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OGH vom 28.07.2022, 10ObS54/22x

OGH vom 28.07.2022, 10ObS54/22x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI M*, vertreten durch Mag. Martin Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, FriedrichHillegeistStraße 1, 1021 Wien, wegen Feststellung der Berufsunfähigkeit, über den „Revisionsrekurs“ der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungs und Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 10/22b32, womit die (als Rekurs qualifizierte) Berufung des Klägers gegen das (als Beschluss qualifizierte) Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 16 Cgs 134/20d27, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der Schriftsatz der klagenden Partei vom wird zurückgewiesen.

II. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Außerachtlassung des gebrauchten Zurückweisungsgrundes aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Mit Säumnisklage vom begehrte der die Feststellung seiner Berufsunfähigkeit. Unter einem erhob er ein nicht beziffertes Schadenersatzbegehren.

[2] Die Pensionsversicherungsanstalt hielt dem vor allem entgegen, dass kein Säumnis vorliege und überdies auch die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Klage sei insgesamt zurück-, eventualiter abzuweisen.

[3] Mit dem vom Vorsitzenden alleine gefassten Beschluss vom (ON 8) wies das Erstgericht die Säumnis und die Schadenersatzklage zurück. Eine Säumnis liege nicht vor; für das auf Schadenersatz gerichtete Begehren sei der Rechtsweg unzulässig.

[4] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers Folge, hob die Zurückweisung der Klagen als nichtig auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung in der nach § 11 Abs 1 ASGG vorgesehenen Senatsbesetzung auf (ON 20). Die Zurückweisung der Klagen sei nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem sozialgerichtlichen Senat erfolgt. Wenn dort die Entscheidung der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten werde, könne diese nur vom Senat und nicht vom Vorsitzenden alleine gefällt werden.

[5] Daraufhin wies das in Spruchpunkt I. seiner in Form eines Urteils ergangenen, mit „IM NAMEN DER REPUBLIK“ überschriebenen Entscheidung vom (ON 27) die Säumnisklage ab (I.1.) und die Schadenersatzklage zurück (I.2.). Da über die behauptetermaßen unerledigten Anträge des Klägers allesamt schon entschieden worden sei, liege keine Säumnis vor. Das Schadenersatzbegehren sei keine Sozialrechtssache iSd § 65 ASGG, sodass der Rechtsweg insoweit unzulässig sei. Zudem wies es in dem mit „Beschlüsse“ überschriebenen Spruchpunkt II. seiner Entscheidung einen Verfahrenshilfeantrag (II.1.) sowie einen (die Schadenersatzklage betreffenden) Überweisungsantrag (II.2.) zurück und traf eine Kostenentscheidung (II.3.).

[6] Die Entscheidung wurde dem Kläger am zugestellt. Am erhob er gegen das Urteil (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung des Überweisungsantrags (Spruchpunkt II.2.) ein als „Berufung“ bezeichnetes Rechtsmittel.

[7] Das Oberlandesgericht Linz „als Berufungs und Rekursgericht“ wies das Rechtsmittel als verspätet zurück. Weise das Erstgericht eine Klage in Urteilsform zurück, stehe dagegen nur das Rechtsmittel des Rekurses zu, was auch für den Fall gelte, dass eine Klage mit Urteil abgewiesen anstatt mit Beschluss zurückgewiesen werde. Darauf aufbauend sei das gegen die teils in Urteilsform und teils beschlussmäßig erfolgten Entscheidungen erhobene Rechtsmittel insgesamt als Rekurs zu werten: Die fehlende Säumnis der Beklagten hätte nicht zur Abweisung der Säumnisklage mit Urteil, sondern zu ihrer Zurückweisung mit Beschluss führen müssen. Die Schadenersatzklage habe das Erstgericht aufgrund der angenommenen Unzulässigkeit des Rechtswegs zwar zutreffend zurückgewiesen. Allerdings hätte dies nicht mit Urteil, sondern mit Beschluss erfolgen müssen. Auch wenn sich das Erstgericht daher wiederholt in der Entscheidungsform vergriffen habe, beeinflusse das die 14tägige Rekursfrist nicht, sodass das Rechtsmittel insgesamt verspätet sei.

[8] Gegen diesen Beschluss richtet sich das als „Revisionsrekurs“ bezeichnete Rechtsmittel des Klägers mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und dem Gericht zweiter Instanz die inhaltliche Entscheidung über seine Berufung aufzutragen.

[9] Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt erstattete keine Rechtsmittelbeantwortung.

[10] I. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu; weitere Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig. Die nach Erhebung des Rechtsmittels eingebrachte (in der Folge verbesserte) Eingabe „Berichtigungen zum Revisionsrekurs“ ist daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041666).

[11] II. Der (richtig:) Rekurs ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Zulässigkeit des Rekurses

[12] 1.1. Deutet das als Berufungsgericht angerufene Gericht zweiter Instanz eine Berufung in einen Rekurs um und weist es das Rechtsmittel als verspätet zurück, ist dagegen ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu erheben, der grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zulässig ist.

[13] 1.2. Läuft allerdings der Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts auf die abschließende Verweigerung des Rechtsschutzes nach einer Klage hinaus, ist für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels nach ständiger Rechtsprechung § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog anzuwenden (RS0043802 [T4]). Dies wird auch für die hier vorliegende Konstellation bejaht, wenn das Gericht zweiter Instanz eine Berufung gegen eine Klagszurückweisung in einen Rekurs umdeutet und wegen Verspätung zurückweist (RS0036324 [T8]; 3 Ob 146/21y; 10 ObS 114/20t ua). Das Rechtsmittel ist daher als „Vollrekurs“ zulässig (RS0043882 [T3]).

2. 

[14] 2.1. Hinsichtlich der macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass das Erstgericht diese zutreffend mit Urteil abgewiesen habe, sodass ihm dagegen auch das Rechtsmittel der Berufung zugestanden sei. Damit ist er im Ergebnis im Recht.

[15] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung beeinflusst ein Vergreifen des Gerichts in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des gegen die Entscheidung erhobenen Rechtsmittels (RS0036324). Die Verwendung der falschen Entscheidungsform verlängert auch nicht die Rechtsmittelfrist, weil auch Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung von Notfristen führen können (RS0036324 [T14]). Ob eine Entscheidung anfechtbar ist und mit welchem Rechtsmittel das zu geschehen hat, hängt nicht davon ab, welche Entscheidungsform das Gericht tatsächlich gewählt hat oder wählen wollte, sondern richtet sich nach der vom Gesetz vorgesehenen Entscheidungsform (RS0041880 [T1]; RS0041859 [T3]; RS0036324 [T12]). Hat das Erstgericht beispielsweise eine Klage unrichtigerweise mit Urteil zurückgewiesen, steht dagegen nur der Rekurs offen (RS0040285; RS0041859 [T8]).

[16] 2.3. Dem Rekursgericht ist beizupflichten, dass die Säumnisklage an die sukzessive Zuständigkeit der Gerichte geknüpft ist. Erst eine Säumnis iSd § 67 Abs 1 Z 2 ASGG berechtigt zur Klagsführung. Liegt eine solche nicht vor, ist die Klage gemäß § 73 ASGG wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (RS0085636; Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 67 ASGG Rz 13). Im Sinne dieser Rechtsprechung ist nachvollziehbar, dass das Gericht zweiter Instanz das Rechtsmittel des Klägers in einen Rekurs umgedeutet hat.

[17] 2.4. Wie der Oberste Gerichtshof mehrmals ausgesprochen hat, setzt diese Rechtsprechung jedoch voraus, dass das Gericht in den Entscheidungsgründen unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, das Klagebegehren in Form eines Beschlusses zurückweisen zu wollen, im Spruch aber dann irrtümlich mit einer Abweisung des Klagebegehrens vorgegangen ist (10 Ob 57/18g; 10 Ob 6/19h; 10 ObS 114/20t). Im Fall der Erledigung in Form eines Urteils anstatt mit Beschluss ist eine Entscheidung demnach (nur) dann als Beschluss zu behandeln, wenn sie nach dem erkennbaren Entscheidungswillen des Gerichts – klar erkennbar zu Unrecht – bloß als Urteil bezeichnet wurde (10 ObS 17/21d; Klicka, Die „verfehlte Entscheidungsform“ im Zivilprozess – neue Rechtsprechung des OGH, ÖJZ 2020, 478).

[18] 3. Ein auf Zurückweisung der Klage gerichteter Entscheidungswille ist aus der erstgerichtlichen Entscheidung nicht zweifelsfrei abzuleiten:

[19] 3.1. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, dass das Erstgericht – auch wenn es hilfsweise auf die nicht erfüllte Wartezeit verwiesen hat – die mangelnde Säumnis der Beklagten als entscheidenden Faktor für die Abweisung der Säumnisklage ansah. Das ändert aber nichts daran, dass das Erstgericht darüber klar erkennbar mit (klageabweisendem) Urteil entscheiden wollte. Dafür spricht zunächst der Spruch der Entscheidung, den das Erstgericht in ein Urteil (Spruchpunkt I.) und zwei Beschlüsse samt Kostenentscheidung (Spruchpunkt II.) unterteilte. Zwar erfolgte auch die Zurückweisung der Schadenersatzklage mit Urteil (Spruchpunkt I.2.). Nach der Lage des Falls gibt das im Verhältnis zur ausdrücklich gewählten Entscheidungsform aber nicht den Ausschlag (dazu sogleich). Zudem hat das Erstgericht auch in der Begründung seiner Entscheidung sehr deutlich artikuliert, die Säumnisklage abweisen zu wollen, was es in dem von ihm gezogenen Fazit, eine Säumnis liege „nicht vor, sodass die Klage abzuweisen war (Punkt I.1.)“, unmissverständlich zum Ausdruck brachte. Nicht übersehen werden darf auch die Genese der Entscheidung, die nahe legt, dass das Erstgericht den ihm im ersten Rechtsgang erteilten Auftrag des Gerichts zweiter Instanz dahin interpretierte, es sei nicht bloß in Senatszusammensetzung, sondern auch in Form eines Urteils zu entscheiden. Anders kann das Vorgehen des Erstgerichts, in der Begründung seiner Entscheidung zwar zu betonen, die Schadenersatzklage sei wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückweisen, den Ausspruch darüber aber dennoch in das (in Senatsbesetzung gefasste) Urteil und nicht in den ebenfalls gefassten Beschluss aufzunehmen, nicht erklärt werden.

[20] 3.2. Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt werden, der Entscheidungswille des Erstgerichts sei eindeutig dahin gegangen, die Säumnisklage wegen fehlender Säumnis zu wollen. Die tatsächlich gefällte Entscheidung des Erstgerichts ist kein Zurückweisungsbeschluss, der nur irrtümlich als Urteil bezeichnet wurde, sondern im Gegenteil eine „echte“, dh gewollte Abweisung der Säumnisklage mit Urteil, die sich (objektiv betrachtet) auch nach außen als Sachentscheidung präsentiert. Der Umstand, dass die vom Erstgericht in den Entscheidungsgründen angeführte tragende Begründung für die (gewollte) Klageabweisung in Urteilsform bei richtiger rechtlicher Beurteilung zur Zurückweisung der Klage mit Beschluss führen hätte müssen, reicht für sich allein nicht aus, das Rechtsmittel des Klägers dem für Rekurse geltenden Anfechtungsregime zu unterstellen.

[21] 3.3. Ist die Entscheidung über die Säumnisklage als Urteil anzusehen, steht dagegen die vierwöchige Berufungsfrist offen, die hier auch gewahrt wurde.

[22] 4. Angesichts dieses Ergebnisses bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der mehr. Wurden in eine Ausfertigung nämlich mehrere Beschlüsse oder ein Urteil und ein Beschluss aufgenommen, die bei selbständiger Anfechtung unterschiedlichen Rechtsmittelfristen unterliegen, ist für deren Anfechtung einheitlich die längste der in Frage kommenden Rechtsmittelfristen maßgeblich (RS0002105; RS0041670). Selbst wenn man daher – wie mit guten Gründen das Rekursgericht – die Zurückweisung der Schadenersatzklage mit Urteil als Beschluss werten und das dagegen erhobene Rechtsmittel in einen Rekurs umdeuten würde, wäre dieser nicht verspätet.

[23] 5. Nichts anderes gilt im Übrigen für die in der Berufung ebenfalls erfolgte Bekämpfung der Zurückweisung des Überweisungsantrags durch das Erstgericht (II.2.) und die Kostenentscheidung (II.3.).

[24] 6. Ausgehend davon ist dem Rekurs Folge zu geben, der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[25] Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO iVm § 2 ASGG. Ein (echter) Zwischenstreit liegt nicht vor.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00054.22X.0728.000

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