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OGH vom 26.07.2016, 9ObA78/16k

OGH vom 26.07.2016, 9ObA78/16k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** R*****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Peter Berethalmy und Dr. Christiane Berethalmy-Deuretzbacher, Rechtsanwälte in Wien, wegen 69.600 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 68/15h 20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob der Handelsvertreter schuldhaft einen wichtigen Grund iSd § 22 Abs 2 HVertrG 1993 verwirklicht hat, der den Unternehmer zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags berechtigt, sodass ein Ausgleichsanspruch gemäß § 24 Abs 3 Z 2 HVertrG 1993 nicht besteht, ist nur nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (9 ObA 43/10d; RIS-Justiz RS0108379).

In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Selbst bei Fehlen einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn ein Streitfall trotz neuer Sachverhaltselemente bereits mit Hilfe vorhandener Leitlinien höchstgerichtlicher Rechtsprechung gelöst werden kann ( Zechner in Fasching/Konecny ² IV § 502 ZPO Rz 70 mwN; RIS Justiz RS0042656 [T48]). Letzteres trifft hier aus den nachstehenden Erwägungen zu:

Der Kläger betrieb aufgrund zweier mit der Beklagten abgeschlossenen Tankstellenagenturverträgen seit November 2009 zwei Tankstellen in *****. Die Umstellung auf ein neues Betriebssystem durch die Beklagte mit erforderte eine inhaltliche Änderung dieser Verträge. Da der Kläger diesen Vertragsänderungen nicht zustimmte, löste die Beklagte die Tankstellenagenturverträge mit auf.

Den wichtigen, vom Kläger verschuldeten Grund für die von ihr ausgesprochene Vertragsauflösung iSd § 22 Abs 2 HVertrG 1993 betreffend die allein streitgegenständliche Tankstelle am Standort St. sieht die Beklagte darin, dass eine Weiterführung des Tankstellenbetriebs mit dem alten Betriebssystem für sie nicht möglich gewesen wäre. Dem Kläger wäre es hingegen im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses zumutbar gewesen, die für einen Weiterbetrieb der Tankstelle notwendigen Vertragsänderungen zu akzeptieren, weil ihn diese weder rechtlich noch wirtschaftlich schlechter gestellt hätten.

Die Vorinstanzen teilten diese Rechtsansicht der Beklagten nicht. Dem Kläger sei es im Rahmen der Privatautonomie freigestanden, sich entweder für die ihm angebotene Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter geänderten Bedingungen zu entscheiden oder nicht. Er habe die Zustimmung zur Vertragsänderung, ohne damit den Ausgleichsanspruch iSd § 24 Abs 3 Z 2 HVertrG 1993 zu verlieren, auch dann verweigern dürfen, wenn die Vertragsänderung für ihn zumutbar bzw sogar günstiger gewesen wäre. Einen Änderungsvorbehalt habe der geltende Vertrag nicht beinhaltet. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.

Bereits in der Entscheidung 7 Ob 182/11g hatte der Oberste Gerichtshof einen ähnlichen Sachverhalt zu beurteilen: Die Unternehmerin sprach die Kündigung des Händlervertrags aus, weil sich der Vertragshändler geweigert hatte, einer von ihr verlangten Vertragsänderung, die für den Vertragshändler durchaus von Vorteil sein hätte können, zuzustimmen. Der Oberste Gerichtshof sah durch das Verhalten des Vertragshändlers jedoch keinen Ausschlussgrund iSd § 24 Abs 3 HVertrG 1993 verwirklicht. Insbesondere könne dem Vertragshändler kein Verschulden an der Vertragsauflösung angelastet werden.

Übereinstimmend vertritt auch die Lehre im Zusammenhang mit dem vergleichbaren Fall einer Änderungskündigung die Ansicht, dass dem Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn der Unternehmer mangels Einigung der Vertragsparteien über eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter geänderten Bedingungen das Vertragsverhältnis kündigt ( Petsche / Petsche-Demmel , Handelsvertretergesetz² § 24 Rz 35; Nocker , HVertrG² § 24 Rz 421 f mit Hinweis auf die zur vergleichbaren deutschen Rechtslage ergangene Rechtsprechung des BGH , VIII ZR 30/06; Tschuk , Der Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses 19 f).

Für die von der Revisionswerberin geforderte Anwendung der von der Rechtsprechung zur ausgleichsanspruchswahrenden Eigenkündigung des Handelsvertreters entwickelten Kriterien zum „begründeten Anlass“ iSd § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG 1993 (vgl 9 ObA 18/09a, 8 ObA 11/11t) auf den Fall der Kündigung des Handelsvertretervertrags durch den Unternehmer gemäß § 24 Abs 3 Z 2 HVertrG 1993 besteht keine Grundlage. Das Vertragsverhältnis wurde hier nicht vom Handelsvertreter beendet. Es ist daher nur im Fall des § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG 1993 auf die Schaffung einer für den Handelsvertreter nach Treu und Glauben nicht mehr hinnehmbaren Situation abzustellen.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00078.16K.0726.000