VfGH vom 28.11.2011, B791/11

VfGH vom 28.11.2011, B791/11

19539

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Berichtigungsantrags gegen einen Zahlungsauftrag; Festlegung der Nachzahlungsverpflichtung durch Gerichtsbeschluss nur dem Grunde nach

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer führte als Kläger einen Erbschaftsstreit vor den Zivilgerichten (Streitwert: € 456.662,30 samt Anhang), für welchen ihm mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom zunächst Verfahrenshilfe gewährt wurde. Nach Beendigung des Rechtsstreits forderte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom (erneut) ein Vermögensbekenntnis vom Beschwerdeführer ein und fasste daraufhin am einen Nachzahlungsbeschluss (§71 Abs 1 ZPO), worin dem Beschwerdeführer die Nachzahlung der Pauschalgebühr dem Grunde nach auferlegt wurde. Rechtsmittel gegen diesen Beschluss blieben erfolglos. Gestützt auf den rechtskräftigen Nachzahlungsbeschluss erließ die Kostenbeamtin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien am einen Zahlungsauftrag über einen Betrag von € 32.217,--.

2. Der vom Beschwerdeführer beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien gegen diesen Zahlungsauftrag eingebrachte Berichtigungsantrag, der sich auch gegen die Höhe der zu entrichtenden Gerichtsgebühren richtet, wurde mit Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom zurückgewiesen, weil die Verwaltungsbehörden an eine dem Zahlungspflichtigen vom Gericht dem Grunde nach auferlegte Nachzahlung gebunden seien und nicht über die Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidung zu befinden hätten.

3. Dagegen richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG

gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Anwendung verfassungswidriger genereller Normen geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

4. Die Präsidentin des Landesgerichtes für

Zivilrechtssachen Wien erstattete als belangte Behörde eine Gegenschrift, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde zurück-, in eventu abweisen und den Beschwerdeführer zum Kostenersatz verpflichten. Begründend führt sie aus, dass der Beschwerdeführer keinen der in § 7 Abs 1 dritter Satz Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG), BGBl. 288/1962 idF BGBl. I 24/2007, statuierten Gründe geltend gemacht hätte und der Berichtigungsantrag zutreffend zurückgewiesen worden sei, weil die Rechtmäßigkeit rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen nicht im Justizverwaltungswege überprüft werden könne.

II. Rechtslage

1. Gemäß § 71 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl. I 128/2004, ist eine die Verfahrenshilfe genießende Partei mit Beschluss unter anderem zur gänzlichen oder teilweisen Nachzahlung der Beträge zu verpflichten, von deren Berichtigung sie einstweilen befreit gewesen ist, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu imstande ist.

2. Gemäß § 7 Abs 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG), BGBl. 288/1962 idF BGBl. I 24/2007, kann der Zahlungspflichtige, wenn er sich durch den Inhalt des Zahlungsauftrages beschwert erachtet, binnen 14 Tagen dessen Berichtigung verlangen. Der Berichtigungsantrag ist bei dem Gericht einzubringen, dessen Kostenbeamter den Zahlungsauftrag erlassen hat. In Ansehung von Beträgen, die in Durchführung einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes in den Zahlungsauftrag aufgenommen wurden, gilt dies jedoch nur dann, wenn die Zahlungsfrist unrichtig bestimmt wurde oder wenn der Zahlungsauftrag der ihm zugrunde liegenden Entscheidung des Gerichtes nicht entspricht.

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt in der Sache auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass zum einen die vorgeschriebenen Gerichtsgebühren prohibitiv hoch seien und ihm durch deren Vorschreibung daher der Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz verwehrt werde. Zum Zweiten hätte die belangte Behörde nicht ausreichend gewürdigt, dass die ihm aus dem Erbschaftsverfahren zugekommenen Mittel für Zwecke seines Pianistenstudiums im Ausland gewidmet seien, womit er unter anderem in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Kunst und der Wissenschaft verletzt sei.

2. Der Verfassungsgerichtshof hält zunächst fest, dass er angesichts dieses Beschwerdevorbringens aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles keine Bedenken ob der Verfassungskonformität der vom Beschwerdeführer angezogenen gesetzlichen Bestimmungen der §§2 und 14 ff. Gerichtsgebührengesetz hegt. Insbesondere ist, worauf im angefochtenen Bescheid zu Recht hingewiesen wird, der Umstand von Bedeutung, dass dem Beschwerdeführer ursprünglich Verfahrenshilfe gewährt wurde und er erst auf Grund einer vom zuständigen Gericht rechtskräftig festgestellten Veränderung in seiner Vermögenslage zur Nachzahlung von Gebühren verhalten wurde.

3. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird unter anderem durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde dann verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002). Ein solcher Vorwurf ist der belangten Behörde zu machen: Sie hat den Berichtigungsantrag des Beschwerdeführers zu Unrecht zurückgewiesen und dadurch eine Sachentscheidung verweigert.

Die Präsidentin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien ist zwar als Justizverwaltungsorgan an die Entscheidungen der Gerichte gebunden (vgl. , AnwBl 1986/2499; , 88/16/0130, AnwBl 1989/3112; , 91/16/0029, AnwBl 1992/4302 ua.), weswegen sie nicht befugt ist, über die Rechtmäßigkeit der gerichtlichen Kostenentscheidung zu befinden, wenn und insoweit ein Gericht mit rechtskräftigem Beschluss die Pauschalkosten bestimmt hat (vgl. , ÖStZB 1995, 275; , 98/17/0048, ÖStZB 1999, 119; , 2002/17/0269). Dementsprechend bestimmt § 7 Abs 1 dritter Satz GEG, dass die Berichtigung von Beträgen in Zahlungsaufträgen, die in Durchführung einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes aufgenommen wurden, unter anderem nur dann verlangt werden kann, wenn "der Zahlungsauftrag der ihm zugrunde liegenden Entscheidung des Gerichtes nicht entspricht."

Das bedeutet, dass die Gesetzmäßigkeit einer durch Gerichtsbeschluss dem Grunde und der Höhe nach bereits rechtskräftig festgestellten Zahlungspflicht im Wege des Verwaltungsverfahrens nicht mehr aufgerollt werden darf (; , 99/17/0025). Soweit allerdings das Gericht die Höhe der Pauschalkosten nicht selbst festlegt, sondern der tarifmäßigen Bestimmung im Verwaltungsverfahren überlässt, steht gegen den konkreten Zahlungsauftrag die Möglichkeit, gemäß § 7 Abs 1 GEG Berichtigung zu verlangen, offen. In diesem Fall, in dem das Gericht eine Zahlungspflicht (nur) dem Grunde, nicht aber der genauen Höhe nach festlegt, will es - wie auch sonst im System der tarifmäßigen Festsetzung von Gerichtsgebühren - die dem Gesetz entsprechende Höhe durch das zuständige Justizverwaltungsorgan festgelegt wissen. Der genaue Betrag der Zahlungspflicht ist daher in einer solchen Fallkonstellation nicht iSd § 7 Abs 1 Satz 3 GEG in Durchführung einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes in den Zahlungsauftrag aufgenommen, sodass der Zahlungspflichtige die Berichtigung der Höhe des festgesetzten Betrages nach Satz 1 dieser Bestimmung verlangen kann.

4. Der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom (lediglich) dem Grunde nach zur Nachzahlung der angefallenen Pauschalgebühr verpflichtet. Die Höhe der von ihm nachzuzahlenden Gebühren wurde hingegen nur in der Begründung der Entscheidung des Gerichtes als Näherungswert angesprochen ("...die voraussichtlich in Höhe von rund EUR 32.200,-- vorzuschreibende Pauschalgebühr..."), aber erst im Zahlungsauftrag der Kostenbeamtin des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien bestimmt und verbindlich vorgeschrieben.

In seinem gegen diesen Zahlungsauftrag eingelegten Berichtigungsantrag rügt der Beschwerdeführer nicht nur die gerichtliche Vorschreibung der Gerichtsgebühr an sich, sondern er wendet sich - wenn auch überwiegend mit denselben Argumenten, mit denen er eine Rechtswidrigkeit der Gebühr an sich darzutun versucht - auch gegen ihre konkrete Höhe. Insoweit kann aber, weil der Gerichtsbeschluss die Nachzahlungsverpflichtung nur dem Grunde nach, nicht aber in der genauen Höhe angeordnet hat, die Frage der Gesetzmäßigkeit der konkret festgesetzten Nachzahlungsverpflichtung der Höhe nach im Verfahren nach § 7 Abs 1 GEG aufgerollt werden. Die belangte Behörde hat daher dadurch, dass sie den Berichtigungsantrag als unzulässig zurückgewiesen hat, eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

Der Beschwerdeführer ist somit durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.