OGH vom 30.09.2005, 9ObA82/05g

OGH vom 30.09.2005, 9ObA82/05g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Dr. Herbert Stegmüller als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Peter W*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 8.732,15 brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 5/05t-13, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 41 Cga 128/04i-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei EUR 8.732,15 brutto samt 9,47 % Zinsen seit sowie die mit EUR 2.053,20 (darin EUR 250,34 Umsatzsteuer und EUR 554,20 Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit EUR 1.819,04 (darin EUR 161,84 Umsatzsteuer und EUR 848 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.726,66 (darin enthalten EUR 1.061 Barauslagen und EUR 110,94 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien schlossen für den Zeitraum bis eine schriftliche Altersteilzeitvereinbarung nach § 27 AlVG ab, nach der die wöchentliche Normalarbeitszeit des Klägers auf 24 Wochenstunden (60 % des bisherigen Ausmaßes) herabgesetzt wurde, der Kläger aber tatsächlich bis zur 36. Kalenderwoche des Jahres 2005 40 Stunden wöchentlich arbeiten und danach bis zum Ende der Vereinbarung Freizeit konsumieren sollte („Blockvariante"). Das Bruttomonatsentgelt wurde mit für den Zeitraum der Altersteilzeitvereinbarung von EUR 2.407,70 um 20 % auf EUR 1.926,16 reduziert. Die vom Arbeitsmarktservice (AMS) an den Dienstgeber ausgezahlte Förderung betrug etwa 20 % des ursprünglichen Gehalts des Klägers.

Mit wurde das zwischen den Streitteilen bestehende Dienstverhältnis noch während der Vollarbeitsphase einvernehmlich aufgelöst, weil dem Kläger ab 2004 die Invaliditätspension gewährt wurde. Im Sinne des Punktes 10 der Altersteilzeitvereinbarung, wonach ein bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehendes Zeitguthaben abzugelten sei, zahlte die Beklagte dem Kläger die Differenz zwischen seinem zuletzt reduzierten Monatsentgelts und dem Monatsentgelt vor Inkrafttreten der Teilzeitarbeitsvereinbarung für den Zeitraum vom bis zum aus, sodass der Kläger für den genannten Zeitraum 100 % seiner (früheren) Gehaltsansprüche ausgezahlt erhielt.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage den Zuspruch von EUR 8.732,15 brutto sA. Unter Berufung auf § 19e Abs 2 AZG vertritt er die Rechtsauffassung, dass ihm über den ausgezahlten Betrag hinaus ein 50%iger Bruttolohnzuschlag für sein bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehendes Guthaben an Normalarbeitszeit zustehe.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. § 19e Abs 2 AZG sei auf das durch die Altersteilzeitvereinbarung geschaffene Teilzeitarbeitsverhältnis nicht anzuwenden. Der Kläger beanspruche in Wahrheit die dem Dienstgeber zustehende Förderung und strebe eine ungerechtfertigte Bereicherung an.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Erst durch die Entschädigung für nicht konsumierte Freizeit für die tatsächlich zurückgelegte Dienstzeit würde sich - quasi fiktiv - eine Arbeitszeit von 120 % berechnen. Für eine fiktive Mehrleistung gebühre aber kein Zuschlag. Aus dem Umstand, dass dem Kläger durch das vorzeitige Vertragsende die Förderung des AMS entgehe, könnten nur Schadenersatzansprüche abgeleitet werden, was im Falle einer einvernehmlichen Auflösung nicht in Betracht komme.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Unter Auseinandersetzung mit den Gesetzesmaterialien und den dazu vertretenen Lehrmeinungen erachtete es die vom Kläger angesprochene Bestimmung des § 19e Abs 2 AZG auf die Abgeltung eines Zeitguthabens im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung, wenn der Arbeitnehmer noch während der Vollarbeitsphase das Arbeitsverhältnis löse, nicht anwendbar. Der Kläger habe im Zeitraum bis seine Normalarbeitszeit zu 100 % erbracht und dafür auch 100 % seines Gehalts abgegolten erhalten. Weitere Ansprüche habe er nicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, zumal die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes mit der (nachträglich ergangenen) Entscheidung 9 ObA 96/04i, in der sich der erkennende Senat mit der hier zu beurteilenden Rechtsfrage auseinandergesetzt hat, in Widerspruch steht.

Die Revision ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der eben zitierten Entscheidung 9 ObA 96/04i führt der Oberste Gerichtshof nach eingehender Auseinandersetzung mit der mit BGBl I 1999/179 eingeführten, als „Altersteilzeit" bezeichneten arbeitsmarktpolitischen Förderung im Wesentlichen aus wie folgt:

Die Arbeitszeit kann bei der Altersteilzeit durch die gesamte Vereinbarungsdauer durchgerechnet werden. Besonders nachgefragt wird in der Praxis vor allem das auch zwischen den Parteien vereinbarte Blockmodell, bei dem vom Arbeitnehmer zunächst weiter Vollzeitarbeit geleistet wird, bis er genug Zeitguthaben erworben hat, um anschließend bis zum Pensionsantritt bezahlt zu Hause zu bleiben. Bei diesem Modell bleibt das Arbeitsverhältnis auch in der „Freizeitphase" weiter aufrecht. Die tatsächliche Arbeitszeit wird in der „Vollarbeitsphase" erbracht, anschließend wird vom Arbeitnehmer das Zeitguthaben eingelöst. Wird nun aber wie im vorliegenden Fall das Arbeitsverhältnis bereits vor Ablauf der vollen Geltungsdauer der Vereinbarung über die Altersteilzeit aufgelöst, kann die ursprünglich vereinbarte Einlösung des Zeitguthabens "in natura" nicht mehr erfolgen. Der mit BGBl I 1997/46 eingefügte § 19e Abs 1 Arbeitszeitgesetz (AZG) sieht vor, dass bei Ende des Arbeitsverhältnisses bestehende Guthaben an Normalarbeitszeit oder Überstunden, für die Zeitausgleich gebührt, in Geld auszubezahlen sind. Guthaben an Überstunden sind schon nach § 10 Abs 1 AZG jedenfalls mit Zuschlag von 50 % abzugelten. § 19e Abs 2 AZG normiert darüber hinaus, dass auch für Guthaben an Normalarbeitszeit ein Zuschlag von 50 % gebührt, wenn ein Zeitausgleich nicht mehr möglich ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt. Der Kollektivvertrag kann Abweichendes regeln (IA 408/A BlgNR 20. GP), was hier allerdings [Anm: wie auch im zu beurteilenden Verfahren] nicht der Fall ist. Schrank (Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 44/XIV; ders in Jungwirth/Risak/Schrank, Pensionsreform 2003 Rz 250) vertritt zu § 19e AZG die Auffassung, dass die Abgeltung ohne Zuschlag zu erfolgen habe, soweit es sich um Teilzeitarbeit handelt, die ohne die Durchrechnung zu keinen Überstunden geführt hätte. Kandera (Arbeitszeitflexibilisierung 116), Spitzl (ecolex-script 2001/19, 5) und Steiger/Schrenk (FJ 2002, 363) teilen diesen Standpunkt. Der Senat vermag sich dieser Position nicht anzuschließen. Es wird nicht verkannt, dass es im Allgemeinen für die Mehrarbeit eines Teilzeitarbeitnehmers, die über die vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit, nicht aber über die Normalarbeitszeit hinausgeht, - anders als für Überstunden (§ 10 Abs 1 AZG) - keinen gesetzlichen Zuschlag zum Entgelt gibt. Die Rechtsprechung geht deshalb davon aus, dass derartige Mehrarbeit im Regelfall nur mit dem normalen Lohn zu vergüten ist (4 Ob 48/67 = Arb 8469; 4 Ob 84/75 = Arb 9452 ua). Durch Kollektivvertrag kann auch für Mehrarbeit ein Zuschlag vorgesehen sein. Dieser ist dann auch bei einem Zeitausgleich entsprechend zu berücksichtigen (Grillberger, AZG² § 19d Anm 4.4). Bei § 19e AZG beschritt der Gesetzgeber, dem die Kenntnis der Rechtsprechung zur Zuschlagsfrage bei Mehrarbeit von Teilzeitarbeitnehmern unterstellt werden kann, einen anderen Weg. So wurde bereits im Initiativantrag zur Einführung dieser Bestimmung vorangestellt, dass die Regelung über die Abgeltung von Zeitguthaben sowohl für Guthaben an Normalarbeitszeit als auch Guthaben an Überstunden gilt. Weiters wurde als selbstverständlich betont, dass Guthaben an Überstunden jedenfalls mit Zuschlag abzugelten sind. Darüber hinaus soll aber nach der neuen Regelung auch für Guthaben an Normalarbeitszeit in der Regel ein Zuschlag gebühren, wenn ein Ausgleich nicht mehr möglich ist. Der Gesetzgeber ließ damit erkennen, dass der tatsächliche Zeitausgleich Vorzug vor der Geldlösung genießt. Der Zuschlag ist gewissermaßen der Preis für eine Flexibilisierung, die keinen Zeitausgleich mehr ermöglicht. Dass damit für Arbeitgeber ein empfindlicher Anreiz geschaffen wird, dem Arbeitnehmer den Zeitausgleich zu ermöglichen, liegt auf der Hand. Eine Ausnahme soll nach dem Vorbild des § 10 Abs 2 UrlG nur bei unbegründetem vorzeitigen Austritt bestehen (IA 408/A BlgNR 20. GP). Die Sonderregelung des § 19e AZG erfasst somit auch alle Arbeiten, die im Zeitpunkt ihrer Leistung nicht als Überstunden qualifiziert sind, aber durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Guthaben an Normalarbeitszeit geführt haben. Die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer laufenden Vereinbarung von Altersteilzeit nach § 27 AlVG ist als Anwendungsfall dieser Bestimmung zu qualifizieren. Auch im Fall der Teilzeitarbeit sind jene Teile der geleisteten Arbeit, die als Guthaben an Normalarbeitszeit zu betrachten sind, weil sie über die Normalarbeitszeit hinaus geleistet wurden, mit einem Zuschlag von 50 % abzugelten. Ausgenommen ist vom Gesetz nur der schon erwähnte Fall des ungerechtfertigten Austritts des Arbeitnehmers (Schindler, Gestaltungsmöglichkeiten bei Altersteilzeit, in Resch, Arbeitszeitrecht 85 ff [100]; Grillberger aaO § 19e Anm 2.2; B. Schwarz in Cerny/Klein/B. Schwarz, AZG §§ 19e, 19f Erl 3; Anzenberger. ZIK 2002/3, 6). Zutreffend verweist Schindler (aaO 100 FN 40) darauf, dass die in Frage stehende Regelung gerade für Teilzeitarbeit geschaffen wurde, weil bei Vollzeitarbeit verbleibende Zeitguthaben rückblickend selbst im Rahmen von Durchrechnungsmodellen gemäß den §§ 3 - 4c AZG Überstunden sind. Die insgesamt geleistete Arbeit (einschließlich der nicht ausgeglichenen Zeitguthaben) überschreitet diesfalls die Normalarbeitszeit, sodass ein 50-%iger Zuschlag schon zufolge § 10 AZG zusteht. § 19e Abs 2 AZG wäre bei einem solchen eingeschränkten Verständnis nie anwendbar, dies ganz abgesehen davon, dass die Auffassung der Vertreter der Gegenposition auch dem Wortlaut des § 19e Abs 2 AZG widerspricht. Bei Teilzeitarbeit liegt auch rückblickend bloß Mehrarbeit, also ein Guthaben an Normalarbeitszeit vor. Pointiert könnte man den Zuschlag auch als „Flexibilitätszuschlag" und „marktwirtschaftliches Gegensteuerungselement" sehen. Dadurch ist auch der Wegfall des Zuschlags bei unberechtigtem Austritt und Vereitelung des Zeitausgleichs durch ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitnehmers erklärlich (Schindler aaO 100). B. Schwarz (aaO §§ 19e, 19f Erl 1 und 3) streicht ebenfalls heraus, dass sozialpolitischer Grundgedanke und damit Auslegungsprinzip der §§ 19e, 19f AZG das Ziel ist, den Ausgleich von Zeitguthaben sicherzustellen und zu verhindern, dass letztlich unter dem Vorwand der Flexibilität eine Verlängerung der Arbeitszeit eintritt. § 19e Abs 2 AZG erfasst gerade Arbeiten, die im Zeitpunkt ihrer Leistung nicht als Überstunden qualifiziert sind, aber durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Guthaben an Normalarbeitszeit geführt haben. Der Senat tritt daher der Auffassung der Vorinstanzen bei, dass für das bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Arbeitgeberkündigung bestehende Zeitguthaben des Klägers an Normalarbeitszeit nach § 19e Abs 2 AZG ein Zuschlag von 50 % gebührt.

Von dieser Rechtsauffassung abzugehen bieten die Revisionsausführungen keinen Anlass. Sie kommt - da § 19e Abs 2 AZG den Anspruch des Arbeitgebers nur für den Fall des unberechtigten Austritts ausschließt - auch hier zum Tragen und führt zur Bejahung des der Höhe nach außer Streit stehenden Anspruchs des Klägers.

Auf den Einwand des Verfalls kommt die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung nicht mehr zurück. Er wurde im Übrigen schon vom Erstgericht zutreffend mit dem Hinweis verneint, dass der Anspruch des Klägers erst mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses fällig und - von diesem Zeitpunkt ausgehend - rechtzeitig geltend gemacht wurde.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.