OGH vom 13.06.1996, 8ObS2141/96b

OGH vom 13.06.1996, 8ObS2141/96b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer und die fachkundigen Laienrichter Dipl.Ing.Dr.Hans Peter Bobek und Dr.Anton Wladar in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Klaus P*****, vertreten durch Dr.Thaddäus Schäfer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Bundessozialamt T*****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Insolvenzausfallgeld S 16.665,- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Rs 48/95-9, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 47 Cgs 35/95s-5, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Antrag, die Rechtssache zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof vorzulegen, wird zurückgewiesen.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis bei Rudolf A***** beschäftigt. Sowohl der Kläger als auch sein Arbeitgeber sind Inländer. Letzterer betrieb sein Unternehmen während des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im Inland. Dem Kläger war von Anfang an bekannt, daß er seine Tätigkeit im Ausland (Deutschland) ausüben muß. Er wurde dort auf drei verschiedenen Baustellen eingesetzt.

Der Kläger machte nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses gegen seinen früheren Arbeitgeber offene Entgeltansprüche von restlich S 16.665,-- sA geltend. Der am erlassene Zahlungsbefehl erwuchs in Rechtskraft.

Mit Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom , 19 Nc 1032/91, wurde der Antrag des Klägers auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers mangels Nachweises eines verwertbaren Vermögens abgewiesen.

Mit Antrag vom 13.11. bzw Nachtrag vom machte der Kläger den Anspruch auf Insolvenzausfallgeld mit dem Rechtsgrund "Entgelt

1.3. bis " von S 16.665,-- sA geltend.

Mit Bescheid des beklagten Bundessozialamts vom wurde dieser Antrag mangels Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs 1 IESG abgewiesen.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger diesen Betrag.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung und ließ die Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zu, da sich seine Entscheidung an der herrschenden Lehre und einheitlichen Judikatur orientiere. Nach § 5 ABGB wirkten Gesetze nicht zurück, sie hätten daher auf vorhergegangene Handlungen und daher auch vorher erworbene Rechte keinen Einfluß. Dies bedeute, daß Gesetze auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten verwirklicht worden seien, nicht angewendet werden könnten. Der Berufungswerber führe nun selbst richtigerweise an, daß die von ihm angezogene Verordnung erst mit dem Beitritt zum EWR bzw zur Europäischen Union Gegenstand der materiellen Rechtslage Österreichs geworden sei. Der vorliegende Sachverhalt sei aber bereits 1991 verwirklicht worden, sodaß die vom Berufungswerber angeführte Verordnung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht angewendet werden könne.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Er macht unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und stellt den Antrag auf Abänderung der Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn; für den Fall, das Unklarheiten hinsichtlich der Auslegung der Verordnung EWG 1408/71, insbesondere deren Art 94 über den zeitlichen Anwendungsbereich, bestünden, möge eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes eingeholt werden.

Die beklagte Partei beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zwar als zulässig anzusehen, weil zur hier strittigen Frage, ob die Verordnung EWG 1408/71 betreffend Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige auf einen Sachverhalt anzuwenden ist, der sich bereits vor dem Beitritt Österreichs zum EWR bzw zur EU verwirklicht hat, über den aber das Bundessozialamt erst nach dem Beitritt Österreichs zur EU entschieden hat, keine ausdrückliche oberstgerichtliche Judikatur vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Auch wenn die genannte Verordnung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt, das ist der Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz am (und nicht, wie der Kläger meint, der Zeitpunkt der Bescheiderlassung am - ), dem österreichischen Rechtsbestand angehört hat, sagt dies doch nichts darüber aus, ob die Rechtsvorschrift auf den verwirklichten Sachverhalt anzuwenden ist.

Gemäß Art 49 Abs 1 B-VG beginnt die verbindende Kraft von Bundesgesetzen und den in Art 50 B-VG bezeichneten Staatsverträgen, wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, nach Ablauf des Tages, an dem die Kundmachung herausgegeben oder versendet wurde. Dies bedeutet, daß bloß Sachverhalte, die sich nach Kundmachung bzw nach dem ausdrücklich angeordneten (späteren oder früheren) Wirksamkeitsbeginn ereignen, nach dieser Rechtsvorschrift zu beurteilen sind (vgl JBl 1976, 481; EvBl 1977/110; JBl 1985, 236; 1986, 390 ua).

Rechtsgrundlage für die unmittelbare Wirksamkeit der Verordnung EWG 1408/71 ist das EWR-BVG (BGBl Nr. 115/1993), das gemäß Art 7 zugleich mit dem Inkrafttreten des EWR inkraft trat; eine Rückwirkung ist dort nicht vorgesehen. Das bedeutet, daß der anspruchsauslösende Sachverhalt, aus dem der Kläger seinen Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld ableitet, vor dem inländischen zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung EWG 1408/91 liegt, sodaß diese auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits in den E 9 ObA 225/94, EvBl 1995/116 und 9 ObA 163/95 entschieden, die Ansprüche eines Arbeitnehmers aus einem Beschäftigungsverhältnis betrafen, das bereits vor Inkrafttreten des EWR-Abkommens geendet hatte; er erkannte, daß in solchen Fällen dem Kläger nicht unter Berufung auf zwischenzeitig inkraftgetretenes Gemeinschaftsrecht eine Befreiung von der Prozeßkostensicherheitsleistung nach § 57 Abs 1 ZPO zustünde. So wie der Kläger seine Rechtsposition nicht dadurch verbessern kann, daß er durch eine spätere Geltendmachung von Ansprüchen, die zur Gänze aus einem vor dem abgeschlossenen Rechtsverhältnis stammen, rückwirkend die im EG-Vertrag vereinbarten Freiheiten in Anspruch nimmt, die für seinen Fall, noch gar nicht gegolten hatten, kann er auch nicht Rechte daraus ableiten, daß das Bundessozialamt über seinen Anspruch auf Insolvenzentgelt erst nach mehreren Jahren und somit zufälligerweise erst nach Inkrafttreten des EG-Vertrages entschieden hat.

Der begehrten Vorlage zur Vorabentscheidung an den Europäischen Gerichtshof steht entgegen, daß die Ansprüche des Klägers vom zeitlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechtes somit noch nicht umfaßt sind und daher die Entscheidung nicht von der Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängt (vgl die zitierten E).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verordnung EWG 1408/71 auf einen vergleichbaren Sachverhalt überhaupt sachlich anwendbar wäre, wenn sich dieser nach Inkrafttreten des EG-Vertrages, verwirklicht hätte (vgl Art 4). Auf den vorliegenden Sachverhalt ist jedenfalls noch das Abkommen zwischen Österreich und Deutschland über die Arbeitslosenversicherung, BGBl 392/1979 anzuwenden, weil er sich zwischen dem Geltungsbeginn dieses Abkommens und seiner ausdrücklichen Derogation durch den EG-Vertrag ereignet hat. Nach § 2 Abs 1 dieses Abkommens richtet sich der Anspruch auf Leistungen, wozu auch das österreichische Insolvenz-Ausfallsgeld und das deutsche Konkursausfallsgeld zählen, nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet der Anspruch geltend gemacht wird. Daß der Kläger mangels Beschäftigung im Inland keinen Anspruch auf österreichisches Insolvenz-Ausfallsgeld hat, weil sein Dienstgeber für ihn keine Beiträge zum Aufwand des Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu leisten hatte (§ 12 Abs 1 Z 5 IESG iVm § 1 Abs 1 lit a ALVG und §§ 1 und 4 Abs 1 Z 1 ASVG), bezweifelt er selbst nicht (siehe die ausführlich begründete E 9 ObS 32/93, ecolex 1994, 493, und 8 Ob 37/95, Wbl 1996, 34).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 ASGG.