OGH vom 18.11.2019, 8Ob92/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache betreffend C***** S*****, vertreten durch Dr. Oliver Kühnl, Rechtsanwalt in Innsbruck, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 54 R 5/19k-119, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Betroffene befand sich in den letzten Jahren wiederholt in – auch stationärer – psychiatrischer Behandlung. Erstmals regte die Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie im Jänner 2004 die Bestellung eines Sachwalters an. Dieses Bestellungsverfahren wurde nach Durchführung der Erstanhörung am mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Erstgerichts vom selben Tag mit der wesentlichen Begründung eingestellt, die Betroffene scheine in der Lage, die wesentlichen Angelegenheiten ihres Lebens ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen und selbst zu erkennen, wann sie Hilfe durch eine dritte Person benötige, in welchem Fall sie sich an ihre Mutter oder ihre Schwester wende; zudem mangle es an von einem Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten.
Im August 2007 regte die Stadt Innsbruck die Bestellung eines Sachwalters an. Dieses Verfahren wurde nach Bestellung einer psychiatrischen Sachverständigen und eines Verfahrenssachwalters mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Erstgerichts vom im Wesentlichen mit der selben Begründung wie im Jahr 2005 eingestellt.
Am regte nunmehr die Universitätsklinik für Psychiatrie abermals die Bestellung eines – nach der nunmehrigen Terminologie des 2. ErwSchG – gerichtlichen Erwachsenenvertreters an. Dabei wurde mitgeteilt, dass die Betroffene an einer schizoaffektiven Störung leide, zahlreiche stationäre Aufenthalte gehabt habe und aktuell wieder stationär aufgenommen worden sei. Als Angelegenheiten, die die Betroffene selbst nicht erledigen könne, wurde „Wohnungsangelegenheit, Wohnortklärung und -bestimmung, Finanzen, Vertretung bei Behörden, Ämtern, Gerichten“ angegeben.
Das Erstgericht beauftragte mit Beschluss vom den Erwachsenenschutzverein VertretungsNetz mit der – im Beschluss näher umschriebenen – Abklärung im Sinne des § 4a ErwSchVG.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betroffenen hiergegen keine Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass auf Grund der Anregung der Universitätsklinik für Psychiatrie, der Eigeninteressen nicht zu unterstellen seien, und unter Bedachtnahme auf den sonstigen Akteninhalt, aus dem sich schon mehrfach eingeleitete Sachwalterschaftsverfahren in der Vergangenheit ergäben, konkrete und begründete Anhaltspunkte im Sinne des § 117a AußStrG vorlägen, die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters durch weitere Verfahrensschritte abzuklären. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die Betroffene zeigt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
1. Auch nach der Rechtslage nach dem mit in Kraft getretenen 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl I 2017/59 (2. ErwSchG), ist kein formeller Beschluss auf Einleitung des Verfahrens nach den § 116a ff AußStrG vorgesehen. Das Verfahren ist ab dem Moment eingeleitet, in dem das Gericht irgendeine Handlung vornimmt. Wie bisher ist der erste „Beschluss“ des Gerichts, der seinen Willen unzweifelhaft erkennen lässt, die Voraussetzungen der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für eine Person im in § 116a ff AußStrG geregelten Verfahren zu prüfen, als Beschluss auf Verfahrenseinleitung anzusehen. Ein solcher Beschluss kann auch ein solcher sein, mit dem das Gericht – wie hier – gemäß § 117a Abs 1 AußStrG zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Betroffenen den örtlich zuständigen Erwachsenenschutzverein beauftragt, eine Abklärung im Sinne des § 4a ErwSchVG durchzuführen (4 Ob 215/18y = EF-Z 2019/75 [Schweighofer] mwN).
2. Der Beschluss auf Einleitung eines Verfahrens über die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters ist vom Rekursgericht aufgrund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen (RS0006801 [T6, T 8]). Daraus, dass sie vor dem erstinstanzlichen Einleitungsbeschluss noch kein rechtliches Gehör hatte oder dass ihr die Verständigung nach § 117a Abs 2 AußStrG von der Befassung des Erwachsenenschutzvereins nicht zukam, kann die Betroffene gegen den Einleitungsbeschluss nichts ableiten. Ebenso kann die Betroffene gegen den Einleitungsbeschluss nicht einwenden, sie habe „zwei selbstständig gewählte Vertreter“. Solches war dem Erstgericht zur Zeit der Beauftragung des Erwachsenenschutzvereins mit der Abklärung im Sinne des § 4a ErwSchVG nicht bekannt. Der Akteninhalt enthielt zwar Hinweise auf familiäre Unterstützung, die aber nur bis zum Jahr 2010 reichten, weshalb eine Abklärung jedenfalls nicht unnötig war.
3. Es würde dem Zweck des eingeleiteten oder fortgesetzten Überprüfungsverfahrens widersprechen, wenn schon zu Beginn konkrete Feststellungen über die – nunmehr in § 271 ABGB statuierten – Voraussetzungen für die Bestellung eines – nach der nunmehrigen Terminologie – gerichtlichen Erwachsenenvertreters verlangt würden. Allerdings bedarf es – wie auch bisher (3 Ob 55/13d [Pkt 3.3] mwH) – wenigstens eines Mindestmaßes an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lässt. Auch nach dem neuen Recht müssen also schon für die Einleitung des Verfahrens begründete und konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Wahrung der Belange des Betroffenen vorliegen. Die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein und haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen (9 Ob 89/18f mwN [Pkt 5]). Das Gericht hat auch weiterhin zu beachten, von wem der Hinweis kommt (RS0008526 [T3]). So ist etwa Vorsicht angebracht, wenn ein Prozessgegner die gerichtliche Erwachsenenvertretung beantragt (vgl 4 Ob 215/18y: Erbrechtsstreit). Die Frage des Vorliegens konkreter und begründeter Anhaltspunkte ist eine typische Einzelfallbeurteilung, die nur bei einer groben Fehlbeurteilung des Rekursgerichts eine erhebliche Rechtsfrage begründen kann (7 Ob 192/18p [Pkt 3] mwN; 2 Ob 135/18v [Pkt 2]).
Im vorliegenden Fall stammt die Anregung von einer Universitätsklinik für Psychiatrie, also einer – wie bereits vom Rekursgericht zutreffend erkannt – mangels Eigeninteressen unbefangenen und zur Beurteilung von psychischen Krankheiten oder vergleichbaren Beeinträchtigungen qualifizierten Einrichtung. Dass die Anregung von einer Sozialarbeiterin namens der Universitätsklinik gefertigt wurde, ändert hieran nichts; es ist davon auszugehen, dass die Diagnose „schizoaffektive Störung“ in der Krankengeschichte der Universitätsklinik Deckung findet. Den in der Anregung als regelungsbedürftig angegebenen Angelegenheiten kann ein Mindestmaß an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat auch angesichts dessen, dass die Betroffene nach der Mitteilung (neuerlich) stationär aufgenommen wurde, nicht abgesprochen werden. Die Bejahung des Vorliegens konkreter und begründeter Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters im Sinne des § 117a Abs 1 Satz 1 AußStrG durch die Vorinstanzen hält sich jedenfalls im Rahmen des Beurteilungsspielraums. Die Betroffene ist im Übrigen wie bereits in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom , 8 Ob 68/04i, ON 21, welche in dem aufgrund der Anregung vom Jänner 2004 eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung erging, darauf hinzuweisen, dass allgemein gültige Ausführungen, unter welchen Umständen Anhaltspunkte im Sinne des (nunmehr) § 117a Abs 1 Satz 1 AußStrG gegeben sind, nicht möglich sind.
4. Ein allfälliger Begründungsmangel erster Instanz ist jedenfalls geheilt, weil das Rekursgericht die Begründung – im Sinn ihrer Überprüfbarkeit – ausreichend ergänzte (6 Ob 115/16d [Pkt 2] mwH).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00092.19S.1118.000 |
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