OGH vom 27.03.2002, 9ObA293/01f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tzt. Ulrike Zimmerl und Franz Gansch als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1.) Konrad E*****, Pensionist, ***** 2.) Max P*****, Pensionist, ***** beide vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** F***** S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht und Mag. Werner Piplits, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.) EUR 36.159,46 (=ATS
497.565) brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 14.534,57 = ATS
200.000) und 2.) EUR 73.972,43 (= ATS 1,017.882,82 ) brutto sA und Feststellung (Streitwert EUR 14.534,57 = ATS 200.000 [Gesamtstreitwert der verbundenen Arbeitsrechtssachen EUR 139.201,02 = ATS 1,915.447,82]), über den Parteiberichtigungsantrag und die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 266/01f-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 7 Cga 175/99a, 14 Cga 212/99v-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
1.) Beschluss:
Die Bezeichnung der beklagten Partei wird gemäß § 235 Abs 5 ZPO auf „A*****GmbH - *****" richtiggestellt.
2.) Urteil:
Der Revision wird teilweise hinsichtlich des Zinsenbegehrens Folge gegeben, sodass die Urteile der Vorinstanzen einschließlich des bestätigten Teils zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig,
A) dem Erstkläger Konrad E***** EUR 36.159,46 (= ATS 497.565) brutto samt 4 % Zinsen aus
EUR 803,54 vom bis
EUR 1.607,09 vom bis
EUR 2.410,63 vom bis
EUR 4.017,72 vom bis
EUR 4.821,26 vom bis
EUR 5.624,81 vom bis
EUR 6.428,35 vom bis
EUR 7.231,89 vom bis
EUR 8.035,44 vom bis
EUR 9.642,52 vom bis
EUR 10.446,01 vom bis
EUR 11.249,61 vom bis
EUR 12.053,15 vom bis
EUR 12.856,70 vom bis
EUR 13.660,24 vom bis
EUR 15.267,33 vom bis
EUR 16.070,87 vom bis
EUR 16.874,41 vom bis
EUR 17.677,96 vom bis
EUR 18.481,50 vom bis
EUR 19.285,05 vom bis
EUR 20.892,13 vom bis
EUR 21.695,68 vom bis
EUR 22.499,22 vom bis
EUR 23.302,76 vom bis
EUR 24.106,31 vom bis
EUR 24.909.85 vom bis
EUR 26.516,94 vom bis
EUR 27.320,48 vom bis
EUR 28.124,02 vom bis
EUR 28.927,57 vom bis
EUR 29.731,11 vom bis
EUR 30.534,65 vom bis
EUR 32.141,74 vom bis
EUR 32.945,29 vom bis
EUR 33.748,83 vom bis
EUR 34.552,37 vom bis
EUR 35.355,92 vom bis
und aus
EUR 36.159,46 seit
B) dem Zweitkläger Max P***** EUR 73.972,43 samt 4 % Zinsen aus EUR 1.946,64 vom bis
EUR 3.839,29 vom bis
EUR 7.786,57 vom bis
EUR 9.733,21 vom bis
EUR 11.679,86 vom bis
EUR 13.626,50 vom bis
EUR 15.573,14 vom bis
EUR 17.519,79 vom bis
EUR 19.466,43 vom bis
EUR 23.359,72 vom bis
EUR 25.306,36 vom bis
EUR 27.252,35 vom bis
EUR 29.199,64 vom bis
EUR 31.146,29 vom bis
EUR 35.039,57 vom bis
EUR 36.986,22 vom bis
EUR 38.932,86 vom bis
EUR 40.879,50 vom bis
EUR 42.826,14 vom bis
EUR 44.772,79 vom bis
EUR 46.719,43 vom bis
EUR 50.612,72 vom bis
EUR 52.559,36 vom bis
EUR 54.506 vom bis
EUR 56.452,64 vom bis
EUR 58.399,29 vom bis
EUR 62.292,57 vom bis
EUR 64.239,22 vom bis
EUR 66.185,86 vom bis
EUR 68.132,50 vom bis
EUR 70.079,14 vom bis
EUR 72.025,79 vom bis
und aus
EUR 73.972,43 seit
binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, dem Erstkläger die mit EUR 5.528,71 (darin EUR 837,20 USt und EUR 505,51 Barauslagen) sowie dem Zweitkläger die mit EUR 8.016,66 (darin EUR 1.461,42 USt und EUR 992,28 Barauslagen) anteilig bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, sowie dem Erstkläger die mit EUR 1.130,11 (darin EUR 188,35 USt) und dem Zweitkläger die mit EUR 1.974,60 (darin EUR 329,10 USt) anteilig bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei den klagenden Parteien die Betriebspension auf Grund der Betriebsvereinbarung vom weiterhin zu leisten hat.
Hingegen wird das Zinsenmehrbegehren beider Kläger von 4,5 % p.a. aus den oben genannten Kapitalsbeträgen entsprechend den oben genannten Zinsstaffeln abgewiesen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig,
dem Erstkläger die mit EUR 813,63 (= ATS 11.195,80; darin EUR 135,61
= ATS 1.865,97 USt) und
dem Zweitkläger die mit EUR 1.461,62 (= ATS 19.561,87; darin EUR
236,04 = ATS 3.260,31 USt) anteilig bestimmten Kosten des
Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
1.) Zur Parteienberichtigung:
Die Spaltung der beklagten Partei wirkt ipso iure als Gesamtrechtsnachfolge (§§ 1, 14 SpaltG), sodass gemäß § 235 Abs 5 ZPO vorzugehen war.
2.) Zur Revision:
Bereits am war zwischen der Geschäftsführung der beklagten Partei (- im Folgenden verkürzt als „Gesellschaft" bezeichnet -) und dem Betriebsrat eine (per rückwirkend in Kraft tretende) Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung - im Folgenden BV 1978 genannt - abgeschlossen worden, in welcher es unter anderem heißt:
„...Präambel: Die Gesellschaft wird für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung sowie für das Sterbegeld zu Gunsten ihrer Dienstnehmer laufend Zuwendungen nach den folgenden Richtlinien gewähren:
... 2. Grundsätzliche Bestimmungen:
a) Ein Rechtsanspruch auf die Leistung von laufenden Zuwendungen besteht nicht. Das ist den Leistungsempfängern jeweils gesondert zur Kenntnis zu bringen.
...4.
...d) Der Aufsichtsrat wird unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft fallweise prüfen, ob wegen der geänderten Umstände die Höhe der laufenden Zuwendungen eine Veränderung erfahren soll. Ob eine Erhaltung im Wert der Zuwendung möglich ist, hängt von der jeweiligen finanziellen Lage der Gesellschaft ab. ..."
Nach längeren Vorgesprächen wurde am zwischen dem Betriebsausschuss und der Gesellschaft eine neue Betriebsvereinbarung - im folgenden BV 1994 genannt - abgeschlossen. Diese weist die gleiche Gliederung wie die BV 1978 auf. Die Präambel lautet:
„Vereinbarung über die Gewährung eines freiwilligen Zuschusses der Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung sowie von Sterbegeld für ehemalige Dienstnehmer der Gesellschaft.
1. Die Geschäftsführung der Gesellschaft und der Betriebsausschuss kommen überein, dass die Gewährung eines freiwilligen und jederzeit widerrufbaren Zuschusses zur Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenenversorgung sowie von Sterbegeld für ehemalige Dienstnehmer der Gesellschaft vom , per eingestellt und die Betriebsvereinbarung, wie folgt, geändert wird:
2. Grundsätzliche Bestimmungen
a) Ein Rechtsanspruch auf den Erwerb künftiger Anwartschaften besteht nicht (-Hervorhebung durch den Senat!-). Das ist den Leistungsempfängern jeweils gesondert zur Kenntnis zu bringen. ... ...3. Voraussetzungen
a) Anspruch besteht ab dem 20. Lebensjahr ...
...4. Berechnungsgrundlage:
(Es folgt die Anführung der Berechnungsgrundlage und einer Prozentpunkte-Staffelung nach Unternehmenszugehörigkeitsdauer)
c) Die laufenden Zuwendungen werden monatlich im Voraus, die Sonderzahlungen analog der Sozialversicherung ausgezahlt. ... ...11.a) Die laufenden Zahlungen beginnen mit der Sozialversicherungspension, frühestens jedoch mit Ablauf des Zeitraums, für den eine gesetzliche oder freiwillige Abfertigung bestimmt wird bzw dem Ende einer Gleitpension; sie enden mit dem Ablauf des Monats, in dem der Bezieher gestorben ist. ... ... 4. Übergangsbestimmungen: Mit Wirksamkeit vom werden keine weiteren Prozentpunkte der Berechnungsgrundlage erworben. Die bis zum angesammelten Prozente werden als sogenannte „Sollrenten" festgestellt. Die Ermittlung dieser Sollrente erfolgte gemäß Nah 1 Z 3 mit der Maßgabe, dass als Berechnungsgrundlage der durchschnittliche monatliche Grundlohn bzw -gehalt (Z 2) des Jahres 1993 herangezogen wird...."
Am teilte die Gesellschaft allen Pensionsbeziehern, so auch den Klägern (- der Erstkläger war per , der Zweitkläger per in den Ruhestand getreten - ), mit, dass auf Grund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens die Pensionszahlungen ab Jänner 1997 eingestellt würden und die Pensionsleistungen durch ein Barabfindungsgebot ersetzt würden. Tatsächlich bot die Gesellschaft allen Pensionsbeziehern am eine einmalige Barabfindung des Pensionsbezuges in Höhe von 22,5 % des von der Gesellschaft versicherungsmathematisch errechneten Barwertes des Pensionsbezuges an.
Die Kläger nahmen dieses Angebot nicht an. Der Erstkläger erhielt seit Jänner 1997 keine Pensionszahlungen mehr; dem Zweitkläger wurden die nach der BV 1994 erstmals mit Juli 1997 fällig werdenden Pensionsbeträge nie ausbezahlt. Diese - der Höhe nach unstrittigen - Ansprüche sind Gegenstand der verbundenen Verfahren. In der zu 9 ObA 170/99m anhängigen Rechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund gegen die Antragsgegnerin Wirtschaftskammer Österreich stellte der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom (DRdA 2000/42 [Runggaldier]) gem § 54 Abs 2 ASGG fest, dass die Gesellschaft verpflichtet ist, ihren nach dem in den Ruhestand getretenen Dienstnehmern die in der Betriebsvereinbarung vom geregelten Ruhegeldansprüche gemäß dieser Betriebsvereinbarung, jedoch unter Außerachtlassung des zum seitens der Gesellschaft vorgenommenen Widerrufes, zu zahlen. Zur Begründung wurde insbesondere auf die für den normativen Teil von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen geltenden Auslegungsregeln, wonach es auf den objektiven Inhalt ankommt (RIS-Justiz RS0010088), sowie darauf verwiesen, dass in der BV 1994, welche sonst in ihrer Systematik der früheren BV 1978 folgt, der Passus eines „freiwilligen jederzeit widerrufbaren Zuschusses" nicht mehr aufscheint. Weiters seien die in der späteren BV genannten „Anwartschaften" nicht „Leistungen" gleichzusetzen. Aus dem Bedeutungszusammenhang auch der Übergangsbestimmung in der BV 1994 werde einem objektiven Leser klar, dass die Betriebsparteien das Fehlen eines Rechtsanspruches auf Zuschüsse oder die Widerruflichkeit weder aufrecht erhalten noch neu begründen wollten. Das Berufungsgericht hat - ausgehend von den Überlegungen des vorgenannten Feststellungsbeschlusses, denen auch im vorliegenden Verfahren keine überzeugenden Argumente entgegengehalten wurden, - die Frage, ob den Klägern Betriebspensionsansprüche auf der Basis der Betriebsvereinbarung 1994 zustehen, zutreffend bejaht. Es reicht daher insoweit aus, auf die zutreffende Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:
Rechtliche Beurteilung
Zu der späteren, nach dem Ausscheiden der Kläger geschlossenen -
verschlechternden - Betriebsvereinbarung 1996: Der Oberste
Gerichtshof sieht sich auch durch die Argumente in der Revision,
welche sich ohne neue Aspekte auf bekannte, anderslautende
Lehrmeinungen beziehen (s insbes die Zusammenfassung von Grießer in
RdW 2001/511), nicht veranlasst, von seiner ständigen Rechtsprechung
(RIS-Justiz RS005095, zuletzt 9 ObA 69/01i = ARD 5270/16/01; 8 ObA
78/01f = ARD 5270/18/01) abzugehen, wonach die
Betriebsvereinbarungsparteien auf Grund der ihnen nach dem ArbVG zukommenden Kompetenz in die ausgeschiedenen Arbeitnehmern kraft einer früheren Betriebsvereinbarung zustehenden Ruhegeldansprüche nicht mehr eingreifen können.
Zur Auslegung der Betriebsvereinbarung 1994:
Wenngleich bei Auslegung des normativen Teiles eines Kollektivvertrages oder einer Betriebsvereinbarung grundsätzlich anzunehmen ist, dass die Vertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen Interessen herbeiführen wollen, ist maßgeblich, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088; RS0008807). Da die subjektive Absicht der beim Abschluss beteiligten Personen nicht maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0010088 T 23), kommt auch die von der beklagten Partei vermisste Vernehmung der beteiligten Personen nicht in Betracht. Eine andere Auffassung (vgl vorsichtig andeutend Runggaldier in seiner Glosse zu 9 ObA 170/99m = DRdA 2000/42) würde die Gefahr der eminenten Rechtsunsicherheit in sich bergen, zumal in der Regel kaum feststellbar sein wird, welcher Personenkreis über eine andere Absicht der Vertragsschließenden Bescheid wusste und welcher nicht. Für die von der Revisionswerberin eingeforderte Analogie zur Regelung (Widerrufsmöglichkeit) in der BV 1978 fehlt es schon an der notwendigen Voraussetzung einer erkennbaren Regelungslücke.
Die Auslegungsregeln ders §§ 914 f ABGB gelten nur für den schuldrechtlichen, nicht jedoch den normativen Teil einer Betriebsvereinbarung.
Eine Anfechtung wegen Willensmängeln ist den Vertragsparteien wohl unbenommen (EvBl 1991/4 uva), doch muss dies, solange der Text einer Betriebsvereinbarung unverändert besteht, ohne Einfluss auf die Normadressaten bleiben, denen gegenüber, wie schon erwähnt, die Textierung verbindliche Wirkung entfaltet.
Ein Teilerfolg war der Revision lediglich im Zinsenbereich zu bescheiden. Da die beklagte Partei selbst nicht Partei des vorgelagerten Feststellungsverfahrens war und demnach dort ihre, zumindest von einem Teil der Lehre getragenen Argumente zur Interpretation und Abänderbarkeit der verfahrensgegenständlichen Betriebsvereinbarung nicht vortragen und überprüfen lassen konnte, kann ihre Rechtsansicht noch als vertretbar (§ 49a 2.S ASGG) beurteilt werden. Somit besteht kein erhöhter Zinsenanspruch iSd § 49a 1.S ASGG.
Der Kostenzuspruch beruht auf § 43 Abs 2 (und § 50 Abs 1) ZPO. Durch die Geltendmachung der erhöhten Zinsen wurden keine besonderen Kosten veranlasst.
Fundstelle(n):
UAAAE-09747