VfGH vom 25.11.1991, b132/91
Sammlungsnummer
12912
Leitsatz
Verneinender Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde; Feststellung der Zuständigkeit des Magistrates der Stadt Wien zur Entscheidung über Einwendungen iSd § 35 EO gegen den aus einer Entscheidung dieser Verwaltungsbehörde herrührenden Anspruch
Spruch
I. Zur Entscheidung über die von R D und H D erhobenen Einwendungen iSd § 35 EO gegen den aus der Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den
9. Bezirk, Schlichtungsstelle, vom , Z MBA 9-Schli 2/86, herrührenden Anspruch ist der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, Schlichtungsstelle, zuständig.
Die entgegenstehende Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, Schlichtungsstelle, vom , Z MBA 9-Schli 1/89, wird aufgehoben.
II. Der Antrag, den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom , Z MDR-D 1/90, aufzuheben, wird abgewiesen.
III. Die Gemeinde Wien ist schuldig, den antragstellenden Parteien R D und H D die Kosten dieses Rechtsstreits im Betrag von 16.500 S binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Mit Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, Schlichtungsstelle, vom , Z MBA 9-Schli 2/86, wurde festgestellt, daß R D und H D als Bestandgeber der von A K gemieteten Wohnung in 1090 Wien, Zimmermannplatz, das gesetzlich zulässige Ausmaß des Mietzinses (§16 Abs 2 MRG), der Betriebskosten (§21 MRG) und des Entgelts für mitvermietete Einrichtungsgegenstände (§25 MRG) überschritten; zugleich wurden die beiden Bestandgeber gemäß § 37 Abs 4 MRG zur Zahlung des daraus errechneten Rückforderungsbetrags in der Höhe von 54.514,26 S (zuzüglich 4 % Zinsen seit ) an A K binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang verhalten. Diese Entscheidung wurde rechtskräftig.
1.1.2. Auf Antrag der Mieterin A K bewilligte das Exekutionsgericht Wien daraufhin mit Beschluß vom , Z 6 E3425/89, die Exekution durch Fahrnispfändung, und zwar wegen einer restlichen Forderung von 5.452,71 S samt 4 % Zinsen aus 54.514,26 S vom bis sowie aus 5.452,71 S seit .
1.2.1. Die Verpflichteten R und H D brachten beim Exekutionsgericht Wien mit Schriftsatz vom eine Klage gemäß § 35 EO gegen A K ein, worin sie die Fällung des Urteils begehrten, daß der Anspruch (der Beklagten) aus der Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien vom erloschen sei.
Das Exekutionsgericht Wien wies diese Klage mit Beschluß vom , Z 6 C 23/89-2, als unzulässig zurück. Begründend wurde ausgeführt, daß gemäß § 35 Abs 2 EO Einwendungen gegen den Anspruch, der sich auf einen der im § 1 Z 10 und 12 bis 14 EO genannten Titel stütze, bei jener Behörde zu erheben seien, von der dieser Exekutionstitel ausging, dh. also beim Magistrat der Stadt Wien. Dieser Beschluß blieb unangefochten.
1.2.2.1. Ferner stellten die beiden Verpflichteten beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den
9. Bezirk, Schlichtungsstelle, mit Schriftsatz vom (eingelangt am ) einen auf § 3 Abs 2 VVG gegründeten Antrag auf "Aufhebung der Vollstreckbarkeit" mit einer dem Klagsvorbringen entsprechenden, ebenfalls als "Einwendungen" bezeichneten Begründung.
Dieser Antrag wurde vom Magistrat der Stadt Wien mit Entscheidung vom , Z MBA 9-Schli 1/89, wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen.
1.2.2.2. Gegen die Unzuständigkeitsentscheidung des Magistrats der Stadt Wien ergriffen H D und R D Berufung an den Landeshauptmann von Wien, der dieses Rechtsmittel mit Bescheid vom , Z MDR-D 1/90, als unzulässig zurückwies.
1.2.2.3. Außerdem riefen H D und R D gemäß § 40 Abs 1 MRG das Bezirksgericht Innere Stadt Wien an, und zwar mit der Folge, daß das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht mit Beschluß vom , AZ 41 R 97/90, die Anrufung des Gerichts für unzulässig erklärte und den an das Bezirksgericht gestellten Antrag zurückwies, weil mit Einwendungen iSd § 35 EO vor der Gemeinde kein (eigenständiges) Verfahren nach den §§37 und 39 MRG anhängig gemacht werden könne und ein Abspruch der Gerichte über derartige Einwendungen den Trennungsgrundsatz des Art 94 B-VG verletze.
1.3.1. In ihrem Antrag an den Verfassungsgerichtshof behaupten R D und H D das Vorliegen eines negativen Kompetenzkonflikts gemäß Art 138 Abs 1 lita B-VG zwischen dem Exekutionsgericht Wien und dem Magistrat der Stadt Wien; sie begehren die Aufhebung des Bescheids des Landeshauptmanns von Wien vom , Z MDR-D 1/90, und der Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien vom , Z MBA 9-Schli 1/89, in eventu des Beschlusses des Exekutionsgerichts Wien vom , Z 6 C 23/89-2.
1.3.2. Im verfassungsgerichtlichen Verfahren erstatteten das Exekutionsgericht Wien, der Magistrat der Stadt Wien, das Landesgericht für ZRS Wien und der Landeshauptmann von Wien schriftliche Äußerungen und bekräftigten darin ihre in den zugrundeliegenden Verfahren vertretenen Rechtsauffassungen.
2. Über den Antrag wurde erwogen:
2.1.1. Gemäß Art 138 Abs 1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden. Die Unzuständigkeitserklärungen des Gerichts und der Verwaltungsbehörde betreffen hier dieselbe Sache:
Vor dem Exekutionsgericht Wien und dem Magistrat der Stadt Wien wurden im wesentlichen gleiche Einwendungen (iSd § 35 EO) erhoben. Daran vermag die Tatsache nichts zu ändern, daß der Antrag vor der Verwaltungsbehörde (Punkt 1.2.2.1.) auf § 3 Abs 2 VVG gestützt ist und die "Aufhebung der Vollstreckbarkeit" begehrt, die Klage beim Exekutionsgericht Wien (Punkt 1.2.1.) hingegen die Fällung des Urteils beantragt, der Anspruch, zu dessen Hereinbringung die Exekution bewilligt wurde, sei erloschen (vgl. VfSlg. 2429/1952).
Es handelt sich also um einen verneinenden Kompetenzkonflikt, der vor dem Verfassungsgerichtshof auszutragen ist.
2.1.2. Zur Zulässigkeit sei angemerkt, daß der Bescheid über die Unzuständigkeitserklärung des Magistrats der Stadt Wien vom , Z MBA 9-Schli 1/89, - entgegen der Meinung des Magistrats der Stadt Wien und des Landeshauptmanns von Wien - nach wie vor dem Rechtsbestand angehört: Entscheidungen der Verwaltungsbehörde über Einwendungen gegen den Anspruch iSd § 35 EO können nicht durch Anrufung des Gerichts gemäß § 40 Abs 1 MRG außer Kraft gesetzt werden. "Sache" iSd § 40 Abs 1 Satz 1 MRG ist nämlich die Entscheidung der Gemeinde (§39 Abs 1 MRG) über eine in § 37 Abs 1 MRG genannte Angelegenheit, hier: Z 8 und
12. Einwendungen gegen den Anspruch iSd § 35 EO sind nicht (selbständige) "Sache" iSd § 40 Abs 1 Satz 1 MRG, sondern betreffen (als Annex) ausschließlich die diesen Anspruch begründende Entscheidung der Verwaltungsbehörde, hier die rechtskräftige Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien vom , Z MBA 9-Schli 2/86. In solchen Fällen greift die sukzessive Kompetenz nicht Platz (vgl. VfSlg. 7273/1974; zur sukzessiven Kompetenz hingegen: /0169, MietSlg. 29.460(41)/1977, 40.582/1988).
2.2.1. Die Entscheidung des Magistrats der Stadt Wien vom , Z MBA 9-Schli 2/86, mit der gemäß § 37 Abs 4 (iVm § 39 Abs 4) MRG die Bestandgeber zur Zahlung eines Betrags an die Mieterin verpflichtet wurden, ist ein Exekutionstitel iSd § 1 EO (§39 Abs 4 MRG; MietSlg. 37.542/1985, 39.551/1987, 40.567/1988), und zwar des § 1 Z 10 EO.
2.2.2. Nach dem klaren Wortsinn des § 35 Abs 2 Satz 2 EO sind Einwendungen gegen einen Anspruch, der sich auf einen der im § 1 Z 10 und 12 bis 14 angeführten Exekutionstitel stützt, bei jener Behörde anzubringen, von der dieser Exekutionstitel ausging. Der Anspruch, gegen den Einwendungen iSd § 35 EO erhoben wurden, stützt sich nun auf einen Exekutionstitel, der vom Magistrat der Stadt Wien (Entscheidung vom , Z MBA 9-Schli 2/86) stammt. Daher ist der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, Schlichtungsstelle, zur Entscheidung auch über Einwendungen iSd § 35 EO gegen den sich aus der eben zitierten Entscheidung ergebenden Anspruch zuständig (vgl. VfSlg. 3816/1960; VwSlg. 3714 A/1955, 10.297 A/1980 und /0103), wie das Exekutionsgericht Wien richtig erkannte.
2.2.3. Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 9. Bezirk, Schlichtungsstelle, verneinte darum seine Kompetenz zu Unrecht, sodaß spruchgemäß entschieden werden mußte.
2.3. Der Antrag, den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom , Z MDR-D 1/90, aufzuheben, war abzuweisen, weil dieser Bescheid nicht dem Kompetenzerkenntnis entgegensteht (§51 VerfGG 1953).
2.4. Die Kostenentscheidung fußt auf § 52 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.750 S enthalten.
2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Fundstelle(n):
OAAAE-10918