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OGH vom 29.04.2003, 10ObS56/03p

OGH vom 29.04.2003, 10ObS56/03p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Herbert Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Günter S*****, Maschinenschlosser, ***** vertreten durch Summer/Schertler/Stieger, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Rekursverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 23 Rs 62/02t-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 34 Cgs 17/02p-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Der am geborene Kläger hat den Beruf des Maschinenschlossers erlernt und im gesamten Berufsleben (ab 1958) mit Ausnahme einer kurzen Zeit in Deutschland immer ausgeübt. Dabei war er durchgehend bei der Firma G***** Textil beschäftigt. Zusätzlich zur Lehrausbildung hat der Kläger spezielle Maschinenkurse im Herstellerwerk für die Reparatur von Getrieben der Webmaschinen absolviert und den Staplerführerschein erworben. Dieser hatte ihn berechtigt, innerbetrieblich auch Transporte von Maschinenteilen mit dem Stapler selbst durchzuführen. Er war immer als Monteur und Reparaturschlosser für die Webmaschinen der Weberei der Firma G***** tätig. Er arbeitete überwiegend in Normalschicht ohne Akkord. Gelegentlich, insbesondere in der Urlaubszeit, verrichtete er als Vertreter auch Schicht- und fallweise Wochenenddienst.

Bei den Reparaturarbeiten an den Webmaschinen musste der Kläger häufig unter dem Webstuhl arbeiten. Dabei waren Arbeiten in Hocke, unter der Maschine liegend, im Knien oder - wenn es sich um Arbeiten im oberen Bereich der Maschine handelte - auch über längere Zeit in vorgebeugter Haltung notwendig. Bei Jacquard-Maschinen arbeitete der Kläger gelegentlich auch in Streckhaltung oder, wenn er im Bereich der Lochkarten Reparaturen durchführen musste, auf einem Laufsteg in gebückter Haltung bzw kniend. Die Hebe- und Tragebelastung lag häufig im Bereich der körperlich schweren Arbeit. Die Montageteile (Getriebe, Motoren usw) wogen häufig zwischen 40 und 50 kg. Für den Transport dieser Teile standen Hilfsmittel zur Verfügung. Dennoch mussten sie aber beim Ein- oder Ausbau händisch und großteils ohne Hilfsmittel bewegt werden. Defekte Maschinenteile oder Getriebe wurden in die Schlosserei transportiert und dort gereinigt und repariert. Im Bereich einer Weberei und speziell bei Reparaturen an Webstühlen ist der betreffende Arbeiter hoher Staub- und Lärmkonzentration ausgesetzt, weshalb Gehörschutzpflicht besteht. Zeitdruck war immer dann gegeben, wenn plötzlich Schäden an einer laufenden Maschine auftraten.

Aufgrund der näher beschriebenen Leidenszustände kann der Kläger seit nur noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten. Das Anheben und Tragen von schweren und mittelschweren Lasten, das Arbeiten in Zwangshaltung und über mehrere Stunden, Arbeiten hauptsächlich über Kopf, häufiges Bücken bzw in hauptsächlich gebückter Körperhaltung, Arbeiten unter übermäßiger Stressbelastung wie Fließband-, Akkordarbeiten usw müssen vermieden werden.

Der Kläger kann seine bisherige Tätigkeit nicht mehr verrichten. Seine bisherige Tätigkeit lässt sich auch nicht so ändern, dass sie dem Kläger weiterhin möglich wäre. Das Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Gegenständen zählt zum Kernbereich der Montagearbeiten an den Webmaschinen. Eine Änderung der Tätigkeit dergestalt, dass der Kläger nur noch leichte Arbeiten in der Werkstätte verrichtet, ist nicht möglich.

Der Kläger könnte mit dem verbleibenden Leistungskalkül weiterhin in einer feinmechanischen Werkstätte an einer Kopierfräse Kleinteile bearbeiten oder an einer Drehbank Kleinteile drehen (zB Tischdrehbank für Kleinteile). Dabei handelt es sich um Teiltätigkeiten oder artverwandte Berufe zu jenen des Maschinenschlossers. Auch im Werkzeugbau gibt es Tätigkeiten, die der Kläger weiterhin verrichten könnte, zB Gesenke nacharbeiten, ausschleifen usw. In all diesen Verweisungstätigkeiten gibt es Arbeitsplätze in ausreichender Zahl.

Mit Bescheid vom lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension mangels Vorliegens von Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs 1 ASVG ab.

Das Erstgericht gab dem vom Kläger dagegen erhobenen und auf die Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab gerichteten Klagebegehren für den Zeitraum ab statt, wobei es weiters aussprach, dass die Pension erst nach der Aufgabe des noch aufrechten Dienstverhältnisses anfalle. Das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension für den Monat August 2001 gerichtete Mehrbegehren wies das Erstgericht rechtskräftig ab. Nach seinen Rechtsausführungen sei die Frage einer Berufsunfähigkeit des Klägers ungeachtet seiner Leistungszugehörigkeit zur Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten inhaltlich nach § 255 ASVG zu beurteilen, weil der Kläger in seinem gesamten Berufsleben als Arbeiter tätig gewesen sei. Der Kläger erfülle ab (Vollendung des 57. Lebensjahres) die Voraussetzungen für eine Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASGG, weil der Kläger seine langjährig ausgeübte Tätigkeit als Maschinenschlosser mit seinem konkreten Aufgabenbereich: Wartungs- und Reparaturarbeiten an Webstühlen aufgrund seiner festgestellten Leiden nicht mehr ausüben könne. Eine zumutbare Änderung dieser Tätigkeit komme nicht in Betracht, da das Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Gegenständen zum Kernbereich der Montagearbeiten an den Webmaschinen gehöre und eine Änderung der Tätigkeit in der Form, dass der Kläger nur noch leichte Arbeiten in der Werkstätte verrichte, ebenfalls nicht möglich sei. Eine Verweisung des Klägers auf Teiltätigkeiten des erlernten Berufes oder auf artverwandte Tätigkeiten sei nach § 255 Abs 4 ASVG nicht zulässig, weil sonst kein Unterschied mehr zwischen Versicherungsfällen des § 255 Abs 4 ASVG und jenen des § 255 Abs 1 ASVG bestünde. Da der Kläger seine bisherige Tätigkeit noch nicht aufgegeben habe, falle die Pension gemäß § 86 Abs 3 Z 2 ASVG erst mit der Beendigung des noch aufrechten Dienstverhältnisses an.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der beklagten Partei den klagsstattgebenden Teil dieses Urteiles auf und verwies die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es bejahte ausdrücklich die Anwendbarkeit des § 255 Abs 4 ASVG auch auf Versicherte, die - wie der Kläger - Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG genießen. Die Regelung des § 255 Abs 4 ASVG solle einen wirksamen Berufsschutz insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen schaffen, wobei ein anderer Tätigkeitsbereich jedenfalls dann unzumutbar sei, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfeldes des Versicherten bedeute, wie etwa das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden müsste. Als "zumutbare Änderungen" der bisher ausgeübten Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG könne nur eine Änderung in den Randbereichen verstanden werden, während der Kernbereich der Tätigkeit derselbe bleiben müsse. Das Erstgericht werde im fortzusetzenden Verfahren, insbesondere durch eine Ergänzung des berufskundlichen Gutachtens, zu klären haben, ob es am Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl Arbeitsplätze gebe, welche dem Kernbereich der bisherigen Tätigkeit des Klägers entsprechen und weder eine wesentliche Änderung des bisherigen arbeitskulturellen Umfeldes des Klägers bedeuten noch ein Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten erfordern sowie dem eingeschränkten medizinischen Leistungskalkül des Klägers entsprechen. Dabei werde insbesondere auf die bereits vom Erstgericht genannten Tätigkeiten (Bearbeiten von Kleinteilen an einer Kopierfräse in einer feinmechanischen Werkstätte; Drehen von Kleinteilen an einer Drehbank; Nacharbeiten und Anschleifen von Gesenken im Werkzeugbau) sowie die in der Berufung genannten Tätigkeiten eines Fertigungsprüfers oder Maschinenschlossers in anderen Industriezweigen Bedacht zu nehmen sein.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das dem Klagebegehren stattgebende Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß der hier noch anwendbaren Bestimmung des § 45 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVGNov BGBl I Nr 1/2002).

Wie bereits das Berufungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zutreffend ausgeführt hat, sind die Voraussetzungen für den Anspruch eines Pensionswerbers auf eine Berufsunfähigkeitspension, dessen Versicherungszeiten - wie auch im Falle des Klägers - überwiegend auf eine Beschäftigung zurückgehen, die gemäß § 13 ASVG die Zugehörigkeit zur Pensionsversicherung der Arbeiter begründet hätte, nicht nach § 273 ASVG, sondern unter analoger Anwendung des Invaliditätsbegriffs des § 255 ASVG zu beurteilen (RIS-Justiz RS0084342).

War der Versicherte - wie der Kläger - überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig, gilt er als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Versicherter, der einen Beruf erlernt hat und dessen Invalidität nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist, auch auf Teiltätigkeiten seines Berufes (bzw seiner Berufsgruppe) verwiesen werden, wenn er dadurch seinen Berufsschutz nicht verliert. Entscheidend ist für eine zulässige Verweisung, dass sich die Teiltätigkeit, auf die der Versicherte verwiesen werden soll, qualitativ hervorhebt und nicht bloß untergeordnet ist. Die Teiltätigkeit muss noch als Ausübung des erlernten Berufes angesehen werden können (SSV-NF 12/139 mwN ua; RIS-Justiz RS0084497, RS0084541). Erfordert die ausgeübte Tätigkeit nämlich auch Kenntnisse und Fähigkeiten, die Gegenstand der Ausbildung im erlernten Beruf und darüber hinaus auch nicht nur ganz unbedeutend sind, dann kann man davon ausgehen, dass der Versicherte den erlernten Beruf, wenn auch mit einer gewissen Spezialisierung weiter ausgeübt hat, sodass die Qualifikation im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG nicht verloren geht. So konnte beispielsweise ein gelernter KFZ-Mechaniker seinen Berufsschutz durch die während etwa eines Drittels seiner Arbeitszeit ausgeübten Mechanikertätigkeiten (Wartungs- und Reparaturarbeiten an Lastkraftwagen) erhalten (SSV-NF 14/38 mwN ua).

Die Richtigkeit der zutreffenden Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Invalidität des Klägers im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG zu verneinen ist, weil der Kläger im Sinne dieser Gesetzesstelle auf die vom Erstgericht genannten berufsschutzerhaltenden Tätigkeiten verweisbar wäre, wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen.

Strittig ist im vorliegenden Fall nur die Frage, ob eine Invalidität des Klägers im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG vorliegt.

Nach § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, gilt als invalid der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen.

In den Gesetzesmaterialien (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, AB 187 BlgNR XXI. GP 3 f) wird zur Neuregelung unter anderem ausgeführt, dass als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch 10 Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden solle. Können diese Personen aufgrund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann.

Weiters wurde im Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Sitzung vom mit Stimmenmehrheit folgende Ausschussfeststellung angenommen:

"Der Ausschuss für Arbeit und Soziales geht davon aus, dass mit § 255 Abs 4 (§ 273 Abs 3) ASVG insbesondere für ungelernte Arbeiter und Angestellte in niedrigen Verwendungsgruppen ein wirksamer Berufsschutz geschaffen werden soll. Ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher ist jedenfalls unzumutbar, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfelds des Versicherten bedeuten würde wie zB das Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss (zB Bauhilfsarbeiter in die Textilbranche). Im Ergebnis soll mit der neuen Regelung auch bewirkt werden, dass entgegen der bisherigen Judikatur zu ungelernten Arbeitern die berufliche Entwicklung des Anspruchswerbers bei der Anspruchsprüfung berücksichtigt werden und beispielsweise für eine Person, die im Baubereich ungelernte Tätigkeiten verrichtet hat, der Verweis auf die Tätigkeit als Portier ausgeschlossen sein soll."

Die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG gilt gemäß § 273 Abs 2 ASVG auch in der Pensionsversicherung der Angestellten. Vergleichbare Regelungen finden sich weiters in § 133 Abs 3 GSVG und § 124 Abs 2 BSVG.

Der erkennende Senat teilt die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG auch für jenen Versichertenkreis gilt, welcher bereits seinen Berufsschutz aufgrund einer erlernten oder angelernten Tätigkeit hat. § 255 Abs 4 ASVG schafft unabhängig davon, ob ein Berufsschutz besteht oder nicht, für Versicherte ab Vollendung des 57. Lebensjahres einen erleichterten Zugang zur Invaliditätspension bzw Berufsunfähigkeitspension (Weißensteiner/Warkoweil, Überlegungen zur Invaliditäts- (Berufsunfähigkeits-)pension nach § 255 Abs 4 und § 273 Abs 2 ASVG, DRdA 2001, 145 ff [148]). Dies ergibt sich nach Ansicht des erkennenden Senates zum einen schon daraus, dass durch die Erweiterung des Invaliditätsbegriffes (§ 255 Abs 4 ASVG) für ältere Versicherte anstelle der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die ebenfalls unabhängig vom Bestehen eines Berufsschutzes in Anspruch genommen werden konnte, ein erleichterter Zugang zur Invaliditätspension bzw Berufsunfähigkeitspension geschaffen werden sollte. Darüber hinaus ist weder dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien ein Hinweis zu entnehmen, dass allein der Versichertenkreis, welcher bereits einen Berufsschutz aufgrund einer erlernten oder angelernten Tätigkeit hat, von der ältere Versicherte, die erfahrungsgemäß besonders schwer einen Arbeitsplatz auf dem Arbeitsmarkt finden, begünstigenden Regelung des § 255 Abs 4 ASVG ausgenommen sein sollte. Es wird auch von der beklagten Partei nicht in Zweifel gezogen, dass die Bestimmung des § 255 Abs 4 ASVG auch auf den Kläger Anwendung zu finden hat.

Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§ 253d ASVG) hatte der Versicherte, wenn er unter anderem.... in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hatte (Z 3) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande war, durch diese Tätigkeit (Z 3) wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegte (Z 4). Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, konnten Tätigkeiten dann als gleichartig bezeichnet werden, wenn sie im Wesentlichen ähnliche physische oder psychische Anforderungen unter anderem an Intelligenz, Kenntnisse, Umsicht, Verantwortungsbewusstsein, Handfertigkeit, Körperkraft, Körperhaltung, Durchhaltevermögen und Konzentrationsfähigkeit stellten. Die Gleichartigkeit der ausgeübten Tätigkeiten war nicht erst dann zu bejahen, wenn sie hinsichtlich aller genannten Parameter gegeben war, es kam vielmehr auf den Kernbereich der Tätigkeit, also auf jene Umstände an, die ihr Wesen ausmachten und sie von anderen Tätigkeiten unterschieden (SSV-NF 12/4; 11/49; 11/53; 11/62 mwN ua). Unterschiedliche Anforderungen im Randbereich der Tätigkeit standen der Annahme der Gleichartigkeit nicht entgegen; umgekehrt führten Übereinstimmungen im Randbereich nicht zur Bejahung der Gleichartigkeit (SSV-NF 10/42 ua). Hingegen wurde als nicht maßgebend angesehen, ob der Versicherte nur beim selben Dienstgeber oder in derselben Branche beschäftigt war (SSV-NF 4/120; 2/53 ua).

Auch die Beurteilung der Frage, ob der Versicherte die überwiegend ausgeübte gleichartige Tätigkeit weiter ausüben konnte, richtete sich nach der Haupttätigkeit, allerdings nicht mit dem auf einem bestimmten Arbeitsplatz, sondern mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RIS-Justiz RS0087658). Es war demnach zulässig, den Versicherten auf Arbeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisher geleisteten Tätigkeit übereinstimmten, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfielen, die am Arbeitsmarkt mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind (SSV-NF 10/42; 3/130 uva). Von Bedeutung war in all diesen Fällen, dass der Gesetzgeber im Fall des § 253d Abs 1 Z 4 ASVG nicht nur von einem Berufsschutz im Sinne einer Verweisbarkeit innerhalb der Berufsgruppe auf artverwandte Tätigkeiten (§ 255 Abs 1 ASVG), sondern von einem "Tätigkeitsschutz" ausging (SSV-NF 12/4; 11/53; 11/62 uva).

Voraussetzung für den hier strittigen Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension nach § 255 Abs 4 ASVG ist neben der Vollendung des 57. Lebensjahres zunächst das Vorliegen einer Tätigkeit, die der Kläger in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Vergleicht man die aufgehobene Bestimmung des § 253d ASVG mit der Neuregelung des § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000, so zeigt sich, dass die Neuregelung jedenfalls enger gefasst ist als die bisherige vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (10 ObS 352/02s; Wöss, Neues aus der Gesetzgebung, ASok 2000, 248 ff [252]). So ist nunmehr Voraussetzung für das Wirksamwerden der Neuregelung, dass

- innerhalb der letzten 15 Jahre 10 Jahre lang "eine" Tätigkeit ausgeübt wurde (bei der vorzeitigen Alterspension reichte die Ausübung einer "gleichen oder gleichartigen" Tätigkeit in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate der letzten 15 Jahre),

- die gesundheitliche Unfähigkeit zur weiteren beruflichen Tätigkeit nicht nur im Hinblick auf die bisher überwiegend ausgeübte Tätigkeit, sondern auch im Hinblick auf andere "zumutbare" Tätigkeiten bestehen muss (für die vorzeitige Alterspension reichte die gesundheitliche Unfähigkeit zur weiteren Verrichtung der überwiegend ausgeübten [Haupt-]tätigkeit) und

- Frauen das 57. Lebensjahr vollendet haben müssen, um von der Regelung Gebrauch machen zu können (die vorzeitige Alterspension konnte von Frauen ab 55 Jahren bezogen werden).

Im vorliegenden Fall ist unstrittig davon auszugehen, dass der Kläger im 15-jährigen Beobachtungszeitraum vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch "eine" Tätigkeit als Maschinenschlosser ausgeübt hat, wobei er konkret Wartungs- und Reparaturarbeiten an Webstühlen durchgeführt hat.

Im nächsten Schritt ist zu beurteilen, ob der Kläger in der Lage oder außerstande ist, dieser "einen" Tätigkeit (als Maschinenschlosser) weiterhin nachzugehen, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat. Auch wenn der Kläger nicht mehr in der Lage ist, den an seinem konkreten Arbeitsplatz gestellten Anforderungen als Maschinenschlosser zu genügen, weil dabei das ihm verbliebene Leistungskalkül überschritten wird, ist er entgegen seiner auch im Rekurs vertretenen Ansicht deshalb noch nicht invalid im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG. Ebenso wie die Vorgängerbestimmung (§ 253d ASVG) stellt § 255 Abs 4 ASVG nämlich nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die "Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (10 ObS 98/03i; 10 ObS 367/02x; SSV-NF 12/121 ua; RIS-Justiz RS0087658). In diesem Sinn wird kein Arbeitsplatzschutz, sondern ein Tätigkeitsschutz (oder ein dem inhaltlich entsprechender "besonderer Berufsschutz") gewährt. Dabei sind aber nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut auch zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen. Aus den im Zuge der Beratungen des SVÄG 2000 im Ausschuss für Arbeit und Soziales getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass ein anderer Tätigkeitsbereich als bisher jedenfalls unzumutbar ist, wenn er eine wesentliche Änderung des beruflichen Umfeldes des Versicherten bedeuten würde wie zB das Anlernen gänzlich neuer Tätigkeiten oder der Verweis auf eine Tätigkeit, die in einem anderen arbeitskulturellen Umfeld erbracht werden muss. Unter dem "Erlernen gänzlich neuer Tätigkeiten" ist der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten zu verstehen, die der Anspruchswerber bisher in seinem Berufsleben nicht anwenden und nicht nutzen musste. Im Rahmen einer Lehrausbildung werden regelmäßig sehr umfangreiche Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, die im praktischen Berufsleben zufolge von Spezialisierungen im Rahmen der täglichen Berufsarbeit häufig nicht eingesetzt werden müssen und die sich der Betreffende daher erst wieder aneignen müsste, um sie praktisch anwenden zu können. Weiters können in den Lehrberufen beispielsweise durch technische Entwicklungen Änderungen in den gestellten Anforderungen eintreten. Es wird daher auch von Bedeutung sein, welchen Zeitraum eine für die Ausübung eines Verweisungsberufes zur Auffrischung und Wiedererlangung der erforderlichen Kenntnisse notwendige Anlernung voraussichtlich in Anspruch nehmen wird (vgl 10 ObS 367/02x; Röhrenbacher, Gedanken und Überlegungen zum neuen Invaliditätsbegriff, SozSi 2001, 846 ff [851]). Das nach § 255 Abs 4 ASVG in Betracht kommende Verweisungsfeld ist somit jedenfalls enger als jenes nach § 255 Abs 1 ASVG, jedoch im Hinblick auf die erwähnten "zumutbaren Änderungen" dieser Tätigkeit weiter als das Verweisungsfeld der früheren Bestimmung des § 253d ASVG. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgeführt (10 ObS 185/02g; 10 ObS 345/02s; 10 ObS 421/02p ua), dass eine Verweisung nach § 255 Abs 4 ASVG jedenfalls dann als zumutbar angesehen werden muss, wenn die Verweisungstätigkeit bereits bisher als eine Teiltätigkeit ausgeübt wurde und das Arbeitsumfeld dem bisherigen ähnlich ist. So wurde beispielsweise in dem der Entscheidung 10 ObS 421/02p vom zugrunde liegenden Fall ausgeführt, dass eine Verweisung eines Bauschlossers auf die Tätigkeiten eines Einstellers an CNC-gesteuerten Maschinen oder eines Fertigungsprüfers den Rahmen der "zumutbaren Änderungen" überschreiten würde. Denn abgesehen von dem nicht genau festgestellten, aber doch länger dauernden Umschulungsbedarf stehe bei den genannten Verweisungstätigkeiten nicht die eigenhändige Produktion, sondern die Kontrolle maschineller Tätigkeiten im Vordergrund. Dazu seien Bauschlosserarbeiten typischerweise auf Baustellen (auch im Freien) zu verrichten, während die Verweisungstätigkeiten in Werkstätten und Betriebshallen angesiedelt seien. Damit sei ein anderes Arbeitsumfeld gegeben. Dem Umstand, dass hier wie dort Metall be- und verarbeitet werde, könne keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen, weil damit die vom Gesetzgeber (im Verhältnis zu § 255 Abs 1 ASVG) beabsichtigte Einschränkung des Verweisungsfeldes nicht gewährleistet werden könne. Hingegen wurde in der Entscheidung 10 ObS 98/03i vom eine Invalidität des als Baumaschinenmonteur (Reparatur, Wartung und Kundendienst betreffend Erdbewegungsmaschinen) im Außendienst tätig gewesenen Klägers gemäß § 255 Abs 4 ASVG mit der Begründung verneint, dass der Kläger noch Wartungs- und Reparaturarbeiten an Baufahrzeugen im Innendienst in einer Werkhalle verrichten könne, wobei die den Kern der bisherigen Tätigkeit des Klägers bildende handwerkliche Tätigkeit auch bei der Verweisungstätigkeit in praktisch gleicher Form zu verrichten sei und es nur in Randbereichen der bisherigen Tätigkeit (Inkasso, Kundenkontakte) zu Änderungen komme.

Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers kann ohne Vorliegen entsprechender Feststellungen zu den soeben dargestellten Kriterien nicht beurteilt werden, ob die im Verfahren genannten Verweisungstätigkeiten innerhalb des Verweisungsfeldes des § 255 Abs 4 ASVG liegen, deren Ausübung dem Versicherten von der Rechtsordnung noch zugemutet wird. Damit erweist sich der Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichtes als zutreffend, wobei der Ergänzungsauftrag an das Erstgericht vom Obersten Gerichtshof im Sinne der oben dargelegten Ausführungen noch zu präzisieren war. Schließlich wird das Erstgericht im Falle einer neuerlichen Stattgebung des Klagebegehrens, sofern der Kläger die Tätigkeit, aufgrund welcher er als invalid gilt, im Sinn des § 86 Abs 3 Z 2 ASVG noch nicht aufgegeben hat, seinen Urteilsspruch auf die Aufgabe dieser vom Kläger konkret ausgeübten Tätigkeit abzustellen und der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung ab Aufgabe dieser Tätigkeit durch den Kläger aufzutragen haben (vgl 10 ObS 309/01s ua; RIS-Justiz RS0116851).

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.