts an die schriftliche Entscheidung (Urteil, Beschluss) tritt in der Regel mit dieser Übergabe der Urschrift (vgl § 62 Abs 1 Geo) durch das Entscheidungsorgan (selbst oder in seinem Auftrag etwa durch einen sonstigen bei Gericht Beschäftigten) an die Geschäftsstelle ein ( Bydlinski in Fasching/Konecny ² § 416 ZPO Rz 4 und 6; vgl auch Lewisch , WK StPO Vor §§ 352–363 Rz 33 f). Solcherart wird die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle strukturell gewährleistet, dem zuständigen Organ die Macht über das Ob und Wie der Entscheidung vor Setzung des Willensaktes vorbehalten.
Der in den genannten Verfahrens und Organisationsvorschriften vorgesehenen Unterschrift des Organwalters kommt – neben der zuvor beschriebenen Absicherung der Kontrollmöglichkeit – Dokumentations und Beweisfunktion bei der Auffindung des maßgeblichen Entscheidungswillens zu (vgl schon S. Mayer , Commentar § 270 Rz 4 und 8; vgl auch Danzl , Geo. 5 § 62 Anm 2b). Steht dieser fest, ist die Entscheidung dem zuständigen Organ auch dann zuzurechnen, wenn die Unterschrift nicht vom Organwalter selbst, sondern in dessen Auftrag von einer anderen Person geleistet wird.“
5. Auch der erkennende Senat geht davon aus, dass nach dem gesetzlichen Konzept die auf der Urschrift anzubringende Unterschrift einerseits notwendiger Bestandteil des Urteils ist, das Fehlen der Unterschrift des zuständigen Organs für sich allein aber nicht in jedem Fall eine abschließende Beurteilung darüber zulässt, ob eine diesem zurechenbare Entscheidung oder eine keine Rechtswirkungen entfaltende Nichtentscheidung vorliegt. Maßgeblich ist vielmehr die eindeutige Dokumentation des Entscheidungswillen des Richters. Lässt sich aus dem Akt dieser Entscheidungswille auf andere Art unmissverständlich erschließen, stellt die Unterschrift auf der Urschrift einen im Wege der Verbesserung nachtragbaren Formalakt dar, der keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Urteils hat.
6. Im konkreten Fall liegt nach der Aktenlage nahe, dass das Urteil von der Erstrichterin nur irrtümlich nicht unterfertigt wurde. Aus dem Abfertigungsvermerk ergibt sich, wann das Urteil zur Abfertigung der Geschäftsstelle übergeben wurde, aus den weiteren Verfügungen der Erstrichterin lässt sich ableiten, dass diese Übergabe zur Abfertigung, sofern sie nicht ohnehin durch sie selbst erfolgte, auch von ihrem Entscheidungswillen getragen war.
Da aber dessen ungeachtet nicht durch Unterschrift auf der Entscheidung ohne jeden Zweifel auch im Sinn der zuvor genannten Dokumentations- und Beweisfunktion feststeht, dass es sich um eine Entscheidung des zuständigen Organs handelt, hätten darüber entsprechende Erhebungen und allenfalls ein Verbesserungsverfahren eingeleitet werden müssen.
7. § 473 Abs 2 ZPO sieht vor, dass, wenn der Berufungssenat zur Feststellung der Berufungsgründe oder der Nichtigkeit tatsächliche Aufklärung seitens der Parteien oder des Gerichts erster Instanz oder andere vorgängige Erhebungen für erforderlich hält, dieselben anzuordnen sind und entweder vom Berufungssenate selbst durchzuführen oder die Durchführung durch einen beauftragten Richter oder das Prozessgericht erster Instanz zu veranlassen sind. Dies ist aufgrund der gleichgearteten Interessenlage auch anzunehmen, wenn unklar ist, ob überhaupt eine Entscheidung des zuständigen Organs vorliegt.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts war daher zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens durch Veranlassung entsprechender Erhebungen zu beheben. Dabei wird vom Erstgericht klarzustellen sein, ob die im Akt erliegende Urschrift der Entscheidung mit Wissen und Willen der Erstrichterin erstellt und der Geschäftsabteilung zur Abfertigung übergeben wurde. Gegebenenfalls hat eine Verbesserung dadurch zu erfolgen, dass dem Formerfordernis des § 418 ZPO durch Nachtragen der fehlenden Unterschrift entsprochen wird.
8. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00099.16S.1025.000