VfGH vom 20.09.2011, B776/10
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Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Finanzen) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer war an einer GmbH beteiligt, die mit Wirkung vom im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Beschwerdeführer als Nachfolgeunternehmer umgewandelt wurde. Im Zuge seiner Einkommensteuererklärung 2004 machte der Beschwerdeführer einen Betrag in Höhe von € 12.589,28 unter dem Titel "Sonstige anzurechnende Steuern" geltend. Dazu führte er in einer Beilage aus, dass gemäß § 9 Abs 8 UmgrStG die bei der GmbH bis zum Umwandlungsstichtag entstandene, verrechenbare Mindestkörperschaftsteuer bei ihm als Rechtsnachfolger im Ausmaß entstehender Einkommensteuerschulden zu berücksichtigen sei. Der oben genannte Betrag wurde berücksichtigt und führte zu einer Einkommensteuergutschrift in Höhe von € 19.287,13.
Nach einer im Jahr 2006 durchgeführten Außenprüfung erließ die Abgabenbehörde erster Instanz Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Einkommensteuer 2004 sowie einen neuen Einkommensteuerbescheid 2004. Auf Grund einer erfolgreichen Berufung des Beschwerdeführers gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens erließ die Abgabenbehörde erster Instanz am einen Berichtigungsbescheid gemäß § 293b BAO, mit welchem der Einkommensteuerbescheid 2004 hinsichtlich der verrechenbaren Mindestkörperschaftsteuer berichtigt wurde.
Die Berufung gegen den Berichtigungsbescheid wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid u.a. mit der Begründung abgewiesen, dass bereits die Berücksichtigung der anrechenbaren Lohnsteuer zu einer Gutschrift führe, die Anrechnung der Mindestkörperschaftsteuer aber keine Gutschrift im Sinne des § 46 Abs 2 EStG 1988 ergeben könne, sodass eine Anrechnung des Betrages von € 12.589,28 zur Gänze ausgeschlossen sei.
2. In der dagegen erhobenen, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung in Rechten wegen Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet.
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G15/11, die Wortfolge "nach Berücksichtigung der in § 46 Abs 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 genannten Beträge" im dritten Satz des § 9 Abs 8 des Umgründungssteuergesetzes, BGBl. 699/1991 idF BGBl. 201/1996, als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren G15/11 begann am . Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.