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OGH vom 17.10.2002, 8ObS203/02i

OGH vom 17.10.2002, 8ObS203/02i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wilhelm Koutny und Dr. Anton Wladar als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef H***** jun, Elektriker, *****, vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen 22.866,53 EUR sA an Insolvenz-Ausfallgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 52/02g-17, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cgs 103/01f-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der seit 1983 bei Adolf P***** als Elektriker beschäftigte Kläger stand mit seinem Arbeitgeber, dem späteren Gemeinschuldner in keinem verwandtschaftlichem oder sonstigem Naheverhältnis. Es kam immer wieder zu Zahlungsschwierigkeiten bei den Löhnen des Klägers, jedoch auch zu Nachzahlungen. Der Kläger urgierte auch immer wieder die fälligen Gehälter und wurde vom Arbeitgeber vertröstet. Zuletzt hafteten noch die Löhne des Klägers für die Monate Jänner bis April 1996, April, Mai und Juli 1997, Februar bis April und Juli bis September 1998 sowie Juli 1999 bis Dezember 1999 und April 2000 bis August 2000 aus. Die Lohnzahlungen für Mai und Juni 1999 erhielt der Kläger im Februar 2000, jene für Jänner bis März 2000 im August 2000 aufgrund eines Schreibens vom in dem er den vorzeitigen Austritt androhte. Diesen erklärte er dann auch wegen der weiter offenen Lohnrückstände am .

Am wurde über das Vermögen seines früheren Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet.

Seinen Antrag auf Gewährung von Insolvenzausfallgeld in Höhe von insgesamt S 314.650 für die offenen Löhne von März bis August 2000, die Kündigungsentschädigung bis , die Abfertigung und die Urlaubsentschädigung wies die Beklagte mit Bescheid vom im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass es sich um ein "atypisches" Arbeitsverhältnis handle, was indiziere, dass der Kläger beabsichtigt habe, das Finanzierungsrisiko auf den IESG-Fonds zu überwälzen. Mit seiner Klage machte der Kläger nun diesen Anspruch auf Insolvenzausfallgeld geltend. Es sei keine Absicht einer sittenwidrigen Überwälzung des Finanzierungsrisikos indiziert. Der Kläger habe nach Urgenzen immer wieder Nachzahlungen erhalten. Die Auftragslage sei durchaus ausreichend gewesen. Der Kläger habe immer Arbeit gehabt. Er habe daher mit der Bezahlung seiner Löhne rechnen können und darauf zuletzt auch massiv gedrängt. Jedenfalls die beendigungsabhängigen Ansprüche müssten gesichert sein. Seine Forderungen seien anerkannt worden. Es habe sich nur um Liquiditätsprobleme des späteren Gemeinschuldners gehandelt. Dessen Zahlungsmoral habe sich auch immer wieder gebessert. Teilweise sei der Gehaltsrückstand sogar abgebaut worden. Die Zahlungen seien auf die früheren Schulden angerechnet worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein wie in ihrem abweisenden Bescheid. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer hätte nicht solche Gehaltsrückstände akzeptiert.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es begründete dies rechtlich zusammengefasst damit, dass ein normaler Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nicht aufrechterhalten, sondern vorzeitig aufgelöst hätte. Ein Zuwarten von mehr als 6 Monaten könne keinesfalls toleriert werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Ein unbeteiligter Arbeitnehmer wäre vorzeitig ausgetreten. Der Kläger habe infolge des Umfanges der Rückstände - die teilweise bereits verjährt seien - gar nicht mehr mit deren Bezahlung rechnen können. Sein Verhalten indiziere zumindest den bedingten Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision im Hinblick auf die Frage, inwieweit bei zwischenzeitigen Zahlungen ein bedingter Vorsatz zur Überwälzung des Finanzierungsrisikos zu erschließen sei und wegen der zu 8 ObS 249/00a aufgeworfenen europarechtlichen Bedenken für zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Klägers ist aus dem ersten vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne des subsidiär gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt. Einleitend ist darauf zu verweisen, dass infolge Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor dem (§ 17a Abs 23 IESG) die Novelle des § 3a IESG durch BGBl I 142/2000 hier noch nicht anzuwenden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Überwälzung des

Finanzierungsrisikos für die Arbeitslöhne auf den

Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds, wenn dem Arbeitnehmer bewusst sein muss,

dass er die Gegenleistung für seine Arbeit nicht vom Arbeitgeber,

sondern vom Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bekommen könnte und er

deshalb weiter arbeitet, unzulässig und sittenwidrig (vgl zuletzt

etwa mwN = 8 ObS 183/01x mwN = OGH 8

ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117). Ausreichend

dafür ist schon der bedingte Vorsatz, also dass dem Handelnden die

Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den

Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds bewusst ist und er sich mit dem verpönten

Erfolg zumindest abfindet (OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl

2001/91 = ZIK 2001/117 mwN). Dann, wenn ein Arbeitnehmer trotz

längerer Nichtzahlung des Lohnes im Unternehmen tätig bleibt und

nicht versucht, sein Entgelt ernstlich einbringlich zu machen,

indiziert dies in der Regel, dass er beabsichtigt - oder zumindest in

Kauf nimmt - in der Folge seine offenen Lohnansprüche gegen den

Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds geltend zu machen (vgl zuletzt etwa OGH

, 8 ObS 109/02s mwN = 8 ObS 183/01 mwN = OGH 8 ObS 206/00b

= RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 uva).

Inwieweit aus dem langen Stehenlassen der Entgelte der zumindest

bedingte Vorsatz der Verlagerung des Finanzierungsrisikos geschlossen

werden kann, ist im Rahmen des "Fremdvergleiches" zu beurteilen, ob

also auch ein "unbeteiligter Arbeitnehmer im Unternehmen verblieben

wäre (vgl etwa mwN = 8 ObS 183/01x mwN

= OGH 8 ObS 206/00b = RdW 2001/462 = Wbl 2001/91 = ZIK 2001/117 mwN =

DRdA 1999/51, 375; 8 ObS 56/00v = Wbl 2000/216; 8 ObS 153/00h; 8 ObS

4/00x; 8 ObS 5/00v; 8 ObS 58/00p mwN ua Wbl 1999, 174). Der Fremdvergleich hat dabei sämtliche objektiven Anhaltspunkte heranzuziehen. Im Sinne dieser Judikatur ist auch auf die objektiv gegen diesen Vorsatz sprechenden Argumente Bedacht zu nehmen (vgl ; ; ).

Im Rahmen des Fremdvergleiches ist nun anzunehmen, dass für den durchschnittlichen Arbeitnehmer durch die Unregelmäßigkeit der Zahlungen wohl ersichtlich wird, dass sich der Arbeitgeber in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet. Andererseits müssen diese gerade bei lange dauernden Arbeitsverhältnisse, bei denen es auch immer wieder zu Nachzahlungen kommt, dem Arbeitnehmer nicht als so drastisch erscheinen, dass er befürchten muss, in Zukunft sein Entgelt nicht vom Arbeitgeber zu erhalten. Für die Annahme des verpönten Vorsatzes der Überwälzung des Finanzierungsrisikos - der Aufrechterhaltung des Arbeitverhältnisses wegen der Erwartung der Zahlung durch den IESG-Fonds - ist aber vor allem entscheidend, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer regelmäßig auf sein Einkommen angewiesen sein und bei einem unbegründeten längeren Zahlungsverzug bei der Ersichtlichkeit wirtschaftlicher Schwierigkeiten nur dann im Arbeitsverhältnis verbleiben wird, wenn er mit der Begleichung seiner Entgelte durch einen Dritten (IESG-Fonds) rechnet. Dies wird aber umso weniger anzunehmen sein, als dem Arbeitnehmer im wesentlichen regelmäßig Entgeltzahlungen - sei es auch für frühere Lohnperioden - geleistet werden und dies auch seiner langjährigen Erfahrung im Betrieb entspricht. Je länger ein Arbeitnehmer bereits bei einem bestimmten Arbeitgeber beschäftigt war und im wesentlichen regelmäßig sein Entgelt erhalten hat, desto weniger ist davon auszugehen, dass ein bedingter Vorsatz zur Risikoüberwälzung auf den Fonds für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich war, weil auch ein typischer Arbeitnehmer dann wenn er regelmäßig Entgeltzahlungen erhält und es sogar teilweise zu einem Abbau der Rückstände kommt in einem für ihn vertretbaren Ausmaß Betriebstreue zeigt (; mwN). Ausgangspunkt für die Beurteilung ist der jeweilige konkrete Einzelfall, auch in seiner konkreten zeitlichen Lagerung und ob sich ausgehend von diesem Zeitpunkt ein Vorsatz auf Übertragung des Finanzierungsrisikos ermitteln lässt.

Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer gerade in dieser letzten Zeit regelmäßig faktisch Entgeltzahlungen erhalten hat. Dabei kommet es nicht darauf an, ob diese Entgeltzahlungen für frühere Lohnperioden erfolgten.

Die Feststellungen dazu sind hier nun nicht eindeutig. Ersichtlich ist, dass der Kläger unter anderem die Löhne für Juli 1999 bis August 2000 vorweg nicht bezahlt erhielt und dass er im Februar 2000 die rückständigen Löhne für Mai und Juni 1999 und im August dann die rückständigen Löhne für Jänner bis März 2000 erhielt. Nicht klar ersichtlich ist aus diesen Feststellungen, welche Zahlungen jedoch tatsächlich, sei es auch für frühere Lohnperioden erfolgten. Es wird daher im fortgesetzten Verfahren noch zu erörtern und festzustellen sein, ob und wann seit Mai 1999 tatsächlich Lohnzahlungen - sei es auch für frühere Lohnperioden - erfolgten. Daher waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG iVm § 52 Abs 2 ZPO.