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VfGH vom 09.10.1997, a4/97

VfGH vom 09.10.1997, a4/97

Sammlungsnummer

14971

Leitsatz

Stattgabe einer Klage gegen den Bund auf Herausgabe einer beschlagnahmten und zu Unrecht für verfallen erklärten Handschrift; Anspruch auf Rückerstattung eines beschlagnahmten Gegenstandes weder im ordentlichen Rechtsweg noch durch Bescheid zu erledigen

Spruch

Der Bund ist schuldig, der Klägerin die mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. B47-6/93, für verfallen erklärte historische Handschrift "Eusebius von Caesarea: Historia ecclesiastica" binnen 14 Tagen bei Exekution auszufolgen.

Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.344,40 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Klägerin brachte Ende November 1991 beim Zollamt Spielfeld-Autobahn eine historische Handschrift aus dem 12. Jahrhundert ("Eusebius von Caesarea: Historia ecclesiastica") in das österreichische Zollgebiet ein, ohne sie zu deklarieren.

Das Zollamt Graz beschlagnahmte mit Bescheid vom gemäß § 89 Abs 1 Finanzstrafgesetz (FinStrG) diese Handschrift; die Finanzlandesdirektion für Steiermark (FLD Stmk.) wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Bescheid vom ab. In der Folge wurde die Handschrift mit Bescheid des Zollamtes Graz vom (bestätigt mit Berufungsbescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom ) gemäß § 35 Abs 4 iVm § 17 FinStrG für verfallen erklärt. Die Handschrift wurde der Universitätsbibliothek Graz zur Verwahrung übergeben.

Aufgrund einer von der nunmehrigen Klägerin erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde hob der Verfassungsgerichtshof den zuletzt genannten Berufungsbescheid vom mit Erkenntnis vom , Zl. B361/94,

(= VfSlg. 14324/1995), auf; die Verfallserklärung stelle eine denkunmögliche Gesetzesanwendung dar.

Das Zollamt Graz hob daraufhin laut einem an den Rechtsvertreter der Klägerin gerichteten Schreiben vom 19. Feber 1996 die Beschlagnahmeanordnung vom auf und teilte mit, daß aus finanzstrafrechtlicher Sicht kein Ausfolgungshindernis mehr bestehe; die Verwahrerin (die Universitätsbibliothek Graz) sei darüber in Kenntnis gesetzt worden. Die FLD Stmk. hob (in Befolgung der vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Rechtsansicht) mit (Ersatz-)Bescheid vom 5. Feber 1996 den Verfallsbescheid vom ersatzlos auf.

2. Mit der vorliegenden, auf Art 137 B-VG gestützten, gegen die "Republik Österreich" (richtig: den Bund) gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Rückausfolgung der seinerzeit beschlagnahmten und für verfallen erklärten Handschrift; die Berechtigung des Bundes, diese im Besitz zu halten, sei weggefallen. Mehrfache Aufforderungen auf Rückgabe seien erfolglos geblieben.

Die Klägerin beantragt nachstehendes Urteil:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin, die Handschrift 'Eusebius von Caesarea Historia ecclesiastica' rückauszufolgen sowie der klagenden Partei deren Prozeßkosten zu ersetzen, dies alles binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution,

in eventu

die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Wert der Handschrift 'Eusebius von Caesarea Historia ecclesiastica' in Höhe von S 300.000,-- samt 4% Zinsen seit zu bezahlen sowie der klagenden Partei deren Prozeßkosten zu ersetzen, dies alles binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution."

Der Streitwert wird mit S 300.000,-- beziffert.

3. Die (durch die Finanzprokuratur vertretene) beklagte Partei erstattete eine Gegenschrift. Sie beantragt, die Klage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu das Klagebegehren zur Gänze (daher sowohl das Hauptbegehren als auch das Eventualbegehren) kostenpflichtig abzuweisen:

Die (auf Art 137 B-VG gegründete) Klage sei unzulässig, weil ein Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung eines Antrages auf Herausgabe von Sachen bestehe, die (seinerzeit) nach dem FinStrG beschlagnahmt und für verfallen erklärt wurden. In der Sache selbst wird insbesondere vorgebracht, daß die Handschrift aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Graz stamme, im Zuge der Ereignisse des 2. Weltkrieges in Verlust geraten und nach Marburg (ehemaliges Jugoslawien) gelangt sei und nach wie vor im Eigentum des Bundes stehe.

4. Darauf replizierte die Klägerin und legte zahlreiche Urkunden vor. Sie hält ihr Klagebegehren vollinhaltlich aufrecht.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Klage erwogen:

1. Die Klage ist zulässig:

a) Gemäß Art 137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Daß es sich im vorliegenden Fall, in welchem die Klägerin vom Bund die Herausgabe einer Sache begehrt, um einen vermögensrechtlichen Anspruch handelt, ist augenscheinlich.

Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgeführt hat (vgl. z. B. VfSlg. 11180/1986 und die dort zitierte Vorjudikatur), besteht - sofern nichts anderes angeordnet ist (was hier nicht der Fall ist) - keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Rückforderungsansprüche, wenn ein Vermögenszuwachs auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruht. Dies gilt insbesondere für Rückforderungsansprüche im Fall der Verweigerung der Rückstellung zu Unrecht beschlagnahmter Sachen.

b) Zu untersuchen bleibt, ob der erhobene Anspruch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen ist.

Die beklagte Partei bejaht dies. Sie ist mit dieser Auffassung nicht im Recht.

Die Rechtsordnung ermächtigt die Behörden nämlich nicht, über Ansprüche der in Rede stehenden Art bescheidmäßig abzusprechen.

§ 91 Abs 2 FinStrG lautet:

"Beschlagnahmte Gegenstände sind unverzüglich zurückzugeben, wenn die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme nicht gerechtfertigt ist."

Das FinStrG sieht ebensowenig wie das VStG vor, daß über die Rückgabepflicht ein Bescheid zu erlassen ist. Vielmehr tritt diese Pflicht unmittelbar kraft Gesetzes ein, wenn die Voraussetzungen gegeben sind; dies unabhängig davon, ob ein Antrag gestellt wurde oder nicht (vgl. das Erkenntnis VfSlg. 11180/1986, betreffend die Pflicht zur Rückgabe von Schimpansen, die nach dem VStG beschlagnahmt und für verfallen erklärt worden waren; dort wird ausdrücklich konstatiert, daß eine Kompetenz zur bescheidmäßigen Absprache über den Anspruch auf Rückstellung zu Unrecht beschlagnahmter Sachen dem Gesetz nicht zu entnehmen ist; in diesem Sinn bereits VfSlg. 2046/1950).

Die beklagte Partei beruft sich zum Beleg für ihre Behauptung, die Klage sei unzulässig, weil der Verwaltungsweg offen stehe, auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom (richtig: vom ), Zl. 87/15/0153. Die damals belangte Finanzlandesdirektion hat zwar tatsächlich mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid dem Antrag der sodann beim Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführenden Partei auf Zurückstellung von Gegenständen, die nach dem FinStrG - angeblich zu Unrecht - beschlagnahmt worden waren, keine Folge gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof wies mit dem zitierten Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde mit der Begründung ab, daß die Annahme der Behörde, die Beschlagnahme sei weiterhin gerechtfertigt, nicht rechtswidrig gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich aber mit der Frage, ob im Fall des § 91 Abs 2 FinStrG ein Bescheid zu erlassen ist, nicht befaßt, sondern hat - ohne dieses Problem zu erörtern - nur über einen die Zurückgabe beschlagnahmter Gegenstände verweigernden Bescheid in die Richtung abgesprochen, daß die Voraussetzungen für eine Zurückgabe nicht vorlägen.

Im Erkenntnis vom , Zl. 95/16/0276, hat der Verwaltungsgerichtshof zwar die Meinung vertreten, daß über einen Antrag auf Rückgabe eines beschlagnahmten Gegenstandes die Finanzbehörden bescheidmäßig zu entscheiden hätten; diese Aussage traf er aber nur als obiter dictum.

In der Unterlassung der Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände ist im übrigen auch keine (nun beim UVS bekämpfbare) Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu erblicken (vgl. VfSlg. 9348/1982).

Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Klägerin auch der Verwaltungsrechtsweg nicht offen steht.

c) Es liegen sohin alle Prozeßvoraussetzungen vor.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat also in der Sache zu entscheiden.

Der Klagsanspruch ist begründet:

Außer Streit steht, daß der Rechtstitel, mit dem der Bund im Jahre 1992 in den Besitz der Handschrift gelangt ist, nicht mehr aufrecht ist; ferner, daß sich diese nach wie vor im Besitz des Bundes befindet (wenngleich nicht in der Gewahrsame der seinerzeit die Beschlagnahme und den Verfall verfügenden Finanzbehörden, sondern in jener der Universitätsbibliothek Graz).

Der Einwand der beklagten Partei, die Handschrift stehe in ihrem Eigentum, vermag ihre Herausgabepflicht nicht zu beseitigen. Auf die Frage, in wessen Eigentum die Handschrift steht, ist in Zusammenhang mit dieser Verpflichtung nämlich nicht weiter einzugehen:

Die im § 91 Abs 2 FinStrG normierte Rückgabepflicht stellt nicht auf die Eigentumsverhältnisse ab. Vielmehr geht aus dem Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung klar hervor, daß beschlagnahmte Gegenstände, wenn die Aufrechterhaltung der Beschlagnahme nicht gerechtfertigt ist, unverzüglich demjenigen, dem sie abgenommen wurden, zurückzugeben sind. Die Gegenstände sind also der Person zurückzustellen, die zum Zeitpunkt der Beschlagnahme die Sache innegehabt hat. Hiebei obliegt es nicht der Behörde, allfällige Eigentumsrechte zu prüfen oder festzustellen. Es ist daher unmaßgeblich, ob die Person, der die Sachen auszufolgen sind, diese rechtmäßig oder unrechtmäßig innegehabt hat (; Sommergruber/Reger,

Das Finanzstrafgesetz, Eisenstadt 1990, Anm. 10 zu § 91).

Der von der Klägerin vorgebrachte Hinweis auf das oben genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B361/94, S 8, (der Verfassungsgerichtshof nahm aufgrund der damaligen Aktenlage an, die Handschrift stehe im Eigentum der Einschreiterin), ist schon deshalb nicht zielführend, weil das damalige (Beschwerde-)Verfahren einen - das Finanzstrafverfahren betreffenden - Rechtsstreit zwischen der Einschreiterin und der FLD Stmk. zum Gegenstand hatte, während es im nunmehrigen (Klage-)Verfahren um eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen der Einschreiterin und dem Bund geht.

Die Handschrift wurde bei der Klägerin beschlagnahmt; ihr hat sie der Bund zurückzugeben. Es ist eine innerorganisatorische Frage, wie das beschlagnahmende Organ bei dem die Handschrift verwahrenden Organ die Herausgabe durchsetzt. Will der Bund die Zurückgabe an die Klägerin verhindern, weil er und nicht diese der Eigentümer der Handschrift sei, so stehen ihm hiefür dieselben rechtlichen Möglichkeiten offen, die für ihn ohne Beschlagnahme in Frage kämen (vgl. Zl. 85/13/0023).

Der Bund ist also - dem Hauptbegehren entsprechend - verpflichtet, der Klägerin die Handschrift auszufolgen.

Bei diesem Ergebnis war dem Hauptbegehren der Klägerin stattzugeben, ohne daß auf das Eventualbegehren einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 35 VerfGG und § 41 ZPO; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer im Betrage von S 3557,40 enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.