VfGH vom 23.02.1998, a8/97

VfGH vom 23.02.1998, a8/97

Sammlungsnummer

15067

Leitsatz

Abweisung einer Klage auf Auszahlung der Familienbeihilfe durch das Finanzamt aufgrund bereits erfolgter Auszahlung des klagsgegenständlichen Geldbetrags an eine andere Person mit nachgewiesener Identität durch das Postamt nach Hinterlegung

Spruch

Das Klagebegehren wird abgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Bund (Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie) zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 2.707,20 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Mit auf Art 137 B-VG gestützter Klage vom begehrt der Kläger die Fällung des Urteils, der Bund sei schuldig, ihm den Betrag von S 11.550,-- samt 4 % Zinsen seit dem sowie die - im Detail verzeichneten - Kosten dieses Rechtsstreits zu bezahlen.

Das Klagebegehren wird wie folgt begründet:

"Dem Kläger ... wurde ... Familienbeihilfe gewährt, die ... per Postanweisung auszuzahlen gewesen wäre. Als er die fällige Zahlung für die ersten zwei Kalendermonate 1995 nicht erhalten hatte, das Finanzamt jedoch mitteilte, daß der Betrag bereits an das Postamt zur Weiterleitung überwiesen worden sei, und deshalb im März 1995 beim oben bezeichneten Postamt die Auszahlung urgierte, wurde ihm mitgeteilt, daß der für ihn erliegende Geldbetrag von S 11.550,-- bereits von einer Person behoben worden sei, die behauptet hatte, der Sohn des Klägers zu sein. Der Kläger hatte niemanden mit der Übernahme des Geldbetrages beauftragt oder bevollmächtigt.

...

Die auf Anweisung des Finanzamtes durchgeführte Zahlung wurde, geht man von der Richtigkeit der Angaben des Beklagten aus, an einen Dritten geleistet. Dieser war dem Kläger unbekannt und folglich weder zur Entgegennahme der Zahlung beauftragt noch bevollmächtigt. Es erfolgte deshalb nie eine schuldbefreiende Zahlung des Beklagten an den Kläger."

2. Der Bund (Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie), vertreten durch die Finanzprokuratur, erstattete eine Gegenschrift, in welcher er den Antrag stellt, die Klage zurückzuweisen, in eventu abzuweisen, und die klagende Partei zum Ersatz der näher bezeichneten Prozeßkosten zu verpflichten.

Die beklagte Partei trägt im wesentlichen vor:

"Der streitgegenständliche Betrag (Familienbeihilfe) wurde am vom Finanzamt f. d. 4., 5. und 10. Bezirk an (Name des Klägers) zur Barzahlung angewiesen und am - nach Hinterlegung dieses Betrages zur Abholung und ordnungsgemäßer Benachrichtigung der klagenden Partei davon, weil sie am nicht angetroffen werden konnte - vom Sohn der klagenden Partei unter Vorlage der Benachrichtigung zum Nachweis der Berechtigung sowie eines gültigen Reisepasses Kroatien/Rijeka zum Nachweis der Identität am Schalter beim Postamt 1050 Wien behoben.

...

Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art 137 B-VG ist nur dann gegeben, wenn die Ansprüche weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch einen Bescheid der Verwaltungsbehörde zu erledigen sind (zB ; Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht8 Rz 1075).

Folgt man dem Vorbringen der klagenden Partei, die Familienbeihilfe wäre nicht ordnungsgemäß an sie zur Auszahlung gebracht worden, dann besteht ein Rückstand iS des § 21 Abs 3 FLAG, über dessen Auszahlung im Verwaltungsweg vom Finanzamt zu entscheiden ist. Damit ist aber die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung nicht gegeben.

... Die klagende Partei hat beim Finanzamt für den 4., 5. und 10. Bezirk die Verfügung getroffen, daß die Familienbeihilfe monatlich durch die Post an sie auszuzahlen ist; mit der Anweisung und Freigabe der Familienbeihilfenbeträge hat das Finanzamt seine Verpflichtung gegenüber der klagenden Partei erfüllt. Der streitgegenständliche Betrag ist beim Postamt eingelangt und zur Abholung durch die klagende Partei bereit gehalten worden. Das Risiko der Behebung des Betrages durch einen Dritten trägt (iS des § 905 ABGB) die klagende Partei.

Im übrigen ist auch die Postverwaltung ihrer Verpflichtung gegenüber der klagenden Partei ordnungsgemäß nachgekommen, weshalb die Frage, wem ein mögliches Fehlverhalten der Postverwaltung zuzurechnen ist - das Vorliegen eines solchen wird ausdrücklich bestritten -, dahingestellt bleiben kann. Da weder vom Absender noch vom Empfänger eine besondere Verfügung hinsichtlich der Ersatzzustellung getroffen wurde, erfolgte die Auszahlung des Geldbetrages am entsprechend den Vorschriften des Postgesetzes und der Postordnung an den Ersatzempfänger. Aufgrund der Tatsache, daß die den Geldbetrag abholende Person die Benachrichtigung vorlegte, war die Zulässigkeit der Ersatzzustellung gemäß § 187 Postordnung gegeben und eine weitere Prüfung nicht erforderlich. Darüber hinaus hat sich der Abholer durch Vorlage seines Reisepasses ausgewiesen."

3. Der Kläger hat eine "Replik" erstattet, in der er diesen Ausführungen wie folgt entgegentritt:

"Der Kläger ist türkischer Abstammung, ebenso seine Kinder. Umso absurder erscheint die Annahme, daß die Person, die die Gelder ausgezahlt erhalten hatte, ein Sohn des Klägers war. Erschwerend kommt hinzu, daß dem Kläger beim Postamt 1050 Wien mitgeteilt wurde, daß der angebliche 'Sohn' ungefähr gleich alt war, wie der Kläger selbst. Eine Verwandtschaft ist biologisch nicht möglich.

Abgesehen davon, daß sich die beklagte Partei zur Auszahlung der Familienbeihilfe ihrer eigenen Organe, nämlich der Post bedient, ist gem. § 905 Abs 2 ABGB der Geldschuldner verpflichtet, auf seine Gefahr und Kosten dem Gläubiger an dessen Wohnsitz das Geschuldete zu übermachen. ... Ein Gefahrenübergang kommt daher überhaupt nicht in Frage.

Überdies stellt sich das Problem der Gefahrtragung gar nicht, weil die Post als Geldbote der beklagten Partei ein schweres Verschulden trifft:

Würde der Nachweis der Namensgleichheit und die Behauptung, der Sohn einer empfangsberechtigten Person zu sein, genügen, um Gelder ausbezahlt zu erhalten, so wäre allen Formen der unrechtmäßigen Bereicherung im Geldverkehr Tür und Tor geöffnet. Zahlungen an irgendwelche dritte Personen können die beklagte Partei nicht von ihrer Schuld befreien."

4. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

4.1. Gemäß Art 137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Im vorliegenden Fall geht es um einen vermögensrechtlichen Anspruch, nämlich um die Leistung von Familienbeihilfe im Ausmaß von S 11.550,-- s.A. Dieser im öffentlichen Recht wurzelnde Anspruch ist weder im ordentlichen Rechtsweg noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen. § 13 des Familienlastenausgleichsgesetzes (im folgenden: FLAG) idF des BG BGBl. Nr. 201/1996 ordnet zwar an, daß "über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe ... das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt zu entscheiden (hat)", wobei ein Bescheid zu erlassen ist, insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattgegeben wird. Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um die Frage der Gebührlichkeit der Familienbeihilfe - diese ist zwischen Kläger und Beklagtem nicht strittig - sondern (ausschließlich) darum, ob der Beklagte mit schuldbefreiender Wirkung geleistet hat. Für die Klärung dieser Frage ist zufolge § 13 jedoch die Zuständigkeit des Finanzamtes nicht vorgesehen (arg: "Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe"). Da sich auch keine andere Rechtsnorm findet, die die Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde begründet - der vom Beklagten bezogene § 21 Abs 3 FLAG wurde durch Art 72 Z 14 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201/1996, aufgehoben - ist das Klagebegehren, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

4.2. Es ist jedoch nicht begründet:

4.2.1.1. Die näheren Modalitäten der Auszahlung der Familienbeihilfe sind in ArtII des BG BGBl. Nr. 246/1993 geregelt (im Hinblick darauf, daß der maßgebliche Sachverhalt sich im März 1995 ereignet hat, ist die zwischenzeitlich durch Art 72 Z 38 Strukturanpassungsgesetz 1996 erfolgte Änderung hier nicht maßgebend). Diese Bestimmung lautet:

"§2. (1) Die Familienbeihilfe wird für jeweils zwei Monate innerhalb des ersten Monats durch das Wohnsitzfinanzamt ausgezahlt.

(2) Die Auszahlung erfolgt durch Überweisung auf ein Scheckkonto bei der österreichischen Postsparkasse oder auf ein Girokonto bei einer anderen inländischen Kreditunternehmung. Bei berücksichtigungswürdigen Umständen erfolgt die Auszahlung durch eine Direktanweisung im Wege der Post; falls dies unzumutbar ist, bar im Wege der Postzustellung.

(3) ..."

4.2.1.2. § 18 Postgesetz, BGBl. Nr. 58/1957 idF BGBl. Nr. 906/1993, ordnet an:

"Die Post ist, soweit nicht gesetzlich ausdrücklich anderes bestimmt ist, berechtigt, Postsendungen an Personen abzugeben, die an der auf der Sendung angegebenen Abgabestelle des Empfängers anwesend sind, wenn nur dadurch die Abgabe der Sendung möglich ist und der Empfänger dagegen keinen Einspruch erhoben oder der Absender auf der Sendung nicht anderes verfügt hat. An diese Personen dürfen Postsendungen auch am Postschalter abgegeben werden. Ist an der angegebenen Abgabestelle keine empfangsberechtigte Person anwesend, dürfen für eine natürliche Person bestimmte Pakete unter den im ersten Satz angeführten Voraussetzungen auch an einen Wohnungs- oder Hausnachbarn zugestellt werden; der Empfänger ist hievon schriftlich zu verständigen. Das Postgeheimnis steht der Erstattung von Anzeigen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, die von Amts wegen zu verfolgen sind, nicht entgegen."

Die Postordnung, BGBl. Nr. 110/1957 idgF, enthält mehrere Regelungen hinsichtlich der Abholung und Ausfolgung von Postsendungen am Postschalter. § 187 normiert:

"Nichtbescheinigte Postsendungen und Abholscheine sind am Postschalter an die Person abzugeben, welche die Abgabe der Postsendung verlangt, wenn dagegen keine Bedenken bestehen. Bescheinigte Postsendungen, deren Ersatzzustellung zulässig ist, dürfen, wenn der Empfänger dagegen nicht schriftlich Einspruch erhoben hat, am Postschalter außer an den Empfänger an Personen abgegeben werden, an die ersatzweise zugestellt werden kann. Im Zweifelsfall hat die Person, welche die Abgabe der Postsendung verlangt, ihre Identität sowie ferner nachzuweisen, daß an sie eine Ersatzzustellung zulässig ist. Der Nachweis der Zulässigkeit der Ersatzzustellungen entfällt, wenn der Abholschein, die Benachrichtigung oder die Verständigung übergeben wird. Sonstige bescheinigte Postsendungen sind am Postschalter nur an den Empfänger oder postordnungsmäßigen Übernahmsberechtigten abzugeben."

4.2.2. Bedenken ob der Rechtmäßigkeit dieser Rechtsvorschriften wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Auch der Verfassungsgerichtshof hegt aus der Sicht der vorliegenden Klagssache keine Bedenken ob der Rechtmäßigkeit der angeführten Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen. Er sieht sich daher nicht veranlaßt, von Amts wegen ein Normenprüfungsverfahren einzuleiten.

4.2.3. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten geht hervor, daß der Kläger den Beklagten mit beim Finanzamt für den IV., V. und X. Bezirk am eingegangenen Schriftsatz ersucht hat, die Familienbeihilfe "durch die Post an mich auszuzahlen."

Nach der dem Akt beiliegenden Auskunft der Post wurde hinsichtlich des streitgegenständlichen Geldbetrages am ein Zustellversuch unternommen. Da der Empfänger nicht angetroffen werden konnte, wurde der Anweisungsbetrag beim Postamt 1050 Wien zur Abholung hinterlegt, wovon der Empfänger benachrichtigt wurde.

Am wurde der Geldbetrag einer Person, die sowohl die Benachrichtigung vorlegte als auch ihre Identität mittels gültigem Reisepaß nachwies, behoben. Eine Verfügung in der Art, daß der Anweisungsbetrag lediglich dem Kläger auszuzahlen ist, wurde weder vom Kläger noch vom Beklagten getroffen.

4.2.4. Ausgehend von diesem - unbestrittenen - Sachverhalt erweist sich das Klagebegehren als nicht begründet: Die Auszahlung des klagsgegenständlichen Geldbetrages an eine Person, die ihre Identität mittels gültigem Reisepaß nachgewiesen und die Benachrichtigung betreffend die Hinterlegung des Geldbetrages vorgelegt hat, erweist sich im Hinblick auf die Bestimmung des § 187 vorletzter Satz PostO, derzufolge der Nachweis der Zulässigkeit der Ersatzzustellung "entfällt, wenn ... die Benachrichtigung ... übergeben wird", als rechtmäßig. Diese Rechtsvorschrift ermöglicht unter den genannten Voraussetzungen auch eine rechtswirksame Zustellung an eine Person, ohne daß ein Nachweis der Zulässigkeit der Ersatzzustellung zu erbringen ist. Es hat sohin seitens des Beklagten eine Leistung mit schuldbefreiender Wirkung stattgefunden.

Das Klagebegehren war daher abzuweisen.

4.3. Der Kostenzuspruch stützt sich auf § 41 VerfGG 1953 (vgl. VfSlg. 12020/1989), wobei die Kosten nach TP3c des Rechtsanwaltstarifes zu bemessen sind.

4.4. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.