VfGH vom 06.03.1995, B896/94

VfGH vom 06.03.1995, B896/94

Sammlungsnummer

14058

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Antrags auf Gewährung der Notstandshilfe mangels Erschöpfung des Karenzurlaubsgeldanspruches infolge Anspruchsverzicht zugunsten des Kindesvaters; keine Bedenken gegen die diesbezüglichen Regelungen des AlVG

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach § 26a Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 idF BGBl. 299/1990 (AlVG) haben unter näher beschriebenen Voraussetzungen auch Väter Anspruch auf Karenzurlaubsgeld, wenn die Mutter auf den ihr zustehenden Anspruch (bei selbständiger Tätigkeit auf den Anspruch auf Teilzeitbeihilfe) zur Gänze oder für einen bestimmten Zeitraum unwiderruflich verzichtet (Abs1). Ein Wechsel in der Anspruchsberechtigung kann aber nur einmal erfolgen, nachdem ein Elternteil mindestens drei Monate lang Karenzurlaubsgeld bezogen hat, es sei denn, daß der im Bezug stehende Elternteil durch ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis für eine nicht bloß verhältnismäßig kurze Zeit verhindert ist, das Kind zu betreuen; in diesem Fall tritt bei Behinderung des Vaters der Verzicht der Mutter auf Karenzurlaubsgeld außer Kraft (Abs2). Der Bezug von Karenzurlaubsgeld schließt einen Anspruch auf weitere Leistungen nach § 6 Abs 1 AlVG - also Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Pensionsvorschuß, Sondernotstandshilfe oder Teilzeitbeihilfe - aus (§26 Abs 5 iVm § 26a Abs 3 AlVG). Notstandshilfe kann einem Arbeitslosen nur gewährt werden, wenn er den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Karenzurlaubsgeld erschöpft hat (§33 Abs 1 AlVG).

Die arbeitslos gewesene Beschwerdeführerin hat vom bis zur Geburt ihres Kindes am und weiter bis Wochengeld und danach Karenzurlaubsgeld bezogen. Mit Wirkung vom verzichtete sie zugunsten des unselbständig erwerbstätig gewesenen Vaters (monatliches Einkommen 12.172 S) auf das Karenzurlaubsgeld und stellte am den Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe. Dieser Antrag wird mit dem angefochtenen Berufungsbescheid abgewiesen, weil die Beschwerdeführerin den Anspruch auf Karenzurlaubsgeld nicht erschöpft habe. Das sei erst mit Vollendung des zweiten Lebensjahres des Kindes oder dessen allfälligem früheren Tod der Fall. Selbst wenn man die in § 39 Abs 1 AlVG für die Sondernotstandshilfe getroffene Regelung heranziehen wollte, daß der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erschöpft sei, wenn infolge Verzichtes kein Karenzurlaubsgeld mehr begehrt werden könne und der Vater des Kindes nicht im Bezug des vollen Karenzurlaubsgeldes stehe, sei die Voraussetzung für die Gewährung der Notstandshilfe nicht erfüllt, weil der Vater ohnedies volles Karenzurlaubsgeld beziehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz und die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes gerügt wird. Die Ansicht der belangten Behörde führe zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung von "Müttern mit Kleinkindern bis zum zweiten Lebensjahr und Kindesvätern einerseits sowie zwischen Frauen mit Kindern bis zum zweiten Lebensjahr und sonstigen Frauen andererseits". Sie entspreche auch nicht der Zielsetzung des Elternkarenzurlaubes. Die Eltern könnten über die Frage, wer die Aufgabe der Kindererziehung und -betreuung übernehme, nicht frei entscheiden, wenn der Mutter bei Verzicht auf das Karenzurlaubsgeld kein Anspruch auf Notstandshilfe zukomme, "dem Vater unter denselben Voraussetzungen dieser Anspruch aber schon zustehen würde". Der Karenzurlaub des Vaters leite sich zwar grundsätzlich vom Anspruch der Mutter ab, sei aber dennoch selbständig, wie aus dem Umstand deutlich werde, daß im Falle nicht unselbständiger Erwerbstätigkeit der Mutter dem unselbständig erwerbstätigen Vater ein eigenes, nicht von einem Antrag der Mutter abgeleitetes Recht auf Karenzurlaub zukomme. Auch habe der Gesetzgeber bei geteiltem Leistungsbezug, für den beide Bezieher die Anwartschaft erfüllen müssen und mit Inanspruchnahme der Leistung verbrauchen, während das Karenzurlaubsgeld nur einfach zur Auszahlung gelange, für die neuerliche Anwartschaft einen Bonus vorgesehen (Hinweis auf § 14 Abs 6 und Abs 9 AlVG).

Dagegen meint die Behörde in ihrer Gegenschrift, ein Leistungswerber, der einen Bezug unterbreche oder darauf verzichte, aber wieder in den Genuß der Leistung kommen könne, habe den Anspruch nicht "erschöpft". Im vorliegenden Fall werde der Bezug vom Vater des Kindes fortgesetzt. Zwar könne der Wechsel in der Anspruchsberechtigung nur einmal erfolgen, es seien aber Ausnahmen vorgesehen, die den Verzichtenden wieder in den Genuß der Leistung kommen lassen. Solange ein solcher Fall eintreten könne, liege ein "Erschöpfen" des Anspruches nicht vor.

II. Die Beschwerde ist nicht begründet.

1. Anspruch auf (Karenzurlaub und) Karenzurlaubsgeld hat in erster Linie die Mutter. Durch die Möglichkeit, auf den Anspruch mit der Wirkung zu verzichten, daß der Vater Karenzurlaubsgeld in Anspruch nehmen kann, wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß die Eltern die Ausübung ihrer Rechte und Erfüllung ihrer Pflichten anders aufteilen können. Daß der Wechsel in der Anspruchsberechtigung nur einmal erfolgen kann, ist im Hinblick auf die erwünschte Kontinuität der Betreuung des Kindes insbesondere angesichts der vorgesehenen Ausnahmen verfassungsrechtlich nicht bedenklich; es ist daher bei Bewertung des gesamten Regelungszusammenhanges von der - hier an sich nicht präjudiziellen - Bindung an den Verzicht im Rahmen des § 26a Abs 2 AlVG auszugehen.

Ebenso unbedenklich sind aber die - hier durchaus anwendbaren - Bestimmungen, nach denen bei Bezug von Karenzurlaubsgeld kein Anspruch auf Notstandshilfe besteht und die Gewährung von Notstandshilfe die Erschöpfung des Anspruches auf Karenzurlaubsgeld voraussetzt (§26 Abs 5 und § 26a Abs 3 sowie § 33 Abs 1 AlVG). Der Gesetzgeber darf die Notstandshilfe als subsidiäre Leistung ausgestalten, die erst gebührt, wenn nicht nur der Anspruch auf Arbeitslosengeld, sondern auch jener auf Karenzurlaubsgeld erschöpft ist.

Die Möglichkeit des Verzichtes auf den Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erlaubt es der Mutter, im Hinblick auf die Möglichkeit des Karenzurlaubsgeldbezuges durch den Vater die Berufstätigkeit fortzusetzen und Erziehung und Pflege des Kleinkindes dem Vater zu überlassen. Die von der Beschwerde gewünschte Auslegung des Gesetzes würde es der Mutter auch ermöglichen, weiterhin Notstandshilfe zu beziehen und dem bisher berufstätigen Vater zu einem Karenzurlaub und zum Bezug von Karenzurlaubsgeld zu verhelfen. Wenn der Gesetzgeber für eine solche Wahlmöglichkeit keine Notwendigkeit gesehen und die Mutter daher - wie dies nach Auslegung der belangten Behörde der Fall ist - vor die Alternative gestellt hätte, entweder selbst Karenzurlaubsgeld zu beziehen oder ohne Ersatz (durch Wiederaufleben des Anspruches auf Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe) zugunsten des Vaters darauf zu verzichten, würde das die Regelung nicht unsachlich machen. Der Gesetzgeber muß nicht auch einer beschäftigungslosen Mutter ermöglichen, die Pflege und Erziehung des Kindes zu Lasten der Arbeitslosenversicherung dem Vater zu überlassen.

2. An der Ungleichwertigkeit der beiden Lagen ändert sich auch dadurch nichts, daß dem arbeitslosen Vater die Notstandshilfe nicht deswegen versagt wird, weil die Mutter Karenzurlaubsgeld bezieht. Die unter Verzicht auf das Karenzurlaubsgeld berufstätig gebliebene Mutter, die später arbeitslos wird und sogleich auf Notstandshilfe angewiesen ist, kann durch einen (dann erstmaligen) Wechsel der Anspruchsberechtigung die Wiederaufnahme der Beschäftigung durch den Vater (oder ein Wiederaufleben des Bezuges von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe durch diesen) herbeiführen und damit die ursprüngliche Rechtslage wieder herstellen.

Die für die Beschwerdeführerin eintretende Härte ist demgemäß die Folge des Umstandes, daß sie schon vor Abschluß eines neuen Dienstverhältnisses auf das Karenzurlaubsgeld verzichtet und so das Risiko der Fortdauer der Arbeitslosigkeit auf sich genommen hat. Die Folgen einer solchen Fehleinschätzung muß der Gesetzgeber nicht durch Maßnahmen mildern, die wiederum eine unnötige Inanspruchnahme von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung ermöglichen.

Die erhobenen Vorwürfe gegen das Gesetz und dessen Auslegung durch die Behörde sind also nicht stichhältig. Da auch eine andere Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte oder die sonstige Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm nicht hervorgekommen ist, ist die Beschwerde abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Dies kann, weil von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten ist, auch ohne mündliche Verhandlung geschehen (§19 Abs 4 VerfGG).