OGH vom 20.12.2000, 9ObA308/00k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Dafert und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. Mag. pharm. Anna Z*****, Apothekerin, ***** 2. Mag. pharm. Elisabeth Sch*****, Apothekerin, ***** 3. Mag. pharm. Dr. Ilse R*****, Apothekerin, *****
4. Mag. pharm. Bärbel P*****, Apothekerin, ***** 5. Mag. pharm. Eva Maria L*****, Apothekerin, ***** 6. Mag. pharm. Andrea I*****, Apothekerin, ***** 7. Mag. pharm. Christina B*****, Apothekerin, ***** 8. Mag. pharm. Traute F*****, Apothekerin, ***** 9. Mag. pharm. Christine G*****, Apothekerin, ***** 10. Mag. pharm. Krista G*****, Apothekerin, ***** 11. Mag. pharm. Marianne H*****, Apothekerin, ***** 12. Mag. pharm. Andrea T*****, Apothekerin, ***** sämtliche vertreten durch Dr. Georg Grießer und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, Spitalgasse 31, 1091 Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zinsen und Kosten, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 160/00y-30, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 31 Cga 65/96x-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.872,96 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 812,16 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerinnen sind aufgrund privatrechtlicher Verträge angestellte Apothekerinnen in einem Teildienstverhältnis. Sie beantragten bei der beklagten Gehaltskasse jeweils die rückwirkende Einstufung in eine höhere Gehaltsstufe mit der Begründung, dass die im Teildienst angerechneten Zeiten nicht aliquot gemäß § 12 Abs 6 Gehaltskassengesetz für die Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe anzurechnen seien, sondern so, als ob die im Teildienst geleistete Dienstzeit im Volldienst geleistet worden wäre. Diese Anträge wies die beklagte Partei bescheidmäßig ab. Der Verfassungsgerichtshof hob im Beschwerdeverfahren der Achtklägerin den sie betreffenden Bescheid auf. Mit § 12 Abs 6 GKG sei eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift angewendet worden, die offenkundig dem Gemeinschaftsrecht, nämlich Art 119 EGV widerspreche. Es liege ein Fall der sogenannten mittelbaren Diskriminierung vor, da mehr Frauen als Männer Teildienst verrichteten und § 12 Abs 6 GKG, der für Teilzeitbeschäftigte eine langsamere Vorrückung als für Vollzeitbeschäftigte vorsehe, dem Grundsatz "pro rata temporis" widerspreche. Da Art 119 EGV unmittelbar anzuwenden sei, sei das Gesetzesprüfungsverfahren mangels Vorliegens der Präjudizialität einzustellen gewesen. Die Anwendung einer mit dem Gemeinschaftsrecht im Widerspruch stehenden inländischen Norm sei einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten, weshalb die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art 1 des 1. ZPEMRK verletzt sei. Der angefochtene Bescheid betreffe zwar einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Gehaltszahlung, dem jedoch eine Gegenleistung, die Dienstleistung der Beschwerdeführerin gegenüberstehe. Das zuständige Bundesministerium hob daraufhin sämtliche von der Gehaltskasse erlassenen Bescheide auf. Die beklagte Partei erließ neue Bescheide, in denen den Anträgen sämtlicher Klägerinnen stattgegeben und deren rückwirkende Einstufung festgestellt und die Nachzahlungsbeträge festgesetzt wurden. Die Bescheide sind rechtskräftig. Über die Zinsen wurde nicht abgesprochen.
Die Klägerinnen begehren nach mehreren Klageänderungen die der Höhe unstrittigen Zinsen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Einerseits sei der Rechtsweg unzulässig, andererseits bestehe kein Anspruch auf Verzugszinsen.
Das Erstgericht verwarf unter Hinweis auf § 50 Abs 1 Z 6 ASGG iVm § 912 ABGB rechtskräftig die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges und verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung der Zinsen für die Nachzahlungsbeträge.
Soferne den Gehaltsansprüchen der angestellten Apotheker ein öffentlich-rechtlicher Einschlag zuerkannt werde, sei die Verzugszinsenregelung des § 1333 ABGB im Wege der Analogie anzuwenden. Das Gehaltskassengesetz enthalte keine Regelung über Verzugszinsen noch Regelungen, die die aus verspäteten Gehaltszahlungen entstehenden Nachteile der angestellten Apotheker ausgleichen würden. Es sei daher eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes anzunehmen, weshalb Verzugszinsen in anloger Anwendung der §§ 1333, 1334 ABGB gebühren.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und sprach aus, dass die Revision zulässig sei.
Der Bemessung der Bezüge sei das Gehaltsschema zugrundezulegen. Die Einreihung in eine Gehaltsstufe richte sich nach den tatsächlich zurückgelegten und bei der Beklagten gemeldeten Dienstzeiten. Die Vorrückungsfrist in die nächste Gehaltsstufe habe zwei im Volldienst zurückgelegte oder als Volldienst angerechnete Jahre zu betragen. Über die Anrechnung von Dienstzeiten anlässlich der ersten Anmeldung zur Gehaltskasse und über die Anrechnung von Dienstzeiten für die Vorrückung in höhere Bezüge habe die Gehaltskasse Bescheide zu erlassen. Bei Bezugsänderung sei der Tag des Wirksamwerdens der bezüglichen Maßnahme bestimmend. Das Arbeits- und Sozialgericht habe seiner Entscheidung die von der Gehaltskasse über die Anrechnung von Dienstzeiten und über die Vorrückung in höhere Bezüge erlassenen rechtskräftigen Bescheide zugrundezulegen. Die Ansprüche der Apotheker gegen die Gehaltskasse seien im öffentlichen Recht begründete Ansprüche auf Gehaltszahlung, die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen. Da das Gehaltskassengesetz kein Äquivalent für Verzugszinsen vorsehe, sei die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke gegeben und der Säumniszuschlag, den der Leiter einer Apotheke bei nicht rechtzeitiger Meldung umlagenrelevanter Tatsachen zu tragen habe, könne wie auch die Einräumung von Vorschüssen an in Not geratene Dienstnehmer nicht als Äquivalent für den dem Apotheker durch die verspätete Zuerkennung von Erhöhungsbeträgen zugefügten Schäden angesehen werden. Die bereits bei objektivem Verzug zu leistenden Verzugszinsen stünden den Klägerinnen zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, in Abänderung der Urteile der Vorinstanzen die Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagenden Parteien beantragen, der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichtshofes ist der Anspruch der Klägerinnen auf Gehaltszahlung durch die Beklagte ein öffentlich-rechtlicher (). Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes hat im ASVG (SSV-NF 4/131, 8/51; 10 ObS 14/97z) oder im IESG (Arb 11.025, SSV-NF 10/66) bisher keine planwidrige Gesetzeslücke gesehen, die eine analoge Anwendung der Regelungen über die Verzugszinsen nach §§ 1333, 1334 ABGB im öffentlichen Bereich zuließe. Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings beispielsweise bei der Rückforderung ungebührlich entrichteter Beiträge im § 69 Abs 1 ASVG eine solche Lücke erblickt, die durch Analogie zu schließen sei. Im Falle der Verpflichtung zur Rückzahlung zu Unrecht vereinnahmter Beiträge besteht für die wegen mangelnden Rechtsgrundes rückzuerstattenden Geldsummen ein Anspruch auf Vergütungszinsen, denen bereicherungsrechtlicher Charakter in Höhe der gesetzlichen Zinsen zukommt ().
Das Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Norm, in der die ausdrückliche Verpflichtung eines Rechtsträgers zur Zahlung von Verzugszinsen normiert wird, steht daher bei Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke einer solchen Verzugsfolge nicht entgegen. Die Bestimmungen der §§ 1333 und 1334 ABGB sind nach ständiger Rechtsprechung des VfGH auch bei Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses anzuwenden, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt. Unter dieser Voraussetzung sind dem Gläubiger im Falle des objektiven Verzuges des Schuldners Verzugszinsen zu leisten (VfSlg 11.064/1986; 12.887/1991 ua). Die Kriterien der Rechtsprechung, unter denen eine planwidrige Lücke gegeben ist, sind im Einzelfall zu prüfen.
Das Gehaltskassengesetz sieht zwar für den Fall der Säumnis des Dienstgebers bei Zahlung der Gehaltskassenumlagen, der Riskenausgleichsbeiträge und der Mitgliedsbeiträge im § 10 Abs 2 GKG die Verpflichtung zur Leistung von Säumniszulagen vor, trifft aber keine Regelung für den Fall des Verzuges der Gehaltskasse bei Auszahlung des nach dem Gehaltskassengesetz zu bemessenden und auszuzahlenden Gehalts.
Während etwa § 4 IESG bestimmte Vorschussleistungen während des Verfahrens bei Glaubhaftmachung des Anspruches vorsieht und im Bereich des ASVG eine Vorschusspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw Ansprüche auf vorläufige Zahlungen nach dem ASGG bestehen (SSV-NF 4/131), enthält der von der Revisionswerberin zitierte § 31 GKG kein Äquivalent und keine Rechtfertigung dafür, dass der Beitragsschuldner wohl unter Umständen Säumniszuschläge zu entrichten hat, andererseits der Leistungsbegünstigte für den Fall des Verzuges der Gehaltskasse kein Äquivalent für die verspätete Gehaltszahlungsdifferenzen erhält. Im ASVG und im IESG-Bereich sind die vorgesehenen Leistungen bei gegebenem oder bescheinigtem Anspruch für die Dauer des Verfahrens zu erbringen. Damit wird den Verzugsfolgen ausreichend begegnet (10 ObS 14/97z). Das Gesetz sieht somit ein Äquivalent für Säumnisfolgen vor. Ihm selbst ist daher zu entnehmen, dass die Verzugsfolgen abschließend geregelt sind. Das ausdrückliche Fehlen einer dem ABGB entsprechenden Verzugszinsenbestimmung begründet sohin in diesen Fällen keine planwidrige Unvollständigkeit.
Im vorliegenden Fall besteht nach dem Gehaltskassengesetz im Gegensatz zu den Bestimmungen des ASVG und des IESG (SSV-NF 4/131) kein Anspruch auf Vorschuss oder vorläufige Zahlung. Ein Vorschuss liegt nur im Ermessen der Gehaltskasse. Er kann gewährt werden, wenn ein Dienstnehmer unverschuldet in eine Notlage geraten ist oder sonstige berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen. Dieser sozialorientierte Vorschuss ist keiner Weise an einen bestimmten Bezugsanspruch geknüpft und auch nicht zur Überbrückung des Zeitraumes bis zur Erfüllung eines solchen Anspruchs konzipiert. Dem Gehaltskassengesetz fehlt daher jegliche Regelung von Säumnisfolgen bis zur Erfülung eines Anspruches. Daher liegt keine abschließende Regelung des Gesetzes über Säumnisfolgen vor. Es besteht eine planwidrige Lücke, die durch analoge Heranziehung der Verzugszinsenregelung des ABGB zu schließen ist.
Das Arbeitsgericht hat zwar nach § 34 Abs 1 GKG seiner Entscheidung die über die Vorrückung rechtskräftigen Bescheide zugrundezulegen. Diese enthalten jedoch keinen Ausspruch über Verzugszinsen, sodass sie diesbezüglich keine Bindungswirkung erzeugen können. Da sie jedoch, wie aus den Feststellungen hervorgeht, die rückwirkende Einstufung feststellten, ergeben sich daraus zwangsläufig geänderte Vorrückungstermine sowie Bezugsänderungen.
Die Fälligkeit bestimmt sich nach § 32 Abs 2 GKG und nicht mit dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung, weil damit nur der Gesetzeslage deklarativ entsprochen wurde, die Vorrückungstermine und die Fälligkeiten der Gehaltszahlung aber bereits eingetreten waren. Es lag daher objektiver Verzug vor. Von einer "Rückwirkung" des Erkenntnisses des VfGH kann diesbezüglich keine Rede sein.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.