OGH vom 13.06.2017, 10ObS54/17i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Mag. Claudia Gründel (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Angela Taschek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B***** GesmbH *****, vertreten durch Dr. Georg Maxwald und Dr. Georg Bauer, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-StifterStraße 65–67, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen 1.962,52 EUR, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 10/17b9, womit das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 19 Cgs 154/16t5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (davon 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin betreibt ein Kleinunternehmen mit weniger als 51 Arbeitnehmern. Sie begründete erstmals am mit dem bei der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt unfallversicherten Arbeitnehmer R***** ein Dienstverhältnis. Dieses endete mit aufgrund einer Arbeitgeberkündigung. Am stellte die Klägerin R***** wieder als Arbeiter ein. Das Dienstverhältnis ist nach wie vor aufrecht. Der Arbeitnehmer war von bis durchgehend infolge Krankheit arbeitsunfähig.
Aufgrund des Antrags der Klägerin vom zahlte die Beklagte der Klägerin einen Zuschuss gemäß § 53b ASVG für 42 Tage in Höhe von 1.939,15 EUR.
Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte einen weiteren Zuschuss für den Zeitraum von 4. 2. bis ab. Der Anspruch sei pro Dienstnehmer und Arbeitsjahr mit höchstens 42 Tagen der tatsächlichen Entgeltfortzahlung begrenzt. Unter Berücksichtigung des Beginns des neuen Arbeitsjahres mit sei bereits ein Zuschuss für 42 Tage ausgezahlt worden.
Die Klägerin zahlte dem Dienstnehmer R***** während seiner Arbeitsverhinderung von 4. 2. bis das volle Entgelt mit einem Betrag von 4.325,06 EUR fort.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zahlung eines weiteren Zuschusses von 1.962,52 EUR. Das aktuelle Arbeitsverhältnis von R***** habe am begonnen. Deswegen habe sie ab wieder in voller Höhe Entgeltfortzahlung geleistet.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. In Anlehnung und Analogie zu § 2 Abs 3 EFZG sei bei einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses bis zu 60 Tagen ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis anzunehmen und folglich auf das Ersteintrittsdatum abzustellen. Der sei für die Festlegung des Arbeitsjahres heranzuziehen.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. § 53b ASVG verweise auf die Entgeltfortzahlung nach dem EFZG.§ 2 Abs 3 EFZG nehme für die Zusammenrechnung von Dienstzeiten ausdrücklich auf die Dauer des Anspruchs gemäß § 2 Abs 1 EFZG Bezug. Auf das Arbeitsjahr werde hingegen in § 2 Abs 4 EFZG abgestellt und normiert, dass für den Fall einer wiederholten Arbeitsverhinderung durch Krankheit innerhalb eines Arbeitsjahres ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur insoweit gebühre, als die Dauer des Anspruchs nach Abs 1 noch nicht erschöpft sei. Eine Anrechnung von Vordienstzeiten zum selben Dienstgeber sei für den Beginn des Arbeitsjahres nicht vorgesehen, insbesondere erfolge auch kein Verweis auf die Zusammenrechnungsregel des Abs 3. Schon dieser Gesetzeswortlaut deute darauf hin, dass zwischen der Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs und dem Beginn des Arbeitsjahres zu unterscheiden sei.
Die herrschende Lehre vertrete die Meinung, dass zwar für die Bemessung der Entgeltfortzahlungsdauer die Vordienstzeiten zum selben Arbeitgeber, falls Unterbrechungen nicht länger als jeweils 60 Tage betrügen, zusammenzurechnen seien, die Zusammenrechnung aber keinen Einfluss auf die Lage des jeweiligen Arbeitsjahres habe; dafür sei nur der Beginn des letzten; Arbeitsverhältnisses maßgeblich.
Gegen eine planwidrige Regelungslücke und die von der Beklagten angestrebte analoge Anwendung der Zusammenrechnungsregel des § 2 Abs 3 EFZG auch auf die Ermittlung des Beginns des Arbeitsjahres spreche der Zweck der Zusammenrechnungsregel. Wenn für die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf die Betriebszugehörigkeit abgestellt werde, sollten dadurch langjährige Mitarbeiter im Fall ihrer Erkrankung (oder eines Arbeitsunfalls) besser abgesichert werden. Für den Zeitpunkt, ab wann der Entgeltfortzahlungszeitraum zu laufen beginnt, und damit für den Beginn des Arbeitsjahres spiele es aber keine Rolle, ob der Arbeitnehmer ein langjähriger Mitarbeiter sei oder nicht. Krankheiten (oder Arbeitsunfälle) treten zufällig und nicht vorhersehbar auf, sodass es irrelevant sei, ob das Arbeitsjahr früher oder später zu laufen beginne. Deshalb sei auch die Gefahr des Missbrauchs nicht ersichtlich.
Für den (fehlenden) Einfluss vorangegangener Dienstverhältnisse auf die Lage des Arbeitsjahres biete sich auch ein Vergleich mit dem Urlaubsrecht an. In diesem differenziere der Gesetzgeber bei nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Dienstverhältnissen zum selben Arbeitgeber zwischen dem Beginn des Urlaubsjahres (keine Zusammenrechnung der Dienstverhältnisse) und der Bemessung des Urlaubsausmaßes (Zusammenrechnung der Dienstverhältnisse).
Die Zusammenrechnungsregelung des § 2 Abs 3 EFZG sei daher bei unterbrochenen Dienstverhältnissen zum selben Arbeitgeber nicht auf den Beginn des Arbeitsjahres übertragbar. Für den Beginn des Arbeitsjahres sei nur der Beginn des letzten Arbeitsverhältnisses maßgeblich.
Ab dem habe daher ein neues Arbeitsjahr zu laufen begonnen und ein neuer Anspruch auf Zuschüsse gemäß § 53b ASVG sei entstanden. Die Klägerin habe die Entgeltfortzahlung an ihren Dienstnehmer geleistet. Das Klagebegehren sei daher berechtigt.
Das Berufungsgericht sprach aus, die Revision sei zulässig, weil zur Berechnung des Arbeitsjahres nach dem EFZG bei aufeinanderfolgenden Dienstverhältnissen zum selben Dienstgeber Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht habe aufgefunden werden können.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
1. Die Revisionswerberin macht geltend, in Analogie zu § 2 Abs 3 EFZG sei in Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung im § 53b ASVG und in der Durchführungsverordnung sowie aufgrund des Verweises auf das EFZG von einem ununterbrochenen Dienstverhältnis auszugehen und auf das Ersteintrittsdatum abzustellen, sofern zwischen dem Ende des einen und dem Beginn des neuen Dienstverhältnisses zu ein und demselben Dienstgeber eine Frist von längstens bis zu 60 Tagen liege. Damit werde ein Missbrauch durch den Dienstgeber dahingehend verhindert, dass nach Erschöpfung des jährlichen Zuschusskontingents ein neuer Anspruch für denselben Dienstgeber aufgrund eines abweichenden Beginns des Arbeitsjahres lukriert werde. Die Kündigung von Dienstnehmern im Krankenstand mit nachfolgender Wiedereinstellung sei der Praxis nicht fremd. Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts seien bei manchen Krankheiten bzw Unfällen durchaus künftige Folgekrankenstände absehbar, sodass die grundsätzliche Möglichkeit gegeben sei, durch Beendigung des bestehenden Dienstverhältnisses nach Ausschöpfung der Höchstanspruchsdauer und Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses einen neuen Anspruch zu erwerben.
Hierzu wurde erwogen:
2. Zuschüsse zur teilweisen Vergütung des Aufwands der Dienstgeber/innen für die Entgeltfortzahlung einschließlich allfälliger Sonderzahlungen im Sinn des § 3 EFZG (§ 53b Abs 1 ASVG) gebühren bei Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Unfall „bis höchstens sechs Wochen je Arbeitsjahr (Kalenderjahr)“ (§ 53b Abs 2 Z 2 und Abs 3 Z 2 ASVG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung und § 53b Abs 2 Z 3 lit a und b ASVG in der seit geltenden Fassung nach den SRÄG 2015 [§ 695 Abs 1 Z 1 ASVG]; vgl § 4 Abs 2 Entgeltfortzahlungs-Zuschussverordnung [BGBl II 2005/64 idF BGBl II 2013/109], wo die sechs Wochen in 42 Kalendertage umgerechnet werden).
3. Zur Stammfassung des § 53b ASVG führen die Gesetzesmaterialien (FinanzAB 1285 BlgNR 21. GP 5) aus, dass „der Zuschuss für höchsten sechs Wochen der Entgeltfortzahlung pro Arbeitsjahr gewährt [wird]. Für Arbeitnehmer, deren Entgeltfortzahlung sich nicht nach dem Arbeitsjahr richtet, ist dieses als Referenzzeitraum heranzuziehen. ... Im Wege der unverzüglich zu erlassenden Verordnung wird zusätzlich sichergestellt, dass kein Missbrauch der Dienstgeber erfolgen kann, und zwar dadurch, dass entsprechende Meldeverpflichtungen und Kontrollen eingerichtet werden.“
4. Nach § 2 Abs 1 iVm Abs 4 EFZG behält ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf das Entgelt bis zu einer Dauer von sechs Wochen und darüber hinaus in einer von der Dauer des Arbeitsverhältnisses abhängigen Höchstdauer pro Arbeitsjahr, wenn er „nach Antritt des Dienstes“ durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Arbeit verhindert ist. Für die Bemessung der Dauer des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung sind gemäß § 2 Abs 3 EFZG Dienstzeiten bei demselben Arbeitgeber, die keine längeren Unterbrechungen als jeweils 60 Tage aufweisen, zusammenzurechnen. Eine Zusammenrechnung unterbleibt jedoch, wenn die Unterbrechung durch eine Kündigung des Arbeitnehmers, unberechtigten Austritt oder eine vom Arbeitnehmer verschuldete Entlassung eingetreten ist. Durch Kollektivvertrag oder durch Betriebsvereinbarung kann vereinbart werden, dass sich der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht nach dem Arbeitsjahr, sondern nach dem Kalenderjahr richtet (§ 2 Abs 8 EFZG).
5. Nach dem Wortlaut des § 2 EFZG (insb arg „nach Antritt des Dienstes“) und nach im Hinblick darauf zu billigender herrschender Auffassung der Lehre hat die in § 2 Abs 3 EFZG angeordnete Zusammenrechnung von Arbeitszeiten keinen Einfluss auf die Lage des jeweiligen Arbeitsjahres; dafür ist nur der Beginn des letzten Arbeitsverhältnisses maßgebend (Kallab/Hauser, Entgeltfortzahlungsgesetz5 [2012] § 2 Erl 16; Drs in ZellKomm2 [2011] § 2 EFZG Rz 12; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht [Stand Jänner 2017] 335).
6. Im Hinblick darauf kann § 2 Abs 3 EFZG keine Grundlage für die von der Revisionswerberin erblickte Lücke sein. Eine planwidrige Unvollständigkeit des § 53b ASVG (Lücke), die Voraussetzung einer Analogie ist (RISJustiz RS0008757; P. Bydlinski in KBB5§ 7 Rz 2), liegt auch nicht vor, erhellt doch aus den zitierten Gesetzesmaterialien, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höchstdauer je Arbeitsjahr (Kalenderjahr) auf die Regelung des EFZG abstellt; danach hat die Zusammenrechnung keinen Einfluss auf die Lage des Arbeitsjahres. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es für den Beginn des Arbeitsjahres keine Rolle spielt, ob der Arbeitnehmer ein langjähriger Mitarbeiter ist oder nicht.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00054.17I.0613.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen |
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