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VfGH vom 30.11.2004, b127/03

VfGH vom 30.11.2004, b127/03

Sammlungsnummer

17373

Leitsatz

Verletzung im Recht auf eine öffentliche mündliche Verhandlung vor einem Gericht durch Unterlassung der Durchführung einer (volks)öffentlichen Verhandlung bei Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Ziviltechniker

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Gericht im Sinne des Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit Euro 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Zivilingenieur für Bauwesen. Wegen des Verdachtes, er habe (jedenfalls) in der Zeit vom bis für die G B Ges.m.b.H, die weder auf Grund des Ziviltechnikergesetzes noch auf Grund anderer bundesgesetzlicher Bestimmungen berechtigt sei, gewerbsmäßige Tätigkeiten eines Ziviltechnikers zu verrichten, Einreichpläne, die von der genannten GesmbH verfasst worden waren, zur Eingabe bei den Baubehörden mit seinem Siegel versehen und damit die selbständige Tätigkeit von Unbefugten gedeckt, wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet.

2. Mit Erkenntnis des Disziplinarsenates I der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. Feber 2002 wurde der Beschwerdeführer - nach Durchführung einer mündlichen, nichtöffentlichen Verhandlung - für schuldig erkannt, durch dieses Verhalten gegen Punkt 4.4. der Standesregeln der Ziviltechniker verstoßen und ein Disziplinarvergehen gemäß § 55 Abs 1 ZTKG 1993 begangen zu haben. Als Disziplinarstrafe wurde eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 7.267,28 verhängt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld und über die Strafe.

3. Die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten bei der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten (im Folgenden: Berufungskommission) gab - nach Durchführung einer mündlichen, nichtöffentlichen Verhandlung - der Berufung wegen des Ausspruches über die Schuld keine Folge; die verhängte Geldstrafe wurde auf Euro 3.500,-- herabgesetzt.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich in dem mit der G B Ges.m.b.H geschlossenen Rahmenvertrag verpflichtet, Pläne, welche einer behördlichen Genehmigung unterliegen, zu unterschreiben und mit seinem Stempel zu versehen. Schon allein daraus lasse sich mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass er in Erfüllung seiner ausdrücklichen vertraglichen Verpflichtung Pläne, die von Unbefugten verfasst wurden, unterfertigt habe. Aber auch die Relation zwischen dem Planungshonorar von öS 380.000,-- und dem Einreichungshonorar von öS 38.000,-- einerseits und dem Honorar des Beschwerdeführers in der Höhe von öS 5.000,-- andererseits deute darauf hin, dass damit eine ernsthafte Mitwirkung an der Planerstellung nicht abgegolten sein könne. Der Schuldberufung sei demgemäß der Erfolg zu versagen gewesen, wohingegen der Strafberufung im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer einen nicht unerheblichen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet habe und die Folgen der Tat gering gewesen seien, Berechtigung zukomme.

4. Gegen diesen - letztinstanzlichen - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art 144 B-VG, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Art7 B-VG, Art 6 und 7 EMRK) behauptet und die Verfassungswidrigkeit des § 56 ZTKG 1993 (wegen behaupteter Unsachlichkeit der möglichen Höhe der als Disziplinarstrafe u.a. vorgesehenen Geldstrafe) sowie der §§57, 58 ZTKG 1993 (wegen der Nichtöffentlichkeit des Verfahrens vor den dort näher geregelten Disziplinarbehörden) geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Die im vorliegenden Fall maßgebenden Vorschriften des Ziviltechnikerkammergesetzes 1993 (ZTKG 1993), BGBl. 1994/157 idgF, lauten auszugsweise wie folgt:

"5. Abschnitt

Ahndung von Pflichtverletzungen

Disziplinarvergehen

§55. (1) Ziviltechniker begehen ein Disziplinarvergehen, wenn sie das Ansehen oder die Würde des Standes durch ihr Verhalten beeinträchtigen oder die Berufs- oder Standespflichten verletzen.

...

Disziplinarstrafen

§56. (1) Disziplinarstrafen sind:


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1.
der schriftliche Verweis;
2.
Geldstrafen bis zur Höhe von 18.150 €;
3.
Entzug des aktiven und passiven Wahlrechtes für Kammerwahlen bis zur Dauer von fünf Jahren;
4.
der Verlust der Befugnis.

(2) Die Disziplinarstrafe gemäß Abs 1 Z 3 kann neben den Disziplinarstrafen gemäß Abs 1 Z 2 ausgesprochen werden.

(3) Bei Bestimmung der Disziplinarstrafe ist im einzelnen Fall auf die Schwere des Disziplinarvergehens und die daraus entstandenen Folgen sowie auf den Grad des Verschuldens und das bisherige Verhalten des Ziviltechnikers Rücksicht zu nehmen. Es ist ferner Bedacht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Ziviltechniker von der Begehung weiterer Disziplinarvergehen abzuhalten. Ferner sind Milderungs- und Erschwernisgründe und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ziviltechnikers zu berücksichtigen.

Disziplinarausschüsse

§57. (1) Bei jeder Länderkammer ist ein Disziplinarausschuss einzurichten. Dieser erkennt in erster Instanz über Disziplinarvergehen.

(2) Der Disziplinarausschuss besteht aus einem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die beide rechtskundig sein müssen, und aus je vier Mitgliedern und einem Ersatzmitglied je Sektion. Die Mitglieder (Ersatzmitglieder) werden von den Sektionsangehörigen gewählt.

(3) Der Vorsitzende und sein Stellvertreter werden vom Kammervorstand bestellt.

(4) Der Disziplinarausschuss verhandelt und entscheidet in dreigliedrigen Senaten unter Leitung des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Vom Vorsitzenden sind für Dauer der Funktionsperiode für jede Sektion zwei Senate einzurichten, denen er zwei Angehörige der Sektion als Beisitzer zuzuteilen hat. Der Vorsitzende hat die Zuständigkeit der Senate festzulegen.

(5) Kann für eine Sektion kein Senat gebildet werden, der den Bestimmungen des Abs 4 entspricht, hat der Vorsitzende den Fall einem anderen Senat zuzuweisen.

(6) Die Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab.

(7) Die Mitglieder des Disziplinarausschusses sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden.

Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten

§58. (1) Über Berufungen gegen Entscheidungen eines Disziplinarausschusses erkennt in zweiter und letzter Instanz die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten.

(2) Die Berufungskommission besteht aus einem Vorsitzenden und seinem Stellvertreter, die beide Richter des Aktivstandes sein müssen, und aus zwölf Beisitzern. Der Vorsitzende und sein Stellvertreter sind vom Vorstand der Bundeskammer zu bestellen. Die Beisitzer sind vom Kammertag aus den Reihen der aktiv wahlberechtigten Mitglieder der Länderkammern, die ihre Befugnis ausüben, zu wählen. Sie dürfen nicht gleichzeitig Mitglieder eines Disziplinarausschusses sein.

(3) Die Berufungskommission verhandelt und entscheidet in fünfgliedrigen Senaten unter dem Vorsitz des Vorsitzenden oder seines Stellvertreters. Die vier weiteren Mitglieder jedes Senates sind vom Vorsitzenden für die Dauer der Funktionsperiode in fortlaufender alphabetischer Reihenfolge aus der Liste der Beisitzer in der Weise zu bestimmen, dass mindestens zwei Mitglieder des Senates der Befugnisgruppe (Architekten, Ingenieurkonsulenten) des Beschuldigten angehören.

(4) Die fünfgliedrigen Senate fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Der Vorsitzende gibt seine Stimme zuletzt ab.

(5) Die Mitglieder der Berufungskommission sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Die Erkenntnisse der Berufungskommission unterliegen nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungswege.

...

Verweisung und Einstellung

§66. (1) Die Akten über die abgeschlossene Untersuchung sind dem Disziplinaranwalt zu übermitteln und von ihm mit dem Antrag auf Verweisung zur mündlichen Verhandlung oder mit dem Antrag auf Einstellung des Verfahrens dem Senat vorzulegen.

(2) Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung zu beschließen, ob die Sache zur mündlichen Verhandlung zu verweisen oder ob das Verfahren einzustellen ist.

(3) Im Verweisungsbeschluss müssen die Anschuldigungspunkte bestimmt angeführt und die Verfügungen bezeichnet werden, die zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu treffen sind. Gegen den Verweisungsbeschluss ist kein Rechtsmittel zulässig. Gegen die Einstellung steht dem Disziplinaranwalt das Recht der Berufung an die Berufungskommission zu.

...

Mündliche Verhandlung

§67. (1) Ort und Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung sind vom Vorsitzenden des Senates zu bestimmen. Zur mündlichen Verhandlung sind der Beschuldigte und sein Verteidiger unter Hinweis auf den Verweisungsbeschluss und Bekanntgabe der Mitglieder des zuständigen Senates mindestens zwei Wochen vorher zu laden.

(2) Die Verhandlung ist nicht öffentlich, doch kann der Beschuldigte verlangen, dass der Zutritt zur Verhandlung drei Kammermitgliedern seines Vertrauens gestattet wird.

(3) Die Verhandlung beginnt mit der Verlesung des Verweisungsbeschlusses.

(4) Hierauf hat die Vernehmung des Beschuldigten und der vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen und, soweit erforderlich, die Verlesung der während der Untersuchung aufgenommenen Protokolle und der sonstigen wesentlichen Urkunden zu erfolgen.

(5) Der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt haben das Recht, sich zu den einzelnen vorgebrachten Beweismitteln zu äußern und Fragen an die Zeugen und Sachverständigen zu stellen.

(6) Nach Schluss des Beweisverfahrens sind der Disziplinaranwalt, der Beschuldigte und dessen Verteidiger zu hören. Dem Beschuldigten steht das letzte Wort zu.

(7) Beratungen und Abstimmungen während und am Schluss der Verhandlung sind geheim.

Erkenntnis

§68. (1) Der Senat hat bei seiner Entscheidung nur auf das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung Rücksicht zu nehmen. Die Entscheidung hat sich auf die freie, aus der gewissenhaften Prüfung aller vorgebrachten Beweise gewonnene Überzeugung der Senatsmitglieder zu gründen.

(2) Durch das Erkenntnis muss der Beschuldigte entweder von dem ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehen freigesprochen oder eines solchen Vergehens für schuldig erklärt werden.

(3) Im Falle des Schuldspruches hat das Erkenntnis den Ausspruch über die Strafe und die Höhe der Verfahrenskosten zu enthalten.

Protokoll

§69. (1) Über die mündliche Verhandlung ist von dem durch den Vorsitzenden aus dem Kreis der Senatsmitglieder (Beisitzer) zu bestimmenden Protokollführer ein Protokoll aufzunehmen, das alle wesentlichen Punkte zu enthalten hat.

...

Verkündung und Zustellung des Erkenntnisses

§70. (1) Das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen ist vom Vorsitzenden des Senates sogleich zu verkünden.

(2) Vom Vorsitzenden des Senates unterfertigte schriftliche Ausfertigungen des Erkenntnisses sind binnen drei Wochen dem Beschuldigten und dem Disziplinaranwalt zuzustellen.

(3) Die schriftliche Ausfertigung hat eine Belehrung darüber zu enthalten, dass eine Berufung zulässig ist, innerhalb welcher Frist und bei welcher Stelle die Berufung einzubringen ist, und dass dieser Berufung aufschiebende Wirkung zukommt.

...

Berufung

§71. (1) Gegen Erkenntnisse des Disziplinarausschusses können der Beschuldigte und der Disziplinaranwalt wegen des Ausspruches über Schuld und Strafe sowie der Entscheidung über den Kostenersatz Berufung erheben.

(2) Die Berufung hat einen begründeten Antrag zu enthalten und ist binnen zwei Wochen beim Vorsitzenden des Disziplinarausschusses schriftlich oder telegraphisch einzubringen. Die rechtzeitig eingebrachte Berufung hat aufschiebende Wirkung.

(3) Der Vorsitzende des Disziplinarausschusses hat die Berufung zurückzuweisen, wenn sie verspätet oder unzulässig ist.

(4) Ist kein Grund zur Zurückweisung gegeben, so hat der Vorsitzende des Disziplinarausschusses die Berufung unter Beischluss der Akten der Berufungskommission vorzulegen, die in der Sache selbst zu entscheiden hat.

(5) Eine mündliche Verhandlung ist nur durchzuführen, wenn sie die Berufungskommission zur Klarstellung des Sachverhaltes für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde.

(6) Die Berufungskommission ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener des Disziplinarausschusses zu setzen und das angefochtene Erkenntnis nach jeder Richtung abzuändern. Ist nur vom Beschuldigten Berufung erhoben, so kann die Berufungskommission keine strengere Strafe verhängen, als in dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen worden ist."

2. Der Beschwerdeführer erhebt u.a. den Vorwurf, das durchgeführte Disziplinarverfahren habe den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 EMRK nicht entsprochen.

2.1. Gemäß Art 6 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf,

"daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat".

Das Urteil muss öffentlich verkündet werden,

"jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang".

2.2.1. Österreich ratifizierte Art 6 EMRK - gemäß dem (damaligen) Art 64 EMRK (nunmehr Art 57 EMRK idF des 11. ZP-EMRK) - unter dem Vorbehalt,

"... daß ... die Bestimmungen des Artikels 6 der Konvention mit der Maßgabe angewendet werden, daß die in Artikel 90 des Bundes-Verfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 festgelegten Grundsätze über die Öffentlichkeit im gerichtlichen Verfahren in keiner Weise beeinträchtigt werden ...".

Art 90 Abs 1 B-VG lautet:

"Die Verhandlungen in Zivil- und Strafrechtssachen vor dem erkennenden Gericht sind mündlich und öffentlich. Ausnahmen bestimmt das Gesetz."

2.2.2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) qualifizierte in seinem Urteil im Fall Eisenstecken (EGMR , Z 29.477/95, Rz 21 ff. = ÖJZ 2001/7) diesen österreichischen Vorbehalt zu Art 6 EMRK ausdrücklich als ungültig. Der Verfassungsgerichtshof ist dem EGMR in seiner nunmehrigen Qualifikation des österreichischen Vorbehalts gefolgt (s. die mit dem hg. Erkenntnis VfSlg. 16.402/2001 beginnende ständige Judikatur). Dies gilt auch für das Verfahren vor der Berufungskommission gemäß § 58 ZTKG 1993.

2.3.1. Die Ungültigkeit des österreichischen Vorbehalts zu Art 6 Abs 1 EMRK hat zur Folge, dass in Verwaltungsverfahren, in denen über "strafrechtliche Anklagen" abgesprochen wird, eine (volks-)öffentliche Verhandlung vor einem Tribunal durchzuführen ist. Einschränkungen der Öffentlichkeit dürfen hier nur vorgesehen werden, soweit Art 6 EMRK dies zulässt.

2.3.2. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11.506/1987, 11.569/1987, 15.543/ 1999) sind bestimmte schwere Disziplinarstrafen, wie hier der Verlust der Ziviltechnikerbefugnis, als Strafen im Sinne des Art 6 EMRK zu qualifizieren, wobei es nicht darauf ankommt, welche Sanktionen im konkreten Disziplinarverfahren verhängt wurden, sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt (vgl. EGMR , Fall Öztürk, EuGRZ 1985, 67). Derartige Strafen müssen somit von einer Behörde verhängt werden, die den Kriterien des Art 6 Abs 1 EMRK in jedem Punkt Rechnung trägt.

Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (vgl. zB VfSlg. 14.485/1996, 15.081/1998 mwH), dass die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten jenen Anforderungen, die nach Art 6 Abs 1 EMRK an ein unabhängiges und unparteiisches Gericht gestellt sind, grundsätzlich entspricht.

2.3.3. Im Disziplinarverfahren nach dem ZTKG 1993 hat der zuständige Senat des Disziplinarausschusses - nach entsprechendem Antrag des Disziplinaranwaltes - zu beschließen, ob eine Disziplinarsache zur mündlichen Verhandlung zu verweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Wenn der Senat einen Verweisungsbeschluss fasst, so ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die gemäß § 67 Abs 2 leg.cit. nicht öffentlich ist; der Disziplinarbeschuldigte kann jedoch verlangen, dass drei Kammermitgliedern seines Vertrauens der Zutritt zur Verhandlung gestattet wird.

Für das - gegebenenfalls - daran anschließende Berufungsverfahren sieht § 71 Abs 5 ZTKG 1993 vor, dass

"[e]ine mündliche Verhandlung nur durchzuführen [ist], wenn sie die Berufungskommission zur Klarstellung des Sachverhaltes für erforderlich hält oder wenn sie in der Berufung beantragt wurde".

Anders als - wie oben wiedergegeben - in § 67 Abs 2 ZTKG 1993 betreffend die mündliche Verhandlung vor dem (in erster Instanz) zuständigen Senat des Disziplinarausschusses findet sich in § 71 Abs 5 ZTKG 1993 betreffend die mündliche Verhandlung vor der Berufungskommission keine ausdrückliche Regelung über die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung vor dieser Behörde. Eine verfassungskonforme Auslegung der maßgebenden Gesetzeslage dahin, dass die Berufungskommission in Disziplinarangelegenheiten nach Maßgabe des Art 6 Abs 1 EMRK - auch angesichts der dort gebotenen Abwägung - (volks-)öffentlich zu verhandeln hat, ist also durch den Wortlaut des § 71 ZTKG 1993 nicht ausgeschlossen. Der Verfassungsgerichtshof ist daher - und zwar sowohl im Lichte der durch die einschlägige Judikatur des EGMR (vgl. Pkt. II.2.2.2.) gebotenen Auslegung als auch unter Zugrundelegung einer systematischen Interpretation (unterschiedliche Textierung des § 67 Abs 2 ZTKG 1993 und des § 71 Abs 5 ZTKG 1993 in der hier maßgeblichen Hinsicht) - der Auffassung, dass die genannte Bestimmung die Durchführung (volks-)öffentlicher mündlicher Verhandlungen vor der Berufungskommission zwar nicht vorsieht, diese aber auch nicht ausschließt.

2.4. Im Beschwerdefall ist im Verfahren vor der belangten Behörde unstrittig bloß eine nichtöffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt worden. Nach dem soeben Ausgeführten hatte der Beschwerdeführer jedoch Anspruch darauf, dass seine Rechtssache einer (volks-)öffentlichen mündlichen Verhandlung unterzogen wird. Wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt, ist vom Beschwerdeführer zwar die Anberaumung einer mündlichen, nicht jedoch einer (volks-)öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt worden. Damit erhebt sich die Frage, ob das Unterbleiben eines entsprechenden Antrages als Verzicht auf eine öffentliche Verhandlung zu werten ist.

2.4.1. Im Fall Werner (, Z 138/1996/757/956, ÖJZ 1998/12) verneinte der EGMR in einer vergleichbaren Konstellation - in jenem Fall: Vorliegen einer ausdrücklichen Anordnung der Nichtöffentlichkeit; in diesem Fall: ständige Praxis und Judikatur - das Vorliegen eines solchen Verzichtes, weil öffentliche Verhandlungen in Fällen wie dem des damaligen Beschwerdefalles nicht durchgeführt zu werden pflegten und diese Vorgehensweise sowohl dem "Geist des Gesetzes" als auch den einschlägigen Lehrmeinungen entsprochen habe, sodass dem Beschwerdeführer jenes Verfahrens nicht zur Last gelegt werden könne, keinen - aussichtslosen - Antrag gestellt zu haben (Rz 48). Im Fall Eisenstecken (aaO, Rz 33) wurde diese Auffassung bekräftigt.

2.4.2. Wie der Beschwerdeführer - unwidersprochen - ausgeführt hat, finden in Diszplinarverfahren nach dem ZTKG 1993 weder in erster noch in zweiter Instanz öffentliche Verhandlungen statt. Da die - oben dargestellte - einschlägige Gesetzeslage (wenn auch in Verkennung des Gebotes verfassungskonformer Auslegung) so verstanden werden könnte, dass (volks-)öffentliche Verhandlungen nicht durchzuführen sind, ist dem Beschwerdeführer kein Vorwurf daraus zu machen, dass er keinen entsprechenden Antrag gestellt hat.

2.5. Die belangte Behörde verletzte somit dadurch, dass sie keine (volks-)öffentliche Verhandlung durchgeführt hat, den Beschwerdeführer in seinem aus Art 6 Abs 1 EMRK erfließenden Recht auf eine öffentliche Verhandlung.

Der Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen, zumal der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Beschwerdeführers, § 56 Abs 1 Z 2 ZTKG 1993 sei in Relation zu § 31 Z 1 Ziviltechnikergesetz 1993 gleichheitswidrig, nicht teilt.

3. Der Kostenausspruch stützt sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von Euro 327,-- sowie Eingabengebühr in der Höhe von Euro 180,-- enthalten.

4. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).