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OGH vom 29.07.2020, 13Os37/20w

OGH vom 29.07.2020, 13Os37/20w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Part in der Strafsache gegen Marinela C***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 2, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 8 Hv 85/19t des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , AZ 9 Bs 426/19v, ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 8 Hv 85/19t des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , AZ 9 Bs 426/19v (ON 201), § 43a Abs 4 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom (ON 184), wurde – soweit hier von Bedeutung – Marinela C***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 2, 130 Abs 2 zweiter Fall (iVm Abs 1 erster Fall) StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Ein Teil derselben von 24 Monaten wurde – ersichtlich gemäß § 43a Abs 4 StGB (vgl US 15) – unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Die Staatsanwaltschaft bekämpfte den Strafausspruch zum Nachteil der Angeklagten C***** mit Berufung, die eine Erhöhung der Freiheitsstrafe unter Ausschaltung deren teilweise bedingter Nachsicht anstrebte. Die Berufung dieser Angeklagten richtete sich ausschließlich gegen den Verfallsausspruch.

Das Oberlandesgericht Graz gab – soweit hier von Bedeutung – der Berufung der Staatsanwaltschaft mit dem nunmehr angefochtenen Urteil nicht Folge und begründete dies im Wesentlichen damit, dass zwar die Voraussetzungen einer bedingten Nachsicht eines Strafteils nicht vorlägen, weil die von § 43a Abs 4 StGB verlangte hohe Wahrscheinlichkeit, dass C***** keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, „schon aufgrund der Vielzahl der Angriffe ungeachtet einer früheren Verurteilung und der Tatbegehung in einer Probezeit zu verneinen“ sei. Zu einer Ausschaltung der bedingten Nachsicht eines Strafteils sah sich das Berufungsgericht dennoch nicht bestimmt, weil dies „die Verhängung einer“ (schon zuvor als „klar überhöht“ bezeichneten) „unangemessen strengen unbedingten Freiheitsstrafe zur Folge hätte, welche nicht mehr in vertretbarer Relation zur Schuld der Angeklagten stehen würde“ (ON 201 S 4).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen zur Wahrung des Gesetzes ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde begründet die Generalprokuratur wie folgt:

Wird – wie aktuell – auf eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei, aber nicht mehr als drei Jahre erkannt und besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Rechtsbrecher keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 StGB, nämlich gemäß Abs 1 leg cit unter der Annahme, dass die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werde, den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, ein Teil der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von mindestens einem und höchstens drei Jahren bedingt nachzusehen; dabei sind insbesondere die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen (§ 43a Abs 4 StGB; Fabrizy, StGB13§ 43a Rz 6). Der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe muss mindestens einen Monat und darf nicht mehr als ein Drittel der Strafe betragen (§ 43a Abs 4 letzter Satz iVm Abs 3 letzter Satz StGB).

§ 43 Abs 1 StGB definiert die bedingte Nachsicht als bloße Modifikation der Strafe, auf deren zunächst nur aufgeschobenen Vollzug bei Nichteintritt eines Widerrufsgrunds endgültig verzichtet wird. Die Tatsache des Strafausspruchs an sich bleibt hievon unberührt. Das Gericht hat zunächst (unter Heranziehung der in § 32 ff angeführten Strafzumessungsgründe und unter Mitberücksichtigung anderer Strafbemessungskomponenten, so auch spezial- und generalpräventiver Gesichtspunkte, Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 23 ff) die Strafart und die Höhe der Strafe festzusetzen und erst dann in einem weiteren Entscheidungsprozess zu prüfen, ob der Vollzug dieser Strafe vorläufig aufgeschoben werden kann (Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 2; RIS-Justiz RS0091725).

Dabei ist die Entscheidung über die Strafhöhe strikt von der Entscheidung über die Gewährung bedingter Nachsicht zu trennen. Dies bedingt schon der Wortlaut des § 43 Abs 1 StGB, wonach als Anknüpfungspunkt der Nachsichtsentscheidung ausdrücklich die Strafe heranzuziehen ist, zu welcher der Rechtsbrecher – logisch zwingend zuvor – verurteilt wurde. Dem Gericht ist es demzufolge verwehrt, eine Strafe nur deshalb höher (oder niedriger) zu bemessen, weil deren bedingte Nachsicht gewährt (oder verweigert) werden soll; gleichermaßen unzulässig ist es, das Maß der als schuldangemessen befundenen Strafe zu über- bzw unterschreiten, nur um solcherart die Möglichkeit einer bedingten Nachsicht überhaupt zu vereiteln bzw erst zu schaffen (Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 3 iVm § 43a Rz 16).

Infolge dieser – auch bei Prüfung eines Vorgehens nach § 43a Abs 4 StGB – gebotenen Trennung der Entscheidung über die Strafhöhe von jener über die Gewährung bedingter Nachsicht erweist sich die seitens des Oberlandesgerichts allein mit dem Argument, einer sonst zu gewärtigenden „unangemessen strengen unbedingten Freiheitsstrafe“, beibehaltene Gewährung der Rechtswohltat nach § 43a Abs 4 StGB, obwohl nach den diesbezüglich unmissverständlichen Erwägungen des Berufungsgerichts die Voraussetzungen für eine teilbedingte Strafnachsicht nach § 43a Abs 4 StGB fallbezogen nicht vorliegen (US 4 dritter Absatz), als rechtsfehlerhaft und begründet Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 dritter Fall StPO (Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 3; aM Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 104).

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

(Rechtliche) Voraussetzung der bedingten Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB ist das Fehlen spezial- und generalpräventiver Erfordernisse für den Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe. Dies ist auf Basis einer – die Gesamtheit aller relevanten Umstände würdigenden – Prognose über die Auswirkungen der bedingten Nachsicht auf das künftige Verhalten des Rechtsbrechers und anderer (der Allgemeinheit) zu beurteilen. § 43a Abs 4 StGB enthält (bloß) in Bezug auf die Spezialprävention die strengere Anforderung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwartender Delinquenz des Verurteilten. Die in § 43 Abs 1 zweiter Satz StGB genannten Umstände (hier von Bedeutung insbesondere der Verschuldensgrad) sind im Rahmen dieser Prognose (arg: dabei) besonders zu berücksichtigen. Sie bilden jedoch – anders als bei der Entscheidung über die Strafhöhe (vgl § 32 Abs 1 StGB; RISJustiz RS0090592; Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 3, 26, 34/1, 52, 95) – kein Korrektiv der durch § 43 f StGB eröffneten Modifikation der Strafe und damit der Strafbemessung im weiteren Sinn (zum Ganzen Jerabek in WK2 StGB § 43 Rz 2, 16 bis 19 und 22 sowie § 43a Rz 16; Birklbauer SbgK § 43, 43a Rz 15, 81 f, 85, 87, 92 und 117).

Vorliegend war es dem Berufungsgericht verwehrt, die ausschließlich zum Nachteil der Angeklagten C***** bekämpfte Strafhöhe – seiner Überzeugung entsprechend – zu reduzieren (ON 201 S 4; vgl zum so genannten Verbesserungsverbot Ratz, WKStPO § 295 Rz 9; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO § 295 Rz 15). Indem es die bedingte Nachsicht eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe nach § 43a Abs 4 StGB durch Abweisung der (auch) dagegen gerichteten Berufung der Staatsanwaltschaft trotz der Sachverhaltsannahme einer ungünstigen spezialpräventiven Prognose mit Verweis auf (ansonsten aus seiner Sicht fehlende) Schuldangemessenheit beibehielt, entfernte sich das Berufungsgericht von den Beurteilungskriterien der angesprochenen Norm.

Da diese Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil der Verurteilten wirkt, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 vorletzter Satz StPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00037.20W.0729.000

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