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VfGH vom 17.06.1981, B104/79

VfGH vom 17.06.1981, B104/79

Sammlungsnummer

9141

Leitsatz

Tir. Fremdenverkehrsgesetz; keine Bedenken gegen § 35 Abs 2 und 3; Zuständigkeit des Landesgesetzgebers, das Amt der Landesregierung im Einzelfall mit behördlichen Aufgaben zu betrauen; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Rechtsverletzungsmöglichkeit durch die Weigerung der Behörde, von Amts wegen die Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer betreibt ein Taxiunternehmen in Kitzbühel.

Mit Schreiben vom ersuchte der Beschwerdeführer das Amt der Tir. Landesregierung, fünf von diesem Amt erlassene Bescheide zu "berichtigen", mit welchen dem Beschwerdeführer Beiträge nach dem Tir. Fremdenverkehrsgesetz für die Kalenderjahre 1972, 1973, 1974, 1975 und 1976 vorgeschrieben worden waren. Der Beschwerdeführer begründete sein Ersuchen damit, daß nahezu der gesamte Ausflugsverkehr seines Unternehmens außerhalb des Landes Tirol stattfinde und von den Erlösen aus dem Taxigeschäft 15% außertirolisches Gebiet beträfen; diese Umsätze seien daher "auszuscheiden".

Mit Bescheid des Amtes der Tir. Landesregierung vom wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens keine Folge gegeben. In der Begründung des Bescheides führte die Behörde aus, den Bescheiden der Abgabenbehörde lägen keine Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten zugrunde, weshalb § 216 der Tir. Landesabgabenordnung, LGBl. 7/1963, in der Fassung der Nov. LGBl. 21/1973 (in Hinkunft: TLAO) nicht anwendbar wäre. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 224 Abs 1 TLAO seien ebenfalls nicht gegeben.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung räumte der Beschwerdeführer ein, daß die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 224 Abs 1 und 2 TLAO nicht gegeben seien, meinte aber, die Behörde hätte das Verfahren gemäß § 224 Abs 3 TLAO von Amts wegen wiederaufzunehmen.

Mit Bescheid vom hat die Berufungskommission nach § 35 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides wird zunächst darauf hingewiesen, daß die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag einer Partei gemäß § 224 Abs 1 und 2 TLAO nicht gegeben seien und des weiteren festgestellt, daß der Partei ein Anspruch auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zustehe; schließlich wird noch ausgeführt, aus welchen Gründen nach Auffassung der Berufungsbehörde die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht in Betracht kommt.

2. Gegen den Bescheid der Berufungskommission richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie weiters Verfassungswidrigkeit des angewendeten Gesetzes geltend macht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Der Beschwerdeführer hält § 35 Abs 2 und 3 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes für verfassungswidrig. Er leitet dies daraus ab, daß erste Instanz im Abgabenverfahren nach dem Fremdenverkehrsgesetz das Amt der Landesregierung ist. Die Ämter der Landesregierungen seien aber keine mit selbständiger Entscheidungsgewalt ausgestatteten Behörden, sondern Hilfsorgane der Landesregierung und des Landeshauptmannes (Hinweis auf einschlägige Literatur). Wenn nun in erster Instanz die Landesregierung (durch ihren Hilfsapparat) eingeschritten sei, so sei in Landesangelegenheiten die Schaffung einer zweiten Instanz unzulässig. Der Gesetzgeber könne nicht eine beim Amt der Landesregierung einzurichtende Berufungskommission als zweite Instanz gegen die Entscheidung der ersten Instanz, nämlich des Amtes der Landesregierung (= die Landesregierung), installieren. Da die Berufungskommission nicht weisungsfrei gestellt sei, ergebe sich eine Weisungsberechtigung der ersten Instanz gegenüber der zweiten Instanz.

Der Beschwerdeführer räumt zwar ein, daß ihm das Erk. VfSlg. 3681/1960 bekannt sei, in welchem der VfGH festgestellt hat, daß keine Identität des Amtes der Landesregierung als erste Instanz mit der Landesregierung als zweite Instanz vorliege; der Beschwerdeführer meint jedoch unter Hinweis auf einschlägige Literaturzitate, daß dieses Erk. "zum Teil überholt" sei. Der Beschwerdeführer übersieht hiebei, daß der VfGH im Erk. VfSlg. 5978/1969 ungeachtet einer in der Literatur vertretenen anderen Auffassung (Koja, Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer Wien-New York 1967, S 328 ff.) seine im Erk. VfSlg. 3681/1960 angestellten Erwägungen ausdrücklich aufrechterhalten und daran festgehalten hat, durch das BVG vom , BGBl. 289, betreffend Grundsätze für die Einrichtung und Geschäftsführung der Ämter der Landesregierungen außer Wien, sei keineswegs bestimmt worden, daß die Ämter der Landesregierungen ausschließlich die Geschäfte der Landesregierung als des obersten Vollzugsorgans des Landes und des Landeshauptmannes als des höchsten Organs der mittelbaren Bundesverwaltung im Lande besorgen dürften. Da es auch durch keine sonstige Verfassungsbestimmung ausgeschlossen sei, das Amt der Landesregierung im Einzelfall mit behördlichen Aufgaben zu betrauen, sei die Landesgesetzgebung zuständig, das zu tun. Der Landeshauptmann sei in einem solchen Falle lediglich Vorstand dieser Behörde; er sei nicht selbst Behörde.

Auch in der nach dem Erk. VfSlg. 5978/1969 veröffentlichten Literatur, auf welche sich der Beschwerdeführer bezieht (Zluwa, Über die Qualität des Amtes der Landesregierung als Behörde, JBl. 1972, S 178 ff. und S 252 ff.), sind keine Argumente enthalten, die den VfGH dazu bewegen könnten, seine Ansicht zu ändern.

Der VfGH hat seine Auffassung im Erk. VfSlg. 8555/1979 neuerlich bekräftigt. Er sieht keine Veranlassung, nunmehr davon abzurücken.

b) Der Beschwerdeführer wendet "gegen die Verfassungskonformität der belangten Behörde" auch ein, daß sie nach § 35 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes aus 4 Personen besteht und mit einfacher Stimmenmehrheit entscheidet. Werde keine Einstimmigkeit erzielt, so sei eine Stimmenmehrheit nur bei einem Stimmenverhältnis von 3:1 gegeben. Für den durchaus denkbaren Fall der Stimmengleichheit (2:2) treffe das Fremdenverkehrsgesetz keine Vorsorge. Da dem Vorsitzenden kein Dirimierungsrecht zustehe, könne es durchaus zu einer Stimmengleichheit und somit zu einem "Entscheidungshindernis" kommen.

Selbst wenn man diesen Überlegungen des Beschwerdeführers folgt, ergibt sich daraus noch keineswegs eine Verfassungswidrigkeit der Regelung. Auch wenn eine Regelung in der praktischen Anwendung zu Schwierigkeiten führen könnte, ist sie deshalb noch keineswegs verfassungswidrig. Im übrigen führt auch der Beschwerdeführer keine konkrete Verfassungsbestimmung an, gegen welche § 35 Abs 2 des Tir. Fremdenverkehrsgesetzes in diesem Zusammenhang verstoßen sollte.

c) Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Normen treffen somit nicht zu.

2. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachtet sich der Beschwerdeführer deshalb verletzt, weil die Namen der Mitglieder der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht angeführt sind. Es werde ihm dadurch die Möglichkeit genommen, die gesetzmäßige Zusammensetzung der belangten Behörde zu prüfen.

Zu diesem Vorbringen genügt der Hinweis, daß nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 8904/1980 und die dort zitierte Vorjudikatur) das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter - von hier nicht in Betracht kommenden Fällen abgesehen - nicht verletzt wird, wenn die Zusammensetzung einer Kollegialbehörde von der Partei aus dem Bescheid nicht entnommen werden kann.

3. Zu der Behauptung des Beschwerdeführers, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden zu sein, wird auf die ständige Rechtsprechung des VfGH hingewiesen, wonach durch einen Bescheid, mit dem ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens abgewiesen wurde, in das Eigentum nicht eingegriffen wird, weil einem solchen Bescheid nur verfahrensrechtliche Wirkung zukommt (vgl. VfSlg. 8740/1980 - diesem Erk. lag ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO zugrunde - und die dort angeführte Vorjudikatur).

4. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die amtswegige Wiederaufnahme ist weiters folgendes zu bemerken:

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. zB , Z 2015/74 und Z 1070/77) kann die Partei des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens durch die Weigerung der Behörde, von Amts wegen die Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen, in ihren Rechten oder rechtlich geschützten Interessen nicht verletzt werden; sie ist mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit daher auch nicht berechtigt, einen solchen Bescheid vor dem VwGH anzufechten. Das letztgenannte dieser Erk. betrifft den die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens regelnden Abs 4 des § 303 BAO, welcher mit § 224 Abs 3 TLAO wortgleich ist.

Auch der VfGH geht von dieser Auffassung aus. Das bedeutet, daß auf das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nicht eingegangen werden kann.

5. Der Beschwerdeführer behauptet schließlich, die belangte Behörde habe sich überhaupt nicht mit der Frage befaßt, ob die Voraussetzungen für eine Nachsicht wegen Unbilligkeit der Einhebung der Beiträge gemäß § 183 Abs 1 und 2 TLAO gegeben sind. In dem Gesuch vom , die Bescheide "zu berichtigen", wäre jedenfalls auch ein Gesuch iS des § 183 TLAO enthalten gewesen. Wenn anstelle des Wortes "nachsehen" das Wort "berichtigen" mit der erkennbaren Absicht einer entsprechenden Herabsetzung verwendet werde, so schade dies nicht, umso mehr als es sich um bereits entrichtete Beitragsschuldigkeiten gehandelt habe, wobei das Übermaß zu refundieren gewesen wäre. Die Behörde habe es unterlassen, auf diese Fragen einzugehen, darin sei ein derart schwerer Verstoß gegen Verfahrensgesetze zu erblicken, daß der angefochtene Bescheid mit Verfassungswidrigkeit belastet sei.

Auch diese Behauptungen des Beschwerdeführers treffen nicht zu. Die Behörde erster Instanz hat das Gesuch des Beschwerdeführers zurecht als Wiederaufnahmsantrag gewertet, weil der Beschwerdeführer durch die Verwendung des Wortes "berichtigen" selbst zum Ausdruck gebracht hat, daß die fünf Bescheide unrichtig seien. Eine Nachsicht kommt aber schon begrifflich nur dann in Betracht, wenn eine Verpflichtung zurecht besteht. Auch im Berufungsantrag gegen den erstinstanzlichen Bescheid wurde ausdrücklich begehrt, das Verfahren "zu den Bescheiden 1972 - 1976 wiederaufzunehmen und die Bescheide gemäß den Erklärungen zu berichtigen".

6. Die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte haben somit nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist.

Die Beschwerde ist daher abzuweisen.