VfGH vom 15.06.1991, B827/88

VfGH vom 15.06.1991, B827/88

Sammlungsnummer

12743

Leitsatz

Verletzung der Beschwerdeführer durch eine - auf einen Bekanntgabebescheid (betreffs Bekanntgabe der Bebauungsvorschriften) gestützte - Baubewilligung in ihren Rechten;

Erlassung des Bekanntgabebescheides aufgrund einer vom VfGH als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnung (Plandokument); Bekanntgabebescheid von Berufung gegen Baubewilligung mitumfaßt

Spruch

Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte der Beteiligten R-V-Aktiengesellschaft mit Bescheid vom die Baubewilligung, auf dem Grundstück Wien 14., Hüttelbergstraße 25, ein zweistöckiges, 29 Wohnungen enthaltendes Wohnhaus mit einer Tiefgarage im Kellergeschoß zu errichten und wies die von den beschwerdeführenden Parteien als Nachbarn erhobenen Einwendungen teils ab und teils zurück. Ihr Rechtsmittel dagegen (in welchem sie insbesondere kritisierten, daß die geplante Bauführung mit der Widmung des Gebietes als Parkschutzgebiet unvereinbar sei, und "Einwendungen" gegen den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan vorbrachten) blieb erfolglos. Die Beschwerdeführer ergriffen sodann gegen den abweisenden Berufungsbescheid der Bauoberbehörde für Wien vom Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher sie ua. die Gesetzwidrigkeit des maßgebenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplans Plandokument Nr. 5820 geltend machten. Aus Anlaß dieser Beschwerde (B 970/86) leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 139 Abs 1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des zweiten Satzes im Punkt II Z 1 der bezogenen Verordnung ein und sprach mit dem Erkenntnis V25/87 vom (VfSlg. 11349/1987) aus, daß diese Verordnungsbestimmung bis zum Ablauf des gesetzwidrig war. Mit dem ebenfalls am gefällten Erkenntnis B970/86 entschied der Gerichtshof in der Beschwerdesache und hob den Bescheid der Bauoberbehörde auf, weil die beschwerdeführenden Parteien infolge Anwendung einer rechtswidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden waren.

2. Die Bauoberbehörde für Wien entschied mit Bescheid vom neuerlich über die von den Beschwerdeführern erhobene Berufung und wies diese ab. In der Begründung ihrer Entscheidung gab die Berufungsbehörde ua. das nachstehende Vorbringen des Vertreters der Bauwerberin wieder und führte - daran anschließend - folgendes aus:

"'Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, auf den sich die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen bezieht, ist infolge der am eingetretenen Sanierung hinsichtlich des vorher gegebenen Kundmachungsmangels geheilt, daher entfalten die mit Bescheid vom bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen Gültigkeit und es ist das vorliegende Bauansuchen auf Grund des § 11 der Bauordnung für Wien auf der Grundlage der bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen zu entscheiden.'

Dieser Rechtsansicht schließt sich die Bauoberbehörde für Wien an. Das Rechtsinstitut der Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen bietet während der Gültigkeitsdauer der Bekanntgabe (§11 der Bauordnung für Wien) einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Bewilligung im Rahmen der bekanntgegebenen Bestimmungen, mag sich auch der Bebauungsplan geändert haben oder eine Bausperre verhängt worden sein.

Das gegenständliche Bauansuchen wurde mit Bescheid Zahl MA 37 - 6626/84, datiert vom , zur Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen belegt, dieser Bescheid war am erlassen worden. Das Ansuchen um Erteilung der Baubewilligung langte am , somit innerhalb der Jahresfrist des § 11 der Bauordnung für Wien bei der Behörde ein.

Der Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen ist durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom nicht behoben worden. Er war auf eine Norm gestützt, die wegen eines Kundmachungsmangels bis zum gesetzwidrig war; nach dem war dieser Kundmachungsmangel saniert, der Bescheid über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen war also während des anhängigen Verfahrens auf eine gesetzeskonforme Verordnung gestützt und konnte somit die Perpetuierungswirkungen gemäß § 11 der Bauordnung für Wien entfalten."

3. Gegen den Bescheid der Bauoberbehörde vom richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher die beschwerdeführenden Parteien eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie eine Rechtsverletzung infolge Anwendung des vom Gerichtshof bereits als gesetzwidrig befundenen Plandokuments Nr. 5820 geltend machen.

Die belangte Behörde sowie die Beteiligte erstatteten Gegenschriften, in denen die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.

II. Die Beschwerde ist gerechtfertigt.

1.a) § 9 Abs 7 zweiter Satz BauO f Wien legt fest, daß eine Berufung gegen einen Bescheid, durch den die Bebauungsbestimmungen bekanntgegeben werden, nur mit der Berufung gegen einen Bescheid verbunden werden kann, der sich auf die Bekanntgabe oder Verweigerung der Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen stützt.

Für Verwaltungssachen wie etwa die vorliegende, welche die Errichtung eines Neubaus zum Gegenstand haben, bedeutet dies, daß der Bekanntgabebescheid nur gemeinsam mit der auf ihn gestützten Baubewilligung für den Neubau mit Berufung angefochten werden kann.

b) Richtet sich nun die vom Nachbarn als Berufungswerber gegen die Baubewilligung in seinem Rechtsmittel geübte Kritik entweder ausdrücklich oder auch bloß der Sache nach gegen die bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen (etwa in der Weise, daß das den bekanntgegebenen Bebauungsbestimmungen zugrundeliegende Plandokument gesetzwidrig sei), so liegt hierin auch dann eine gegen den Bekanntgabebescheid gerichtete Berufung an die Baubehörde zweiter Instanz, wenn sich das in der Berufung enthaltene Anfechtungsbegehren anscheinend nur gegen die Baubewilligung richtet. Weist die Berufungsbehörde in einem solchen Fall die ausdrücklich zwar bloß gegen die Baubewilligung, nach den Intentionen des Rechtsmittelwerbers aber (auch) gegen den Inhalt des Bekanntgabebescheides gerichtete Berufung als unbegründet ab, so trifft sie damit eine für den die Berufung erhebenden Nachbarn in jeder Richtung negative Entscheidung; mit dieser hält sie nämlich sowohl den die Baubewilligung stützenden Bekanntgabebescheid als auch die auf diesen gegründete Baubewilligung aufrecht.

In Ansehung des in dieser Bausache gegebenen Verwaltungsgeschehens gilt dies sowohl für den normativen Inhalt des im ersten als auch für den des im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheides der Bauoberbehörde, also einerseits bezüglich des mit dem hg. Erkenntnis B970/86 vom aufgehobenen Berufungsbescheides vom und andererseits hinsichtlich des mit der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde angefochtenen Berufungsbescheides vom .

c) Der Bescheid, durch den die Bebauungsbestimmungen bekanntgegeben werden, verfolgt in erster Linie den Zweck, die zum Zeitpunkt seiner Erlassung aufgrund des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes bestehende generelle Rechtslage für den Einzelfall während eines bestimmten Zeitraumes gleichsam zu perpetuieren und dadurch eine gesicherte Grundlage für das gesamte Bauverfahren (also einschließlich eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens) zu schaffen (vgl. dazu zB Geuder/Hauer, Das Wiener Baurecht3, S. 90 Anm. 1 zu § 9 BauO f Wien). Aus diesem Umstand folgt für die Berufungsbehörde, daß sie ihre Entscheidung über den bei ihr gemeinsam mit der Baubewilligung bekämpften Bekanntgabebescheid stets an jener generellen Rechtslage auszurichten hat, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Bekanntgabebescheides durch den Magistrat bestand.

Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, daß die Bauoberbehörde für Wien im Hinblick auf die Erlassung des hier maßgebenden Bescheides über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen am die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs V25/87 (VfSlg. 11349/1987) für das Plandokument Nr. 5820 herbeigeführte generelle Rechtslage hätte beachten müssen: Die vom Verfassungsgerichtshof im Verordnungsprüfungsverfahren getroffene Feststellung, daß eine (nach der Lage der Verwaltungssache inhaltlich in Betracht kommende) Bestimmung dieser Verordnung bis zum Ablauf des gesetzwidrig war, erfaßt nämlich auch den eben erwähnten Zeitpunkt der Erlassung des Bekanntgabebescheides. Da die Bauoberbehörde jedoch - wie ihr die beschwerdeführenden Parteien zu Recht vorwerfen - die bis zum Ablauf des gesetzwidrige Verordnung anwendete, verletzte sie die Beschwerdeführer in deren Rechten, und zwar so, daß sich die Anwendung der Verordnungsstelle für die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien offenkundig als nachteilig erweist.

d) Der angefochtene Bescheid war sohin aufzuheben.

2. Im fortzusetzenden Verwaltungsverfahren wird die Bauoberbehörde in Bindung an die dargelegte Rechtsauffassung (§87 Abs 2 VerfGG) der Berufung Folge zu geben und die Baubewilligung einschließlich des Bekanntgabebescheides unter Rückverweisung der Bausache an den Magistrat aufzuheben haben. Die Baubehörde erster Instanz wird sodann die Vorlage eines neuen Bekanntgabebescheides zu verlangen haben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.