TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 14.04.2020, 8Ob9/20m

OGH vom 14.04.2020, 8Ob9/20m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden und widerbeklagten Partei B*****, vertreten durch Dr. Christof Stapf, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Isabel Albrecht, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei Dkfm. R*****, vertreten durch Dr. Stefan Wurst, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Ehescheidung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und widerbeklagten Partei und der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 48 R 70/19h-104, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Die rügt in ihrer außerordentlichen Revision, das Berufungsgericht hätte sich nicht damit auseinandergesetzt, dass sie in ihrer Berufung auch den Beschluss auf Abweisung ihres Antrags auf Verbindung des Unterhalts- mit dem Scheidungsverfahren bekämpft habe. Dabei übersieht sie, dass gemäß § 192 Abs 2 ZPO (ua) die nach § 187 ZPO erlassenen prozessleitenden Anordnungen durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden können.

1.2 Auch der Vorwurf der Klägerin, das Berufungsgericht habe sich nicht im Einzelnen mit ihrer Rechtsrüge auseinandergesetzt, ist unberechtigt. Der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Begründung ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie nicht überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0042133 [T6]). Das ist hier nicht der Fall.

1.3 Ein Widerspruch in den erstgerichtlichen Feststellungen ist nicht ersichtlich: Dass der Klägerin nach dem – von den Vorinstanzen im Frühjahr/Sommer 2011 angenommenen – Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe ein einstweiliger Unterhalt gegen den Beklagten zuerkannt wurde, sagt noch nichts über ihre Behauptung aus, der Beklagte habe sie die Jahre davor „finanziell ausgehungert“, die das Erstgericht für nicht erwiesen hielt. Dabei stützte sich das Erstgericht ua auf einen im Jahr 2004 abgeschlossenen Unterhaltsvergleich, aus dem sich kein über den weiterhin vom Beklagten zu tragenden Naturalunterhalt hinausgehender Geldunterhaltsanspruch der Klägerin ableiten ließ.

2.1 Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird (RS0043324 [T2]).

Die Klägerin zeigt nicht auf, welche entscheidungswesentliche Bedeutung dem Umstand zukommen soll (vgl RS0043367 [T1]), dass das Berufungsgericht eine „Feststellung, dass der schlechte Gesundheitszustand des Beklagten unbestritten ist“, nicht im Ersturteil aufzufinden vermochte. Abgesehen davon, dass das Erstgericht diesbezüglich bloß beweiswürdigende Erwägungen angestellt hat, ist das Thema schon deshalb irrelevant, weil die Klägerin in der Berufung gar keine (ordnungsgemäße) Beweisrüge gegen diese dort lediglich als „zumindest interessant“ angeführte „Feststellung“ erhoben hat.

2.2 Im Revisionsverfahren erblickt die Klägerin eine (weitere) Aktenwidrigkeit darin, dass das Erstgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin habe das Vorbringen des Beklagten nicht bestritten, dass er von der Klägerin nicht vor der Einleitung diverser Gerichtsverfahren informiert worden sei.

Der in der Berufung – wie hier – nicht geltend gemachte Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit kann im Revisionsverfahren jedoch nicht mehr nachgetragen werden (RS0041773).

3. Sowohl die als auch der wenden sich mit Rechtsrüge gegen den Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens.

Welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen und welchen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls, die – von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen – nicht als erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen ist (RS0118125; RS0119414).

Nach ständiger Rechtsprechung muss bei beiderseitigem Verschulden ein sehr erheblicher Unterschied im Grad des Verschuldens gegeben sein, um ein überwiegendes Verschulden eines Teils annehmen zu können. Es ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen hat, sondern auch, wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RS0057057). Ein überwiegendes Verschulden ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RS0057821).

Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung sind die Vorinstanzen nicht abgewichen:

Nach den Feststellungen haben sich die Parteien im Ehealltag über 15 Jahre lang wechselseitig lieb- und interesselos verhalten. Einerseits war der Beklagte in finanziellen Angelegenheiten kleinlich und überpenibel, worauf er in seiner Revision nicht eingeht. Andererseits strengte die Klägerin mehrere Verfahren, insbesondere im Jahr 2003 ein (letztlich erfolgloses) Unterhaltsverfahren, gegen den Beklagten an, ohne das vorher mit ihm abzusprechen. Dieser Verstoß gegen das Einvernehmlichkeitsgebot tritt schon deshalb nicht fast völlig in den Hintergrund, weil feststeht, dass die Aktion der Klägerin 2003 den Beklagten sehr verletzte und er sich finanziell von ihr ausgenutzt fühlte. Nach den Feststellungen setzte mit diesem jeweils initialen Verhalten der Ehegatten die von gegenseitigen Vorwürfen und Schuldzuweisungen geprägte und zur unheilbaren Zerrüttung führende Abwärtsspirale in ihrer Ehe ein. Bereits das Berufungsgericht hat der Klägerin entgegengehalten, dass dann, wenn zu einem bestimmten Thema – wie hier zu den behaupteten Unterhaltspflichtverletzungen durch den Beklagten – Tatsachenfeststellungen getroffen wurden, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, diesbezüglich auch keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden können (RS0053317 [T1; T 3]).

4. Beide außerordentlichen Revisionen waren daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00009.20M.0414.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.