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OGH vom 20.01.2005, 8ObS22/04z

OGH vom 20.01.2005, 8ObS22/04z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Galutschek und Dr. Gerda Höhrhan-Weiguni als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1. Edeltraud R***** und 2. Franz R*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Rudolf Lind, Rechtsanwalt in Langenzersdorf, wider die beklagte Partei I***** GesmbH, Geschäftsstelle *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzausfallgeld zu 1) in Höhe von EUR 4.488 sA und zu 2) in Höhe von EUR 13.076 sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 132/04i-16, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 6 Cgs 151/03t-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Erstklägerin war seit 1971, der mit ihr verheiratete Zweitkläger sogar schon seit 1961 im Raumausstatterbetrieb des Vaters der Erstklägerin beschäftigt. Die Erstklägerin beriet die Kunden, schrieb Aufträge, legte Offerte und führte einfache Kassentätigkeiten durch. Der Zweitkläger machte Beratungstätigkeiten, hatte die Baustellen auszumessen und half auch beim Bodenverlegen. Daneben gab es nur noch einen weiteren Mitarbeiter. Beide klagenden Parteien hatten grundsätzlich Einblick in die finanzielle Situation des Betriebes, konnten aber die Unternehmensführung nicht maßgeblich beeinflussen. Die finanziellen Schwierigkeiten traten bereits 2000 auf, weshalb auch ein Sanierungskonzept in Auftrag gegeben wurde, das verschiedene Vorschläge hinsichtlich der Reduktion der Bruttobezüge aber auch die Nachfolge der Erstklägerin in die Postion ihres Vaters und Maßnahmen des sozialen Abbaues von Arbeitskräften vorsah. Ende 2000 kam es dann zu einem Großauftrag mit einem Auftragsvolumen von mehr als S 914.000 und sowohl der spätere Gemeinschuldner als auch die klagenden Parteien hofften, dass sich die finanzielle Situation durch weitere derartige Großaufträge verbessern würde. Dies trat jedoch nicht ein, vielmehr kam es zu weiteren Verschlechterungen, sodass im Oktober 2002 dann doch den klagenden Parteien die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens bewusst wurde. Im Februar 2003 wurde dann auch das Konkursverfahren eröffnet. Schon ab 2001 erhielten sie ihre Entgelte nur noch unregelmäßig und unvollständig bezahlt. Im Einzelnen hat das Erstgericht dazu nur auf einen Kontoauszug der späteren Gemeinschuldnerin verwiesen. Die Gehaltsbezüge des fremden Mitarbeiters wurden vorrangig befriedigt. Rechnet man die geleisteten Zahlungen auf die jeweils älteste Schuld an, so war bei beiden klagenden Parteien im Zeitpunkt der Konkurseröffnung am jeweils ein Rückstand an Entgelten von mehr als einem Jahr vorhanden.

Die Anträge der beiden klagenden Parteien auf Gewährung von Insolvenzausfallgeld, und zwar der Erstklägerin in Höhe von EUR 4.471 und des Zweitklägers in Höhe von EUR 13.059, wurden von der Beklagten im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das eine sittenwidrige Überwälzung des Insolvenzrisikos auf die Beklagte vorliege. Dies ergäbe sich hier nicht nur aus den erheblichen Zeitraum, für den die Entgelte offen seien, sondern auch daraus, dass es sich um Familienangehörige gehandelt habe. Ein anderer Arbeitnehmer wäre unter den gegebenen Umständen schon längst vorzeitig ausgetreten und hätte nicht auf die Nachzahlungen vertraut.

Mit ihren Klagen begehren die klagenden Parteien nunmehr die Gewährung von Insolvenzausfallgeld jeweils in der genannten Höhe. Eine nähere Aufschlüsselung der Ansprüche findet sich nicht. Beide führen aber aus, dass ein Missbrauchsvorsatz hier nicht vorliege. Sie seien mehr als 30 bzw 40 Jahre bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt gewesen und hätten als nahezu 50 bzw 55-jährige Arbeitnehmer auch keine Chance gehabt, eine gleichwertige Tätigkeit zu finden. Die Zahlungsunfähigkeit habe sich auch erst relativ kurz vor dem Konkursantrag herausgestellt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung und wendete zusammengefasst ein, das kein anderer Dienstnehmer derart viele Monatsgehälter offenstehen lasse. Es lasse sich nur aus der Stellung der klagenden Parteien als Tochter bzw Schwiegersohn des Firmeninhabers erklären.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es folgerte rechtlich aus dem einleitend festgestellten Sachverhalt, dass nur solche Arbeitnehmer Anspruch auf eine Sicherung durch den Insolvenzausfallgeldfonds hätten, die zur Befriedigung ihres Lebensunterhaltes auch auf die Entgeltzahlungen angewiesen seien. Eine Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Fonds sei sittenwidrig. Dies werde insbesondere dadurch indiziert, dass die Arbeitnehmer trotz längerer Nichtzahlung des Entgeltes beim Arbeitgeber tätig blieben, wozu hier auch noch ein Naheverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hinzu komme. Auch unter Berücksichtigung der langen Beschäftigungsdauer sei hier davon auszugehen, dass das Verhalten der klagenden Parteien einen "Fremdvergleich" mit anderen Arbeitnehmern ohne Naheverhältnis zum Arbeitgeber nicht standhalte. Diese wären schon längst ausgetreten. Es sei daher auf einen zumindest bedingten Vorsatz der klagenden Parteien, das Finanzierungsrisiko auf den beklagten Fonds zu überwälzen, auszugehen und demgemäß die Klagen abzuweisen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Parteien nicht Folge. Es schloss sich im Wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Es ging grundsätzlich davon aus, dass die Problematik der Vermittelbarkeit älterer einseitig spezialisierter Arbeitskräfte im ländlichen Raum - wie hier - allgemein bekannt sei. Was die von den klagenden Parteien im Jahr 2002 noch erhaltenen Teilzahlungen anlange, so seien diese im Wesentlichen auf Rückstände aus den Vorjahr gewidmet gewesen. Bereits im August 2002 seien insgesamt jeweils 11 Monatsgehälter offen gewesen. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kläger auf eine Besserung der finanziellen Situation des Arbeitgebers hätten hoffen können. Allenfalls im Jahr 2002 noch zugeflossene Entgeltnachzahlungen hätten nicht einmal die Höhe eines theoretischen Arbeitslosengeldes bzw Notstandshilfe erreicht, sodass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis nicht mehr länger aufrecht erhalten hätte. Auch nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sei davon auszugehen, dass es missbräuchlich sei, wenn ein Arbeitnehmer, der die finanzielle Krise des Arbeitgebers erkennen konnte, ohne sachlichen Grund weiter die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzausfallgeld herbeiführe. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die klagenden Parteien Anspruch auf die ersten drei Monate nach Beginn des Aussetzens der Entgeltzahlungen hätten, wäre damit für die klagenden Parteien nichts gewonnen, da dieser Zeitraum lange vor dem gesicherten Sechsmonatszeitraum gemäß § 3 IESG liege. Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes erhobene außerordentliche Revision der klagenden Parteien ist zulässig, weil auf den vorliegenden Fall das IESG bereits idF BGBl I 142/2000 anzuwenden ist und der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat, dass für diese Fälle die vom Berufungsgericht für die frühere Rechtslage zutreffend dargestellten Grundsätze hinsichtlich des "Stehenlassens" des laufenden Entgeltes nur in modifizierter Form anzuwenden sind.

Nach der Übergangsbestimmung des § 17a Abs 23 IESG ist auf Konkursverfahren, in denen der Konkurseröffnungsbeschluss - wie hier - nach dem liegt, bereits § 3 Abs 2 und § 3a Abs 1 IESG idF der Novelle BGBl I 142/2000 anzuwenden. Nach dieser nunmehr geltenden Rechtslage ist die Sicherung der Geldansprüche ohnehin auf die letzten sechs Monate vor dem Stichtag, dem Ende des Dienstverhältnisses bzw Klagseinbringung eingeschränkt. Im Hinblick auf diese Erfassung und ausdrückliche Bewertung des Problems des "Stehenlassens" des laufenden Entgelts durch den Gesetzgeber ist regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des "Stehenlassens" von Entgeltansprüchen nicht darauf zu schließen, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeld-Fonds überwälzen will (vgl dazu zuletzt etwa OGH 8 ObS 20/04f mwN etwa 8 ObS 206/02f ua). Allerdings wurde auch für den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen ausgesprochen, dass im Einzelfall dann, wenn zu dem "Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzu treffen, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeld zu überwälzen, trotzdem die Geltendmachung von Ansprüchen auf Insolvenzfondsausfallgeld missbräuchlich sein kann (vgl idS etwa zuletzt 8 ObS 11/04g mwN etwa 8 ObS 195/02p). In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof auch darauf hingewiesen, das dies nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom in der Rechtssache Walcher zu C 201/01 steht, da auch dort ausgesprochen wurde, dass Missbrauchsfälle iSd Art 10 der Richtlinie 80/987/EWG ausgeschlossen werden können. Gibt doch Art 10 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zur Vermeidung von Missbräuchen die nötigen Maßnahmen zu treffen und auch Einschränkung vorzunehmen, wenn sich herausstellt, das die Erfüllung der Verpflichtung wegen des Bestehens besonderer Bindungen zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber und gemeinsame Interessen, die sich in einer Kollision zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücken, nicht gerechtfertigt ist.

Es kann nun nicht übersehen werden, dass auch im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für solchen Missbrauch vorliegen. Kam es doch tatsächlich zu erheblichen Entgeltrückständen und war den beiden klagenden Parteien die finanziell schwierige Lage des Unternehmens durchaus bewusst. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass es sich um zwei Arbeitnehmer handelt, deren Arbeitsverhältnisse bereits außergewöhnlich lange gedauert haben und im Falle des Zweitklägers sogar über 40 Jahre. Arbeitsverhältnisse dieser extrem langen Dauer lassen - auch unabhängig von den familiären Banden - auf eine starke Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen, die es auch erklärt, dass hier bei Entgeltrückständen über einen längeren Zeitraum es noch zu keiner vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer gekommen ist. Weiters kommt hinzu, dass hier auch noch im Jahre 2000 Sanierungskonzepte erstellt wurden und im Jahr 2001 ein Großauftrag abzuwickeln war, sodass nach den Feststellungen ja schließlich auch erst im Oktober 2002 die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers offensichtlich wurde. Weiters gab es - wenn auch noch nicht im Einzelnen festgestellt-, durchaus bei Teilzahlungen, die jedenfalls den Verbleib des Arbeitnehmers im Betrieb selbst dann, wenn sie für frühere Zeitperioden geleistet wurden, auch ohne Annahme einer Missbrauchsabsicht erklärbar machen, weil durch diese Teilzahlungen der Lebensunterhalt des Arbeitnehmers doch zumindest teilweise gesichert wird (vgl uva). Hier kommt noch hinzu, dass die beiden klagenden Ehegatten im Hinblick auf die wechselseitigen Unterhaltsansprüche durch diese Teilzahlung auch jeweils wechselseitig abgesichert waren. Geht man schließlich vom Oktober 2002 aus, so wäre - Anhaltspunkte für eine Vereinbarung nach § 20 Abs 2 AnG liegen nicht vor - bei einem Austritt der Kläger ohnehin auch die Kündigungsentschädigung zumindest für den Zeitraum bis zur Konkurseröffnung zu zahlen gewesen. Insgesamt kann unter Beachtung dieser Umstände nicht vom Nachweis einer Missbrauchsabsicht ausgegangen werden.

Da die Vorinstanzen aber ausgehend von der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, dass hier die Geltendmachung von Ansprüchen schon im Hinblick auf die anzunehmende Missbrauchsabsicht nicht zulässig wäre, die konkret geltend gemachten Ansprüche, deren Lagerung sowie allfällige Teilzahlungen weder erörtert noch festgestellt haben, waren die Entscheidungen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die §§ 2 ASGG und 52 ZPO.