VfGH vom 30.11.2004, a9/04
Sammlungsnummer
******
Leitsatz
Stattgabe der Klage auf Auszahlung einer zuerkannten, zur Begleichung eines offenen Mietzinses jedoch nicht ausbezahlten Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz;
Direktüberweisung der - neben der Mietbeihilfe zuerkannten - richtsatzgemäßen Geldleistung an den Vermieter nicht gesetzmäßig;
keine Doppelliquidation des Sozialhilfeanspruches; teilweise Stattgabe des Zinsenbegehrens; Kostenzuspruch
Spruch
Das Land Wien ist schuldig, dem Kläger zu Handen seines Rechtsvertreters den Betrag von EUR 513,30 samt 4 vH Zinsen seit sowie die mit insgesamt EUR 274,82 bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem mündlich verkündeten Bescheid des Magistrates der Stadt Wien - damals MA 15A - vom wurden dem Kläger nach dem Wiener Sozialhilfegesetz - WSHG, LGBl. Nr. 11/1973 idgF, für den Zeitraum 4. April bis folgende Geldleistungen zuerkannt:
Richtsatz EUR 788,93
Mietbeihilfe EUR 256,65
Mehrbedarf Miete EUR 256,65
sonstiger Mehrbedarf EUR 59,--
Nachzahlung EUR 315,60,
sodass sich - nach Abzug der vom Kläger bezogenen Notstandshilfe (EUR 336,--) - eine Geldaushilfe in Höhe von EUR 1340,80 (gerundet) ergab.
Von diesem Betrag überwies das beklagte Land (MA 15A) EUR 1030,68 zur Begleichung des vom Kläger noch nicht bezahlten Mietzinses für die Monate April und Mai 2004 direkt an den Vermieter. Lediglich der Restbetrag (EUR 310,15) wurde dem Kläger bar ausbezahlt.
2. Die zu A9/04 protokollierte, auf Art 137 B-VG gestützte Klage begehrt, das Land Wien schuldig zu erkennen, dem Kläger den Betrag von EUR 513,30 samt 4 vH Zinsen seit sowie die Kosten dieses Rechtsstreites binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu zahlen.
Mit einer weiteren - zu A10/04 protokollierten - Klage wird begehrt, das Land Wien schuldig zu erkennen, dem Kläger den Betrag von EUR 315,60 samt 4 vH Zinsen seit sowie Kosten zu bezahlen. Dieser Betrag war dem Kläger mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom , MA 15-II-2-7956/2003, zuerkannt worden; es handelt sich dabei um die Nachzahlung eines Teiles des Richtsatzes für den Zeitraum bis . Mit dem eingangs genannten Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde dieser Betrag in die obige Abrechnung einbezogen.
Begründend wird zu beiden Klagen im Wesentlichen ausgeführt, die Direktüberweisung - auch - eines Teiles des zuerkannten Richtsatzes an den Vermieter sei ohne jede gesetzliche Grundlage erfolgt.
Die beklagte Partei erstattete jeweils eine Gegenschrift, worin sie dem Klagsvorbringen entgegentritt und die kostenpflichtige Klagsabweisung beantragt.
Der Kläger erstattete jeweils eine Replik; in der Klagssache A9/04 schränkte er sein Leistungsbegehren auf EUR 197,70 ein.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen (vgl. , Slg. 16.858 mwN) - Klagen erwogen:
1. Gemäß § 11 Abs 2 WSHG kann der persönliche Lebensbedarf nicht nur durch Geldleistungen, sondern auch durch Sachleistungen gesichert werden. Dieser Form der Gewährung von Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist es gleichzuhalten, wenn das Land als Träger der Sozialhilfe Geldleistungen nicht dem Hilfesuchenden, sondern an Dritte auszahlt, um die zweckentsprechende Verwendung der zuerkannten Geldleistungen sicherzustellen (vgl. ; , A13/04).
2.1. Der Kläger stellt eine "zweckentsprechende" Verwendung der ihm gewährten Geldleistungen insoweit in Abrede, als der direkt an seinen Vermieter überwiesene Betrag die für den Unterkunftsaufwand bescheidmäßig zuerkannten Beträge übersteigt. Das beklagte Land hingegen bestreitet, dass sich aus dem WSHG eine "Zweckbindung" der Verwendung der einzelnen Teile der zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannten Geldleistung ergebe; vielmehr sei "der gesamte zuerkannte Betrag zur Deckung des gesamten Bedarfes zu verwenden".
2.2. Diese Auffassung des beklagten Landes steht in Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, A1/04):
Wie sich nämlich aus § 13 Abs 3 WSHG ergibt (und in § 13 Abs 6 WSHG ausdrücklich festgestellt wird), ist der Aufwand für die Unterkunft des Hilfesuchenden nicht durch den Richtsatz gedeckt, sondern "durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken, deren Ausmaß nach den Erfordernissen des einzelnen Falles zu bemessen ist" (vgl. auch ; , 2003/10/0059; , 2003/10/0050).
Die (nicht im Zuerkennungsbescheid verfügte) Direktüberweisung des Mietzinses an den Vermieter des Klägers ist somit insoweit nicht als eine dem Gesetz entsprechende Vollziehung dieses Bescheides anzusehen, als der an den Vermieter überwiesene Betrag die dem Kläger für den Mietzins gewährten Geldleistungen überstieg (und daher zu Lasten jener sonstigen Bedürfnisse des täglichen Lebens ging, die nach dem Gesetz mit Geldleistungen im Rahmen des Richtsatzes zu decken sind). Die dadurch bewirkte - faktische - Kürzung der richtsatzgemäßen Geldleistung entbehrt auch unter den vom beklagten Land ins Treffen geführten Umständen der gesetzlichen Grundlage.
2.3. Dadurch kommt es auch zu keiner "Doppelzahlung" (im Sinne einer Doppelliquidation des öffentlich-rechtlichen Sozialhilfeanspruchs des Klägers), wie das beklagte Land in seiner Gegenschrift meint: Der dem Kläger bescheidmäßig zuerkannte Sozialhilfeanspruch wurde im Umfang des Klagebegehrens bisher |berhaupt nicht liquidiert. Das beklagte Land hat vielmehr in der irrtümlichen Annahme, auch damit den Sozialhilfeanspruch des Klägers zu erfüllen, an einen Dritten geleistet. Dadurch hat es zwar den Kläger von einer zivilrechtlichen Schuld befreit; auch kommt dem Land in diesem Umfang ein Ersatzanspruch gegen den Kläger zu (zur möglichen Rechtsgrundlage des § 1431 ABGB in solchen Fällen vgl. etwa P. Bydlinski, Zivilrechtsfragen bei Zahlung auf ein nicht autorisiertes Gläubigerkonto, ÖBA 1995, 599). Das Recht des Klägers auf ordnungsgemäße Liquidierung seines Sozialhilfeanspruchs bleibt davon aber unberührt.
2.4. Das auf gesetzmäßige Liquidierung der bescheidmäßig zuerkannten Leistung gerichtete Hauptbegehren besteht somit sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht.
3. Wenn das Gesetz - wie hier - nichts Gegenteiliges bestimmt, sind nach der ständigen, mit dem Erkenntnis VfSlg. 28/1919 beginnenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch bei öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnissen Verzugszinsen zu entrichten, und zwar ab dem Zeitpunkt des Verzuges (zB , Slg. 16.858 mwN).
Da der Kläger das beklagte Land mit Schreiben vom (beim beklagten Land am selben Tag eingelangt) aufgefordert hat, die eingeklagten Beträge binnen vierzehn Tagen auf das vom Kläger bekanntgegebene Bankkonto zu überweisen, befand sich das beklagte Land erst nach Ablauf dieser vom Kläger eingeräumten - angemessenen (, Slg. 16.858) - Zahlungsfrist in Verzug. Verzugszinsen waren sohin nicht im Sinne der Klagebegehrens schon ab , sondern erst ab zuzusprechen.
4. Die dem Kläger gebührenden Kosten waren gemäß § 41 iVm § 35 Abs 1 VfGG und § 41 Abs 2 ZPO nach dem RATG, BGBl. Nr. 189/1969 idgF, auszumessen. Hiebei war vom Gesamtstreitwert beider Klagen (deren Verbindung dem Rechtsvertreter möglich und zumutbar gewesen wäre) auszugehen. Beide Klagen waren daher gemäß TP3 C mit insgesamt EUR 104,10 zu honorieren. In den zugesprochenen Kosten sind 120 vH Einheitssatz (§23 Abs 6 RATG; vgl. VfSlg. 15.839/2000) sowie Umsatzsteuer in Höhe von EUR 45,80 enthalten.
5. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).