OGH vom 21.07.2020, 14Os55/20z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen M***** T***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten ***** H***** sowie die Berufungen der Angeklagten T***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom , GZ 17 Hv 84/19g-309, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zu den Hauptfragen 2 bis 11 samt Zusatzfragen, sowie das darauf beruhende Urteil in den Schuldsprüchen der Angeklagten H***** zu A/II, der Angeklagten T***** zu B (zur Gänze) und der Angeklagten ***** O***** zu C/I
, demgemäß auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung), in der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten H***** und T***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB, weiters im T***** betreffenden Adhäsionserkenntnis zur Gänze, im die Angeklagte H***** betreffenden Zuspruch an die Privatbeteiligte D***** AG *****
und in Ansehung der Angeklagten T***** auch im Kostenausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Klagenfurt als
Geschworenengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten H***** und T***** sowie die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.
Der Angeklagten H***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, wurden ***** H***** und M***** T***** jeweils eines Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (A/I und B/I) sowie jeweils mehrerer Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB (A/II und B/II bis IV), teilweise (nämlich zu A/II/1, 2 und 4 sowie – damit korrespondierend – zu B/II und IV) auch nach § 15 StGB, ***** O***** des Verbrechens der Brandstiftung nach § 12 dritter Fall, § 15, 169 Abs 1 StGB (C/I) sowie T***** (zu B/V) und O***** (zu C/II) des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach § 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB, T***** (zu allen Schuldspruchpunkten) jeweils auch nach § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach haben
(A) H*****
I) am in V***** ***** P***** durch Erwürgen vorsätzlich getötet;
II) in U***** „an fremden Sachen ohne Einwilligung der Eigentümer durch Einbringung fremder Zündquellen und unter Zuhilfenahme brandunterstützender Mittel eine Feuersbrunst verursacht“ und zu verursachen versucht (1./, 2./ und 4./), und zwar:
1./ am „im Wirtschaftsgebäude“ des ***** S*****;
2./ am „im Wirtschaftsgebäude“ des ***** Pi*****;
3./ am „im Wirtschaftsgebäude“ des ***** Pi*****;
4./ am „im Wirtschaftsgebäude“ des ***** S*****;
(B) T***** in V***** andere zu strafbaren Handlungen bestimmt, und zwar
I) H***** zwischen Ende September 2018 und zu dem zu A/I angeführten Mord;
II) bis IV) H***** zwischen 7. Oktober und zu den zu A/II/1./ und 2./ angeführten Brandstiftungen, am 17. oder zu der zu
A/II/3./ angeführten und zwischen 12. und zu der zu A/II/4./ angeführten Brandstiftung sowie O***** am zu der zu C/I angeführten „Beitragshandlung“;
V) von 2013 bis O***** zu den zu C/II angeführten Betrugshandlungen;
(C) O*****
I) am in U***** dadurch zu der zu A/II/4./ angeführten strafbaren Handlung der H***** beigetragen, dass sie ihr zur Verschleierung von Spuren ein Paar Herrenschuhe zur Verfügung stellte und sie mit dem PKW in unmittelbare Nähe des Tatorts chauffierte;
II) zu nachstehenden Zeitpunkten mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrugshandlungen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, wobei sie bereits zwei solche Taten begangen hat, Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen zur Gewährung von Darlehen und Übergabe der Darlehensvaluta verleitet, wodurch diese Vermögensschäden in Höhe von insgesamt 164.690 Euro erlitten, und zwar:
1./ von 2015 bis in S***** ***** Sc***** in wiederholten Angriffen durch Vortäuschung ihrer Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie die Vorgabe, Geld für Krankenhausaufenthalte, Therapiekosten und Aufenthalte in Heilanstalten der T***** zu benötigen, zur Übergabe von insgesamt 34.200 Euro;
2./ von 2013 bis zumindest in V***** ***** P***** in wiederholten Angriffen durch die Vortäuschung ihrer Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie die Vorgabe, Geld für einen Hagelschaden, für die Rückführung des W***** T***** aus dem Oman, für erlittene Herzinfarkte, Krankenhausaufenthalte nach einem Koma und weitere schwere Erkrankungen der M***** T***** zu benötigen, zur Übergabe von insgesamt 45.000 Euro;
3./ von Jänner bis in V***** ***** Z***** in wiederholten Angriffen durch Vortäuschung ihrer Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit sowie die Vorgabe, Geld für Medikamente und Heilbehandlungen sowie Krankenhausaufenthalte für sich selbst zu benötigen, zur Übergabe von insgesamt 85.490 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 345 Abs 1 Z 10a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten H***** kommt keine Berechtigung zu.
Ableitung erheblicher Bedenken aus den Akten im Sinn des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bedeutet, dass die Tatsachenrüge konkrete Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorgekommen sind oder hätten vorkommen können, bezeichnen und aus diesen die aus ihrer Sicht bestehenden Zweifel an der Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen entwickeln, also darlegen muss, dass die
Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz (iVm § 302 Abs 1) StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 490).
Indem die Beschwerde aus einzelnen Passagen der Verantwortung der Beschwerdeführerin (sie habe „nicht im freien Willen gehandelt“, sei von T***** „gezwungen worden“, diese habe ihr jedes Mal „ihre Hand auf ihre Brust aufgelegt“ und „ihre Lebensenergie weggesaugt“, sie habe sich „in einem Trancezustand befunden“) deren Zurechnungsunfähigkeit zu den Tatzeitpunkten ableitet, gelingt es ihr nicht, Bedenken in der beschriebenen Intensität gegen die Richtigkeit
der im Wahrspruch der Geschworenen (zu den Zusatzfragen 1 bis 5) festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem angefochtenen Urteil zum Nachteil aller Angeklagten mehrfach nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 11 lit a) anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 344 StPO).
Vorauszuschicken ist, dass im
geschworenengerichtlichen Verfahren gemäß § 312 StPO alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die (Haupt-)Frage aufzunehmen sind, und zwar dergestalt, dass nicht nur die Individualisierung (nach Ort, Zeit, Gegenstand udgl) der dem Täter angelasteten Tat(en) zum Zwecke der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat sichergestellt ist, sondern auch deren Konkretisierung durch Aufnahme der den Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die Subsumtion des von den
Geschworenen ihrem Wahrspruch zugrunde gelegten Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht und andererseits die Überprüfung dieser Subsumtion durch den Obersten Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren gewährleistet (RIS-Justiz RS0119082; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 17 ff).
Das Versäumnis des Schwurgerichtshofs, im Rahmen der Schuldfrage nach einem konkreten historischen Geschehen zu fragen, begründet zwar prinzipiell Nichtigkeit aus
Z 6 des § 345 Abs 1 StPO, Rechtsfehler werden unter dem Gesichtspunkt fehlender Feststellungen jedoch von
Z 11 lit a erfasst (RIS-Justiz RS0120637; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616, § 345 Rz 40 f).
Zu den Schuldsprüchen zu A/II (H*****), B/II bis IV (T*****) und C/I (O*****) wegen Verbrechen der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB:
Tatbildlich ist – soweit hier wesentlich – die Verursachung einer Feuersbrunst im Sinn eines ausgedehnten, mit gewöhnlichen Mitteln nicht mehr beherrschbaren, zumindest abstrakt gemeingefährlichen Brandes mit (auch) diese Merkmale umfassendem Vorsatz (RIS-Justiz RS0094944, RS0094805, vgl auch RS0092994; zum Ganzen Murschetz in WK² StGB § 169 Rz 3 bis 6, 11 je mwN). Die (vorsätzliche) Beschädigung fremder Sachen (einzelner Gegenstände) durch Legung eines Feuers, das nicht die dargestellte Dimension erreicht oder nach der Täterintention erreichen soll, ist von § 125 f StGB erfasst.
Die, die Angeklagte H***** betreffenden Hauptfragen 2 bis 5 (Schuldsprüche zu A/II) beschränken sich insoweit auf die substratlose Wiedergabe der verba legalia (ob H***** nämlich durch die angeführten Tathandlungen „im“ Wirtschaftsgebäude … „eine Feuersbrunst verursacht“ [Hauptfrage 4] oder „eine Feuersbrunst zu verursachen versucht“ habe). Konkrete Tatsachen für die Ausfüllung des vom Tatbestand verwendeten Rechtsbegriffs enthält der Wahrspruch weder zu diesen noch zu den auf die Beteiligung an den strafbaren Handlungen der Genannten durch die Angeklagten T***** (Hauptfragen 7 bis 9; Schuldsprüche zu B/II bis IV) und O***** (Hauptfrage 11; Schuldspruch zu C/I) gerichteten Fragen, welche bloß auf die in den Hauptfragen 2 bis 5 „angeführten Tathandlungen“ verweisen.
Zu den die Angeklagte T***** betreffenden Schuldsprüchen zu B:
Neben den eben aufgezeigten Rechtsfehlern mangels Feststellungen zu den Schuldsprüchen zu B/II bis IV erschöpfen sich die im Wahrspruch der Geschworenen (zu den Hauptfragen 6 bis 10; Schuldsprüche zu B) getroffenen Feststellungen zum inkriminierten Verhalten der Angeklagten T***** in der Aussage, diese habe die Angeklagten H***** (Hauptfragen 6 bis 9) und O***** (Hauptfragen 9 und 10) jeweils zu einer der in den Hauptfragen 2 bis 5 (H*****) sowie 11 und 12 (O*****) „angeführten Tathandlung(en)“ (vgl aber § 12 StGB: „strafbare Handlung“) und (zu B/IV) der in der Hauptfrage 11 angeführten „Beitragshandlung“ (vgl dazu aber Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 49) „bestimmt“, ohne konkret zu beschreiben, wodurch die Genannte den Tatentschluss in den unmittelbaren Tätern erweckt und die Tatbegehung durch diese veranlasst haben soll (vgl zum Ganzen Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 42 ff). Solcherart lassen sie gleichfalls den
– unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion gebotenen –
Sachverhaltsbezug vermissen (RIS-Justiz RS0119090; vgl erneut Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616).
Voraussetzung für die Strafbarkeit als Bestimmung zum Betrug ist in subjektiver Hinsicht zudem, dass (auch) der Bestimmende mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz handelt (Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 70). Der dem Schuldspruch zu B/V zugrunde liegende Wahrspruch (zur Hauptfrage 10) enthält – abgesehen von Ausführungen zu der von § 70 StGB geforderten Absicht – keine Aussage zur subjektiven Tatseite der Angeklagten T*****. Deren Erwähnung darf in der Frage nach den gesetzlichen Merkmalen der strafbaren Handlung aber nur dann unterbleiben, wenn nicht eine vom Mindesterfordernis des § 5 Abs 1 zweiter Halbsatz (§ 7 Abs 1) StGB abweichende Vorsatzform (§ 5 Abs 2 und 3 StGB) oder – wie hier – ein sogenannter erweiterter Vorsatz (auf unrechtmäßige Bereicherung) Voraussetzung der Strafbarkeit ist (vgl RIS-Justiz RS0113270; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 13; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 33 ff).
Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern die Aufhebung des Urteils in den Schuldsprüchen zu A/II, B (zur Gänze) und C/I samt dem diesen zugrunde liegenden Wahrspruch zu den Hauptfragen 2 bis 11 samt Zusatzfragen, demzufolge auch der Strafaussprüche (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der die Angeklagten H***** und T***** betreffenden Aussprüche nach § 21 Abs 2 StGB (§ 435 Abs 2 StPO, vgl RIS-Justiz RS0100108 und RS0120576), der (von den kassierten Schuldsprüchen abhängigen) Privatbeteiligten-zusprüche sowie des T***** betreffenden Kostenausspruchs bereits bei der nichtöffentlichen Beratung und insoweit die Verweisung der Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 zweiter Satz StPO).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten H***** und T***** sowie die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00055.20Z.0721.000 |
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