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OGH vom 25.10.2001, 8ObS237/01p

OGH vom 25.10.2001, 8ObS237/01p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria S*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagte Partei Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland, nunmehr IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle St. Pölten, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen S 21.000,-- netto an Insolvenz-Ausfallgeld (Revisionsinteresse S 20.000,--), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 193/01p-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 137/00z-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von S 1000,-- sA insgesamt zu lauten haben:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei weitere S 21.000,-- samt 8 % Zinsen seit an Insolvenz-Ausfallgeld zu bezahlen, wird

abgewiesen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin, die taubstumm ist und nur schwer einen Arbeitsplatz finden kann, war ab Oktober 1993 bis bei der späteren Gemeinschuldnerin beschäftigt. Über deren Vermögen wurde bereits mit Beschluss vom ein Konkursantrag mangels kostendeckendem Vermögens abgewiesen und schließlich mit Beschluss vom das Konkursverfahren eröffnet. Das Monatsgehalt der Klägerin betrug S 10.000,-- netto. Sowohl die Sonderzahlungen für 1998, wobei der Urlaubszuschuss bereits Mitte 1998 fällig wurde, als auch das laufende Entgelt seit Dezember 1998 sind noch offen. Die Klägerin hat darauf lediglich ungewidmete Teilzahlungen erhalten, und zwar am S 9.000,--, am S 17.000,-- und danach S 11.000,--. Sie ist aber vorweg aus dem Arbeitsverhältnis nicht ausgetreten, weil sie befürchtete, kaum einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ein familiäres Naheverhältnis zu ihrer früheren Arbeitgeberin hatte sie nicht. Sie glaubte jedoch deren Vertröstungen, dass sie ihr Gehalt später bekommen werde. Die Klägerin weist eine eher einfache und naive Persönlichkeitsstruktur auf. Die offenen Entgelte einschließlich des Monatslohnes bis August 1999 meldete sie auch im Konkursverfahren an.

Bereits am stellte sie gestützt auf die Ablehnung der Konkurseröffnung den Antrag auf Gewährung von Insolvenz-Ausfallgeld für die Sonderzahlungen 1998 sowie den Lohn von Jänner 1999 bis Juni 1999, sohin S 80.000,-- und zog davon Teilzahlungen in Höhe von S 26.000,-- ab. Diesen Antrag dehnte sie dann schließlich mit Schreiben vom um den Lohn für Juli und August 1999 sowie das Urlaubsgeld 1999 abzüglich einer Teilzahlung von S 11.000,--, sohin um S 19.000,-- aus.

Schließlich ergänzte sie mit weiterem Schreiben vom ihren ursprünglichen Antrag noch dahin, dass dieser auf insgesamt S 64.000,-- zu lauten habe.

Mit Teilbescheid vom erkannte die Beklagte der Klägerin Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 55.142,-- zu.

Mit dem hier maßgeblichen Bescheid vom wies die Beklagte den Antrag vom im darüber hinausgehenden Ausmaß ab und stützte sich zusammengefasst darauf, dass der gesicherte Zeitraum nach § 3a Abs 5 IESG am geendet habe und hinsichtlich der Konkurseröffnung am die Geltendmachung von weiteren Entgeltansprüchen unzulässig und sittenwidrig sei.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Gewährung von weiterem Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von S 21.000,-- samt 8 % Zinsen seit . Sie stützt sich zusammengefasst darauf, dass die Beklagte unberechtigt eine Teilzahlung der Gemeinschuldnerin von S 11.000,-- von den durch das IESG gesicherten Ansprüchen der Klägerin in Abzug gebracht habe. Weiters sei auch der Anspruch der Klägerin auf den Augustlohn gesichert. Ein Vergleich der Klägerin mit anderen Arbeitnehmern komme nicht in Betracht, da sie als Taubstumme auf ihren Arbeitsplatz angewiesen sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass von den Ansprüchen der Klägerin von Dezember 1998 bis Juni 1999 sowie dem Urlaubszuschuss und der Weihnachtsremuneration 1998 sohin insgesamt S 90.000,-- die Teilzahlungen von S 37.000,-- abgezogen und daher S 53.000,-- zuzüglich der Zinsen S 2.142,-- (insgesamt von S 55.142,--) zuerkannt worden seien. Im Übrigen sei der Urlaubszuschuss 1998 auch nicht gesichert, da er vor dem Sicherungszeitraum liege. Die übrigen Ansprüche seien schon deshalb nicht gesichert, da sich im Rahmen eines "Fremdvergleiches" ergebe, dass ein Arbeitnehmer unter den gegebenen Voraussetzungen das Arbeitsverhältnis nicht mehr aufrechterhalten hätte, sondern vorzeitig ausgetreten wäre. Die Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds sei unzulässig und sittenwidrig.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in Höhe von S 20.000,-- netto sA statt und wies nur ein Mehrbegehren von S 1.000,-- sA ab. Es folgerte dabei rechtlich, dass Teilzahlungen von insgesamt S 37.000,-- auf die Sonderzahlungen 1998 sowie den Lohn für Dezember 1998 und in Höhe von S 7.000,-- auch auf den Lohn für Jänner 1999 als älteste Schulden anzurechnen seien. Damit sei die Berechnung des Insolvenz-Ausfallgeldes für die Ansprüche der Klägerin bis Juni 1999 im Umfang von S 90.000,-- durch Abzug S 37.000,-- mit S 53.000,-- durch die Beklagte richtig erfolgt. Die Klägerin habe aber ausgehend von dem zweiten Stichtag der Konkurseröffnung am Anspruch auf das Augustgehalt und den Urlaubszuschuss 1999 sohin weitere S 20.000,--. Die Geltendmachung dieser Ansprüche sei auch nicht sittenwidrig, da die Klägerin im Hinblick auf ihre persönliche Situation und die schwere Behinderung keine Möglichkeit gehabt habe, eine andere Anstellung zu finden. Im Übrigen habe sie auf die Vertröstungen der Arbeitgeberin vertraut.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten nicht Folge. Es stützte sich dabei rechtlich darauf, dass vor Konkurseröffnung erfolgte sittenwidrige Überwälzung des Entgeltrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds nicht vorliege, da die Klägerin eine einfache naive Persönlichkeitsstruktur habe und auf die Vertröstungen vertraut habe und wegen ihrer persönlichen Situation infolge ihrer Behinderung auch auf den Arbeitsplatz angewiesen gewesen sei. Es habe sich bei der Klägerin eben nicht um einen "typischen Arbeitnehmer" im Sinne der Judikatur gehandelt.

Die Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da eine Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit auf die Person des Arbeitnehmers gelegene feststellbare Kriterien, etwa eine Behinderung oder intellektuelle Defizite im Rahmen des "Fremdvergleiches" zu berücksichtigen seien, nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und auch berechtigt.

Voranzustellen ist, dass die Bezeichnung der Beklagten entsprechend dem IAF-Service-GmbH-Gesetz sowie § 5 IESG idF BGBl I Nr 88/2001 auf Geschäftsstelle der Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds-Service GmbH St. Pölten richtig zu stellen war (vgl § 17a Abs 26 IESG).

In der Sache ist nun vorweg klarzustellen, dass sich die Klägerin zwar in ihrem Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld vorweg nur auf die Abweisung des Antrages auf Konkurseröffnung am also auf § 1 Abs 1 Z 3 IESG gestützt hat, die Beklagte ihrem Bescheid aber auch die Konkurseröffnung zugrundelegte. Damit eröffnete sie für die Klägerin - die ja alle Leistungen nicht nur im Konkurs anmeldete, sondern auch bei der Beklagten beantragte - die Möglichkeit, die Sache, über die entschieden wurde, auch als Sozialrechtssache geltend zu machen (vgl dazu SSV-NF 5/101 = SZ 64/136 = EvBl 1992/25). Damit ist aber für die Klägerin nichts gewonnen.

Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt dargelegt hat, soll das IESG den Arbeitnehmer vor den typischerweise von ihm selbst nicht abwendbaren und absicherbaren Gefahren des Verlustes der Entgeltansprüche durch Insolvenz des Arbeitgebers absichern, da dem Arbeitnehmer regelmäßig der Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitgebers verwehrt und er dadurch einen höheren von ihm nicht beeinflussenden Risiko ausgesetzt ist. Nur dieses Risiko, nicht aber das Finanzierungsrisiko für die Arbeitslöhne soll auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds übertragen werden. Nimmt der Arbeitnehmer also bewusst in Kauf, dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenz-Ausfallgeldfonds bekommen könnte und arbeitet weiter, so wurde die Geltendmachung von Insolvenz-Ausfallgeld als unzulässige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds angesehen. Zur Feststellung des dafür erforderlichen "bedingten Vorsatzes" wird der Fremdvergleich herangezogen und der Vorsatz unter anderem auch daraus erschlossen, dass ein Arbeitnehmer über längere Zeiträume nicht versucht, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen (vgl dazu etwa = DRdA 2001/37 [Anzenberger] = RdW 2001/451 und 462 = WBl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Von einem solchen nicht für die Klägerin ersichtlichen Risiko hinsichtlich des Augustlohnes 1999 und des in diesem Zeitraum fällig werdenden Urlaubszuschusses 1999 kann jedoch nicht mehr ausgegangen werden. Wurde doch bereits im März 1999 der Antrag auf Konkurseröffnung mangels Vermögens der Arbeitgeberin abgewiesen und erhielt die Klägerin bereits seit Dezember 1998 kein Entgelt mehr und stellte sogar rechtskundig vertreten einen Antrag auf Insolvenz-Ausfallgeld. Es ist daher von einer bewussten Übertragung des Finanzierungsrisikos auszugehen, sodass es der weiteren Überlegung hinsichtlich des verfahrenstechnischen Mittels zur Feststellung eines bedingten Vorsatzes im Rahmen eines Fremdvergleiches gar nicht mehr bedarf. Im Sinne der oben dargestellten ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes kann daher die Klägerin diese Ansprüche für Juli und August 1999 schon wegen der sittenwidrigen Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds nicht geltend machen.

Was nun die Frage der Anrechnung der ungewidmeten Zahlungen für das laufende Geld anlangt, so ist bei mehreren fälligen, aber noch nicht eingeforderten Forderungen die Rangfolge im Sinne der früheren Fälligkeit entscheidend (vgl Reischauer in Rummel ABGB2 § 1416 Rz 12; ebenso Harrer/Heidinger in Schwimann ABGB2 § 1416 Rz 10 mwN). Von diesem Grundsatz, der Tilgung offener Schulden nach der Reihenfolge der Fälligkeit der Schulden, abzuweichen besteht - anders als bei der Frage hinsichtlich der IESG rechtlichen Begrenzung der Sicherung der Höhe nach - kein Anlass. Entspricht dies doch auch der Judikatur des EuGH zu Art 4 Abs 2 der Richtlinie 80/987 (vgl Regeling Slg 1998 I-4493).

Der vom Obersten Gerichtshof wiederholt ausgesprochene Rechtssatz, dass Teilzahlungen des Arbeitgebers zuerst auf den gesicherten Teil der Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen sind und davon abweichende Widmungsvereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht zu beachten sind, wurde damit begründet, dass es sonst zu einer nicht gerechtfertigten Besserstellung jener Arbeitnehmer kommen würde, die ohnehin einen Teil ihrer Ansprüche bis zu den nach dem IESG gesicherten Höchstmaß vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds ersetzt erhielten (vgl RIS-Justiz RS0076422). In den in der Sache erfolgten Entscheidungen (vgl = SZ 64/124 = DRdA 1992/23 [Geist]; 8 ObS 62/97v; 8 ObS 2321/96y = ZIK 1997, 191, die Entscheidung vom , 8 ObS 17/98b erfasste nur die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision) ging es regelmäßig um die Frage der Berechnung der Abfertigungsansprüche und deren Begrenzung der Höhe nach bzw den Ausschluss von freiwilligen Abfertigungen. Dies ist aber von der Frage auf welchen von mehreren unterschiedlichen Ansprüchen des laufenden Entgeltes Zahlungen anzurechnen sind, zu unterscheiden (vgl dazu auch zuletzt ausführlich die Entscheidung , die sich auch bereits mit der Argumentation von Weber, EuGH zur Insolvenz-Entgeltsicherung-Anpassungsbedarf in Österreich ZIK 1998, 118, auseinandersetzt).

Ausgehend davon ist aber die Teilzahlung von S 37.000,-- auf die offenen ältesten Ansprüche, also die Sonderzahlungen 1998 sowie das Dezembergehalt 1998 und der Rest von S 7.000,-- auf das Entgelt für Jänner 1999 anzurechnen, sodass nur noch ein Betrag von S 53.000,-- für den Zeitraum von Jänner 1999 bis Juni 1999 verbleibt, der ohnehin bereits mit dem Teilbescheid zuerkannt wurde.

Insgesamt war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und die Urteile der Vorinstanzen im klagsabweisenden Sinne abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für den Zuspruch von Kosten nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht.