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OGH vom 14.05.2008, 13Os46/08a

OGH vom 14.05.2008, 13Os46/08a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred B***** und andere Verdächtige wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, über die von der Generalprokuratur gegen jeweils mehrere im Strafverfahren AZ 34 Ur 212/07m des Landesgerichts Wiener Neustadt erlassene Hausdurchsuchungsbefehle, ergangene Ratskammerentscheidungen und einen Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, sowie des Verteidigers Dr. Bachmann zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz

1. die Hausdurchsuchungsbefehle des Landesgerichts Wiener Neustadt vom und vom , AZ 34 Ur 212/07a, ON 3 bis 8 und 10, in den Bestimmungen der §§ 139 Abs 1, 140 Abs 1, 2 und 3 erster Satz StPO aF sowie der Beschluss der Ratskammer des selben Gerichts vom , AZ 30 Rk 102/07k (ON 22), soweit die Begründung der hinsichtlich Mag. H*****, Erika H***** und die M***** GmbH erlassenen Hausdurchsuchungsbefehle als ausreichend beurteilt wurde;

2. die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19), soweit darin die Prüfung eines Beweisverbots nach § 152 Abs 1 Z 4 StPO aF hinsichtlich von Unterlagen des als Wirtschaftstreuhänder tätigen Mag. Friedrich H***** und der M***** GmbH unterblieben ist und die Entscheidung über ein Beweisverbot reklamierende Einwände des Mag. H***** dem Untersuchungsrichter übertragen wurde, in der Bestimmung des § 145 Abs 2 StPO aF.

Die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19), werden aufgehoben, und es wird dem Einzelrichter dieses Gerichts (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO) aufgetragen, die unterlassene Prüfung nach § 145 Abs 2 StPO aF nachzuholen.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht Wiener Neustadt werden zu AZ 34 Ur 212/07a seit dem gerichtliche Vorerhebungen gegen Manfred B***** und andere Verdächtige wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen geführt. Diesen liegt - nach einer Anzeige der Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der B***** GmbH und der E***** GmbH sowie den in diesem Zusammenhang vom Landeskriminalamt Niederösterreich durchgeführten Erhebungen - der Verdacht zugrunde, es hätten Manfred B***** als Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter der B***** GmbH sowie als Begünstigter der O*****, Gerlinde G***** als de-facto Geschäftsführerin und Ing. Peter W***** als Prokurist des erstgenannten Unternehmens, Mag. Friedrich H***** als Geschäftsführer und Gesellschafter und Erika H***** als Geschäftsführerin der E***** GmbH von März 2004 bis Oktober 2006 in W***** und anderen Orten in noch festzustellenden Täterschaftsformen die ihnen durch Gesellschaftsvertrag eingeräumte Befugnis, über das Vermögen der B***** GmbH und der E***** GmbH zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch den genannten Unternehmen einen 50.000 Euro übersteigenden Vermögensnachteil zugefügt, sowie Vermögensbestandteile der Unternehmen beiseite geschafft, veräußert oder sonst das Vermögen der genannten Unternehmen wirklich oder zum Schein verringert und dadurch die Befriedigung ihrer Gläubiger um mehr als 50.000 Euro geschmälert.

Über Antrag der Staatsanwaltschaft erließ der Untersuchungsrichter am (ON 3 bis 8) und am (ON 10) mehrere - unter anderem die Geschäftsräumlichkeiten der Mag. Friedrich H***** GmbH (ON 5) sowie die Privatwohnung des Mag. Friedrich H***** (ON 4) und der Erika H***** betreffende - Hausdurchsuchungsbefehle. Der in den Hausdurchsuchungsbefehlen jeweils mit den vorstehend wiedergegebenen Worten dargelegte Verdacht, so führte der Untersuchungsrichter jeweils begründend aus, beruhe auf den bisherigen Ergebnissen der sicherheitsbehördlichen Erhebungen, insbesondere der Sachverhaltsdarstellung der Masseverwalter, einem in ON 2 (S 5 bis 447) erliegenden, solcherart nicht zusammenfassend referierten Aktenkonvolut.

Die Hausdurchsuchungsbefehle enthielten jeweils den Auftrag, „Gegenstände, deren Besitz oder Besichtigung für das gegenständliche Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere Buchhaltungsunterlagen aller in den Sachverhalt involvierter Unternehmen sowie damit im Zusammenhang stehende Urkunden oder Gegenstände, zu beschlagnahmen" und weiter die Anweisung, von der vorangehenden Vernehmung Verdächtiger „wegen Gefahr im Verzug gemäß § 140 Abs 2 StPO abzusehen."

Mit Schreiben vom gaben die Verdächtigen durch ihren Verteidiger bekannt, die Durchsuchung beschlagnahmter Papiere und Datenträger nicht gestatten zu wollen (ON 16). In diesem Schreiben wurde unter anderem auf die „Verschwiegenheitspflicht" des „Mag. H***** als Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder gegenüber seinen Mandanten" hingewiesen.

Mit Beschlüssen vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19), ordnete die Ratskammer die Durchsuchung der Unterlagen an, ohne die Frage eines etwaigen Beweisverbots zu prüfen.

Am wies der Untersuchungsrichter einen unter anderem auf die erwähnte Verschwiegenheitspflicht rekurrierenden Antrag des Mag. H***** auf Rückgabe konkret bezeichneter Unterlagen ab (ON 20).

Die Ratskammer hinwieder gab mit Beschluss vom , AZ 30 Rk 102/07k (ON 22), einer sowohl gegen die Erlassung von Hausdurchsuchungsbefehlen (hinsichtlich Mag. H*****, Erika H***** und die M***** GmbH) als auch die zuletzt genannte Verfügung des Untersuchungsrichters gerichteten Beschwerde des Mag. H***** keine Folge.

Sie räumte zwar ein, dass sich aus den Hausdurchsuchungsbefehlen „kein Zusammenhang mit der M*****s GmbH" erkennen lasse, hielt jedoch den Hinweis auf einen Bestandteil der Akten - nämlich die vorstehend erwähnte ON 2 - für ausreichend (S 55/II). In Betreff des geltend gemachten Beweisverbots verwies sie auf die den Untersuchungsrichter insoweit bindenden Beschlüsse vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19).

Rechtliche Beurteilung

Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde Gesetzesverletzungen auf:

Schon vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes BGBl I 2004/19 bestand für gerichtliche Verfügungen nicht bloß prozessleitender Art (mit Ausnahme von Ladungen) generell eine Begründungspflicht (instruktiv: Harbich, RZ 1977, 142; vgl für Beschlüsse nunmehr § 86 Abs 1 StPO). Dies ging schon aus dem Fairnessgebot des Art 6 Abs 1 MRK hervor (Frowein/Peukert MRK-Kommentar2 Art 6 Rz 114; Villinger Handbuch2 § 21 Pkt IV; Meyer-Ladewig Handkommentar Art 6 Rz 42; Grabenwarter EMRK3 § 24 Rz 66).

Für Hausdurchsuchungsbefehle schrieb § 140 Abs 3 erster Satz StPO aF sogar ausdrücklich eine solche fest.

Die kursorische Wiedergabe des Tatverdachts in der eingangs wiedergegebenen Form und die bloß in einer Verweisung auf einen Aktenbestandteil bestehende Begründung genügte dieser Anforderung nicht. Denn solcherart wurde zum Einen nicht klar, wonach konkret gesucht werden sollte (vgl § 139 Abs 1 StPO aF). Zum Anderen war der vom Hausdurchsuchungsbefehl Betroffene allein aufgrund dessen Inhalts solcherart nicht in der Lage, die Begründung nachzuvollziehen (§ 140 Abs 3 erster Satz StPO aF).

Auch war der unsubstantiierte Hinweis auf angebliche „Gefahr im Verzug" nicht geeignet, die Anordnung zu begründen, von der in § 140 Abs 1 StPO aF verlangten Vernehmung abzusehen (vgl § 140 Abs 2 StPO aF).

Soweit die Ratskammer die Begründung der hinsichtlich Mag. Friedrich H*****, Erika H***** und die M***** GmbH erlassenen Hausdurchsuchungsbefehle als ausreichend beurteilte, verstieß auch deren Beschluss vom , AZ 30 Rk 102/07k (ON 22), gegen § 140 Abs 3 StPO aF.

Gleichermaßen rechtsfehlerhaft hat die Ratskammer in ihren Beschlüssen vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19), die Anordnung des § 145 Abs 2 StPO aF missachtet, weil sie es unterließ, das unter Berufung auf § 152 Abs 1 Z 4 StPO aF geltend gemachte Beweisverbot zu prüfen (eingehend EvBl 1992/175; vgl auch SSt 62/126). Indem sie diese Prüfung gesetzwidrig dem Untersuchungsrichter überließ, war schließlich dessen Anordnung, Teile der Unterlagen in Ermangelung eines solchen Beweisverbots nicht zurückzustellen, ohne rechtliche Basis.

In Ausübung des dem Obersten Gerichtshof nach § 292 letzter Satz StPO zustehenden Ermessens waren die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , AZ 30 Rk 88/07a (ON 18), und vom , AZ 30 Rk 91/07t (ON 19), aufzuheben und dem nach § 516 Abs 2 zweiter Satz StPO (nunmehr) zuständigen Einzelrichter dieses Gerichts (§ 31 Abs 1 Z 2 StPO) aufzutragen, die unterlassene Prüfung nach § 145 Abs 2 StPO aF nachzuholen (§ 516 Abs 2 erster Satz StPO).