OGH vom 24.06.2020, 10ObS58/20g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 8/20p-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 37/19k-15, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht stellte im Zeitraum von Februar 2011 bis November 2018 genau spezifizierte 63 Schwerarbeitsmonate fest und wies das Mehrbegehren auf Festellung weiterer Monate als Schwerarbeitsmonate ab. Nach seinen Feststellungen leistete der Kläger nur in jedem der genannten 63 Monate an jeweils zumindest 15 Tagen eine Nettoarbeitszeit von 8 Stunden und 42 Minuten. Erst bei dieser Arbeitszeit wurden 2.000 Arbeitskilokalorien verbraucht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und stellte auf Basis seiner Tatsachenfeststellungen (insbesondere über die in konkret genannten Monaten geleistete Nettoarbeitszeit) weitere spezifizierte Monate als Schwerarbeitsmonate fest (insgesamt 91). Es ließ die Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof noch nicht ausdrücklich klargestellt habe, ob – ungeachtet der in der Praxis oft bestehenden, zu Lasten der versicherten Person gehenden Beweisschwierigkeiten bei der Feststellung der Arbeitsbelastung – gemäß § 247 ASVG stets konkret genannte Monate als Schwerarbeitsmonate festzustellen seien.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig.
1. Die dem Obersten Gerichtshof gestellte Rechtsfrage ist durch den eindeutigen Inhalt der – hier relevanten – gesetzlichen Bestimmungen im Sinn der Entscheidung des Berufungsgerichts bereits beantwortet, wie jüngst zu 10 ObS 154/19y klargestellt wurde.
2.1 Gegenstand des mit der 35. Novelle zum ASVG, BGBl 1980/585, eingeführten Verfahrens gemäß § 247 ASVG ist die Feststellung von Versicherungszeiten (§ 247 Abs 1 ASVG), seit dem SVÄG 2006, BGBl I 2006/130, auch die Feststellung von Schwerarbeitszeiten (§ 247 Abs 2 ASVG).
2.2 Versicherungszeiten sind gemäß § 231 ASVG ua zur Feststellung der Leistungen aus der Pensionsversicherung in Versicherungsmonate zusammenzufassen. Die zeitliche Lage von Versicherungstagen kann für die Bildung von Versicherungsmonaten entscheidend sein. Die Regelungen des ASVG über die Bildung von Versicherungszeiten sind auch für das APG maßgeblich (10 ObS 154/19y mwN).
2.3 Allgemeine Voraussetzung der Leistungs-ansprüche in der Pensionsversicherung (§ 222 Abs 1 und 2 ASVG) ist gemäß § 235 ASVG in der Regel die Erfüllung der Wartezeit. Die Erfüllung der Wartezeit hängt – abgesehen von den Fällen der „ewigen Anwartschaft“ (§ 236 Abs 4 ASVG) – nicht nur vom Erwerb einer gewissen Anzahl von Versicherungsmonaten ab (§ 236 Abs 1 ASVG). Diese Versicherungsmonate müssen darüber hinaus auch in bestimmten Zeiträumen liegen (§ 236 Abs 2 ASVG).
2.4 Für die Erfüllung der Voraussetzungen zum Erwerb einer Schwerarbeitspension müssen mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) liegen (§ 4 Abs 3 Z 1 APG;§ 607 Abs 14 ASVG).
2.5 § 4 SchwerarbeitsVO definiert als Schwerarbeitsmonat jeden Kalendermonat, in dem eine oder mehrere Tätigkeiten nach § 1 Abs 1 dieser Verordnung zumindest in jenem Ausmaß ausgeübt wurden, das einen Versicherungsmonat iSd § 231 Z 1 lit a ASVG begründet. Nach dieser Bestimmung ist – soweit hier
relevant – jeder Kalendermonat, in dem mindestens Versicherungszeiten in der Dauer von 15 Tagen liegen, ein Versicherungsmonat.
2.6 Das Verfahren gemäß § 247 ASVG verfolgt den Zweck, dem Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, welche Zeiten der Prüfung eines Pensionsanspruchs zugrunde zu legen sind. Es soll ihm eine Grundlage für die Entscheidung geben, ob er einen Pensionsantrag stellt und ob dieser bei einer geforderten Mindestzahl von Zeiten für eine bestimmte Pensionsleistung sinnvoll ist, oder ob er weiter im Arbeitsleben bleibt, um weitere Zeiten zu erwerben. Eine ausreichende Entscheidungsgrundlage besteht nur dann, wenn nicht nur die Zahl der erworbenen Versicherungsmonate, sondern auch deren genaue zeitliche Lage festgestellt wird. Die Feststellung der Versicherungszeiten und Schwerarbeitszeiten nach § 247 ASVG – als „vorgezogener Teil“ eines Leistungsverfahrens (RIS-Justiz RS0084976) – muss die in Monate zusammengefassten Versicherungszeiten sowie deren zeitliche Lage erfassen (10 ObS 154/19y).
2.7 Nach § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV liegt körperliche Schwerarbeit vor, wenn bei einer achtstündigen Arbeitszeit von Männern mindestens 2.000 Arbeitskilokalorien und von Frauen mindestens 1.400 Arbeitskilokalorien verbraucht werden. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung der Energieumsatz des gesamten Arbeitstages. Dabei ist die tatsächliche Arbeitszeit zu berücksichtigen. Der Versicherte kann (ua) nachweisen, bei einer längeren täglichen Arbeitszeit den geforderten Mindestverbrauch erreicht zu haben (10 ObS 95/14i SSV-NF 28/52; 10 ObS 89/18p mwN).
2.8 Nach diesen klaren Vorgaben muss im Verfahren nach § 247 Abs 2 ASVG (auch) tatsächlich festgestellt werden, in welchen Kalendermonaten eine versicherte Person die Voraussetzungen für die Leistung von Schwerarbeit iSd § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV erfüllt hat, was der Oberste Gerichtshof in seiner Rechtsprechung auch regelmäßig fordert (10 ObS 89/18p; 10 ObS 23/16d SSV-NF 30/30; 10 ObS 95/14i SSV-NF 28/52). Im hier vorliegenden Fall des § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV muss die versicherte Person nachweisen, die geforderte Mindestanzahl von Arbeitskilokalorien zumindest an jeweils 15 Tagen des Kalendermonats verbraucht zu haben. Dieser Beweis ist dem Kläger nach den – den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen der Vorinstanzen nicht für alle, seinem Begehren zugrunde gelegten Monate gelungen.
3. Dass das Erstgericht § 273 ZPO im Zusammenhang mit der Feststellung über geleistete Schwerarbeit (angeblich) zu Unrecht nicht angewendet hat, hätte der Kläger bereits in der Berufung als mangelhaft rügen müssen (RS0040282). Ein in zweiter Instanz nicht gerügter Verfahrensmangel der ersten Instanz ist nicht revisibel (RS0043111).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00058.20G.0624.000 |
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