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OGH vom 28.06.2011, 14Os54/11i

OGH vom 28.06.2011, 14Os54/11i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred S***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 72 Hv 30/10y-34, nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Seidl, sowie der Vertreterin der Privatbeteiligten Patricia K*****, Mag. Scheed, in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Haas zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Manfred S***** wird vom Vorwurf, er habe „in Wien

(I) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten von 1991 bis zum in einer nicht feststellbaren Anzahl von Angriffen eine unmündige Person, und zwar die am geborene Patricia K*****, auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er

a) diese im Genitalbereich leckte;

b) ihr einen Finger in die Scheide einführte;

(II) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten von 1991 bis 1999 sein minderjähriges Pflegekind, nämlich die am geborene Patricia K*****, durch die unter Punkt I/a und b angeführten Tathandlungen und weitere derartige Tathandlungen, nämlich Lecken ihres Genitalbereichs und Einführens eines Fingers in ihre Scheide, zur Unzucht missbraucht“,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Privatbeteiligte Patricia K***** wird mit ihren Ansprüchen gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred S***** wegen der nun vom Freispruch umfassten Sachverhalte der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (I) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (II) schuldig erkannt.

Dagegen hat der Angeklagte, der gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hat, verspätet Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet.

Aus deren Anlass (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 14) überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass die Schuldsprüche mit ungerügt gebliebener Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO behaftet sind (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO):

Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht zufolge § 61 erster Satz StGB zu I zutreffend von der Anwendbarkeit des § 207 Abs 1 StGB in der zur Tatzeit in Geltung gestandenen Fassung des BGBl 1974/60 (Unzucht mit Unmündigen; Strafdrohung: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) ausgegangen ist. Diese Bestimmung ist im Vergleich zu der im Urteilszeitpunkt bestehenden Rechtslage für den Angeklagten günstiger, weil sie auch dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen - wie die vorliegend festgestellte digitale Penetration - erfasst. Nach dem im Urteilszeitpunkt geltenden Recht wäre eine solche Tat dem Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs nach § 206 Abs 1 StGB zu subsumieren, das mit höherer Strafe bedroht ist (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren).

In Bezug auf die von 1991 bis zum idealkonkurrierend mit den Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen angenommenen Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (2) ist das zur Tatzeit in Geltung gestandene Recht für den Angeklagten nicht günstiger als das geltende Recht. Dennoch ist das Erstgericht auch diesbezüglich rechtsrichtig von der Anwendbarkeit der Rechtslage zur Tatzeit ausgegangen. Anknüpfungspunkt des nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs ist die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt (zum Begriff: Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1). Dabei wird die Anordnung, zu prüfen, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter „in ihrer Gesamtauswirkung“ nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, dahin verstanden, dass eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist (Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 6; 14 Os 129/10t, EvBl 2011, 421). Dies hat zur Folge, dass auch im Fall der Idealkonkurrenz eine solche Kombination nicht möglich ist, somit der zu beurteilende Lebenssachverhalt - nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB - entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (EvBl 1976/45; Fabrizy, StGB10 § 61 Rz 2; RIS-Justiz RS0119085; 14 Os 129/10t, EvBl 2011, 421).

Hinsichtlich der ab dem angelasteten Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses wäre hingegen geltendes Recht, nämlich § 212 Abs 1 Z 2 StGB, anzuwenden gewesen.

Ungeachtet dessen ist aber die Strafbarkeit der vom Anklagevorwurf umfassten Taten zufolge Verjährung erloschen.

Soweit hier wesentlich beträgt die Verjährungsfrist, wenn die Tat mit mehr als einjähriger, aber höchstens fünfjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, fünf Jahre (§ 57 Abs 3 StGB). Die Verjährungsfrist beginnt, sobald die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufgehört hat. Begeht der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, so tritt die Verjährung nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist (§ 58 Abs 2 StGB).

Nach § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der seit geltenden Fassung (BGBl I 2009/40) ist die Zeit bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres des Opfers einer strafbaren Handlung gegen Leib oder Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen, wenn das Opfer zur Tatzeit minderjährig war.

Ob eine Tat verjährt ist, richtet sich grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht, nach früherem Recht nur dann, wenn Verjährung bereits unter dessen Geltung eingetreten, der Täter also bereits nach früherem Recht straflos geworden ist (E. Fuchs in WK² § 57 Rz 23; vgl auch Art XIV Abs 2 2. GeSchG, BGBl I 2009/40). Dies folgt aus der Rechtsnatur der Verjährung, die nach herrschender Meinung einen Strafaufhebungsgrund darstellt, was bedeutet, dass die zunächst gegebene Strafbarkeit einer Tat zu einem darauffolgenden Zeitpunkt (durch Fristablauf) beseitigt wird (14 Os 129/10t, EvBl 2011, 421).

Durch Art I Z 1 des StRÄG 1998 BGBl I 1998/153 wurde in § 58 Abs 3 StGB die Z 3 angefügt, wonach die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach den §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird. Nach Art V Abs 1 StRÄG 1998 trat dieses Gesetz mit in Kraft, wobei § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der dadurch geänderten Fassung auch auf vor dem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden war, wenn die Strafbarkeit - wie hier - zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war.

Mit Inkrafttreten des KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 am , mit welchem § 21 Abs 2 ABGB - ebenso wie die korrespondierende Begriffsbestimmung des § 74 Abs 1 Z 3 StGB - dahin abgeändert wurde, dass minderjährig (nur) mehr jene Personen sind, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Art XVIII § 1 Abs 1 KindRÄG 2001, Art IV Abs 1 BGBl I 2001/19), wurde die damals achtzehnjährige Patricia K***** volljährig.

Hinsichtlich der vom Anklagevorwurf umfassten Taten trat demnach - fünf Jahre, nachdem Patricia K***** die Volljährigkeit erreicht hatte - mit , also vor Inkrafttreten des § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der geltenden Fassung, Verjährung ein, weshalb diese Bestimmung nach dem Gesagten hier nicht anzuwenden ist.

Die Verjährungsbestimmungen nach § 58 StGB stellen (materielle) Strafaufhebungsgründe und keine (prozessualen) Verfolgungshindernisse dar. Da aber angesichts der Aktenlage der Verjährung entgegenstehende Konstatierungen fallaktuell auch in einem erneuertem Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - aus prozessökonomischen Gründen von der Rückverweisung an die Tatsacheninstanz abzusehen, in der Sache selbst zu entscheiden und mit Freispruch vorzugehen (E. Fuchs in WK2 § 57 Rz 19).

Mit ihren Rechtsmitteln waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen, womit sich auch der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung erübrigt.

Zufolge Freispruchs des Angeklagten war die Privatbeteiligte Patricia K***** mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (§ 366 Abs 1 StPO).