OGH vom 11.01.2005, 9ObA79/04i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Günter R*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 30.105 brutto sA, über den Antrag der klagenden Partei auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revisionsbeantwortung, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag der klagenden Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Revisionsbeantwortung wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Oberste Gerichtshof stellte dem Kläger die Beantwortung der von der Beklagten erhobenen außerordentlichen Revision frei. Der Beschluss über die Freistellung wurde dem Kläger, der im Verfahren erster und zweiter Instanz durch eine Rechtsschutzsekretärin der Gewerkschaft der Privatangestellten (iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG qualifiziert) vertreten wurde, zu Handen seiner Vertreterin am zugestellt. Die am zur Post gegebene Revisionsbeantwortung war daher verspätet.
Mit Urteil vom hob der Oberste Gerichtshof in Stattgebung der Revision des Beklagten das angefochtene Berufungsurteil auf und verwies die Arbeitsrechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Ergänzung des Verfahrens an das Berufungsgericht zurück. Gleichzeitig wurde die Revisionsbeantwortung des Klägers als verspätet zurückgewiesen. Mit seinem am beim Obersten Gerichtshof eingelangten Wiedereinsetzungsantrag beantragte der Kläger nunmehr, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Bewilligung der Frist zur Erhebung der Revisionsbeantwortung zu bewilligen. Bei der Gewerkschaft der Privatangestellten, bei der seine Vertreterin tätig sei, gebe es eine zentrale Poststelle, die die Aufgabe habe, die „normale" Post an die zuständigen Regionen und Abteilungen weiterzuleiten. Gerichtsbriefe hingegen hole die betreffende Abteilung ab, die von der Poststelle vom Einlangen der Sendung informiert werde. Als der Freistellungsbeschluss eingelangt sei, habe sich eine sonst äußerst verlässliche Team-Assistentin in die zentrale Poststelle begeben, um die Sendung zu übernehmen. An diesem Tag habe es viel Arbeitsanfall gegeben, da eine Team-Assistentin erkrankt gewesen sei und eine andere sich auf Urlaub befunden habe. Als sich die mit der Abholung betraute Team-Assistentin nun in der zentralen Poststelle eingefunden habe, habe sie wegen eines Telefonanrufs sofort in die Abteilung Region Wien zurückkehren müssen. In der Folge sei die Sendung durch den allgemeinen Verteiler erst am Montag, dem in die Abteilung der Vertreterin des Klägers gelangt. Versehentlich habe dort die genannte Team-Assistentin das Schriftstück mit „eingelangt am " abgestempelt. Der Kläger sei somit durch die Arbeitsbelastung der Team-Assistentin - und damit durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis - daran gehindert gewesen, für die fristgerechte Beantwortung der außerordentlichen Revision zu sorgen. Von der Fristversäumung habe er erstmals am Kenntnis erlangt.
Rechtliche Beurteilung
Der Wiedereinsetzungsantrag ist nicht berechtigt.
Gemäß § 148 Abs 1 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung bei dem Gericht anzubringen, bei dem die versäumte Prozesshandlung vorzunehmen war. Über den vorliegenden Antrag hat daher der Oberste Gerichtshof zu entscheiden, bei dem die Revisionsbeantwortung gemäß § 507a Abs 3 Z 2 ZPO einzubringen war. Gemäß § 11a Abs 3 Z 1 ASGG ist über den Wiedereinsetzungsantrag durch einen Dreiersenat zu entscheiden.
Gemäß § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO hindert der Umstand, dass einer Partei ein Verschulden an der Versäumung einer Frist zur Last liegt, die Bewilligung der Wiedereinsetzung dann nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein bloß minderer Grad des Versehens liegt nicht mehr vor, wenn die Partei oder die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (9 ObA 9/00i, RZ 1991/60; EvBl 1987/94 uva).
Der Wiedereinsetzungswerber hat nicht nur für sein eigenes Verschulden sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen. Der mit den Verhältnissen bei Gericht vertraute Rechtsvertreter unterliegt einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine qualifizierte Person iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG handelt (9 ObA 297/00t; 9 ObA 249/01k). Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum den Parteien) zuzurechnen (so insb 1 Ob 373/98d; ebenso 9 ObA 9/00i uva).
Nun trifft es zwar zu, dass ein Verschulden eines Kanzleiangestellten der Bewilligung der Wiedereinsetzung uU dann nicht entgegensteht, wenn es sich um ein einmaliges Versehen handelt, das angesichts der bisherigen Verlässlichkeit und Bewährung der Kanzleikraft nicht zu erwarten war und dem Rechtsvertreter nicht die Verletzung der von ihm zu erwartenden Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollpflichten vorgeworfen werden muss. Diese Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung sind jedoch hier nicht gegeben. Zum einen ist die Behauptung, die betroffene Team-Assistentin sei am überlastet gewesen, nicht geeignet, die Kette von Fehlleistungen, die zur Versäumung der in Rede stehenden Frist geführt haben, zu erklären. Es mag noch erklärbar sein, dass die Team-Assistentin wegen eines Telefonanrufs von ihrem Vorhaben, die Sendung aus der Poststelle abzuholen, Abstand genommen und in der Folge auf die Abholung vergessen hat. Jede Erklärung fehlt aber dafür, dass die Team-Assistentin am folgenden Montag, als die Sendung im Wege der Verteilung der normalen Post zu ihr gelangte, als Eingangsdatum den stempelte, obwohl ihr doch bewusst sein musste, dass sie die Abholung der Sendung vergessen hatte und sie daher bereits früher eingelangt sein musste. Selbst wenn sie auch das vergessen haben sollte, musste ihr die Möglichkeit klar sein, dass die mit der „normalen" Post bei ihr einlangende Sendung bereits an einem früheren Tag in der Poststelle eingelangt sein konnte. Ebenso musste ihr klar sein, dass Gerichtsbriefe wegen ihrer Termingebundenheit üblicherweise nicht mit der „normalen" Post verteilt werden; da der Zeitpunkt des Einlanges bei ihr nicht mit dem Zeitpunkt des Einlanges in der Poststelle ident sein konnte, hätte sie daher - auch im Fall mangelnder Erinnerung an ihr vorangegangenes Versäumnis - jedenfalls nachfragen müssen, wann die Sendung wirklich bei der Poststelle eingelangt ist.
Dazu tritt das Versäumnis der Bediensteten der Poststelle, die nach dem Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers angehalten sind, die zuständige Abteilung vom Einlangen von Gerichtsbriefe zu verständigen, um so deren Abholung zu veranlassen. Wenn schon die mit der Abholung betraute Bedienstete ihre Aufgabe vergisst, hätte daher die Poststelle die Sendung nicht einfach mit der „normalen" Post weiterleiten sondern die Abholung neuerlich urgieren müssen. Jedenfalls wäre es - ganz besonders unter den gegebenen Umständen - unabdingbar gewesen, schon in der Poststelle auf der Sendung den Zeitpunkt ihres Einlanges zu vermerken.
Damit wird aber deutlich, dass die Fristversäumung hier in Wahrheit die Folge eines Organisationsverschuldens ist. Dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt ist zu entnehmen, dass einlangende Gerichtsbriefe in der Poststelle keinen Eingangsvermerk erhalten. Vielmehr wird der Tag des Einlangens erst in der zuständigen Abteilung vermerkt, obwohl der Zeitpunkt des Einlangens in der Abteilung zwangsläufig mit jenem des Einlangens in der Poststelle nicht übereinstimmt. Dem wird durch die Vorgangsweise, vom Einlangen gerichtlicher Sendungen sofort die zuständige Abteilung zu verständigen, nicht hinreichend gegengesteuert, weil damit - wie der hier zu beurteilende Fall zeigt - die Richtigkeit des in der Abteilung angebrachten Eingangsvermerks bei auch nur geringfügigen Fehlern oder Versäumnissen der beteiligten Bediensteten, die offenbar in Zeiten erhöhter Arbeitsbelastung schwer zu vermeiden sind, nicht gewährleistet ist.
Die Unterschreitung des Standards einer gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei schließt im Allgemeinen die Entschuldbarkeit von Fristversäumungen aus (Gitschthaler in Rechberger² § 146 Rz 18). Dies gilt auch für die Büroorganisation qualifizierter Personen iSd § 40 Abs 1 Z 2 ASGG, an die - wie ausgeführt - der üblicherweise bei rechtskundigen Vertretern angewendete erhöhte Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist. Auch im hier zu beurteilenden Fall muss daher - soll das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu einer allgemeinen Fristverlängerungsbestimmung werden - von einem nicht mehr entschuldbaren Organisationsmangel ausgehen, sodass dem Wiedereinsetzungsantrag schon auf Grund des darin behaupteten Sachverhalts ein Erfolg zu versagen war.
Auf das völlig unzureichende Bescheinigungsanbot - in der vorgelegten eidesstättigen Erklärung bestätigt die betroffene Team-Assistentin nur, dass der Kläger „durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, nämlich durch Arbeitsüberlastung meinerseits, daran gehindert war", die Revisionsbeantwortung fristgerecht einzubringen - braucht daher nicht mehr eingegangen zu werden.