OGH vom 25.11.1999, 8ObS182/99v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Josef Redl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard S*****, vertreten durch Dr. Georg Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Vorarlberg, 6903 Bregenz, Rheinstraße 32, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenzausfallgeld (S 1,598.696,-- sA), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 23 Rs 24/99x-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cgs 91/98v-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Mit Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom wurde zu 13 S 74/97f über das Vermögen der R***** GmbH & Co mit Sitz in H***** das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger machte im Konkurs unter anderem einen Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 von S 1,598.656 als Konkursforderung geltend. Eine Feststellung dieser Forderung erfolgte nicht; es ist insoweit auch kein Prüfungsprozess anhängig gemacht worden.
Am begehrte der Kläger von der Beklagten unter anderem Insolvenz-Ausfallgeld auch hinsichtlich dieses Anspruches. Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Bezahlung von Insolvenz-Ausfallgeld für den vom Kläger behaupteten Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG in Höhe des Klagsbetrages ab. Mit der am beim Erstgericht (fristgerecht) eingebrachten Klage wandte sich der Kläger gegen diesen Bescheid und begehrte, die beklagte Partei zur Zahlung des angemeldeten Betrags schuldig zu erkennen. Hiezu brachte er vor, es stehe ihm gegen die Gemeinschuldnerin ein Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG in Höhe des Klagsbetrages zu, der nach dem IESG gesichert sei. Da die Konkurseröffnung der Sphäre der Gemeinschuldnerin zuzurechnen sei, handle es sich dabei um einen gesicherten Schadenersatzanspruch. Damit liege eine mit einer Vertragsauflösung durch den Geschäftsherrn gleichgestellte Sachlage vor.
Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; sie wandte ein, dass die Unternehmenstätigkeit der Gemeinschuldnerin zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits eingestellt gewesen sei und auch eine Unternehmensfortführung bzw Unternehmensveräußerung durch den Masseverwalter nicht stattgefunden habe. Es sei daher kein erheblicher Vorteil im Sinne des § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG erwachsen, weshalb dem Kläger der Ausgleichsanspruch nicht zustehe. Es sei auch ein Zutun des Klägers zu einem werterhöhenden Verkaufserlös der Konkursmasse zu verneinen. Zudem entspreche die Zahlung eines Ausgleichsbetrages unter Berücksichtigung aller Umstände nicht der Billigkeit.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zusätzlich zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt traf es folgende Feststellungen:
Der Kläger war bis zum für die Gemeinschuldnerin als Angestellter beschäftigt. Ab wurde er für die Gemeinschuldnerin im Rahmen einer eigenen Handelsagentur tätig. Die Gemeinschuldnerin war sein ausschließlicher Geschäftsherr. Auch für branchenfremde weitere Geschäftsherrn durfte er nicht tätig sein. Er verfügte über die Gewerbeberechtigung zur Ausübung des Gewerbes als "Handelsvertreter für Beleuchtung" und war bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft sozialversichert. Die Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge und der Einkommensteuer hat er selbständig über seinen Steuerberater vorgenommen. Nicht erwiesen ist, dass er einen Zuschlag nach § 12 Abs 1 Z 4 IESG zu entrichten hatte. Es wurden - dem jeweiligen Kalenderjahr entsprechende - Gewinn- und Verlustrechnungen erstellt und beim zuständigen Finanzamt eingereicht. Das Vertragsverhältnis zwischen dem Kläger einerseits und der Gemeinschuldnerin andererseits wurde nicht durch eine Vertragsurkunde dokumentiert.
In den ersten Jahren der selbständigen Tätigkeit erhielt er vom Geschäftsherrn auch ein Fixprovision. Danach vereinbarten sie eine "deckungsabhängige" Provision. Die Provision wurde sodann auf der Grundlage der erzielten Umsätze in einem bestimmten Prozentverhältnis ausbezahlt. Im Zusammenhang mit seiner Vertretertätigkeit entstandene Aufwendungen und Spesen sind in den Provisionen mitverrechnet gewesen.
Der Kläger musste der Gemeinschuldnerin über seine Tätigkeit auch schriftliche Berichte erstatten. Wenn die Gemeinschuldnerin ihn etwa ersuchte, zu einem bestimmten Kunden nach Wien zu fahren, "so konnte er das nicht ablehnen. Er musste dieser Weisung entsprechen".
Die Tätigkeit bestand im Wesentlichen darin, dass er die von der Gemeinschuldnerin produzierten Leuchten bei potentiellen Kunden, insbesondere in Baumärkten, Möbelmärkten und Fachhandlungen, präsentierte, worauf es dann zu Kaufabschlüssen kam.
Der Kläger hatte in seinem Haus für seine Handelsvertretertätigkeit ein kleines Büro eingerichtet. In den letzten drei Jahren vor der Konkurseröffnung wurde dem Kläger und seinem Bruder im Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten als Handelsvertreter von der Gemeinschuldnerin eine Arbeitskraft zur Verfügung gestellt. Diese Arbeitskraft hat auch beim Kläger kontrolliert, dass die Wochenpläne, die Touren und auch die Umsätze eingehalten werden.
Der Kläger berechnete seinen behaupteten Ausgleichsanspruch aus dem Durchschnitt der in den Jahren 1992 bis einschließlich 1996 für die Gemeinschuldnerin erzielten Umsätze. Dabei ergab sich ein Betrag von S 1,598.656,-- zuzüglich 20 % Umsatzsteuer von S 319.731,20, insgesamt sohin S 1,918.387,20.
Vor der Konkurseröffnung war kein aufrechter Unternehmensbetrieb der Gemeinschuldnerin mehr in dem Sinne vorhanden, dass die Absatzorganisation noch aufrecht gewesen wäre. Eine Unternehmensveräußerung fand im Konkurs nicht statt. Auch eine allfällige Veräußerung des Kundenstockes ist nicht erwiesen.
Nicht erwiesen ist weiters, dass der Kläger während seiner Handelsvertretertätigkeit für die Gemeinschuldnerin noch anderweitige Einkünfte bezogen hätte.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, das IESG sei auch auf arbeitnehmerähnliche Personen gemäß § 51 Abs 3 Z 2 ASGG sinngemäß anzuwenden. Bei der Tätigkeit des Klägers für die Gemeinschuldnerin sei Arbeitnehmerähnlichkeit jedoch zu verneinen. Es seien ihm zur Verrichtung seiner Handelsvertretertätigkeit keine eigenen Arbeitnehmer zur Verfügung gestanden. Da jedoch die Tätigkeit in einem eigenen, organisatorisch vom Gemeinschuldner völlig getrennten Betrieb verrichtet worden sei und seine wirtschaftliche Unselbständigkeit nicht besonders ausgeprägt gewesen sei, liege Arbeitnehmerähnlichkeit nicht vor. Selbst wenn Arbeitnehmerähnlichkeit zu bejahen wäre, ergäbe sich keine Grundlage für einen Ausgleichsanspruch nach den §§ 24 und 26 HVertrG 1993, zumal der Kläger den Nachweis, dass die Gemeinschuldnerin bzw die Konkursmasse aus dem von ihm angebahnten Geschäftsverbindungen nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen konnte oder ziehen hätte können, nicht erbracht habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge; es bestätigte das angefochtene Urteil und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. In rechtlicher Hinsicht bejahte es die Arbeitnehmerähnlichkeit des Klägers im Sinne der noch anzuwendenden Bestimmung des § 2 Z 3 IESG idF BGBl 1986 Nr 395. Der Kläger sei ausschließlich für die Gemeinschuldnerin tätig gewesen und habe ein Konkurrenzverbot einzuhalten gehabt. Zudem sei er berichts- und weisungspflichtig gewesen. Die von der Gemeinschuldnerin dem Kläger zur Verfügung gestellte Arbeitskraft habe die Einhaltung der Wochenpläne, der Touren und der Umsätze des Klägers kontrolliert. Aus all dem ergebe sich einerseits die wirtschaftliche Unselbständigkeit des Klägers und andererseits eine mit einer selbständigen Tätigkeit nicht mehr zu vereinbarende Fremdbestimmung seiner Tätigkeit, weshalb die Arbeitnehmerähnlichkeit zu bejahen sei.
Anspruchsvoraussetzung für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 24 HVertrG sei unter anderem, dass zu erwarten sei, der Unternehmer oder dessen Rechtsnachfolger könne aus den Geschäftsverbindungen mit den vom Handelsvertreter zugeführten Kunden auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen. Nach den Feststellungen habe bereits bei Konkurseröffnung kein aufrechter Unternehmensbetrieb der Gemeinschuldnerin bestanden; eine Unternehmensveräußerung habe im Konkurs nicht stattgefunden und eine Veräußerung des Kundenstockes sei nicht erwiesen. Damit könne aber nicht erwartet werden, dass der Konkursmasse aus der Tätigkeit des Klägers vor Konkurseröffnung noch irgendwelche Vorteile zufließen könnten. Für einen solchen Fall werde jedoch nach der herrschenden Rechtsprechung das Bestehen eines Ausgleichsanspruches des Handelsvertreters nach § 24 HVertrG bzw früher § 25 HVG 1921 verneint. Den gegenteiligen, in der Berufung zitierten Lehrmeinungen könne nicht gefolgt werden. Es sei auszuschließen, dass aus den Geschäftsverbindungen der Gemeinschuldnerin mit den vom Kläger zugeführten Kunden noch irgendwelche Vorteile für die Konkursmasse erwachsen könnten.
Ansprüche des Klägers nach § 26 Abs 2 und § 12 HVertrG seien nicht Gegenstand des mit der Klage bekämpften Bescheides der Beklagten gewesen, weshalb die Klage, soweit sie sich auf § 26 HVertrG stützte, sogar zurückzuweisen wäre. Dies gelte auch hinsichtlich der Bestimmung des § 12 HVertrG, auf welche der Kläger unter Missachtung des Neuerungsverbotes des § 482 ZPO seinen Anspruch gründen wolle.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil die in der Berufungsentscheidung für die Anspruchsvoraussetzungen eines Ausgleichsanspruches nach § 25 HVG 1921 angeführte Entscheidung vom , 5 Ob 242/71 (HS 8572), infolge der anderen Fassung des § 24 Handelsvertretergesetzes 1993 nicht mehr anwendbar ist und die Auslegung des § 24 HVertrG 1993 eine erhebliche Rechtsfrage darstellt, zu der der Oberste Gerichtshof bislang nicht Stellung genommen hat.
Die Revision ist auch berechtigt.
Hinsichtlich der vom Berufungsgericht bejahten Arbeitnehmerähnlichkeit des Klägers genügt es, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO), sodass die systemwidrige - Gewährung einer Versicherungsleistung ohne Versicherungsbeiträge - Bestimmung des § 2 Z 3 IESG idF vor der IESG-Novelle 1997 auf den Kläger noch anwendbar ist (vgl Liebeg IESG1 114 f; zur wirtschaftlichen Unselbständigkeit des Handelsvertreters Arb 9747 und 9944).
§ 24 HVertrG 1993, BGBl Nr 88, unterscheidet sich von der vorausgehenden Bestimmung des § 25 HVG 1921 insbesondere in Abs 1 Z 2 und 3. Hiezu heisst in der Regierungsvorlage 578 BlgNR 18. GP 15:
"Abweichend von der geltenden Rechtslage muss der Unternehmer aus diesen Geschäftsverbindungen nicht nur wie bisher 'Vorteile', sondern 'erhebliche Vorteile' ziehen können. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des prinzipiell anspruchsberechtigten Personenkreises bewirkt dieses zusätzliche Erfordernis allerdings keine Schlechterstellung für den Handelsvertreter. Die Frage, ob und in welcher Höhe dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch zusteht, hängt neben den genannten Voraussetzungen auch noch davon ab, inwieweit die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht. Als solche zu berücksichtigende Umstände sind ausdrücklich dem Handelsvertreter entgehende Provisionen genannt. Damit wird - nicht nur entsprechend den Richtliniengebot, sondern auch im Hinblick auf die in dieser Frage nicht einheitlichen Linie der Judikatur (siehe Jabornegg HVG 506 ff) - klargestellt, dass maßgeblicher Umstand bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs auch die dem Handelsvertreter entgehenden Provisionen sind."
Wie sich aus den in § 24 Abs 1 Z 2 HVertrG gebrauchten Worten "erzielen kann" deutlich ergibt, kommt es nicht nur auf tatsächlich erzielte sondern auch auf potentiell erzielbare Vorteile des Geschäftsherrn oder seines Rechtsnachfolgers aus den vom Handelsvertreter akquirierten oder erweiterten Geschäftsverbindungen an. Der Umstand allein, dass über das Vermögen des Geschäftsherrn das Konkursverfahren eröffnet und das Unternehmen versilbert wurde, schloss nach der früheren Rechtslage einen Ausgleichsanspruch "mangels Fortbestehens der Geschäftsverbindung mit der zugeführten Kundschaft" aus (HS 8572); nunmehr schließt die Konkurseröffnung aber nicht schlechthin aus, dass der Unternehmer oder sein Rechtsnachfolger auch noch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile aus dem Kundenstock ziehen könnte. Die Negativfeststellung "eine allfällige Veräußerung des Kundenstockes sei nicht erwiesen" schließt noch keineswegs aus, dass der Kundenstock das Erzielen erheblicher Vorteile - etwa im Falle einer Veräußerung des Unternehmens oder eines Unternehmensteiles des Gemeinschuldners - gestattet hätte (vgl Tschuk, Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses, 16 sowie Hoyningen-Huene in Münchner Komm dHGB § 89b Rz 39f). Insoweit erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig, insbesondere wird mit den Parteien das unzureichende Vorbringen gemäß § 182 Abs 1 ZPO zu erörtern sein.
Den Klägern trifft die Beweislast für die Zuführung neuer Kunden und die Erweiterung bestehender Geschäftsverbindungen sowie die getätigten Geschäftsabschlüsse; hingegen wird die Beklagte den Beweis zu führen haben, dass Vorteile aus den vom Kläger geschaffenen oder erweiterten Geschäftsverbindungen weder erzielt wurden noch erzielt werden konnten (siehe Arb 11536; Arb 10939 mwN; Viehböck, Strukturvertrieb und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, WBl 1998, 434 [436]).
Die hilfsweise Begründung des Klagsanspruches mit Ansprüchen gemäß §§ 12 Abs 2 und 26 Abs 2 HVertrG ist dem Kläger wegen der sich aus den Besonderheiten der sukzessiven Zuständigkeit ergebenden Bindung an den in der Anmeldung bei der beklagten Partei gebrauchten Rechtsgrund verwehrt.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.