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OGH vom 25.11.2004, 8ObS20/04f

OGH vom 25.11.2004, 8ObS20/04f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner und Günther Degold als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Melitta Z*****, vertreten durch Dr. Helmut Hoberger, Rechtsanwalt in Perchtoldsdorf, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle Eisenstadt, 7000 Eisenstadt, Neusiedler Straße 10, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen EUR 9.396,-- an Insolvenzausfallgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Rs 40/04z-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 41/03s-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 665,66 (darin enthalten EUR 110,94 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab Juli 1988 in der Firma ihres Bruders als Angestellte im Bereich der Büroarbeiten, des Einkaufs, der Lieferung und Lohnverrechnung tätig, hatte besten Einblicke in die Geschäfts- und Finanzgebarung und informierte den Bruder regelmäßig über die Finanzlage der Firma. Im Jahr 2000 kam es zu Zahlungsverzögerungen bei ihrem Entgelt und schließlich erhielt die Klägerin ab Jänner 2001 im Hinblick auf die prekäre wirtschaftliche Lage des Unternehmens überhaupt keine Entgeltzahlungen mehr. Sie gewährte ihrem Bruder auch noch Geldbeträge für einen Hausbau. Als im Jahr 2001 dann zwei Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis wegen der Zahlungsrückstände beendeten übernahm sie deren Tätigkeiten. Im Jahr 2002 zerschlug sich dann die Hoffnung auf größere Zahlungen eines Auftragnehmers und die Klägerin beendete im Hinblick auf die ihr nunmehr sichere vorzeitige Alterspension ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum . Es war ihr auch bewusst gewesen, dass sie nur schwer einen anderen Arbeitsplatz finden würde. Ein anderer Arbeitnehmer hätte bereits im September 2001 sein Arbeitsverhältnis beendet. Mit Beschluss vom wurde dann das Konkursverfahren über das Vermögen ihres früheren Arbeitgebers eröffnet. Die Funktion des Insolvenzausfallgeldfonds war der Klägerin bekannt.

Die Klägerin begehrt nunmehr die Zuerkennung Insolvenzausfallgeld für ihren Abfertigungsanspruch (einschließlich Zinsen) in Höhe von EUR 9.396,24 netto. Sie stützte sich im Wesentlichen darauf, dass allein aus dem Umstand, dass sie ihre offenen Geldansprüche einige Zeit habe stehen lassen, ein auch nur bedingter Vorsatz zum Missbrauch des Insolvenzausfallgeldfonds nicht erschlossen werden könne. Auf Grund ihres Alters wäre es ihr gar nicht mehr möglich gewesen, eine neue Arbeitsstelle zu bekommen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass sich aus dem längeren Stehenlassen der offenen Entgeltansprüche, der Einsicht der Klägerin in die finanzielle Situation des Arbeitgebers und die familiäre Nahebeziehung doch ableiten lasse, dass sie zumindest den bedingten Vorsatz gehabt habe, ihr Entgelt nicht vom Arbeitgeber, sondern vom Insolvenzausfallgeldfond zu erhalten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging im Wesentlichen rechtlich davon aus, dass allein die subjektive Erwartung der Klägerin, dass sich die Geschäftslage bessern werde, nicht ausschlaggebend sei, sondern die objektiv heranzuziehenden Faktoren. Anhand dieser sei aber anzunehmen, dass die Klägerin auf Grund ihrer genauen Kenntnisse und den Einblick in die Wirtschaftslage des Unternehmens sowie das Naheverhältnis zum Arbeitgeber und auch Informationen über den Insolvenzausfallgeldfond doch zumindest einen bedingten Missbrauchsvorsatz gehabt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Es legte dabei rechtlich zugrunde, dass nach der durch das BGBl I 142/2000 geschaffenen Rechtslage der Anspruch auf Insolvenzausfallgeld für offene Entgelte ohnehin nur auf die letzten sechs Monate eingeschränkt sei. Der Oberste Gerichtshof habe ausgehend davon dargestellt, dass damit die Frage des Stehenlassens von Entgelten und das in diesem Zusammenhang bestehende Finanzierungsrisiko einer sehr weitgehenden Regelung zugeführt worden sei und daher aus der zeitlichen Komponente des Stehenlassens ein bedingter Vorsatz des Missbrauchs der Sicherungseinrichtung nicht mehr erschlossen werden könne. Dieser könne sich nur aus konkreten Umständen ergeben. Hier falle zwar die genaue Kenntnis der finanziellen Lage des Dienstgebers und das Naheverhältnis zu diesem ins Gewicht, jedoch sei auch zu berücksichtigen, dass das Dienstverhältnis der Klägerin schon lange aufrecht gewesen sei und daher auch nicht von einem bewussten missbräuchlichen Zusammenwirken mit dem Dienstgeber ausgegangen werden könne. Die europarechtlichen Fragestellungen seien hier nicht relevant, da die Abfertigung nach der anzuwendenden Insolvenzrichtlinie 80/987 EWG nicht gesichert sei.

Die Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, da zur Frage des Fremdvergleiches nach der Novelle BGBl I 142/2000 eine Abklärung durch die Judikatur noch nicht umfassend vorgenommen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht dargestellten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg ist im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichtes schon klarzustellen, dass von der hier noch maßgeblichen Insolvenzrichtlinie 80/987/EWG die Abfertigung nicht erfasst ist. Erst durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom wurden auch die Beendigungsansprüche erfasst. Diese ist erst bis umzusetzen (vgl dazu insgesamt auch ; zur mangelnden Erfassung der Abfertigung auch RIS-Justiz RS0118564 mwN ).

Weiters voranzustellen ist, dass nach der Übergangsbestimmung des § 17a Abs 23 IESG bereits § 3 Abs 2 und 3a Abs 1 IESG idF der Nov BGBl I 142/2000 anzuwenden ist, weil der Beschluss über die Konkurseröffnung nach dem gefasst wurde.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt dargestellt, dass nach dieser nunmehr geltenden Rechtslage die Sicherung auf die in den letzten sechs Monaten vor Klagseinbringung entstandenen Entgeltansprüche eingeschränkt ist und im Hinblick auf diese Erfassung und ausdrückliche Bewertung des Problems des "Stehenlassens" des laufenden Entgelts durch den Gesetzgeber regelmäßig allein aus der zeitlichen Komponente des "Stehenlassens" von Entgeltansprüchen nicht darauf geschlossen werden kann, dass der Arbeitnehmer missbräuchlich das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeld-Fond überwälzen wolle (vgl dazu etwa OGH 8 ObS 254/01p, 8 ObS 195/02p und 8 ObS 206/02f). Allerdings wurde auch im Anwendungsbereich dieser Bestimmungen davon ausgegangen, dass im Einzelfall dann, wenn zu dem "Stehenlassen" der Entgeltansprüche weitere Umstände hinzutreten, die konkret auf den Vorsatz des Arbeitnehmers schließen lassen, hier das Finanzierungsrisiko auf den Insolvenzausfallgeldfonds zu überwälzen, trotzdem die Geltendmachung eines Anspruches auf Insolvenzausfallgeld missbräuchlich sein kann (vgl dazu etwa 8 ObS 195/02p).

Hier liegen nun durchaus solche Umstände vor, weil die Klägerin nicht nur einen ganz klaren Einblick in die wirtschaftliche Situation des Betriebes hatte, sondern auch noch in einem familiären Naheverhältnis zum Arbeitgeber stand. Dem ist aber gegenüberzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis seit einem längeren Zeitraum aufrecht war, sie knapp vor der Pension stand und doch noch die - wenngleich möglicherweise vage - Hoffnung auf ein wirtschaftliches Wiederaufleben bestand. Gerade im Hinblick auf die bereits erhebliche Dauer ihres Arbeitsverhältnisses ist schon wegen der erheblichen Kündigungsfristen davon auszugehen, dass bis zur tatsächlichen Beendigung bzw bei der Berechnung der Ansprüche auf Kündigungsentschädigung auf Grundlage eines berechtigten vorzeitigen Austrittes ohnehin auch noch ein erheblicher Zeitraum verstrichen wäre. Zieht man ins Kalkül, dass hier eine Beendigung zum Ende März erfolgte und Anhaltspunkte für die Vereinbarung von zusätzlichen Kündigungsterminen nicht vorliegen, wäre bei einer so lang beschäftigten Angestellten bei einem Austritt nach Ende September 2001 ohnehin ein Anspruch auf Kündigungsentschädigung bis zum anzunehmen gewesen (vgl dazu § 20 Abs 2 AngG). Ausgehend davon, kann aber der Nachweis eines Vorsatzes hinsichtlich einer missbräuchlichen Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenzausfallgeldfond nicht angenommen werden.

Der Revision der Beklagten war dementsprechend nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.