VfGH vom 22.11.2013, B867/2013
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Zurückweisung des Feststellungsantrags einer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien stehenden Ärztin über die Rechtswidrigkeit einer Weisung betreffend die Enthebung von ihrer Funktion als Vorständin einer Krankenhausambulanz infolge Annahme der Klärung der Frage in einem gerichtlichen Verfahren; Hinweis auf die Begründung der Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Die Stadt Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin steht als Ärztin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien und wurde mit Wirksamkeit vom in das Geriatriezentrum Floridsdorf des Sozialmedizinischen Zentrums (SMZ) Floridsdorf als ärztliche Institutsvorständin des Instituts für Physikalische Medizin versetzt. Mit E-Mail des ärztlichen Direktors des SMZ Floridsdorf vom wurde die Beschwerdeführerin mit der ärztlichen Leitung der Physikalischen Ambulanz im Krankenhaus Floridsdorf betraut.
2. Mit Schreiben des Wiener Krankenanstaltenverbundes, Generaldirektion – Geschäftsbereich Personal (KAV-GD), vom wurde verfügt, dass ein im Krankenhaus Floridsdorf systemisierter Dienstposten vom SMZ Floridsdorf in das Franz Josef Spital transferiert und die ärztliche Konsiliarversorgung der Ambulanz für Physikalische Medizin des Krankenhauses Floridsdorf ab dem vom Franz Josef Spital übernommen werde. Mit mündlicher Dienstanweisung vom wurde die Beschwerdeführerin mit sofortiger Wirkung ihrer Funktion als Vorständin der Ambulanz für Physikalische Medizin und Rehabilitation im SMZ Floridsdorf enthoben und die Leitung dieser Versorgungseinheit an eine dritte Person übertragen. In der Folge erhob die Beschwerdeführerin gegen diese Maßnahme "Einspruch", weil dies eine verschlechternde Verwendungsänderung darstelle, und forderte die Wiedereinsetzung als Ambulanzvorständin. Am erhob die Beschwerde führerin vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien Klage gegen die Stadt Wien auf Zahlung von Schadenersatz in näher verzeichneter Höhe wegen ihrer Abberufung als Vorsteherin der Krankenhausambulanz, weil sie durch die Abberufung "massiv geschädigt" worden und auch einen wesentlichen Teil ihres monatlichen Einkommens (Sonderklassegebühren) verloren habe. Darüber hinaus beantragte sie die Feststellung, dass "die beklagte Partei für all jene Folgen hafte, die der klagenden Partei durch oben bezeichnete diskriminierende Verhaltensweisen zugefügt worden" seien.
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Erlassung eines Feststellungsbescheides dahingehend, dass der mit mündlicher Dienstanweisung vom erteilte Dienstauftrag, mit welchem sie von ihrer Funktion im Krankenhaus Floridsdorf enthoben worden sei, rechtswidrig gewesen sei, und führte aus, dass ein rechtliches Interesse an der Bescheiderlassung bestehe, weil ihre "berufliche Sphäre von dieser abhängig" sei. Mit Bescheid vom stellte der Magistrat der Stadt Wien fest, dass die der Beschwerdeführerin am erteilte Weisung, wonach diese mit sofortiger Wirkung nicht mehr die interimistische ärztliche Leitung der Ambulanz für Physikalische Medizin und Rehabilitation im SMZ Floridsdorf auszuüben habe, nicht rechtswidrig gewesen sei.
Mit Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien (in der Folge: Dienstrechtssenat) vom wurde der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs 4 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, dass die Frage, ob die Weisung vom als rechtswidrig anzusehen sei, von der Beschwerdeführerin im Zivilprozess releviert und damit das Gericht in die Lage versetzt worden sei, über die den Gegenstand des nunmehr vorliegenden Feststellungsantrages der Beschwerdeführerin bildende Frage zu befinden. Im Hinblick darauf, dass eine Klärung dieser Rechtsfrage in einem anderen Verfahren bereits im Zeitpunkt der Einbringung des Feststellungsantrages anhängig gewesen sei, erweise sich der Feststellungsantrag als unzulässig.
3. In der Folge wies der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom den Feststellungsantrag der Beschwerde führerin vom unter Bezugnahme auf den Bescheid des Dienstrechtssenates vom als unzulässig zurück; dieser Zurückweisungsbescheid wurde mit Bescheid des Dienstrechtssenates vom bestätigt.
4. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B389/2013, wurde der Bescheid des Dienstrechtssenates vom wegen Verletzung der Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufgehoben.
5. In ihrer gegen den Bescheid des Dienstrechtssenates vom gerichteten, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde behauptet die Beschwerde führerin die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
6. Der Dienstrechtssenat als belangte Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
II. Rechtslage
§20 Wiener Dienstordnung 1994 – DO 1994, LGBl 56, lautet:
"Dienstpflichten gegenüber dem Vorgesetzten
§20. (1) Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen.
(2) Der Beamte kann die Befolgung einer Weisung ablehnen, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt worden ist oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.
(3) Hält der Beamte eine Weisung aus einem anderen Grund für gesetzwidrig, so kann er, bevor er die Weisung befolgt, seine Bedenken dem Vorgesetzten mitteilen. Bestätigt jedoch der Vorgesetzte diese Weisung schriftlich, so hat der Beamte die Weisung zu befolgen.
(4) Der Beamte hat eine Weisung, die er für gesetzwidrig hält, ohne schriftliche Bestätigung zu befolgen, wenn es sich bei Gefahr im Verzug um eine unaufschiebbare Maßnahme handelt."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften wurden nicht vorgebracht und sind auch beim Verfassungsgerichtshof nicht entstanden.
2. Die Beschwerdeführerin behauptet u.a. eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz.
2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewähr leisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungs gerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2.2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde zur Last zu legen:
2.2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , B389/2013 (betreffend die Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides des Dienstrechtssenates vom über den Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin), zur Zulässigkeit der Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Rechtmäßigkeit von Dienstaufträgen Folgendes ausgesprochen:
"[…] Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides nicht nur dann zulässig, wenn sie im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn eine gesetzliche Regelung hierüber zwar nicht besteht, die Erlassung eines solchen Bescheides aber im öffentlichen Interesse oder insofern im Interesse einer Partei liegt, als sie für die Partei ein notwendiges Mittel zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung darstellt. Ein solches rechtliches Interesse ist aber nur dann zu bejahen, wenn dem Feststellungsbescheid im konkreten Fall die Eignung zukommt, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung der Partei abzuwenden (zBVfSlg 11.764/1988, 17.788/2006, 18.828/2009).
Ein Recht auf eine bescheidmäßige Feststellung der Rechtmäßigkeit von Dienstaufträgen besteht dann, wenn durch einen Dienstauftrag die Rechtssphäre des Beamten berührt wird; der Zweck von Feststellungen betreffend Dienstpflichten ist es nämlich, bei der Auferlegung von Pflichten, die nicht durch Bescheid vorzunehmen sind bzw. nicht durch Bescheid vorgenommen wurden, nachträglich rechtliche Klarheit zu schaffen, ob der Beamte durch die Erteilung der Weisung in seinen Rechten verletzt wurde (VfSlg 19.381/2011; vgl. auch VfSlg 13.408/1993, 16.785/2003).
Als subsidiärer Rechtsbehelf scheidet der Feststellungsbescheid nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch jedenfalls dann aus, wenn die für die Feststellung maßgebliche Rechtsfrage im Rahmen eines anderen (Verwaltungs-)Verfahrens (mit einem das rechtliche Interesse abdeckenden Ergebnis) zu entscheiden ist (zB ; , 97/05/0190; , 2005/12/0048).
[…] Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ihren Bescheid ausschließlich damit begründet, dass die Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Rechtswidrigkeit der Weisung vom deshalb unzulässig sei, weil diese Frage von der Beschwerdeführerin im Zivilverfahren releviert und damit das Gericht in die Lage versetzt worden sei, über die den Gegenstand des Feststellungsantrages bildende Frage zu befinden. Die belangte Behörde hat sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, ob – über die im Gerichtsweg geltend gemachten Schadenersatzansprüche hinaus – ein weiteres rechtliches Interesse der Beschwerdeführerin an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weisung besteht. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass diese Weisung, mit der die Beschwerdeführerin u.a. ihrer Funktion als Vorständin der Ambulanz für Physikalische Medizin und Rehabilitation im Krankenhaus des SMZ Floridsdorf enthoben wurde, deren Rechte und Pflichten aus ihrem – den vorgelegten Verwaltungsakten zufolge noch aktiven – öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, insbesondere deren Dienstpflichten (vgl. VfSlg 19.381/2011), berührt. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die belangte Behörde selbst in früheren – eine im Wesentlichen gleichlautende Weisung gegenüber der Beschwerdeführerin betreffenden – Entscheidungen denkmöglich davon ausgegangen ist, dass ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer derartigen Weisung besteht (vgl. die gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Erkenntnisse VfSlg 18.994/2010 und 19.381/2011).
Ob die Erlassung eines Feststellungsbescheides im vorliegenden Fall aus anderen Gründen unzulässig ist, kann dahingestellt bleiben, weil dies von der belangten Behörde nicht geprüft wurde."
2.2.2. Diese Überlegungen sind auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, weil die belangte Behörde – in Entsprechung der in ihrem (mit dem oben angeführten Erkenntnis aufgehobenen) Bescheid vom geäußerten Rechtsansicht – auch im nunmehr angefochtenen Bescheid die Zulässigkeit des Feststellungsantrages der Beschwerdeführerin (ausschließlich) mit der Begründung verneint, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der Weisung vom im gerichtlichen Verfahren zu klären ist.
2.2.3. Die belangte Behörde hat dadurch auch den angefochtenen Bescheid mit Willkür belastet.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Fundstelle(n):
PAAAE-10306