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OGH vom 17.05.2017, 13Os37/17s (13Os38/17p)

OGH vom 17.05.2017, 13Os37/17s (13Os38/17p)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian E***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB, AZ 6 U 226/16v des Bezirksgerichts Bregenz, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom (ON 15) sowie mehrere Vorgänge erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 6 U 226/16v des Bezirksgerichts Bregenz verletzen

1. der in der Hauptverhandlung am (ON 14) erfolgte Vortrag von Aktenstücken § 252 Abs 2a StPO iVm § 447 StPO, in Bezug auf das Protokoll über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Robert L***** (ON 2 S 13 ff) auch § 252 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO;

2. die in der Hauptverhandlung am (ON 14) ergangene Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche ohne zuvor erfolgte Vernehmung des Angeklagten hiezu und an ihn gerichtete Aufforderung zur Erklärung über ein allfälliges Anerkenntnis § 245 Abs 1a StPO iVm § 447 StPO.

Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Bregenz vom (ON 15) wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.

Text

Gründe:

Vor der für den anberaumten Hauptverhandlung entschuldigte sich der ordnungsgemäß geladene Angeklagte Christian E***** telefonisch (ON 11), woraufhin der Bezirksrichter – nach Aufruf der Sache – mit dem Angeklagten ebenfalls telefonisch den ausdrücklich „unter Ladungsverzicht“ als „neuen Termin“ vereinbarte (ON 12 S 2).

Der fortgesetzten Verhandlung blieb Christian E***** – nach weiterer einfacher (rückscheinloser) Ladung (ON 13) – unentschuldigt fern. Das Bezirksgericht beschloss daraufhin die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (ON 14 S 2). Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls wurden nach Verzicht der „Beteiligten des Verfahrens“ auf die „Vorlesung oder Vorführung (§ 252 Abs 1 und 2 StPO)“ und mit deren Zustimmung zu „einem Vortrag/Referat des erheblichen Inhalts der Aktenstücke durch den Richter iSd § 252 Abs 2a StPO“ folgende „den Beteiligten zugängliche Aktenstücke/Beweismittel: Abschlussbericht ON 2, Strafregisterauskunft ON 6, schweizerische Strafregister-
auskunft ON 7, PB-Anschluss ON 8 samt Beilagen sowie Urteile ON 9 und ON 10“ „referiert“ (ON 14 S 2).

Mit Abwesenheitsurteil vom (ON 15) wurde Christian E***** anklagekonform des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe sowie zur Zahlung von 250 Euro an den Privatbeteiligten Robert L***** verurteilt.

Den Entscheidungsgründen zufolge stützte das Bezirksgericht seine Feststellungen zur objektiven Tatseite auch auf die „glaubwürdigen Angaben des Opfers Robert L*****“ (US 3).

Die gegen das Urteil erhobene Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Strafe (ON 19) wies das Landesgericht Feldkirch mit Beschluss vom (ON 21) als verspätet zurück.

Rechtliche Beurteilung

Im bezeichneten Verfahren wurde – wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt – das Gesetz in mehrfacher Hinsicht verletzt:

1. Gemäß § 252 Abs 1 StPO – der zufolge § 447 StPO auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgericht gilt –dürfen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, in der Hauptverhandlung nur in den in § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO genannten Fällen verlesen werden. Aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung am aber konnte kein Einverständnis (im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO) zur Verlesung der Angaben des Opfers Robert L***** (ON 2 S 13 ff) abgeleitet werden, die im Abschlussbericht der Polizeiinspektion Steyr Münichholz vom (ON 2) enthalten sind (RIS-Justiz RS0117012; vgl auch Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103 sowie Bauer/Jerabek, WK-StPO § 427 Rz 13). Da auch keiner der in § 252 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO genannten Fälle vorlag, widersprach diese Verlesung § 252 Abs 1 StPO iVm § 447 StPO.

2. Entsprechendes gilt für die Zulässigkeit der Abstandnahme von der Vorlesung oder Vorführung von Aktenstücken nach § 252 Abs 1, Abs 2 StPO zugunsten eines zusammenfassenden Vortrags ihres Inhalts. Auch die insoweit von § 252 Abs 2a StPO verlangte Zustimmung des Angeklagten kann nicht aus dessen Fernbleiben erschlossen werden (RIS-Justiz RS0117012 [T2]).

3. Nach der gemäß § 447 StPO auch im bezirksgerichtlichen Strafverfahren geltenden Bestimmung des § 245 Abs 1a StPO ist der Angeklagte über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Erklärung aufzufordern, ob und in welchem Umfang er diese anerkennt. Das bloße Zur-Kenntnis-Bringen der Erklärung des Geschädigten, sich dem Verfahren als Privatbeteiligter anzuschließen und Rückersatz für den erlittenen Schaden zu begehren, genügt diesen Vorgaben nicht. Bei der vom Gesetz verlangten Vernehmung handelt es sich um ein der Gewährleistung des beiderseitigen rechtlichen Gehörs dienendes Erfordernis, ohne dessen Beachtung ein Zuspruch an den Privatbeteiligten nicht erfolgen darf (RIS-Justiz RS0101178, RS0101197; Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 23).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

In Ansehung des gesetzwidrig erfolgten Privatbeteiligtenzuspruchs steht der Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft die im Sinn des Art 1 des 1. ZPMRK geschützte Position des Privatbeteiligten nicht entgegen, weil bei – wie hier – untrennbar mit dem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) im Strafverfahren stets der Schutz des Angeklagten prävaliert (RIS-Justiz RS0124740).

Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten damit gleichermaßen als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00037.17S.0517.000
Schlagworte:
Strafrecht

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