OGH vom 29.07.2015, 9ObA81/15z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden und den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn, sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Mag. Robert Brunner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** B*****, Republik Litauen, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 42.020,70 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse: 34.000 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 31/15k 61, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 33 Cga 112/12z 57, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.891,26 EUR (darin enthalten 315,21 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Beklagte (bzw ihre Rechtsvorgängerin) mit Sitz in Österreich betrieb im Sommer 2009 etwa fünf Flugzeuge, die nicht in Österreich positioniert waren. Die Beklagte beschäftigte Piloten im Angestelltenverhältnis und leaste bei Bedarf von der P***** Ltd, einer Gesellschaft mit Sitz auf den British Virgin Islands, weitere Piloten auf Stunden oder Monatsbasis.
Der Kläger ist Pilot und wohnt in Litauen. Er war ab bis zum im Rahmen einer Überlassung/Entsendung seines Arbeitgebers, der P***** Ltd, für die Beklagte als Pilot tätig.
Das Flugzeug, das der Kläger fliegen sollte, war am Flughafen Linate in Mailand positioniert. Bis etwa drei Monate vor Beginn der Tätigkeit des Klägers für die Beklagte und dann wieder ab Ende 2009 war dieses Flugzeug in der Ukraine positioniert. Von Mailand aus flog der Kläger verschiedene Flughäfen in Europa an, die nie in Österreich lagen. An manchen Tagen flog der Kläger gar nicht, sondern wartete in Mailand auf einen Einsatz. Wäre das Arbeitsverhältnis des Klägers aufrecht geblieben, wäre der Kläger mit dem Flugzeug „mitgegangen“, als es (wieder) in Kiew positioniert wurde.
Der Kläger begehrte ursprünglich die Zahlung von 42.020,70 EUR sA an restlichen Entgelten und Beendigungsansprüchen aus seinem Arbeitsverhältnis von der Beklagten. Der Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers habe sich in Wien befunden. Die Beklagte sei inländische Auftraggeberin der Arbeitgeberin des Klägers gewesen und hafte daher als Gesamtschuldnerin für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche gemäß § 7a Abs 2 AVRAG (iVm § 7 AVRAG). Sollte das Gericht zur Überzeugung kommen, dass Arbeitsort Italien gewesen sei, werde der Klageanspruch darauf gestützt, dass der Kläger auch nach italienischem Recht, das einen gleichartigen Anspruch wie nach den §§ 7, 7a AVRAG vorsehe, Anspruch auf eine kollektivvertragliche Entlohnung habe.
Die Beklagte bestritt die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 7a Abs 2 AVRAG insbesondere auch damit, dass der tatsächliche Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers nicht in Österreich gewesen sei. Vielmehr sei die Tätigkeit als Pilot international gewesen und überwiegend vom Flughafen Mailand Linate aus erfolgt. Dort sei auch der Dienstort des Klägers gewesen. Das Klagebegehren sei überdies unschlüssig. Die Beklagte wandte im Übrigen eine vom Kläger bestrittene Gegenforderung von 7.724,40 EUR gegen die Klageforderung ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Im Umfang der Abweisung eines Betrags von 8.020,70 EUR sA erwuchs seine Entscheidung mangels Anfechtung in Rechtskraft. Der Kläger könne seine Ansprüche gegenüber der Beklagten als inländischer Auftraggeberin seiner Arbeitgeberin nicht auf § 7a AVRAG stützen, weil die von ihm ausgeübte Tätigkeit ihren tatsächlichen Schwerpunkt nicht in Österreich gehabt habe. Eine Anwendbarkeit italienischen Rechts entfalle schon mangels Haftung der Beklagten.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil nur im Umfang der Abweisung eines Klagebegehrens von 34.000 EUR erhobenen Berufung im Sinne seines Aufhebungsantrags Folge. Dass sein tatsächlicher Tätigkeitsschwerpunkt nicht in Österreich lag, und daher § 7a AVRAG nicht zur Anwendung komme, stelle der Kläger in der Berufung nicht mehr in Frage. Zu prüfen sei jedoch von Amts wegen, ob dem Kläger ein entsprechender Entgeltanspruch gegen die Beklagte nach italienischem Recht bzw nach italienischen Eingriffsnormen zustehe. Für die kollisionsrechtliche Beurteilung des hier vorliegenden Beschäftigungsverhältnisses seien im konkreten Fall die Art 6 und 7 EVÜ anwendbar.
Art 6 EVÜ gelange nicht nur auf gültige Arbeitsverträge, sondern auch auf faktische Beschäftigungsverhältnisse wie jenes des Klägers zur Anwendung. Aus Art 6 Abs 2 lit a EVÜ ergebe sich jedoch trotz des faktischen Tätigkeitsschwerpunkts in Italien nicht die Anwendbarkeit italienischen Rechts, weil der Kläger nach den getroffenen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen je nach Entsendung international hätte tätig werden sollen. Da aus diesen Gründen nicht von einem gewöhnlichen Arbeitsort des Klägers in Italien ausgegangen werden könne, müsse an das Recht der einstellenden Niederlassung iSd Art 6 Abs 2 lit b EVÜ angeknüpft werden. Danach käme das Recht der British Virgin Islands zur Anwendung, auf das sich der Kläger in seiner Berufung aber nicht bezogen habe. Aus Art 6 EVÜ ergebe sich die Anwendbarkeit italienischen Rechts daher nicht.
Der Kläger habe sich jedoch in ausreichender Weise auf italienische Eingriffsnormen berufen, die gemäß Art 7 EVÜ hier auch dann zur Anwendung gelangten, wenn eine andere Rechtsordnung auf das Vertragsverhältnis der Streitteile Anwendung finde. Die vom Kläger geltend gemachte Norm des Art 23, 3 des italienischen Legislativdekrets Nr 276/2003 normiere eine dem § 7a Abs 2 AVRAG vergleichbare gesamtschuldnerische Haftung von Ver und Entleiher nach italienischem Recht. Damit erweise sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weil zu klären sei, ob diese italienische Vorschrift eine Eingriffsnorm iSd Art 7 EVÜ sei, und unter welchen Voraussetzungen des italienischen Rechts sie zur Anwendung gelange. Für den Fall der Anwendbarkeit des Art 23, 3 des Legislativdekrets Nr 276/2003 müsse das Klagebegehren schlüssig gestellt werden, weil der Kläger anzugeben habe, wie sich seine verbleibende Forderung von 34.000 EUR nach italienischem Recht aufschlüssle.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob Art 6 EVÜ unter „Arbeitsverhältnissen“ auch solche zwischen einem Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag mit einer Verleihfirma hat, und dem Beschäftigerbetrieb, bei dem der Arbeitnehmer faktisch tätig wird, verstehe, und ob unter „gewöhnlichem Arbeitsort“ auch der wenn auch zeitlich beschränkte faktische Beschäftigungsort zu verstehen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der vom Kläger beantwortete Rekurs der Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfragen betreffen die Anwendbarkeit fremden Rechts iSd Art 6 EVÜ. Die dazu vertretene Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall nach dieser Bestimmung weder österreichisches noch italienisches Recht zur Anwendung gelange, sondern allenfalls das Recht der British Virgin Islands, auf das sich der Kläger aber nicht berufen habe, bekämpft die Rekurswerberin nicht, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
2.1 Die Rekurswerberin macht vielmehr geltend, dass sich der Kläger erstmals in der Berufung auf die Norm des Art 23, 3 des italienischen Legislativdekrets Nr 276/2003 berufen habe, worin jedoch eine unzulässige Neuerung und eine im Berufungsverfahren unzulässige Klageänderung liege. Auf diese Norm habe sich der Kläger im Verfahren erster Instanz nicht berufen, sodass sie auch nicht von Amts wegen zu ermitteln sei.
2.2 Eine Verletzung des Neuerungsverbots iSd § 482 ZPO der Kläger war im Verfahren erster Instanz qualifiziert vertreten (§ 63 Abs 1 ASGG) hätte eine unzutreffende rechtliche Beurteilung der Streitsache zur Folge und könnte daher auch im Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0112215 ua). Es muss sich bei dem berücksichtigten Vorbringen aber um neue Ansprüche oder Einreden handeln, die nicht von Amts wegen berücksichtigt werden, weil von Amts wegen wahrzunehmende Umstände dem Neuerungsverbot nicht unterliegen (RIS Justiz RS0119356; RS0108589).
2.3 Das Gericht hat ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln (§ 4 Abs 1 IPRG) und anzuwenden, wenn die Aktenlage einen Anhaltspunkt für die Möglichkeit der Anwendung eines solchen Rechts gibt (RIS Justiz RS0040189). Der Kläger berief sich bereits in erster Instanz auf die Anwendbarkeit italienischen Rechts und brachte dazu auch vor, dass das italienische Recht so wie auch in Österreich die §§ 7a iVm 7 AVRAG einen gleichen Anspruch des Klägers vorsehe (ON 56, Seite 2). Die darauf beruhende Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich der Kläger nicht nur auf die Anwendbarkeit italienischen Rechts iSd Art 6 EVÜ berufen, sondern auch ein hinreichend deutliches Vorbringen zur Anwendbarkeit einer italienischen Eingriffsnorm iSd Art 7 EVÜ erstattet hat, ist nach den dafür maßgeblichen Umständen des Einzelfalls (RIS Justiz RS0042828; RS0113563) keineswegs unvertretbar.
3. Die Anfechtung eines berufungsgerichtlichen Beschlusses iSd §
519 Abs 1 Z 2 ZPO ist nur dann möglich, wenn der Rechtsmittelwerber bei Zulassung des Rekurses durch das Berufungsgericht die unrichtige Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage geltend macht. Nur dann muss die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts in jeder Richtung überprüft und auch die in der Rekursbeantwortung vorgebrachten rechtlichen Argumente beachtet werden (RIS Justiz RS0048272). Wird aber wie im Anlassfall von der Rekurswerberin eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht geltend gemacht, so muss der Rekurs zurückgewiesen werden (§ 526 Abs 2 ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Für die Revisionsbeantwortung gebührt der ERV Zuschlag gemäß § 23a RATG lediglich in Höhe von 1,80 EUR (RIS Justiz RS0126594).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00081.15Z.0729.000