OGH vom 19.03.2002, 10ObS55/02i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Keppert und Mag. Johannes Zahrl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut G*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Aigner, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 331/01k-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 11 Cgs 23/00i-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil es sich um eine Sozialrechtsache nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG handelt, jedoch nicht berechtigt.
Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Sie steht auch im Einklang mit den in ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates vertretenen Grundsätzen.
Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit tritt danach in den einzelnen Systemen der österreichischen Sozialversicherung jeweils unter verschiedenen Bezeichnungen auf, wobei auch der Begriffsinhalt jeweils ein anderer ist. Wenn auch die verschiedenen Sozialversicherungsgesetze im Aufbau einem einheitlichen Schema folgen, schaffen sie doch jeweils eigenständige Regelungssysteme, die an sehr unterschiedliche Sachverhalte anknüpfen. Durch die Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251a ASVG,§ 129 GSVG,§ 120 BSVG) hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die eine weitgehende Gleichbehandlung der in verschiedenen Sozialversicherungssystemen erworbenen Versicherungszeiten sicherstellt. Das Wesen der Wanderversicherungsregelung besteht darin, dass alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären (Abs 7 Z 1 der zitierten Gesetzesstelle). Hat ein Versicherter Versicherungsmonate sowohl nach dem ASVG als auch in der Pensionsversicherung nach dem GSVG oder nach dem BSVG erworben, so kommen für ihn gemäß Abs 1 der zitierten Gesetzesstellen die Leistungen aus der Pensionsversicherung in Betracht, der er zugehörig ist. Dies ist nach Abs 3 der zitierten Bestimmungen die Pensionsversicherung, in der die größere oder die größte Zahl von Versicherungsmonaten vorliegt. Die Leistungen bestimmen sich dabei nach den Regelungen, die im Bereich der Pensionsversicherung bestehen, die der zuständige Träger zu administrieren hat. Bei Feststellung der Leistungsansprüche hat dieser nur eigenes Recht anzuwenden. Ist danach ein Wanderversicherter der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft leistungszugehörig, kann für ihn somit nur der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 GSVG, nicht aber jener der Invalidität oder Berufsunfähigkeit nach § 255 bzw § 273 ASVG in Frage kommen, weil die letztgenannten Versicherungsfälle unselbständige Erwerbstätigkeiten in der Pensionsversicherung nach dem ASVG zum Gegenstand haben und daher im Leistungsrecht nach dem GSVG nicht vorgesehen sind (SSV-NF 11/109, 11/143, 9/10, 8/25 uva - jüngst 10 ObS 159/01g; RIS-Justiz RS008521, 0084378, 0107675; Teschner/Widlar, MGA ASVG 74. Erg-Lfg. Anm 15 zu § 251a; Teschner in Tomandl, SV-System 9. Erg-Lfg 421 ua).
Da der Kläger in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag unbestritten überwiegend Versicherungszeiten nach dem GSVG erworben hat, ist er der beklagten Partei leistungszugehörig. In der Tatsache, dass vom Gesetzgeber für die Frage der Leistungszugehörigkeit die dem Versicherungsfall zeitlich vorangehenden Lebensverhältnisse für maßgeblich erachtet werden, kann keine unsachliche Regelung erblickt werden (vgl - zitiert in Teschner/Widlar aaO 70. Erg-Lfg Anm 1 zur Bestimmung des § 245, welche für die Frage der Leistungszugehörigkeit nach dem ASVG - Pensionsversicherung der Arbeiter oder Angestellte - ebenfalls auf die Versicherungszugehörigkeit in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag abstellt). Für den Kläger kann daher hier nur der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, nicht aber jener der Invalidität oder Berufsunfähigkeit in Frage kommen, weil die letztgenannten Versicherungsfälle im Leistungsrecht nach dem GSVG nicht vorgesehen sind (vgl 10 ObS 159/01g ua). Den vom Kläger im Hinblick auf die von ihm zuletzt - im Beobachtungszeitraum aber nicht überwiegend - ausgeübte Angestelltentätigkeit zum Vorliegen des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit nach § 273 ASVG vorgetragenen Argumenten (insbes betreffend die Frage zumutbarer Verweisungstätigkeiten) kommt daher keine entscheidungsrelevante Bedeutung zu.
Die Frage der Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist vielmehr nach § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Nov (BGBl 1993/336) zu prüfen. Als erwerbsunfähig gilt demnach der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge von Krankheit oder Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Der Gesetzgeber verfolgte - wie den Materialien in der RV 933 BlgNR 18. GP 25 zu entnehmen ist - mit der Novelle dieser Bestimmung die Absicht, dass "ab dem 50. Lebensjahr für Kleingewerbetreibende zur Beurteilung der dauernden Erwerbsunfähigkeit nur mehr eine qualifizierte Verweisung zulässig sein (soll), so wie das auch bei erlernten oder angelernten Berufen unselbständig Erwerbstätiger schon vor dem 50. Lebensjahr der Fall ist. Ein Tätigkeitsschutz soll (hingegen) zwischen dem 50. und dem
55. (nunmehr 57.) Lebensjahr weiterhin nicht bestehen" (vgl SSV-NF 12/131 ua).
Der Ansicht des Klägers, die angesprochene Absicht des Gesetzgebers, mit der zitierten Bestimmung des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Nov sollte vor allem den Inhabern von Kleinbetrieben Rechnung getragen werden, sei dem Wortlaut des kundgemachten Gesetzes nicht zu entnehmen, ist entgegen zu halten, dass diese Anspruchsregelung vornehmlich auf den Bereich kleinerer Betriebe dadurch abstellt, dass sie nur für Versicherte gilt, deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. Diese Umschreibung beinhaltet eine Definition jener (Klein-)Betriebe, deren Inhaber der Gesetzgeber von dem "milderen Erwerbsunfähigkeitsbegriff" des § 133 Abs 2 GSVG idF der 19. GSVG-Nov begünstigt wissen wollte. Der Gesetzgeber wollte somit durch Normierung des Erfordernisses der persönlichen Mitarbeit des Betriebsinhabers die kleineren Selbständigen schützen, die bei Ausfall ihrer Arbeitskraft ihre einzige Einkommensquelle verlieren (vgl 10 ObS 101/00a mwN ua). Zu prüfen ist daher zunächst, ob die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes in der von ihm bis zur Jahresmitte 1995 geführten Form notwendig war. Unter der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes ist die ausführende Mitarbeit zu verstehen, die notwendig sein muss, um wirtschaftlich gesehen den vom Versicherten zuletzt geführten Betrieb rentabel aufrecht zu erhalten (RIS-Justiz RS0085905). Da das Gesetz von der Notwendigkeit der persönlichen Arbeitsleistung und nicht etwa von ihrer tatsächlichen Erbringung spricht, muss rückschauend geprüft werden, ob diese objektiv im Hinblick auf den konkreten Betrieb des Klägers auch erforderlich war (SSV-NF 13/26, 13/117 ua).
Nach zutreffender Beurteilung der Vorinstanzen mussten die Arbeiten, zu denen der Kläger jetzt nicht mehr in der Lage ist, bereits seinerzeit zur Aufrechterhaltung einer wirtschaftlichen Betriebsführung von ihm nicht geleistet werden, weil im Hinblick auf die festgestellte Betriebsgröße mit 40 Mitarbeitern, einem Umsatz von S 300 Millionen im Jahr und einem durchschnittlichen Gewinn von S 5 Millionen jährlich die Einstellung eines leitenden Angestellten für die vom Kläger auf Grund seines Leistungskalküls nicht mehr bewältigbaren Aufgaben offenkundig wirtschaftlich vertretbar gewesen wäre. Der Kläger vermag auch in seinen Revisionsausführungen gegen die Richtigkeit dieser Beurteilung durch die Vorinstanzen keine stichhältigen Argumente ins Treffen zu führen, sondern er verweist in diesem Zusammenhang lediglich wiederum auf die von ihm bereits im Verfahren erster Instanz zu dieser Frage beantragte Einholung eines Buchsachverständigengutachtens. Die Notwendigkeit der Einholung eines solchen Gutachtens wurde jedoch bereits vom Berufungsgericht im Rahmen der Behandlung der in der Berufung erhobenen Mängelrüge verneint. Die Ausführungen des Klägers, dass seine persönlichen Kontakte zu den Kunden und Lieferanten von entscheidender Bedeutung gewesen seien, müssen für die rechtliche Beurteilung irrelevant bleiben. Entscheidend ist vielmehr nur, ob der Kläger die kalkülsüberschreitenden Arbeiten im Rahmen seines Betriebes auf wirtschaftlich zumutbare Weise delegieren konnte (10 ObS 107/98b, 10 ObS 77/90 ua).
Da die Vorinstanzen die Frage, ob der Betrieb des Klägers auch ohne persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers wirtschaftlich geführt werden konnte, ausgehend vom festgestellten Sachverhalt zutreffend bejaht haben, war die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes nicht notwendig, sodass eine wesentliche Voraussetzung für die Erwerbsunfähigkeit im Sinn des § 133 Abs 2 GSVG fehlt. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die weiters erforderliche Voraussetzung, dass der Kläger außerstande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichartige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordert, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat, und die darauf bezugnehmenden Ausführungen des Klägers in seiner Revision.
Die Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist daher nach § 133 Abs 1 GSVG zu beurteilen. Da das Verweisungsfeld nach dieser Bestimmung mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident ist und eine Einschränkung, dass die Verweisungstätigkeit dem Versicherten im Hinblick auf die bisher ausgeübte Tätigkeit auch zumutbar sein muss, in dieser Gesetzesstelle nicht enthalten ist (SSV-NF 4/93 mwN ua), besteht kein Zweifel, dass Erwerbsunfähigkeit des Klägers auch nach dieser Gesetzesstelle nicht vorliegt. Dass gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 133 Abs 1 und 2 GSVG keine Bedenken bestehen, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (SSV-NF 12/124 ua; RIS-Justiz RS0053964, RS0053358).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.