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OGH vom 27.09.2016, 8Ob90/16t

OGH vom 27.09.2016, 8Ob90/16t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der 1. mj V*****, geboren am *****, 2. mj L*****, geboren am *****, beide vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, 1200 Wien, Dresdner Straße 43, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Vaters R*****, vertreten durch Mag. Georg Mitteregger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 58/16m 75, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 6 Pu 69/09b 64, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht den Antrag des Vaters, seine Unterhaltspflicht gegenüber den mj Kindern V***** und L***** auf je 70 EUR monatlich herabzusetzen, abgewiesen und ihn verpflichtet, ab bis auf weiteres einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 109 EUR für die mj V***** und ab bis auf weiteres monatlich 270 EUR für den mj L***** zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters zu leisten.

Der 1976 geborene Vater hat eine Kfz Mechanikerlehre abgeschlossen und war zuletzt überwiegend als Buslenker beschäftigt. Seit 2011 ist er arbeitslos. Das Erstgericht ging bei der Bemessung der festgesetzten Unterhaltsbeträge davon aus, dass der Vater bei pflichtgemäß intensiv betriebener Arbeitsplatzsuche ein monatliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 1.500 EUR erzielen könnte. Auf dieses Einkommen sei er anzuspannen.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs des Vaters keine Folge, erklärte aber den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich für zulässig, weil der Vater die Anwendbarkeit des Anspannungsgrundsatzes und damit eine Rechtsfrage thematisiert habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.

1. Der Vater erachtet das erstinstanzliche Verfahren für mangelhaft, weil er nicht angehalten worden sei, sein Vorbringen zu erbrachten Naturalunterhaltsleistungen an die mj V***** zu präzisieren. Die Feststellungen über seine Verdienstmöglichkeiten seien Ergebnis eines mangelhaften Sachverständigengutachtens, weil die zahlreichen Bewerbungsunterlagen des Vaters nicht darin berücksichtigt worden seien. Der unvertretene Vater sei nicht über seine Möglichkeiten, das berufskundliche Gutachten zu bekämpfen, belehrt worden; allenfalls wäre von Amts wegen ein weiteres Gutachten einzuholen gewesen.

Sorgt das Gericht im Pflegschaftsverfahren nicht von Amts wegen für eine vollständige Sachaufklärung oder verletzt es seine Manuduktionspflicht gegenüber unvertretenen Parteien, stellt dies einen wesentlichen Verfahrensmangel dar ( Rechberger in Rechberger , AußStrG § 14 Rz 1; RIS Justiz RS0037095 [T15]). Die im Revisionsrekurs behaupteten Verfahrensfehler des Erstgerichts wurden aber im Rekurs nicht geltend gemacht; dies kann in dritter Instanz nicht nachgeholt werden (RIS Justiz RS0043111 [T18 und T 22]; RS0074223 [T1]; zu Verfahrensmängeln im Allgemeinen: RS0099145).

Zur Klarstellung ist festzuhalten, dass die Revisionsausführungen auch im Akteninhalt nicht gedeckt sind, weil der Sachverständige die ihm übergebenen, im Akt als Beilagen liegenden Bewerbungsunterlagen des Vaters entgegen den Rechtsmittelausführungen berücksichtigt und kommentiert hat (Gutachten S 7 unten). Welche rechtliche Bedeutung die behaupteten gelegentlichen Geldaushilfen an die Tochter oder der Umstand, dass der Vater sie fallweise mit Essen versorgt hat, auf die Festsetzung des Geldunterhalts haben sollten, vermag der Revisionsrekurs nicht darzulegen.

2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass der Unterhaltspflichtige alle Kräfte anzuspannen hat, um seiner Verpflichtung zur angemessenen Unterhaltsleistung nachkommen zu können. Er muss alle seine persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, so gut wie möglich einsetzen und seine Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens ausschöpfen (RIS Justiz RS0047686 [T1, T 4]). Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielen könnte (RIS Justiz RS0047686).

Ob der Anspannungsgrundsatz anwendbar ist, richtet sich jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls (6 Ob 2319/96i) und begründet – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall einer krassen Fehlbeurteilung – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG.

Richtig ist, dass die Anspannung nicht zu einer bloßen Fiktion führen darf und es nicht nur konkreter Feststellungen bedarf, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage erzielen könnte (vgl 1 Ob 223/98w). Zum anderen müssen auch ausreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die es erlauben, dem Vater ein Außerachtlassen des pflichtgemäßen Verhaltens anzulasten. Dabei gilt, dass der Unterhaltsschuldner darzutun hat, dass und wie er seine Verpflichtungen, nach Kräften zum Unterhalt beizutragen, nachgekommen ist (RIS Justiz RS0047536).

Im vorliegenden Verfahren hat der Vater zwar ein ungeordnetes, teilweise undatiertes Konvolut von E Mail Korrespondenz über seine Arbeitssuche vorgelegt, die vom Sachverständigen aber als zu wenig intensiv (insbesondere ausgehend von einer täglichen, auch persönlichen Suche im zeitlichen Ausmaß einer Arbeitsverpflichtung) und zu einseitig (da fast ausschließlich auf Kraftfahrertätigkeiten bezogen) beurteilt wurde. Gründe, die ihn an einer intensiveren, persönlichen und breiter angelegten Arbeitssuche gehindert hätten, hat der Vater nicht vorgebracht.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0080OB00090.16T.0927.000