OGH 22.11.2007, 8ObS20/07k
Rechtssatz
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | |
RS0122930 | § 1 Abs 3 Z 3a IESG schließt in seiner Gesamtheit in seinem eigentlichen Anwendungsbereich einen Doppelbezug an Insolvenz-Ausfallgeld nicht absolut aus. Vielmehr lässt er einen solchen Doppelbezug für den Fall, dass der Masseverwalter (Arbeitgeber) das laufende Entgelt nicht zahlen kann, ausdrücklich zu, allerdings nur für die Zeit bis zum arbeitsrechtlich frühestmöglichen Austritt des Arbeitnehmers. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Thomas P*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei IAF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 1.197 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 38/07y-9, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 25 Cgs 4/06a-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 1.197,00 zu zahlen."
Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 300,10 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 50,02 Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis zum bei der A***** I***** GmbH beschäftigt, über deren Vermögen am der Konkurs eröffnet wurde. Das Arbeitsverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO. Der Kläger begehrte für die aus diesem Arbeitsverhältnis unberichtigt aushaftenden Ansprüche Insolvenz-Ausfallgeld. Diesem Antrag wurde von der Beklagten teilweise stattgegeben. Für den Zeitraum vom bis wurde dem Kläger aus dem Titel Kündigungsentschädigung Insolvenz-Ausfallgeld von EUR 10.338 zuerkannt.
Vom bis zum war der Kläger bei der A***** C***** GmbH als Angestellter beschäftigt, über deren Vermögen am der Konkurs eröffnet wurde. Dieses Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung. Der Kläger meldete aus diesem Arbeitsverhältnis Ansprüche von EUR 1.640,10 brutto (EUR 1.193 netto zuzüglich Zinsen von EUR 4) im Konkurs des Arbeitgebers an und beantragte bei der Beklagten abermals Insolvenz-Ausfallgeld. Die für den Zeitraum vom bis im Konkurs des ersten Arbeitgebers ausgezahlten Bruttobeträge bzw die daraus resultierenden Nettobeträge sind gleich hoch bzw höher, als der nunmehr vom Kläger für diesen Zeitraum aus dem zweiten Arbeitsverhältnis begehrte Betrag von EUR 1.193 netto (siehe die detaillierte Aufstellung S 2 des Berufungsurteils). Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld aufgrund der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des zweiten Arbeitgebers zur Gänze ab. Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger Insolvenz-Ausfallgeld von EUR 1.197 netto. Die unbedingte Kündigungsentschädigung aus dem Arbeitsverhältnis zum ersten Arbeitgeber könne nicht auf die laufenden Ansprüche aus dem zweiten Arbeitsverhältnis angerechnet werden. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs 3 Z 3a IESG werde das laufende Entgelt nicht allgemein durch den Anspruch auf Kündigungsentschädigung für einen deckungsgleichen Zeitraum ausgeschlossen, sondern nur betreffend eine sogenannte bedingte Kündigungsentschädigung. Zudem seien Urlaubsersatzleistung und Sonderzahlungen nicht laufendes Entgelt.
Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Im Sinn der Entscheidung 8 ObS 289/98b habe der Kläger keinen Anspruch, für ein und den selben Zeitraum zweimal Insolvenz-Ausfallgeld zu beziehen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Ganz allgemein bestünden Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld für den identen Zeitraum nur einmal. Es bestehe eine Konkurrenz sowohl zwischen Ansprüchen auf laufendes Entgelt und Kündigungsentschädigung als auch zwischen zwei Ansprüchen auf Kündigungsentschädigung. Der für den selben Zeitraum geltend gemachte höhere Anspruch schließe den niedrigeren aus. Das IESG solle soziale Härtefälle abdecken, nicht aber einem Arbeitnehmer Doppelzahlungen gewähren. Angesichts der Zahlung der (höheren) Ansprüche aus dem ersten Arbeitsverhältnis bestehe daher für Zahlungen aus Anlass des zweiten Arbeitsverhältnisses keine Möglichkeit mehr. Sonderzahlungen seien zu den laufenden Entgeltansprüchen zu zählen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.
Das Erstgericht sei mit seiner Rechtsauffassung der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt. Dieser wende - mit Billigung der Lehre - § 1 Abs 3 Z 3a IESG auf vergleichbare Fälle analog an, um auf diese Weise dem Zweck des IESG widersprechende Doppelbezüge zu vermeiden. Ein Arbeitnehmer könne daher nicht für den selben Zeitraum Kündigungsentschädigung nach einem Austritt und laufendes Gehalt aus einem weiteren Arbeitsverhältnis vom IAG-Fonds erhalten. Der für den selben Zeitraum geltend gemachte höhere Anspruch schließe den niedrigeren aus. Auch die Urlaubsersatzleistung sei in diese Überlegungen einzubeziehen. Auch diese könne für einen identen Zeitraum nur einmal gesichert werden.
Dass diese Auslegung des Gesetzes nicht mit der InsolvenzRL in Einklang stehe, treffe nicht zu. Dem nationalen Gesetzgeber stehe es nach der RL frei, Höchstgrenzen für die von der Garantieeinrichtung zu leistenden Zahlungen festzusetzen. Eine in diesem Sinn zulässige Begrenzung stelle es auch dar, wenn die nationale Rechtslage Doppelbezüge für ein und den selben Zeitraum ausschließe. Auf den Umstand, dass für beide Arbeitsverhältnisse des Klägers Beiträge zum IAG-Fonds geleistet worden seien, könne sich der Kläger nicht berufen, zumal diese Beiträge der Arbeitgeber geleistet habe. Die Revision sei zuzulassen, weil zur Frage der Sicherung des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung für einen identen Zeitraum keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Nach der durch das IRÄG 1994 eingefügten Bestimmung des § 1 Abs 3 Z 3a IESG gebührt kein Insolvenz-Ausfallgeld „für Ansprüche auf laufendes Entgelt, wenn für denselben Zeitraum Anspruch auf Kündigungsentschädigung nach Z 3 besteht, es sei denn, dass im Konkurs die Konkursmasse, ansonsten der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, das laufende Entgelt zum Teil oder zur Gänze dem Anspruchsberechtigten zu zahlen, höchstens jedoch bis zum Zeitpunkt des arbeitsrechtlich frühestmöglichen Austritts wegen Vorenthaltung des gebührenden Entgelts".
Den Vorinstanzen ist beizupflichten, dass der Oberste Gerichtshof in 8 ObS 289/98b aus dieser Bestimmung bzw aus dem aus ihr hervorleuchtenden Zweck auf den allgemeinen Grundsatz geschlossen hat, dass Doppelleistungen an Insolvenz-Ausfallgeld für idente Zeiträume zu vermeiden seien. Er erachtete daher im damals zu beurteilenden Fall, in dem das Zusammentreffen von Ansprüchen aus Kündigungsentschädigung aus zwei aufeinander folgenden Arbeitsverhältnissen zu beurteilen war, § 1 Abs 3 Z 3a IESG als analog anwendbar und schloss daraus, dass dem damaligen Kläger nur eine - nämlich die höhere - Kündigungsentschädigung zuzusprechen sei. In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 8 ObS 25/05t hat der Oberste Gerichtshof zu dieser Frage nicht Stellung genommen, sondern lediglich ausgeführt, dass im damals zu beurteilenden Fall keine der zitierten Vorentscheidung vergleichbare Konstellation zu beurteilen sei.
Liebeg (IESG³ § 1 Rz 502) billigt die vom Obersten Gerichtshof zu 8 ObS 289/98b vertretene Rechtsauffassung, weist aber darauf hin, dass sie - da nach Art 3 Abs 1 der InsolvenzRL nF unter die Garantie auch nach dem innerstaatlichen Recht bestehende Ansprüche auf Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses fallen - dann als überholt anzusehen sei, wenn man Ansprüche auf Kündigungsentschädigung als derartige Abfindungsansprüche qualifiziere.
Gahleithner (ZellKomm, § 1 IESG Rz 64) verweist zwar auf den Zweck des § 1 Abs 3 lit a IESG, Doppelbezüge zu vermeiden, setzt sich aber mit der Frage der analogen Anwendung der zitierten Bestimmung auf darin nicht genannte Fälle nicht auseinander. Auch Holzner/Reissner (Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz4 182 f) befassen sich mit dieser Frage nicht.
Aus den Erläuterungen zur RV zum IRÄG 1994 wird deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der in Rede stehenden Bestimmung den Fall vor Augen hatte, dass ein „zB ... nach § 25 KO" ausgetretener Arbeitnehmer, der in der Folge einen nach IESG gesicherten Anspruch auf Kündigungsentschädigung erwirbt, vom Masseverwalter sofort wieder eingestellt wird und aus diesem „neuen" Arbeitsverhältnis Anspruch auf laufendes Entgelt hat. „Zur Vermeidung eines derartigen Doppelbezuges" soll der Arbeitnehmer für denselben Zeitraum Insolvenz-Ausfallgeld für laufendes Entgelt aus diesem neuen Arbeitsverhältnis dann nicht erhalten, wenn er Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld für Kündigungsentschädigung aus dem alten Arbeitsverhältnis hat. „Ist allerdings" - so die ErläutRV in Anlehnung an den Gesetzestext weiter - „im Konkurs der Masseverwalter, ansonsten der Arbeitgeber nachweislich nicht in der Lage, das laufende Entgelt zu zahlen, besteht Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld im Ausmaß der nicht erhaltenen Zahlung höchstens bis zum arbeitsrechtlich frühestmöglichen Austritt des Arbeitnehmers".
Der Revisionswerber weist zu Recht darauf hin, dass § 1 Abs 3 Z 3a IESG in seiner Gesamtheit in seinem eigentlichen Anwendungsbereich einen Doppelbezug an Insolvenz-Ausfallgeld nicht absolut ausschließt. Vielmehr lässt er einen solchen Doppelbezug für den Fall, dass der Masseverwalter (Arbeitgeber) das laufende Entgelt nicht zahlen kann, ausdrücklich zu, allerdings nur für die Zeit bis zum arbeitsrechtlich frühestmöglichen Austritt des Arbeitnehmers.
Dem Revisionswerber ist zuzubilligen, dass sich die Entscheidung 8 ObS 289/98b mit der zuletzt erörterten Einschränkung der Ausschlussbestimmung des § 1 Abs 3 Z 3a IESG nicht auseinandersetzt. Den Konsequenzen dieses Umstandes auf die dort vertretene Rechtsauffassung über die Notwendigkeit und den möglichen Umfang einer analogen Anwendung der genannten Bestimmung auf nach ihrem Wortlaut nicht erfasste Fälle (insbesondere auf den Fall des Zusammentreffens zweier Ansprüche auf Kündigungsentschädigung) braucht aber hier nicht nachgegangen zu werden, weil der hier zu beurteilende Fall im eigentlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs 3 Z 3a IESG liegt. Hier geht es um die Frage, ob die vom Kläger bereits bezogene Kündigungsentschädigung aus dem ersten Arbeitsverhältnis den Anspruch auf laufendes Entgelt aus dem zweiten Arbeitsverhältnis ausschließt. Dies ist aber nach § 1 Abs 3 Z 3a IESG dann nicht der Fall, wenn der Masseverwalter bzw Arbeitgeber nicht in der Lage ist, das laufende Entgelt zum Teil oder zur Gänze zu zahlen, wobei der dem Arbeitnehmer unter dieser Voraussetzung zustehende Anspruch auf die Zeit bis zum arbeitsrechtlich frühestmöglichen Austritt wegen Vorenthaltung des Entgelts beschränkt ist. Der Kläger macht in diesem Zusammenhang zu Recht geltend, dass hier das zweite Arbeitsverhältnis überhaupt nur neun Tage gedauert hat und noch vor Erreichen der Fälligkeit des ersten Monatsbezugs - und damit vor dem frühestmöglichen Austrittszeitpunkt - durch einvernehmliche Auflösung beendet wurde. Dass der Arbeitgeber, über dessen Vermögen wenige Tage später der Konkurs eröffnet wurde, zur Zahlung der Entgeltansprüche des Klägers nicht in der Lage war, ist nicht strittig. Nach § 1 Abs 3 Z 3a IESG steht daher dem Kläger für das bis zur Beendigung des zweiten Arbeitsverhältnisses verdiente laufende Entgelt Insolvenz-Ausfallgeld zu, zu dem auch die vom Kläger geltend gemachte Urlaubsersatzleistung zu zählen ist.
Die Höhe des Anspruchs des Klägers ist zwischen den Parteien nicht strittig.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher iS der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG iVm § 2 Abs 1 ASGG und §§ 41, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet | Zivilrecht |
Schlagworte | Kennung XPUBL Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in DRdA 2008,272 = ARD 5891/8/2008 = RdW 2008/741 S 798 - RdW 2008,798 = infas 2008,94/A41 - infas 2008 A41 = SSV-NF 21/77 XPUBLEND |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2007:008OBS00020.07K.1122.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAE-09923