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OGH vom 26.08.2014, 9ObA85/14m

OGH vom 26.08.2014, 9ObA85/14m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und ADir. Angelika Neuhauser in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Landesorganisation OÖ, *****, vertreten durch Mag. German Storch, Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichischer Gewerkschaftsbund, *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 26/14v 14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 28 Cga 32/13k 10, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.846,56 EUR (darin 307,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.691,84 EUR (darin 1.362 EUR Barauslagen, 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Für die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des beklagten Österreichischen Gewerkschaftsbundes ist seit die als „Betriebsvereinbarung“ bezeichnete Vereinbarung „Arbeitsordnung - Bezugsordnung - Pensionszuschuss-ordnung“ in Geltung, die auszugsweise lautet:

„§ 5

(1) Das Arbeitsverhältnis beginnt mit dem Tage der Vereinbarung.

(2) Vordienstzeiten, die nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen anerkannt werden, werden auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der Bemessung des Urlaubsausmaßes und des Abfertigungsanspruches sowie der Kündigungsfrist angerechnet.

(3) Bestimmungen für die Anrechnung der Vordienstzeiten:

a) Zeiten, die ein Arbeitnehmer bei einer Gewerkschaft oder Arbeiterkammer hauptberuflich zurückgelegt hat, werden zur Gänze angerechnet.

b) Auf Beschluss des Präsidiums des ÖGB kann für aus der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Dienst in die Dienste des ÖGB übergetretene bzw. übertretende verdiente Gewerkschafts- oder Betriebsfunktionäre die Vordienstzeit ganz oder teilweise nach fünfjähriger beim ÖGB verbrachter Dienstzeit angerechnet werden, wenn die Anstellung beim ÖGB in dessen besonderem Interesse gelegen ist. Für die bei den Gewerkschaften beschäftigten Arbeitnehmer hat der Antrag durch die zuständige Gewerkschaft zu erfolgen.

(4) …

(5) Eine mehrfache Anrechnung der gleichen Zeiträume ist unzulässig.

(6) …

§ 10 Urlaub

(1) Für die Urlaubsgewährung der Arbeitnehmer des ÖGB gelten die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend die Vereinheitlichung des Urlaubsrechtes und die Einführung einer Pflegefreistellung (BGBl Nr. 390/76) in der jeweils gültigen Fassung. Gemäß § 5 angerechnete Vordienstzeiten sind Dienstzeiten gemäß § 3 des erwähnten Bundesgesetzes.

(2) …“

Entsprechende Regelungen waren schon in der ab dem in Geltung gestandenen Betriebsvereinbarung sowie in den zuvor in Geltung gestandenen Arbeits und Bezugsordnungen der Beklagten vom und enthalten gewesen.

Unstrittig ist, dass die vorliegende Vereinbarung mangels Rechtssetzungsbefugnis der Betriebsparteien als „freie Betriebsvereinbarung“ im Sinn einer Vertragsschablone als Ergänzung in die Einzelverträge eingegangen ist und nach den §§ 914 f ABGB auszulegen ist.

Der Angestelltenbetriebsrat des Beklagten, Landesorganisation OÖ, begehrt als Kläger gemäß § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die vom Beklagten mit Bezug auf § 5 Abs 3 lit b der Betriebsvereinbarung (idF: BV) nach Beschlussfassung anzurechnenden Vordienstzeiten zuzüglich zu den bereits nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten bei der Berechnung des Ausmaßes des Urlaubsanspruchs zu berücksichtigen seien. Ein Beschluss des Arbeitgebers über die Anrechnung von Vordienstzeiten entsprechend einer bestehenden Betriebsvereinbarung und die darauffolgende Mitteilung an die Arbeitnehmer könne nur so verstanden werden, dass damit eine gegenüber den Bestimmungen des Urlaubsgesetzes bessere bzw längere Vordienstzeitenanrechnung einhergehe. Die Bestimmung in § 10 Abs 1 der BV sei so zu verstehen, dass die nach § 5 der BV anzurechnenden Vordienstzeiten den gemäß § 3 UrlG zu berücksichtigenden Vordienstzeiten in ihren Rechtswirkungen gleichgestellt würden bzw darüber hinaus zu einem Mehranspruch führen sollten und vermieden werden solle, dass ein und dieselbe Vordienstzeit zweifach, nämlich nach dem UrlG und nach der BV anzurechnen sei. Eine Doppelanrechnung ein und derselben Vordienstzeit werde nicht begehrt.

Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, aufgrund der Bestimmung des § 10 Abs 1 der BV Vordienstzeiten nach § 5 erst dann anrechnen zu müssen, wenn sie über das Ausmaß der nach § 3 UrlG gesetzlich anzurechnenden Vordienstzeiten hinausgingen. Aus dem Wortlaut des § 10 ergebe sich eindeutig, dass ein Mehrwert nur dann erreicht werden könne, wenn die nach § 5 anzurechnenden Vordienstzeiten das gesetzliche Höchstausmaß von fünf Jahren überschritten. Nach § 10 bleibe für eine Addition der gemäß § 5 angerechneten Vordienstzeiten mit Vordienstzeiten gemäß § 3 UrlG kein Raum. Das Klagebegehren sei auch nicht feststellungsfähig, weil der Streitgegenstand im Kern auf die Anrechnung von Vordienstzeiten auf jeweils einzelne Mitarbeiter des Beklagten abziele und es um die jeweilige betriebsvereinbarungsgemäße Auslegung der „Kann”- Bestimmung in § 5 Abs 3 lit b der BV durch das Präsidium des ÖGB, nicht aber um einen sämtliche Dienstnehmer betreffenden gleichen Sachverhalt gehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den eingangs dargelegten Sachverhalt hinaus stellte es fest:

„Am wurde von acht Arbeitnehmern des Beklagten ein entsprechender Antrag um Anrechnung von Vordienstzeiten an das Präsidium des ÖGB gestellt. Für folgende Arbeitnehmer wurden nach Antragstellung vom Präsidium des ÖGB jeweils Beschlüsse über die Anrechnung von Vordienstzeiten im Sinn des § 5 Abs 3 lit a und b der entsprechenden Betriebsvereinbarung gefasst:

I***** P*****: bis Lehrzeit, bis Arbeiterin, bis Angestellte. Anrechnung von Vordienstzeiten laut Beschluss: 1 Jahr und 6 Monate nach § 5 Abs 3 lit b.

D***** M*****: bis Lehrzeit, bis Arbeiter, bis Arbeiter. Anrechnung von Vordienstzeiten laut Beschluss: 5 Jahre nach § 5 Abs 3 lit b.

J***** W*****: bis Arbeiter bzw. Lehrling. Anrechnung von Vordienstzeiten laut Beschluss: 5 Jahre nach § 5 Abs 3 lit b.

F***** S bis Lehrling bzw. Arbeiter, bis Arbeiter, bis Angestellter bei der Arbeiterkammer. Anrechnung von Vordienstzeiten laut Beschluss: 2 Jahre und 11 Monate nach § 5 Abs 3 lit a und 3 Jahre und 6 Monate nach § 5 Abs 3 lit b.

E***** E*****: bis Lehrling, bis Lehrling bzw. Arbeiter, bis Arbeiter bzw. Angestellter. Anrechnung von Vordienstzeiten laut Beschluss: 5 Jahre nach § 5 Abs 3 lit b.“

Das Erstgericht bejahte das Feststellungsinteresse des Klägers iSd § 54 Abs 1 ASGG, da bei wenigstens drei Dienstnehmern ein unmittelbarer Anlass zur Klagsführung gegeben sei. Die Regelung des § 5 Abs 3 lit b der BV könne in Zusammenhalt mit § 10 Abs 1 letzter Satz der BV nur so verstanden werden, dass die nach § 5 der BV anzurechnenden Vordienstzeiten mit den nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten gleichzusetzen seien. Das könne nur bedeuten, dass Vordienstzeiten, die nach § 5 der BV angerechnet würden, für das Ausmaß des Urlaubsanspruchs erst dann als anrechenbare Vordienstzeiten zu beachten seien, wenn sie über das Ausmaß der nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten hinausgingen. Das wiederum bedeute, dass die beiden anzurechnenden Zeiten nicht zusammenzuzählen seien, sondern die jeweils höhere Anzahl an angerechneten Jahren für die Bemessung des Urlaubsanspruchs heranzuziehen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil im klagestattgebenden Sinn ab. Eine kumulative Berechnung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung in § 5 Abs 2 der BV. Eine Einschränkung der Anrechnung der nach § 5 Abs 3 lit b der BV anerkannten Vordienstzeiten bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes ergebe sich weder aus § 5 noch aus § 10 der BV, sehe man von der Regelung in § 5 Abs 5 der BV ab, wonach eine mehrfache Anrechnung der gleichen Zeiträume unzulässig sei. Diesem Umstand habe der Kläger in seinem Klagebegehren ohnedies Rechnung getragen. Aus der Formulierung im § 10 Abs 1 der BV, wonach „ gemäß § 5 angerechnete Vordienstzeiten “ „ Dienstzeiten gemäß § 3 des erwähnten Bundesgesetzes“ seien, gehe nicht hervor, dass gemäß § 5 Abs 3 lit b der BV anerkannte Vordienstzeiten mit den nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten in dem Sinn gleichzusetzen seien, dass sie nach § 3 UrlG anzurechnende Vordienstzeiten verdrängten bzw erst dann als anrechenbare Vordienstzeiten zu beachten seien, wenn sie über das Ausmaß der nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten hinausgingen. Der Text der Regelung lasse nach dem Wortsinn in Zusammenschau mit § 5 Abs 2 BV den objektiven Aussagegehalt zu, dass durch Satz 2 Abs 1 des mit „Urlaub“ überschriebenen § 10 BV bekräftigt werden solle, dass gemäß § 5 BV angerechnete Vordienstzeiten ebenfalls anzurechnende Vordienstzeiten seien. Nur dieses Verständnis werde dem Zweck der Regelung in der BV über die Anrechnung von Vordienstzeiten aus der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Dienst gerecht. Der mit „Anrechnungsbestimmungen“ überschriebene § 3 UrlG zähle in seinem Absatz 2 diverse anzurechnende Vordienstzeiten auf, unter anderem solche aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis, jedoch nur bis zum Höchstausmaß von fünf Jahren. Diese beschränkte Vordienstzeitenanrechnung für das Urlaubsausmaß stelle gemäß § 12 UrlG aber nur den gesetzlichen Mindeststandard von Arbeitnehmeransprüchen dar. Nach herrschender Auffassung sei der Arbeitgeber verpflichtet, bereits bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses den Arbeitnehmer darüber zu befragen, ob zusammen bzw insbesondere anrechenbare Zeiten iSd § 3 UrlG zu berücksichtigen seien. Die zusammen bzw angerechneten Dienstzeiten müssten in die gemäß § 8 UrlG vom Arbeitgeber zu führenden Aufzeichnungen aufgenommen werden. Der Zweck der in § 5 Abs 3 lit b der BV enthaltenen Regelung könne somit objektiv vernünftigerweise nur darin gelegen sein, besonders verdiente und wichtige Dienstnehmer des Beklagten gegenüber der gesetzlichen Regelung über die Anrechnung von Vordienstzeiten nach § 3 Abs 2 UrlG zu begünstigen und deren Rechtsposition gegenüber jener ohne Antragstellung und vor der Beschlussfassung iSd § 5 Abs 3 lit b der BV zu verbessern. Dies decke sich auch mit dem Verständnis der jeweiligen Mitteilungen des Beklagten, „dass“ dem jeweiligen Mitarbeiter „im Sinne der Betriebsvereinbarung für die Arbeitnehmer des Österreichischen Gewerkschaftsbundes § 5 der Arbeitsordnung in der derzeit geltenden Fassung folgende Vordienstzeiten mit Wirkung für Urlaubsausmaß, Abfertigung, Kündigungsfrist und Entgeltanspruch im Krankheitsfall angerechnet werden“. Die ordentliche Revision sei aufgrund der Bedeutung der Auslegung der zugrunde liegenden Betriebsvereinbarung für einen größeren Personenkreis zulässig.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt .

1. Gemäß § 54 Abs 1 ASGG können die parteifähigen Organe der Arbeitnehmerschaft im Rahmen ihres Wirkungsbereichs auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen klagen, die mindestens drei Arbeitnehmer ihres Betriebs oder Unternehmens betreffen. Nach der Rechtsprechung muss darüber hinaus bei wenigstens drei Dienstnehmern ein unmittelbarer Anlass zur Klageführung gegeben sein (RIS Justiz RS0085568). Abstrakte Rechtsfragen, etwa im Sinne eines bloßen Rechtsgutachtens, sind nicht feststellungsfähig (RIS Justiz RS0085613).

2. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die vom Beklagten mit Bezug auf § 5 Abs 3 lit b der BV nach Beschlussfassung anzurechnenden Vordienstzeiten zuzüglich zu den bereits nach § 3 UrlG anzurechnenden Vordienstzeiten bei der Berechnung des Ausmaßes des Urlaubsanspruchs zu berücksichtigen sind, wenn und soweit tatsächlich längere Vordienstzeiten als die nach Urlaubsgesetz anzurechnenden Dienstzeiten gegeben sind.

3. § 5 Abs 3 lit b der BV sieht vor, dass auf Beschluss des Präsidiums des ÖGB für aus der Privatwirtschaft oder dem öffentlichen Dienst in die Dienste des ÖGB übergetretene bzw übertretende verdiente Gewerkschafts oder Betriebsfunktionäre die Vordienstzeit ganz oder teilweise nach fünfjähriger beim ÖGB verbrachter Dienstzeit angerechnet werden kann, wenn die Anstellung beim ÖGB in dessen besonderem Interesse gelegen ist.

Die Bestimmung stellt unzweifelhaft eine Ermächtigungsnorm für das Präsidium des Beklagten dar, besonders verdienten Arbeitnehmern einen Bonus durch die Anrechnung von Vordienstzeiten zu verschaffen, die für die Bemessung des Urlaubsausmaßes, des Abfertigungsanspruchs und der Kündigungsfrist maßgeblich sein sollen. Die Anrechnung von Vordienstzeiten ergibt sich danach nicht aus § 5 Abs 3 lit b der BV selbst, sondern erst aus dem entsprechenden Beschluss des Präsidiums des Beklagten. Dass ein solcher Beschluss individuell für den jeweiligen Arbeitnehmer gefasst wird, bestreitet der Kläger nicht.

4. Inhaltlich kann aufgrund der „Kann Bestimmung nicht zweifelhaft sein, dass es im wenngleich gebundenen - Ermessen des Beklagten liegt, eine Anrechnung von Vordienstzeiten ganz, teilweise oder auch gar nicht vorzunehmen. Es steht ihm daher grundsätzlich auch frei, Vordienstzeiten zusätzlich oder unter Einschluss gesetzlicher Vordienstzeiten zuzusprechen. Eine Verpflichtung des Beklagten, die Anrechnung von Vordienstzeiten so vorzunehmen, dass einem Arbeitnehmer jedenfalls über die gesetzlichen Vordienstzeiten (§ 3 UrlG) hinausgehende Vordienstzeiten angerechnet werden müssen, ergibt sich aus § 5 Abs 3 lit b der BV nicht. Damit kann es für die Frage, ob eine nach § 5 Abs 3 lit b der BV zuerkannte Vordienstzeit unter Ein oder unter Ausschluss der gesetzlichen Vordienstzeit zu verstehen ist, nur darauf ankommen, was ein Arbeitnehmer konkret beantragt hat und was ihm mit dem Präsidialbeschluss jeweils konkret zuerkannt wurde. Dies ist jedoch nicht pauschal nach den §§ 5 und 10 der BV zu beantworten, sondern bedarf der Prüfung im jeweiligen Einzelfall. (Beispielsweise zeigt ein Vergleich der Anträge Beil ./B und ./C, dass die Anrechnung der Vordienstzeiten zT sehr konkret, zT pauschal begehrt wurde. Weiter zeigt ein Vergleich der Präsidialbeschlüsse Beil ./I und ./F, dass die Vordienstzeiten nicht nur in unterschiedlichem Ausmaß, sondern auch mit Wirkung für unterschiedliche Ansprüche angerechnet wurden.)

Daraus folgt aber, dass die vom Kläger begehrte pauschale Feststellung schon deshalb nicht in Frage kommt, weil in dieser Allgemeinheit ohne individuelle Prüfung der konkreten Umstände im Einzelfall keine Aussage zu den „nach Beschlussfassung anzurechnenden Vordienstzeiten“, insbesondere auch nicht zu künftigen Präsidialbeschlüssen, getroffen werden kann.

5. Nur soweit aus dem Erklärungsverhalten der Vertragsparteien unter Berücksichtigung des jeweiligen Antrags und Präsidialbeschlusses keine vom Inhalt der Urkunde abweichend Erklärungsbedeutung zu erschließen ist, ist die Absicht der Vertragsparteien im Rahmen der rechtlichen Beurteilung allein aus der Urkunde nach dem objektiven Aussagewert des Textes und dem Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung im Zusammenhalt mit dem Zweck der Vereinbarung zu ermitteln (RIS Justiz RS0017833 [T6]). Wenn Arbeitnehmer vom Beklagten pauschal „die Anrechnung von Vordienstzeiten“ begehrten und der Beklagte in standardisierter Form (vgl Beil ./I, ./L, ./R) bescheinigt hat, „dass Ihnen im Sinne der Betriebsvereinbarung für die Arbeitnehmer des Österreichischen Gewerkschaftsbundes § 5 der Arbeitsordnung in der derzeit geltenden Fassung folgende Vordienstzeiten mit Wirkung für Urlaubsausmaß, Abfertigung, Kündigungsfrist und Entgeltanspruch im Krankheitsfall angerechnet werden:

1. Zeiten nach Abs 3 lit a) - Jahre - Monate

2. Zeiten nach Abs 3 lit b) x Jahre x Monate

x Jahre x Monate“

so könnte erst auf diesem Weg die Betriebsvereinbarung die Auslegung eines konkreten Anrechnungsbeschlusses bestimmen.

6. In diesen Fällen ist Folgendes zu bedenken:

6.1. Aus dem Wortlaut des § 5 Abs 2 der BV, dass „Vordienstzeiten, die nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen anerkannt werden, [...] auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses hinsichtlich der Bemessung des Urlaubsausmaßes und des Abfertigungsanspruchs sowie der Kündigungsfrist angerechnet“ werden, lässt sich die Notwendigkeit einer Kumulation der Vordienstzeiten bezüglich des Urlaubsausmaßes nicht ableiten. Das dafür von Klagsseite ins Treffen geführte Argument, dass gesetzliche Ansprüche keiner weiteren Anerkennung bedürften, sodass die Anrechnung konstitutiv zu verstehen sei, ist nicht zwingend. Da eine solche Anrechnung auch für den Abfertigungsanspruch, die Kündigungsfrist und nach den vorliegenden Beschlüssen jedenfalls auch für den Entgeltanspruch im Krankheitsfall maßgeblich ist, liegt der Mehrwert der Anrechnung für den Arbeitnehmer schon in der Berücksichtigung der Vordienstzeiten für diese weiteren Ansprüche.

6.2. Aus § 5 Abs 3 lit b BV ist für die vorliegende Frage nur der Zweck der Anrechnung zu erschließen, verdiente Gewerkschafts oder Betriebsfunktionäre, deren Anstellung beim Beklagten in dessen besonderem Interesse gelegen ist, nach fünfjähriger Tätigkeit einen Bonus zukommen zu lassen. Dass dieser Zweck ein Verständnis dahin erfordern würde, den Arbeitnehmern Vordienstzeiten im Zweifel im weitestmöglichen Sinn anzurechnen, geht daraus nicht hervor. Der Zweck wird auch schon erfüllt, wenn man ihn in der dargelegten Berücksichtigung der über den gesetzlichen Anspruch hinausgehenden Ansprüche sieht.

6.3. Die Urlaubsansprüche eines Arbeitnehmers sind Regelungsgegenstand des § 10 BV, der zunächst in Abs 1 Satz 1 auf die Geltung des Urlaubsgesetzes verweist und sodann in Abs 1 Satz 2 für das Urlaubsausmaß das Verhältnis der gesetzlichen zu den beschlussmäßig zuerkannten Vordienstzeiten regelt. Für die Adressaten der BV kann daher nicht zweifelhaft sein, dass es auch gesetzlich anzurechnende Vordienstzeiten gibt. Der Wortlaut des § 10 Abs 1 Satz 2, „Gemäß § 5 angerechnete Vordienstzeiten sind Dienstzeiten gemäß § 3 des erwähnten Bundesgesetzes“, kann danach aber nicht anders verstanden werden, als dass beschlussmäßig zuerkannte Vordienstzeiten solche sind, die auch schon nach § 3 UrlG Vordienstzeiten sind. Ein anderes Verständnis hätte einer Wortwahl bedurft, die zumindest ansatzweise auf eine Kumulierung der Vordienstzeiten schließen ließe.

6.4. Auch für das Urlaubsausmaß kann sich daraus ein Mehrwert gegenüber dem gesetzlichen Anspruch ergeben: Einerseits dann, wenn die Länge der beschlussmäßig anerkannten Vordienstzeiten über das gesetzliche Ausmaß hinausgeht, andererseits dadurch, dass die beschlussmäßige Anerkennung von Vordienstzeiten nicht von den gesetzlichen Voraussetzungen (zB Mindestdauer der Beschäftigung, § 3 Abs 2 Z 1 UrlG) abhängen muss.

6.5. Für ein Verständnis dahin, dass die beschlussmäßig zuerkannten Vordienstzeiten die gesetzlich anzurechnenden Vordienstzeiten mitumfassen, spricht auch, dass es auf diese Weise zu einer einheitlichen Handhabung der Vordienstzeiten für das jeweilige Dienstverhältnis kommt. Eine Kumulation der beschlussmäßig und der gesetzlich anzurechnenden Vordienstzeiten hätte zur Folge, dass auf den Abfertigungsanspruch eines Arbeitnehmers, auf die Kündigungsfrist und auf den Entgeltanspruch im Krankheitsfall nur die beschlussmäßig zuerkannten Vordienstzeiten (zB fünf Jahre) anzurechnen wären, auf seinen Urlaubsanspruch hingegen zusätzlich noch die gesetzlich zustehenden Vordienstzeiten (daher zB fünf + fünf Jahre).

Wenn der Beklagte in den vom Kläger dargelegten Fällen selbst bei über ein oder zwei Jahrzehnte hinausgehenden Vordienstzeiten eines Arbeitnehmers iSd § 5 Abs 3 lit b BV nie mehr als fünf Jahre „mit Wirkung für Urlaubsausmaß, Abfertigung, Kündigungsfrist und Entgeltanspruch im Krankheitsfall“ anerkannt hat, spricht dies daher dafür, dass er einem Arbeitnehmer insgesamt, dh unter Einschluss des gesetzlichen Anspruchs, einheitlich fünf Jahre an Vordienstzeiten anrechnen wollte.

7. Zusammenfassend lässt sich entgegen dem Klagsvorbringen aus dem Sachverhalt nicht ableiten, dass bei der Bemessung des Urlaubsausmaßes eines Arbeitnehmers die ihm vom Beklagten gemäß § 5 Abs 3 lit b der BV beschlussmäßig angerechneten Vordienstzeiten in jedem Fall zusätzlich zu den nach § 3 UrlG vorgesehenen Vordienstzeiten zu berücksichtigen wären. Das Klagebegehren ist in seiner Pauschalität daher nicht berechtigt.

Liegen keine Anhaltspunkte für einen anderen Parteiwillen vor, ist bei einem undifferenzierten Antrag auf Anrechnung von Vordienstzeiten die undifferenzierte Anrechnung des Beklagten von Vordienstzeiten „ im Sinne der Betriebsvereinbarung für die Arbeitnehmer des Österreichischen Gewerkschaftsbundes § 5 der Arbeitsordnung in der derzeit geltenden Fassung … mit Wirkung für Urlaubsausmaß, Abfertigung, Kündigungsfrist und Entgeltanspruch im Krankheitsfall“ so zu verstehen, dass darin die nach § 3 UrlG zwingend anzurechnenden Vordienstzeiten bereits enthalten sind.

Da das Klagebegehren auch danach nicht berechtigt ist, ist es abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00085.14M.0826.000