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VfGH vom 10.03.1988, B874/87

VfGH vom 10.03.1988, B874/87

Sammlungsnummer

11645

Leitsatz

Straßenrechtlicher Baubewilligungsbescheid betrifft das Eigentumsrecht der Bf. nur in seinen Auswirkungen; nachprüfende Kontrolle durch den VwGH ausreichend iS des Art 6 Abs 1 MRK; keine Bedenken gegen § 50 Abs 6 Tir StraßenG wegen der Zusammenfassung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Funktionen in der Hand eines Verwaltungsorganes; keine Verletzung des Eigentumsrechtes; kein Entzug des gesetzlichen Richters

Spruch

Die Bf. sind durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

und dem VwGH zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom wurde der Stadtgemeinde Innsbruck gem. § 50 Tiroler Straßengesetz die Baubewilligung für den Ausbau des Höttinger Rains erteilt. Die dagegen erhobene Berufung der beschwerdeführenden, vom beabsichtigten Straßenausbau betroffenen Liegenschaftseigentümer wurde durch den mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom als unbegründet abgewiesen.

In ihrer Beschwerde erachten sich die Bf. durch den Berufungsbescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums gem. Art 5 StGG, "auf gesetzlichen Richter" gem. Art 83 Abs 2 B-VG und "auf ein gerechtes Verfahren" gem. Art 6 MRK verletzt. Die behauptete Verletzung der genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte wird von den Bf. damit begründet, daß der straßenrechtliche Baubewilligungsbescheid deshalb ins Eigentumsrecht der Bf. eingreife, weil er die Grundlage für die Inanspruchnahme von Grundflächen der Bf. im nachfolgenden Grundeinlösungsverfahren bilde. Eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art 83 Abs 2 B-VG und Art 6 MRK sehen die Bf. insbesondere darin, daß das dem bekämpften Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vorangegangene Verfahren aufgrund eines Antrages der Stadtgemeinde Innsbruck, der namens des Bürgermeisters von der Magistratsabteilung IV gestellt wurde, durch einen für den Bürgermeister von der Magistratsabteilung VI gezeichneten Bescheid erledigt worden sei. Aus der Bestimmung des Art 6 MRK wird von den Bf. abgeleitet, daß die entscheidende Behörde unabhängig vom Antragsteller sein müsse. Da im konkreten Fall der Bürgermeister als Antragsteller mit der entscheidenden Behörde identisch sei, wird angeregt, die eine derartige Zuständigkeit begründende Norm des § 50 Abs 6 Tiroler Straßengesetz gemäß Art 140 B-VG von Amts wegen zu überprüfen und als verfassungswidrig aufzuheben.

Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie darauf hinweist, "daß der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck bei der Antragstellung im Bereich der sogenannten Privatwirtschaftsverwaltung tätig ist, andererseits ihm die Entscheidungskompetenz aufgrund der Bestimmungen des Tiroler Straßengesetzes im Rahmen der Hoheitsverwaltung zukommt". Daß sich der Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck im Rahmen der bestehenden Geschäftsordnung der hiefür eingerichteten Magistratsabteilungen bediene, könne nicht zur Verfassungswidrigkeit des bekämpften Bescheides führen. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Tiroler Straßengesetzes wird von der bel. Beh. auf eine Stellungnahme verzichtet, im übrigen jedoch der Antrag gestellt, der Beschwerde als unbegründet nicht stattzugeben.

II. Die Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Gemäß § 41 Abs 1 des Stadtrechts der Landeshauptstadt Innsbruck 1975, LGBl. 53 i.d.g.F. geht der Instanzenzug gegen Bescheide des Bürgermeisters in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches an den Stadtsenat, gegen dessen Entscheidungen ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig ist. Da durch § 81 Abs 1 des Stadtrechts der Landeshauptstadt Innsbruck die Vorstellung gegen Bescheide eines Organes der Stadt in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung ausgeschlossen wurde, ist der Instanzenzug erschöpft. Der VfGH ist daher zuständig, über die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte Beschwerde gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom zu entscheiden.

2. Der straßenrechtliche Baubewilligungsbescheid greift in das Eigentum der Bf. ein (vgl. VfSlg. 8083/1977, 8326/1978, 8358/1978). Die Bf. wären daher durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gem. Art 5 StGG gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt, wenn der Baubewilligungsbescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte.

In der Beschwerde wird die Anwendung einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage mit dem Hinweis darauf behauptet, daß § 50 Abs 6 Tiroler Straßengesetz wegen der dadurch begründeten Identität des antragstellenden mit dem behördlich entscheidenden Organ verfassungswidrig sei.

a) Der VfGH teilt die in der Beschwerde vertretene Auffassung nicht. Zwar wurde in VfSlg. 3980/1961 eine gesetzliche Bestimmung über die behördliche Entscheidungsbefugnis eines Bundesministers, dem gleichzeitig die Ausübung privatrechtlicher Funktionen in der Sache oblag, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig aufgehoben. Diese Gleichheitswidrigkeit resultierte jedoch aus den Besonderheiten des Kündigungsverfahrens im Mietenrecht, weil sich keine sachliche Rechtfertigung dafür finden ließ, daß die dem Bund (als Vermieter) gegenüberstehende Mietpartei dadurch schlechtergestellt wurde, daß ihr Vertragspartner, vertreten durch die verwaltende Dienststelle, im Falle des Rechtsstreites über dieses Zivilrechtsverhältnis gleichzeitig als Behörde zum Richter über die entscheidende Vorfrage bestellt wurde; entscheidend deshalb, weil das über die Kündigung urteilende Gericht an den Bescheid des die Kündigung begehrenden Bundesministers gebunden war. Eine vergleichbare rechtliche Situation liegt im Straßenrecht nicht vor, zumal auf diesem Rechtsgebiet auch eine gesetzliche Regelung möglich erscheint, bei der (wie etwa im Bundesstraßenrecht) auf ein über Antrag der Straßenverwaltung eingeleitetes Straßenbaubewilligungsverfahren zugunsten eines ausschließlich amtswegig (durch Verordnung) bestimmten Straßenverlaufs in verfassungsrechtlich zulässiger Weise überhaupt verzichtet wird. Im übrigen hat der VfGH aber schon im Erkenntnis VfSlg. 3980/1961 (S. 295) ausgesprochen, daß "die Zusammenfassung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Funktionen in der Hand eines Verwaltungsorganes verfassungsrechtlich an sich zulässig ist", sodaß "aus diesem Grunde allein keine Bedenken gegen die überprüfte Regelung" bestehen. Der VfGH hat ferner in seinem Erkenntnis

VfSlg. 4703/1964 die Ansicht vertreten, daß eine Verfassungswidrigkeit "weder aus Art 94 B-VG noch aus einer anderen Verfassungsnorm abgeleitet werden kann", wenn "die Gemeinde als Grundeigentümerin und als Baubehörde in einer Person aufgetreten ist" (vgl. ähnlich auch VfSlg. 4388/1963, 4389/1963 und 6935/1972). In seinem Erkenntnis VfSlg. 11492/1987, (zur Amtsvormundschaft der Bezirksverwaltungsbehörden) hat der VfGH schließlich ganz allgemein festgestellt:

"Der österreichischen Rechtsordnung ist die Erscheinung, daß dasselbe staatliche Organ im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auftritt, das im Rahmen der Hoheitsverwaltung zur Entscheidung berufen ist, nicht fremd".

Der VfGH bleibt bei dieser Auffassung. Auch Art 6 Abs 1 MRK kann - zumindest aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles - zu keinem gegenteiligen Ergebnis führen. Die aus Art 6 MRK abzuleitenden verfahrensrechtlichen Anforderungen betreffen ausschließlich das Verfahren des "über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" entscheidenden Gerichts (Tribunals), also nicht das Verfahren vor dem in I. Instanz entscheidenden Bürgermeister. Wie der VfGH in seinem Erkenntnis vom , B267/86, S. 24, (insoweit in Übereinstimmung mit seinem früheren Erkenntnis VfSlg. 5100/1965) feststellte, genügt die nachprüfende Kontrolle des VwGH den Anforderungen des Art 6 Abs 1 MRK zumindest dann, wenn die "in Rede stehenden Streitigkeiten nicht über 'civil rights' selbst entstanden sind, sondern solche nur in ihren Auswirkungen betreffen". Der straßenrechtliche Baubewilligungsbescheid betrifft ungeachtet seiner Bindungswirkung im Enteignungsverfahren das Eigentumsrecht der Bf. nur in seinen Auswirkungen, sodaß der VwGH als "unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht (Tribunal)" im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK in der betreffenden Sache tätig wird. Schon wegen der Zuständigkeit des Stadtsenates, über die Berufung des Bf. gegen den Bescheid des (- im Berufungsverfahren gemäß § 7 AVG befangenen -) Bürgermeisters zu entscheiden, aber insbesondere wegen der Kontrolle des gesamten Verwaltungsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof können aus Art 6 MRK keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen die auf § 50 Abs 6 Tiroler Straßengesetz gestützte Zuständigkeit des gleichzeitig für die Antragstellung zuständigen Bürgermeisters als Bewilligungsbehörde I. Instanz abgeleitet werden.

Gegen § 50 Abs 6 Tiroler Straßengesetz bestehen aus der Sicht des vorliegenden Falles keine Bedenken. Die Bf. sind daher keinesfalls durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihrem Eigentumsrecht verletzt.

b) Die Anwendung des § 50 Tiroler Straßengesetz erfolgte ferner in denkmöglicher Weise, sodaß das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Bf. auf Unversehrtheit ihres Eigentums auch nicht wegen eines der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden Fehlers bei der Anwendung dieses Gesetzes, auf das sich der angefochtene Baubewilligungsbescheid stützt, verletzt wurde.

c) Weder der Bürgermeister noch der Stadtsenat der Landeshauptstadt Innsbruck als belangte Behörden haben eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihnen kraft Gesetz nicht zugekommen wäre. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gem. Art 83 Abs 2 B-VG wurde daher durch den angefochtenen Bescheid gleichfalls nicht verletzt.

Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

und gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß dem VwGH abzutreten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.