OGH vom 19.05.2014, 10ObS55/14g

OGH vom 19.05.2014, 10ObS55/14g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr.

Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhold Hohengartner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Mag. Florian Plöckinger, Rechtsanwälte GesbR in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 26/14p 20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom gewährte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt dem Kläger ein befristetes Pflegegeld der Stufe 4 vom bis .

Mit weiterem Bescheid der beklagten Partei vom wurde das Pflegegeld des Klägers ab neu bemessen und auf Stufe 1 herabgesetzt.

Mit dem gegenständlichen Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom auf Weitergewährung des bis befristeten Pflegegeldes ab, weil der Pflegebedarf nicht 60 Stunden monatlich überschreite.

Das Erstgericht wies das vom Kläger dagegen erhobene und erkennbar auf die Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 über den hinaus gerichtete Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung ab, der monatliche Pflegebedarf des Klägers von 44 Stunden erreiche nicht das für einen Zuspruch von Pflegegeld iSd § 4 Abs 2 BPGG erforderliche Ausmaß. Der Bescheid der beklagten Partei vom über die Neubemessung des Pflegegeldes könne nur dahin verstanden werden, dass die Höhe des Pflegegeldes aufgrund des gebesserten Gesundheitszustands des Klägers innerhalb der Befristung herabgesetzt worden sei, daraus könne aber keine (nunmehr) unbefristete Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 abgeleitet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und schloss sich in seiner Begründung im Ergebnis der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen sei davon auszugehen, dass ihm das Pflegegeld der Stufe 1 mit Bescheid vom unbefristet gewährt worden sei, weil § 9 Abs 2 BPGG eine befristete Pflegegeldleistung nur als Ausnahme vorsehe, der spätere Bescheid vom grundsätzlich den früheren Bescheid vom aufhebe und auch die Gewährung des Pflegegeldes im Bescheid vom „für die weitere Dauer der Pflegebedürftigkeit“ sowie das Fehlen jeglichen Hinweises auf eine Befristung für eine unbefristete Gewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 spreche. Sollte die beklagte Partei der Ansicht sein, dass dem Kläger ein Pflegegeld nicht mehr gebühre, müsste sie daher dieses mit Bescheid entziehen, sofern im Vergleich zum Gewährungsgutachten eine wesentliche Besserung eingetreten sei.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Das Pflegegeld ist gemäß § 9 Abs 2 BPGG im Regelfall unbefristet zuzuerkennen. Eine Befristung ist nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Dies ist zB denkbar im Zusammenhang mit einem zu erwartenden Erfolg einer Rehabilitation nach einem Unfall oder einem Schlaganfall ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 3 Rz 265).

1.1 Wie der Kläger selbst ausführt, erlitt er im August 2010 ein schweres Schädel Hirn Trauma und unterzog sich in der Folge vom bis und vom bis Rehabilitationsmaßnahmen. Mit rechtskräftigem Bescheid der beklagten Partei vom wurde der Anspruch des Klägers auf Pflegegeld vom bis in der Höhe der Stufe 4 anerkannt, wobei im Bescheid darauf hingewiesen wurde, dass der Gesundheitszustand des Klägers nach medizinischer Erfahrung eine Besserung erwarten lasse, die den Wegfall (die Herabsetzung) des Pflegegeldes wahrscheinlich mache.

1.2 Ein befristet zuerkanntes Pflegegeld fällt nach Ablauf der Frist weg, ohne dass es eines behördlichen Akts (Bescheids) bedarf. Eine Weitergewährung erfolgt nur über Antrag. Liegen die Voraussetzungen für die Weitergewährung eines Pflegegeldes auch nach Ablauf der Frist vor, so ist das Pflegegeld gemäß § 9 Abs 2 BPGG mit Beginn des auf den Ablauf der Frist folgenden Monats weiter zu gewähren, sofern der darauf gerichtete Antrag innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Befristung gestellt wird ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 3 Rz 267).

1.3 Befristungen, Bedingungen, Auflagen und Widerrufsvorbehalte werden als Nebenbestimmungen betrachtet, die zum Hauptinhalt des Bescheids gehören. Eine Befristung besteht in der zeitlichen Begrenzung der im Hauptinhalt des Bescheids normierten Rechtswirkungen. Die Befristung kann entweder durch Festlegung der Dauer der (primären) Bescheidwirkungen, also einer regelmäßig materiell rechtlichen Frist oder des Anfangs und/oder Endtermins erfolgen ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 59 Rz 45 f mwN).

1.4 Im vorliegenden Fall wurde daher die Zuerkennung des Pflegegeldes (der Stufe 4) an den Kläger durch den in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der beklagten Partei vom auf den Zeitraum vom bis begrenzt.

2. Von der Frage der befristeten Zuerkennung des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 2 BPGG zu unterscheiden ist die Frage der Entziehung oder Neubemessung des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 4 BPGG. Danach ist das gewährte Pflegegeld zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für die Gewährung von Pflegegeld wegfällt. Tritt eine für die Höhe des Pflegegeldes wesentliche Veränderung ein, so ist das Pflegegeld neu zu bemessen (§ 9 Abs 4 BPGG). In diesem Sinne wurde das dem Kläger mit Bescheid vom für den Zeitraum vom bis befristet gewährte Pflegegeld der Stufe 4 mit dem weiteren rechtskräftigen Bescheid der beklagten Partei vom ab neu bemessen und dem Kläger aufgrund seines durch die Rehabilitationsaufenthalte gebesserten Gesundheitszustands und der damit verbundenen Herabsetzung des Pflegebedarfs ab diesem Zeitpunkt „für die weitere Dauer der Pflegebedürftigkeit“ ein Pflegegeld der Stufe 1 zuerkannt.

3. Strittig ist im vorliegenden Verfahren die Frage, ob, wie der Kläger meint, mit diesem Bescheid vom die seinerzeit im Gewährungsbescheid ausdrücklich enthaltene Befristung des Pflegegeldanspruchs des Klägers bis aufgehoben und dem Kläger nunmehr ein unbefristetes Pflegegeld der Stufe 1 zuerkannt wurde. Es geht somit um die Auslegung des Bescheids der beklagten Partei vom .

3.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv auszulegen. Jeder Bescheid ist daher rein objektiv seinem Wortlaut nach insoweit also gleich einem Gesetz nach den §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Bescheid einer Verwaltungsbehörde als Ganzes zu beurteilen. Spruch und Begründung bilden eine Einheit; bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen. Hiebei ist der Spruch im Zweifel im Sinne des angewendeten Gesetzes („gesetzeskonforme“ Bescheidauslegung) auszulegen ( Hengstschläger/Leeb , AVG § 59 Rz 110 f mwN; mwN ua).

3.2 Das Berufungsgericht hat im Sinne dieser dargelegten Auslegungsgrundsätze die Ansicht vertreten, es ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Spruchs („Das Pflegegeld wird ab neu bemessen.“), dass durch den Bescheid der beklagten Partei vom (lediglich) eine Neubemessung des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 4 BPGG erfolgt sei. Eine Aufhebung der im Gewährungsbescheid vom ausgesprochenen Befristung des Anspruchs des Klägers auf Pflegegeld für den Zeitraum bis lasse sich weder aus dem Spruch noch aus der Begründung des Bescheids vom ableiten, weil darin ausschließlich auf die Neubemessung des Pflegegeldes, somit auf die Höhe des Pflegegeldes, Bezug genommen werde. Schließlich habe der Kläger selbst zumindest noch im Anstaltsverfahren diese Rechtsansicht vertreten, weil andernfalls sein Antrag vom auf Weitergewährung des Pflegegeldes nicht nachvollziehbar wäre.

4. Die Frage, ob diese Auslegung des Bescheids der beklagten Partei vom zutreffend ist, ist eine Frage des Einzelfalls, die die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann (vgl 9 ObA 65/07k ua). Das Berufungsgericht ist nämlich in jedenfalls vertretbarer Auslegung davon ausgegangen, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die beklagte Partei in ihrem Bescheid vom neben der Neubemessung des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 4 BPGG auch die Frage der befristeten oder unbefristeten Gewährung des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 2 BPGG neu entscheiden und dem Kläger nunmehr abweichend vom Gewährungsbescheid das Pflegegeld (der Stufe 1) unbefristet zuerkennen wollte. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers bedurfte es im Bescheid der beklagten Partei vom nicht notwendigerweise eines neuerlichen Ausspruchs über die ohnehin bereits im Gewährungsbescheid vom ausdrücklich vorgesehene Befristung des Pflegegeldanspruchs mit . Der Umstand, dass beim Kläger die Voraussetzungen für eine Weitergewährung des Pflegegeldes der Stufe 1 nach Ablauf dieser Befristung nicht mehr vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig.

Die außerordentliche Revision des Klägers war daher mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00055.14G.0519.000