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OGH vom 19.12.2001, 9ObA297/01v

OGH vom 19.12.2001, 9ObA297/01v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Anton R*****, Fahrverkäufer, ***** vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei A***** Tischlerei GmbH, ***** vertreten durch Dr. Dieter Zaponig, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 151.530,54 sA, über die Revision (Revisionsinteresse S 94.871,16) der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 131/01s-33, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Feber 2001, GZ 35 Cga 112/99g-27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie über das die Abfertigung betreffende Klagebegehren auf Zuspruch von S 94.871,16 brutto sA befinden, aufgehoben.

Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war in der Zeit vom bis bei der beklagten Partei als Tischler beschäftigt; sein Bruttomonatslohn betrug zuletzt S 19.155. Das Arbeitsverhältnis endete durch vorzeitigen Austritt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger den Zuspruch von S 94.871,16 brutto sA an Abfertigung (vier Monatsentgelte) sowie Urlaubsentschädigung für 43 Arbeitstage in der Höhe von S 56.659,38 brutto sA. Er sei gemäß § 82a lit a GewO 1859 berechtigt vorzeitig ausgetreten, weil die Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit einer massiven Schädigung der Gesundheit (Atemwegserkrankung) verbunden gewesen wäre. Diese gesundheitliche Beeinträchtigung werde durch Holzstaub hervorgerufen; es sei ihm nicht zumutbar, seiner Arbeit unter ständigem Medikamenteneinfluss nachzugehen oder den Eintritt einer gesundheitlichen Beeinträchtigung abzuwarten. Die beklagte Partei habe ihm keinen Ersatzarbeitsplatz angeboten. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Beim Kläger liege keine Gesundheitsgefährdung vor, welche eine sofortige Aufgabe der Tätigkeit erfordert hätte. Die Einhaltung der Kündigungsfrist sei ihm jedenfalls zumutbar gewesen. Die bei Bedarf einzunehmenden Nasentropfen hätten keine Nebenwirkungen oder Schädigungen hervorgerufen. Der Kläger habe nur einen Grund gesucht, um das Arbeitsverhältnis ohne Verlust des Abfertigungsanspruches beenden zu können. Es stünden ihm daher die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Die beklagte Partei bestritt den Abfertigungsanspruch insbesondere auch der Höhe nach, weil nicht nachvollziehbar sei, wie der Kläger von einem Bruttomonatslohn in Höhe von S 19.155 auf den begehrten Abfertigungsbetrag komme. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Der am geborene Kläger absolvierte im Betrieb der beklagten Partei seine Tischlerlehre, legte die Lehrabschlussprüfung ab und arbeitete danach bis zu seinem vorzeitigen Austritt noch ca neun Jahre als Tischler. Wenngleich er nebenbei Außendienste versah und auch mit Computerzeichnungen (CAD) vertretungsweise beschäftigt war, übte er bis zuletzt seinen Beruf als Tischler in der Werkstätte aus. Bereits während seiner Lehrzeit musste der Kläger feststellen, dass er ständig verschnupft war, Husten hatte und die Nasenatmung stets durch eine verstopfte Nase behindert war. Er suchte wegen dieser Beschwerden erstmals im Jahre 1995 einen Lungenfacharzt auf. Dabei zeigte sich ein hyperreagibles Bronchialsystem. Wegen Weiterbestandes dieser Beschwerden suchte der Kläger am neuerlich die Ordination eines Lungenfacharztes auf. Dabei wurde wieder ein hyperreagibles Bronchialsystem sowie eine allergene Rhinitis diagostiziert. Bei einer später durchgeführten Testung konnte allerdings eine Inhalationsallergie nicht eindeutig festgestellt werden. Beim Kläger zeigt sich nach wie vor eine bronchiale Hyperreagibilität sowie eine chronische Sinusitis. Die Staubexposition während der Tischlerarbeiten führte immer wieder zu akuten entzündlichen Erscheinungen im Bereich der Nase und der Nebenhöhlen. Wenngleich der Kläger nunmehr normale Lungenfunktionswerte und eine normale Sauerstoffsättigung aufweist, sodass bei Provokation mit gemischtem Holzstaub eine nur mäßige und somit nicht signifikante Verschlechterung des Atemflusses gegeben war, welche durch entsprechenden medikamentösen Schutz zu verhindern gewesen wäre, herrscht dennoch eine hohe Bereitschaft zu unspezifischer Irritation der Nasenschleimhaut durch Holzstaubreizung. Eine echte allergische Reaktion ist zwar auszuschließen; bei Fortsetzung der Tätigkeit als Tischler ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung der Gesundheit des Klägers zu erwarten. Es wäre ihm somit die Fortsetzung der Arbeit als Tischler auf längere Zeit nicht zumutbar. Innerhalb eines Jahres wäre noch keine Gesundheitsbeeinträchtigung beim Kläger zu erwarten gewesen. Er hätte aber ein Jahr nach seinem Austritt jedenfalls seinen Beruf wechseln müssen, um Schädigungen an seiner Gesundheit hintanzuhalten.

Das Erstgericht erachtete den Austritt des Klägers gemäß § 82a lit a GewO 1859 für berechtigt und sprach ihm daher die begehrte Abfertigung zu.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil mit Teilurteil dahin ab, dass es das auf Abfertigung gerichtete Klagebegehren abwies. Hinsichtlich der Urlaubsentschädigung hob es das Urteil auf. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass für den Kläger die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Tischler zwar auf längere Sicht unzumutbar sei, eine gesundheitliche Beeinträchtigung jedoch innerhalb eines Jahres noch nicht zu erwarten gewesen wäre. Es fehle somit am Erfordernis der bereits gegenwärtigen Bedrohung der Gesundheit. Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wäre ihm jedenfalls bis zum Ablauf der kollektivvertraglichen Kündigungsfrist (sechs Wochen) zumutbar gewesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, dass diesbezüglich die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben. Die Revision ist im Rahmen eines in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsbegehrens berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 82a lit a GewO 1859 darf ein Arbeitnehmer die Arbeit vor

Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne Kündigung verlassen, wenn er

die Arbeit ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit nicht

fortsetzen kann. Hiebei genügt es, dass durch die Fortsetzung der

Arbeit ein gesundheitlicher Schaden befürchtet werden muss (Wachter

in RdA 1984, 250, 251 ff; Arb 9376 = ZAS 1976, 180 [Marhold]; Arb

10.144; SZ 60/134; 8 ObA 278/98k; 9 ObA 113/99d = ecolex 2000, 60

[Mazal] = ARD 5090/5/00 = INFAS 2000, 7 = DRdA 2000, 321 [Mosler]

ua). Die Gesundheitsgefährdung muss nicht allein durch die Arbeitsleistung verursacht sein, sondern auch die Verschlechterung eines anlagebedingten oder auf andere Ursachen zurückzuführenden Leidens durch die Arbeitsleistung berechtigt den Arbeitnehmer zum Austritt (ARD 4548/14/94). Wesentlich ist, dass die Bedrohung der Gesundheit des Arbeitnehmers schon im Zeitpunkt der Austrittserklärung besteht; die bloße Befürchtung, eine solche Bedrohung könnte in Zukunft eintreten, reicht hingegen nicht aus (ZAS 1976/20).

Das Berufungsgericht schließt insbesondere aus der Feststellung, dass der Kläger innerhalb eines Jahres noch keine Gesundheitsbeeinträchtigung zu erwarten habe, darauf, dass dies die bloße Befürchtung einer zukünftigen Bedrohung sein könnte, weshalb der Austrittsgrund des § 82a lit a GewO 1859 nicht anzunehmen sei.

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

Ist bei Fortsetzen der Arbeit eine langsam, aber stetig fortschreitende Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu erwarten, dann ist der Arbeitnehmer berechtigt, das Dienstverhältnis gemäß § 82a lit a GewO 1859 mit sofortiger Wirkung zu beenden, ohne erst den Ablauf einer sechswöchigen Kündigungsfrist abwarten zu

müssen (RIS-Justiz RS0028749, insbesondere 4 Ob 41/75 = ZAS 1976, 180

[Marold] = Arb 9376). Die vom Berufungsgericht zur Begründung

herangezogene Feststellung kann demnach nicht losgelöst von den weiteren Feststellungen gesehen werden, wonach bei Fortsetzung der Tätigkeit als Tischler mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung der Gesundheit des Klägers zu erwarten war und er deshalb ein Jahr nach seinem Austritt jedenfalls seinen Beruf hätte wechseln müssen, um Schädigungen an seiner Gesundheit hintanzuhalten. Aus dem Verfahren ergibt sich, dass damit keineswegs ein punktueller Schadenseintritt gemeint sein kann. Vielmehr ist unzweifelhaft, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei Fortsetzung seiner bisherigen Arbeit als Tischler stetig so weit verschlechtert hätte, bis eine Gesundheitsschädigung eingetreten wäre. Damit war aber die Bedrohung durchaus eine aktuelle, lediglich der Eintritt der Schädigung selbst lag in der Zukunft. Es war somit dem Kläger wie jedem anderen Arbeitnehmer an seiner Stelle nicht zumutbar, sei es auch nur für die Dauer einer Kündigungsfrist (4 Ob 71/75), die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und das Auftreten ständiger entzündlicher Reaktionen so lange hinzunehmen, bis die dadurch hervorgerufene Schädigung des Gesundheitszustandes gleichsam greifbar würde.

Daraus folgt, dass der Austritt des Klägers im Sinne des § 82a lit a GewO 1859 berechtigt erfolgte. Dennoch erweist sich die Rechtssache auch im Umfang des Abfertigungsanspruches als noch nicht spruchreif. Die Höhe des Abfertigungsbegehrens wurde von der beklagten Partei ausdrücklich bestritten, wobei zutreffend darauf verwiesen wurde, dass sich diese nicht ohne weiteres aus dem unstrittigen Bruttomonatsentgelt errechnen lässt. Es wird daher Sache des Erstgerichtes sein, im fortgesetzten Verfahren die klagende Partei zu einer entsprechenden Konkretisierung dieses Teiles des Klagebegehrens anzuleiten und Feststellungen zu treffen, welche die Abfertigungssumme nachvollziehbar machen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.