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VfGH vom 27.02.1987, b126/86

VfGH vom 27.02.1987, b126/86

Sammlungsnummer

11232

Leitsatz

mangelnde Darlegung der Gewissensgründe; keine Verletzung im durch § 2 Abs 1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung im Gleichheitsrecht

Spruch

Der Bf. ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Zivildienstoberkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDOK) wies mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom unter Bezugnahme auf § 2 Abs 1 und § 6 Abs 2 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974, idF der Nov. BGBl. 459/1984 (nunmehr wiederverlautbart als Zivildienstgesetz 1986, BGBl. 679; im folgenden: ZDG) den Antrag des Bf. ab, ihn zwecks Zivildienstleistung von der Wehrpflicht zu befreien. Sie begründete ihren Bescheid im wesentlichen folgendermaßen:

"Der Antragsteller und nunmehrige Berufungswerber hat im wesentlichen folgendes vorgebracht:

1. In der Antragsbegründung zusätzlich zum Formularstext:

Er halte die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung oder zur Durchsetzung von Interessen oder Zielen nicht angebracht. Er sei davon überzeugt, daß alle menschlichen Probleme auf gewaltfreiem Wege durch Gespräche, Diskussionen und gegenseitiges Verständnis zu lösen seien. Daher könne er sein Vaterland nicht mit Waffeneinsatz verteidigen. Ursache für seine Grundhaltung sei die Beschäftigung mit dem Problemkreis der Gewaltlosigkeit seit seiner frühesten Jugend.

2. In der Verhandlung vor der Zivildienstkommission:

Er sei auch durch die vielfachen Erzählungen seines Vaters von den Greueln des Krieges geprägt worden. Er erblicke in der sozialen Verteidigung eine Möglichkeit, unter Vermeidung von Menschenleben die Demokratie aufrechtzuerhalten. An Methoden der sozialen Verteidigung nenne er z.B. Sabotageakte. Im Falle der Wehrdienstleistung geriete er deshalb in Gewissensnot, weil er auf Menschen schießen müßte. Dies könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren.

3. In der Berufungsschrift:

Er verweise nochmals auf sein Hauptargument für die Entstehung und Wirkung seiner Gewissensnot, nämlich auf seine antiautoritäre, gewaltfreie und antimilitante Erziehung durch seine Eltern als prägende Ursache für seine Einstellung. Er empfände bereits seit frühester Jugend tiefste Abscheu gegen jede grausame Handlung. Durch Filme und Bücher hätte sich seine von der Erziehung herrührende Aversion gegen Gewalt noch verstärkt. Seine emotionalen Argumente verdichteten sich zusammen mit den rationalen zu einer festen gewaltfreien Charaktereinstellung, die ihm die Ableistung des Präsenzdienstes unmöglich mache.

4. In der Berufungsverhandlung:

Nach seiner Information müsse derjenige, der Zivildienst leisten wolle, schwerwiegende Glaubensgründe haben. Aufgefordert, seine sämtlichen Gründe zu nennen und mit dem wichtigsten Grund zu beginnen: Er könne Waffen nicht gegen Menschen gebrauchen. Er könnte das nicht ertragen, es würde ihn innerlich deformieren. Es handle sich dabei um sein innerstes persönliches Gefühl und nicht um eine bloße Vorstellung. Er sei allerdings noch nie in der Lage gewesen, eine Waffe persönlich gegen einen Menschen gebrauchen zu müssen. Die Wurzel seiner Einstellung liege vorwiegend in seiner antiautoritären Erziehung. Bedeutsam seien ferner Filme und Bücher gewesen. Den römisch-katholischen Gottesdienst besuche er zwar nicht regelmäßig. Daß man aber nicht töten solle, sei für ihn schon eine Glaubenssache und zwar ebenso wie die Ansicht, daß man gegen Menschen keine Waffe gebrauchen solle. Auch in der Schule habe er das gelernt. Wenn er zu bestimmen hätte, sollte das Land nicht mit Waffengewalt verteidigt werden. Vielmehr sollte man es sozial verteidigen. Er sei der festen Überzeugung, daß konsequente Nichtzusammenarbeit mit der Besatzungsmacht erfolgreich sein würde. Auf diese Weise könne man den Gegner aus dem Lande 'hinausekeln'.

Die Berufung ist nicht begründet.

Sie scheitert zunächst schon daran, daß der Rechtsmittelwerber während des gesamten Verfahrens nichts vorbrachte, was - strenggenommen - als Geltendmachung eines dem § 2 Abs 1 ZDG entsprechenden Grundes gewertet werden könnte. Daß er überzeugt davon sei, alle menschlichen Probleme könnten auf gewaltfreiem Wege gelöst werden, ihn emotionale und rationale Gewissensgründe vor der Gewaltanwendung zurückhielten, er von seinem Vater zur Gewaltlosigkeit und zum Antimilitarismus erzogen wurde, er Abscheu gegen Gewalt habe, er meine, daß man ein Ende damit machen müsse, sich gegenseitig umzubringen, er in der sozialen Verteidigung eine Möglichkeit erblicke, unter Vermeidung von Menschenleben die Demokratie aufrecht zu erhalten, seine Erziehung zur Gewaltlosigkeit nachhaltig seine Persönlichkeitsstruktur geprägt habe, er Waffengebrauch gegen Menschen nicht ertragen könne, weil es ihn innerlich sehr deformieren würde und es für ihn eine Glaubenssache sei, daß man nicht töten und gegen Menschen keine Waffen gebrauchen solle, kann nicht als Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen gewertet werden. Denn aus all dem ist nicht ableitbar, aus welchen konkreten persönlichen Gründen der Berufungswerber im Falle der Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen in schwere Gewissensnot geraten würde.

Selbst wenn man aber annehmen wollte, hinter dem Gesamtvorbringen stünde doch die Behauptung von Gründen, die unter § 2 Abs 1 ZDG subsumiert werden können, wäre für ihn nichts gewonnen, weil er auch in der Berufungsverhandlung seiner gesetzlichen Glaubhaftmachungsverpflichtung (§6 Abs 2 ZDG) nicht Genüge zu tun vermochte.

Infolge der komplexen Natur der freien Beweiswürdigung (vgl. etwa VfGH B128/83 und B304/83) können nicht alle Erwägungen, die den Senat zu dieser Ansicht geführt haben, im einzelnen aufgelistet werden.

Zusammenfassend ist aber zu sagen, daß der Antragsteller insgesamt nicht wie ein junger Mann seines Ausbildungsstandes wirkte, der eine auf zumutbaren Überlegungen beruhende, gefestigte innere Einstellung zum Ausdruck bringt, der also auf der Basis einer echten Überzeugung die Anwendung von Waffengewalt gegen Menschen grundsätzlich und vorbehaltslos ablehnt.

Seine Ausführungen wirkten vage und unsicher und wie die eines jungen Mannes, bei dem der Gewissensbildungsprozeß noch nicht abgeschlossen ist. Sein und das Verhalten seines Bruders während der Verhandlung deuteten auch auf eine starke Abhängigkeit des Berufungswerbers von der Vertrauensperson hin und es nahm unter diesen Umständen nicht Wunder, daß der Bruder bei der Verfassung der Berufungsschrift mit Hand anlegte. Gegen eine echte innere Anteilnahme an der Gesamtthematik sprach auch, daß die Angaben des Antragstellers zu der von ihm bevorzugten gewaltfreien Verteidigung wenig Substanz aufwiesen und über die Wiedergabe einschlägiger Wendungen nicht hinaus gelangten.

Bei der Würdigung seiner Person und seines Vorbringens wurde mit in Rechnung gestellt, daß er einen Aufruf gegen die Anschaffung von Abfangjägern unterschrieb und daß er nach Ansicht seines Bruders - der Vertrauensperson - ein Mensch ist, mit dessen gesamtem Wesen Gewaltanwendung unvereinbar ist.

All dies war aber im Sinne eines spezifischen Zusammenhanges mit der vom Zivildienstgesetz geforderten inneren Einstellung nicht gewichtig genug, den in freier Würdigung durch unmittelbaren Augenschein gewonnenen Gesamteindruck des Senates entscheidend zu verändern bzw. den Mangel vorgebrachter Gewissensgründe zu sanieren.

Wegen des Fehlens der materiellrechtlichen Voraussetzungen einer Wehrpflichtbefreiung mußte sonach der unbegründeten Berufung ein Erfolg versagt bleiben."

2. Gegen diesen Bescheid der ZDOK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Bf. eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH liegt eine Verletzung des in § 2 Abs 1 ZDG gewährleisteten

Grundrechtes dann vor, wenn die Behörde die in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - da die für den Nachweis der Voraussetzung maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Grundrechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (zB VfSlg. 8787/1980, 9732/1983).

Die gesamten, von der ZDOK zutreffend wiedergegebenen Ausführungen des Bf. in seinem Antrag, der Verhandlung vor der Zivildienstkommission, seiner Berufung und der Verhandlung vor der Zivildienstoberkommission tun nur dar, weshalb er das Töten von Menschen, Krieg und militärischen Waffengebrauch überhaupt ablehnt, enthalten aber keine Darlegungen darüber, weshalb er im Falle der Anwendung von Waffengewalt tatsächlich in eine schwere Gewissensnot geraten würde. Bei einer solchen Sachlage ist die Behörde jedoch schon auf dem Boden der Behauptungen des Bf. gehalten, die von ihm begehrte Befreiung von der Wehrpflicht mangels Erfüllung der materiellen Voraussetzungen des § 2 Abs 1 ZDG zu verweigern. Die ZDOK nahm somit zu Recht an, daß der Bf. einen im Sinne dieser Gesetzesstelle tauglichen Gewissensgrund nicht geltend machte. Ist die Befreiung von der Wehrpflicht aber schon in Ansehung des eigenen Standpunktes des Antragstellers wegen des Fehlens der materiellen Voraussetzungen abzulehnen, so ist es auch unerheblich, ob der bel. Beh. - wie die Beschwerde behauptet - irgendwelche Verfahrensfehler unterliefen (VfSlg. 8787/1980, 9661/1983).

2. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des bekämpften Bescheides, die sich aus der Sicht dieser Beschwerdesache ergibt, könnte die vom Bf. ebenfalls geltend gemachte Verletzung des Gleichheitsrechtes gemäß der ständigen Judikatur (zB VfSlg. 9474/1982) nur gegeben sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte. Hiefür fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt.

3. Im Beschwerdeverfahren kam auch nicht hervor, daß der Bf. in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre oder daß eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm vorliege.

Die Beschwerde war sohin abzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Fundstelle(n):
CAAAE-10653