OGH vom 17.04.2002, 9ObA79/02m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Kaszanits und Josef Sinzinger als weitere Senatsmitglieder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bibiana N*****, Lehrling, ***** vertreten durch Dr. Norbert Moser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Renate E*****, Friseurin, ***** vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl und Dr. Robert Kugler, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen EUR 457,40 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 257/01w-11, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 31 Cga 137/01b-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 199,87 (darin EUR 33,31 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin legte am an einer Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe die Reifeprüfung ab. Sie war anschließend im Betrieb der Beklagten vom bis als Lehrling im Lehrberuf "Friseurin und Perückenmacherin" beschäftigt. Als Lehrlingsentschädigung erhielt sie das gemäß dem einschlägigen Kollektivvertrag für das erste Lehrjahr gebührende Entgelt. Unstrittig ist, dass angesichts der von der Klägerin abgelegten Reifeprüfung gemäß der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Ausbildung in Lehrberufen in verkürzter Lehrzeit (BGBl II Nr 201/1997) die für diesen Beruf an sich vorgesehene Lehrzeit von drei Jahren auf eine solche von zwei Jahren verkürzt ist, die in drei Ausbildungsperioden in der Dauer von je acht Monaten eingeteilt ist (§ 1 Z 1, § 3 Z 1 der VO). Zur allein strittigen Frage, ob der Klägerin für die bei der Beklagten zugebrachte Lehrzeit (von weniger als fünf Monaten) die kollektivvertraglich für das erste Lehrjahr gebührende Lehrlingsentschädigung zusteht - so die Beklagte - oder aber angesichts der um insgesamt ein Jahr verkürzten Ausbildungszeit bereits mit Beginn der Lehrzeit die sonst für das zweite Lehrjahr vorgesehene Lehrlingsentschädigung - so die Klägerin -, vertrat das Berufungsgericht entgegen dem Erstgericht die Auffassung, dass für die erste Ausbildungsperiode lediglich die sonst für das erste Lehrjahr vorgesehene Lehrlingsentschädigung gebühre. Das Berufungsgericht führte dazu im Wesentlichen aus, dass weder der Lehrvertrag, noch der Kollektivvertrag, noch die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften Bestimmungen enthielten, die die Höhe der Lehrlingsentschädigung im Falle einer nach § 6 Abs 6 BAG verkürzten Lehrzeit regeln, sodass eine Regelungslücke vorliege. Auch wenn bei der Arbeit des auszubildenden Lehrlings der Lerneffekt und nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund stehe, werde bei der Bemessung der Lehrlingsentschädigung auch der Umstand berücksichtigt, dass der Lehrling erst allmählich nützlich und erfolgreich für den Lehrberechtigten eingesetzt und tätig werden könne. Der Wert der Arbeitsleistung sei grundsätzlich am Beginn der Ausbildung verhältnismäßig gering und nähere sich erst mit fortschreitendem Ausbildungsgrad der Leistung eines fachlich ausgebildeten Arbeitnehmers. Nur im Bereich des in § 28 BAG geregelten "Lehrzeitenersatzes" führe die vorzunehmende Anrechnung einer Zeit in einer abgeschlossenen Lehre zu einem Anspruch auf jene Lehrlingsentschädigung, die sich aus der tatsächlichen Lehrzeit im neuen Lehrverhältnis und der dazuzurechnenden Anrechnungszeit ergibt; die sachliche Begründung sei darin zu befinden, dass der Lehrling durch seine in das zweite Lehrverhältnis eingebrachten Vorkenntnisse und durch die im ersten Lehrverhältnis erworbenen Fertigkeiten für den Lehrberechtigten einen bezüglich der Arbeitsleistung entsprechend höheren wirtschaftlichen Wert erbringe, weshalb § 28 BAG auch die erfolgreiche Absolvierung einer facheinschlägigen schulischen Berufsausbildung verlange. Im Falle einer Verkürzung der Lehrzeit gemäß § 6 Abs 6 BAG verfüge der Lehrling, der eine Reifeprüfung abgelegt hat, nicht über vergleichbare facheinschlägige Kenntnisse. Die Konsequenz der verkürzten Lehrzeit in Ausbildungsperioden von je acht Monaten könne nur sein, dass in entlohnungrechtlicher Hinsicht die kollektivvertraglichen Lehrjahressätze auf die jeweilige Ausbildungsperiode anzuwenden seien. Die Vermittlung der Fertigkeiten und Kenntnisse im Lehrbetrieb habe ja so zu erfolgen, dass die in einem "normalen" Lehrverhältnis je Lehrjahr (12 Monate) vorgesehenen Ausbildungsinhalte in acht Monaten erlernt werden können. Damit entspreche die vom Lehrling erbrachte Leistung in der ersten Ausbildungsperiode dem ersten Lehrjahr in einem "normalen" Lehrverhältnis. Nach dem Inhalt der Verordnung BGBl II Nr 201/1997 seien für die Ausbildung von Lehrberufen in verkürzter Lehrzeit die jeweiligen Ausbildungsvorschriften mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich die auf das einzelne Lehrjahr beziehenden Bestimmungen (Berufsbild, Anrechenbarkeit der Lehrzeit) auf die einzelnen Ausbildungsperioden (in der Dauer von jeweils acht Monaten) beziehen. Es sei daher nur konsequent, auch die Entlohnungsregelungen in diesem Sinne zur Anwendung zu bringen. An diesem Ergebnis vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass in - aus der Zeit vor der genannten Verordnung stammenden - Erlässen des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten von der Festlegung einer Zusatzvereinbarung zum Lehrvertrag gesprochen werde, nach deren Inhalt dem Lehrling im Rahmen des Ausbildungsversuchs ab Beginn des Lehrverhältnisses für das erste Lehrjahr schon die Lehrlingsentschädigung für das zweite Lehrjahr der "Normallehre" gebühren solle, weil diesen Erlässen ein normativer Charakter nicht zukomme.
Da das Berufungsgericht die maßgebliche Rechtsfrage richtig gelöst hat, reicht es aus, auf die Richtigkeit der Begründung der Berufungsentscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers Folgendes entgegenzuhalten:
Rechtliche Beurteilung
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, dass aus den der einschlägigen Verordnung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten vorangegangenen Erlässen ersichtlich sei, dass der "Normgeber" offensichtlich davon ausgegangen sei, dass es keinen Zweifel an der bis dahin üblichen Praxis gebe, im Falle der Verkürzung der Lehrzeit bereits ab Beginn des Lehrverhältnisses die Lehrlingsentschädigung für das zweite Lehrjahr zu gewähren, übersieht sie, dass Regelungen über die Höhe der Lehrlingsentschädigungen nicht in die Kompetenz des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten fallen; schon deshalb konnte die im Erlassweg geäußerte Rechtsansicht auch bisher nicht verbindlich sein. In diesem Zusammenhang bezieht sich die Klägerin ohnehin zutreffend auf die entsprechenden kollektivvertraglichen Bestimmungen, in denen allein die Höhe der Lehrlingsentschädigung festgelegt ist. Da unbestrittenermaßen hinsichtlich der Fälle verkürzter Lehrzeit eine Regelungslücke vorliegt - die Kollektivverträge beziehen sich ja auf die Lehrjahre einer Regelausbildung -, ist zu fragen, wie die Kollektivvertragsparteien die Frage der Lehrlingsentschädigung bei verkürzter Lehrzeit unter Berücksichtigung der dazu erlassenen ausbildungsrechtlichen Vorschriften (zB § 3 Z 1 der VO BGBl II Nr 201/1997) geregelt hätten.
Dass eine sachgerechte Lösung, deren Vereinbarung den Kollektivvertragsparteien zu unterstellen ist, nur darin liegen kann, die für die Regelausbildung vorgesehenen unterschiedlichen Entschädigungssätze für die einzelnen Lehrjahre in den Fällen verkürzter Lehrzeit auf die (den Lehrjahren inhaltlich entsprechenden) Ausbildungsperioden zu beziehen, hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt (idS auch B. Gruber, RdW 2001/624). Dem dagegen von der Klägerin ins Treffen geführten Formalargument, ihr müsse "konsequenterweise" auch die Lehrlingsentschädigung für das zweite Lehrjahr gebühren, weil aufgrund der Verordnung ein "Lehrzeitersatz" für ein Jahr erfolge, hat das Berufungsgericht richtig entgegengehalten, dass zwischen der Lehrzeitanrechnung nach § 28 BAG und der (hier zu beurteilenden) Lehrzeitverkürzung gemäß § 6 Abs 6 BAG aufgrund der unterschiedlichen sachlichen Rechtfertigung zu unterscheiden sei (dies übersehen auch Berger/Fida/Gruber, BAG, Rz 17 zu § 17). Dem zutreffenden Argument, dass ein Lehrling mit Reifeprüfung zu Beginn seines Lehrverhältnisses keineswegs einem Lehrling gleichgehalten werden könne, der bereits ein Jahr seiner fachspezifischen Ausbildung hinter sich hat, vermag die Revisionswerberin sachlich nichts entgegenzusetzen. Soweit sie schließlich darauf hinweist, dass eine Ungleichbehandlung gegenüber Lehrlingen ohne "entsprechende Ausbildung" (gemeint: Reifeprüfung) gerechtfertigt sei, weil bereits eine allgemein bildende bzw berufsbildende Höhere Schule erfolgreich besucht worden sei, ist ihr zu entgegnen, dass darauf ohnehin Bedacht zu nehmen ist. Im Hinblick auf das sachlich gebotene Abstellen auf die jeweiligen Ausbildungsperioden in den Fällen verkürzter Lehrzeit kommt sie ja bereits ab dem 9. Ausbildungsmonat in den Genuss der höheren Lehrlingsentschädigung, wogegen diese sonst erst ab dem 13. Ausbildungsmonat zustünde.
Der unberechtigten Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.