OGH vom 27.02.2020, 8ObS13/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) und Mag. Michaela Puhm (aus dem Kreis der Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch FREIMÜLLER/OBEREDER/PILZ RECHTSANWÄLT_INNEN GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei IEF-Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 1.316 EUR sA (Insolvenz-Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 88/19y-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 17 Cgs 47/19a-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei Insolvenz-Entgelt von 1.297 EUR binnen 14 Tagen zu zahlen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weiteres Insolvenz-Entgelt von 19 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 761,62 EUR (darin 126,14 EUR USt, 4,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 548,86 EUR (darin 91,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis beim Handballklub M*****, einem registrierten Verein, als Vertragsspieler mit einem Monatslohn von 250 EUR netto geringfügig beschäftigt. Das Dienstverhältnis des Klägers zum Verein endete durch vorzeitigen Austritt wegen Entgeltvorenthaltung. Der Verein wurde in der Folge nach § 28 Vereinsgesetz 2002 freiwillig aufgelöst und mit Wirkung vom im Vereinsregister gelöscht, ohne dass eine Abwicklung stattfand.
Am beantragte der Kläger beim Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vereins, in eventu die Abweisung des Antrags mangels kostendeckenden Vermögens oder gemäß § 68 IO oder die Zurückweisung gemäß § 63 IO. Das Insolvenzgericht wies den Antrag mit Beschluss vom selben Tag „infolge … Löschung [des Vereins] aus dem Vereinsregister“ zurück. Zur Begründung verwies es auf die freiwillige Auflösung und Löschung des Vereins aus dem Vereinsregister. Der Kläger habe vorgebracht, dass sich aus dieser Auflösung die Vermögenslosigkeit des Vereins ergebe. Ein Vorbringen gemäß § 68 IO, wonach das Vermögen des Vereins trotz dessen Auflösung noch nicht verteilt sei, sei nicht erstattet worden. Dieser Beschluss wurde in der Insolvenzdatei nicht veröffentlicht.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom die Zuerkennung des vom Kläger angemeldeten Insolvenz-Entgelts zur Gänze ab.
Der begehrte die Zahlung von 1.316 EUR an Insolvenz-Entgelt, darin 848 EUR Entgelt für die Zeit vom 15. 1. bis , 102 EUR Kündigungsentschädigung für 14 Tage, 119 EUR Urlaubsersatzleistung, 76 EUR Zinsen und 171 EUR Kosten. Es liege ein Beschluss des Insolvenzgerichts nach § 68 IO vor, weshalb der Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 3 IESG erfüllt sei.
Die wandte ein, der Beschluss des Insolvenzgerichts stelle eine Zurückweisung aus formalen Gründen dar, die keinen Anknüpfungstatbestand im Sinn des § 1 Abs 1 IESG begründe. Es fehle an einer behördlich überprüften Insolvenz. Der Höhe nach bestritt die Beklagte nur die mit 119 EUR geltend gemachte Urlaubsersatzleistung, die von den Parteien letztlich mit 100 EUR außer Streit gestellt wurde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein Anspruch des Klägers auf Insolvenz-Entgelt sei mangels Vorliegens eines der Insolvenzeröffnung gleichzusetzenden Tatbestands zu verneinen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Sowohl aus dem Spruch als auch der Begründung des Beschlusses des Insolvenzgerichts lasse sich keine Feststellung der Vermögenslosigkeit des Vereins ableiten. Aus der Begründung ergebe sich vielmehr, dass der Antrag des Klägers zurückgewiesen worden sei, nachdem er nicht bescheinigt habe, dass ein Vermögen des Vereins noch nicht verteilt sei. Werde ein (Konkurs-)Antrag deshalb abgewiesen, weil der Antragsteller trotz gerichtlicher Aufforderung ein verwertbares Vermögen nicht bescheinige, sei dies der für die Zuerkennung des Insolvenz-Entgelts geforderten Abweisung des (Konkurs-)Eröffnungsantrags („mangels hinreichenden Vermögens“) nicht gleichzuhalten. Das Insolvenzgericht habe seinen Beschluss auch nicht mit der mangelnden Parteifähigkeit der „vollbeendeten“ juristischen Person begründet. Zwar ergebe sich aus dem Umstand, dass laut Vereinsregister kein Abwickler für den Verein bestellt worden sei, dass auch die vertretungsbefugten Organe des Vereins davon ausgegangen seien, dass kein der Abwicklung bedürfendes Vereinsvermögen vorhanden gewesen sei. Allerdings fehle es insofern an der auch aufgrund der RL 2008/94/EG in den Fällen des § 1 Abs 1 IESG regelmäßig geforderten Prüfung der „Insolvenz“ in einem vorangegangenen inländischen oder ausländischen Verfahren als Anknüpfungspunkt für den Anspruch nach dem IESG. Damit liege ein der Entscheidung 8 ObS 28/05h vergleichbarer Sachverhalt vor, in der das Insolvenzgericht ebenfalls nicht die Vermögenslosigkeit festgestellt habe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil – soweit überblickbar – höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die freiwillige Auflösung eines Vereins ohne Bestellung eines Abwicklers einen Insolvenztatbestand im Sinn des § 1 Abs 1 IESG darstelle, nicht vorliege.
Dagegen richtet sich die aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist . Sie ist aus rechtlichen Erwägungen auch , ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der Mängelrüge des Klägers bedarf.
1. Nach der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sind „Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers schützen und um ihnen ein Minimum an Schutz zu sichern, insbesondere die Zahlung ihrer nicht erfüllten Ansprüche zu gewährleisten“ (ErwGr 3). Vor diesem Hintergrund gilt nach Art 2 Abs 1 der RL ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, „wenn die aufgrund der genannten Rechts- und Verwaltungsvorschriften [eines Mitgliedstaats] zuständige Behörde
a) die Eröffnung des Verfahrens beschlossen hat; oder b) festgestellt hat, dass das Unternehmen oder der Betrieb des Arbeitgebers endgültig stillgelegt worden ist und die Vermögensmasse nicht ausreicht, um die Eröffnung des Verfahrens zu rechtfertigen“.
2.1 Nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG steht der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Sicherungstatbestand die „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ gleich. Durch diese Bestimmung soll es Arbeitnehmern ermöglicht werden, offene Ansprüche aus einem früheren Arbeitsverhältnis, insbesondere bei einer sogenannten „stillen Liquidation“ (= Betriebsauflösung ohne Insolvenzverfahren), geltend machen zu können (RV 993 BlgNr 16. GP 6). Nach den Gesetzesmaterialien wurde der Tatbestand fexibel gefasst und die Formulierung „Ablehnung“ gewählt, um sowohl die Zurückweisung als auch die Abweisung des Eröffnungsantrags als auch die amtswegige Entscheidung über die Insolvenzeröffnung zu erfassen.
2.2 § 68 Abs 1 IO erklärt nach der Auflösung einer juristischen Person oder einer eingetragenen Personengesellschaft die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für zulässig, solange das Vermögen nicht verteilt ist.
Damit ist klargestellt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Vollbeendigung möglich ist, die ungeachtet einer Löschung im Firmenbuch nicht eintreten kann, solange Vermögen vorhanden ist (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 2; Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 68 Rz 1).
3.1 Vollbeendigung der Gesellschaft tritt ein, wenn kein verwertbares und verteilbares Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden ist (RIS-Justiz RS0050186). Das gilt auch für einen Verein (RS0079726; RS0009119).
Das Vereinsgesetz 2002 unterscheidet zwischen einer freiwilligen (§ 28) und einer behördlichen (§ 29) Auflösung des Vereins. Die freiwillige Auflösung ist der contrarius actus zur Vereinsgründung und richtet sich nach den Statuten (Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine5 [2016] 438). Der Auflösungsbeschluss beseitigt die Rechtspersönlichkeit des Vereins nicht. Ist Vermögen zu verwerten, ist eine Abwicklung erforderlich, die von der Vereinsbehörde gemäß § 16 Abs 1 Z 13 Vereinsgesetz 2002 im Vereinsregister einzutragen ist. Erst mit der Eintragung ihrer Beendigung verliert der Verein seine Rechtsfähigkeit (§ 27 Vereinsgesetz 2002). Ist kein Vermögen vorhanden, so bedarf es auch keiner Abwicklung. In diesem Fall fällt nach § 27 Vereinsgesetz 2002 das Ende der Rechtspersönlichkeit des Vereins, sprich die Vollbeendigung, mit der Eintragung seiner Auflösung ins Vereinsregister zusammen (in diesem Sinne 8 ObA 274/01d; 7 Ob 187/07m; Höhne/Jöchl/Lummerstorfer aaO 440 ff).
3.2 Fehlende Partei- und damit Insolvenzfähigkeit (vgl RS0117472) des Antragsgegners führt zur Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags (§ 252 IO iVm § 1 ZPO).
4.1 Bei enger – auch diese Art von Formalentscheidung außer Betracht lassender – Auslegung der Voraussetzung „Ablehnung … gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ wäre es dem Gläubiger einer vollbeendeten Gesellschaft oder eines solchen Vereins unmöglich, durch einen Insolvenzeröffnungsantrag einen Anknüpfungstatbestand für die Sicherung der Arbeitnehmeransprüche nach § 1 Abs 2 IESG zu schaffen (vgl zu dem Problem ausführlich auch Grießer,Löschung gem § 2 AmstlöschungsG und Anspruchsvoraussetzung nach § 1 Abs 1 IESG, ZIK 1997, 37 ff). Dies stünde in Widerspruch zu den Vorgaben der RL 2008/94/EG.
4.2 In der Literatur wurde daher vorgeschlagen, die Zurückweisung des Antrags mangels Parteifähigkeit (infolge Löschung und Vermögenslosigkeit) der Ablehnung der Verfahrenseröffnung gemäß § 68 IO wegen Verteilung des Vermögens gleichzuhalten (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 11; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 § 68 Rz 13). Grießer (ZIK 1997, 37 ff) hingegen hat dafür plädiert, den Fall unter den Tatbestand „Ablehnung mangels hinreichenden Vermögens“ nach § 1 Abs 1 Z 3 IESG (aF) zu subsumieren.
4.3 Auch der Oberste Gerichtshof hat in der [zur alten Rechtslage ergangenen] Entscheidung 8 ObS 60/00g ausgesprochen, dass die amtswegige Löschung wegen Vermögenslosigkeit [dort noch] gemäß § 2 ALöschG in Verbindung mit der Zurückweisung eines Antrags auf Konkurseröffnung wegen Fehlens eines die Parteifähigkeit begründenden Vermögens einer Ablehnung mangels hinreichenden Vermögens (§ 1 Abs 1 Z 3 IESG [aF]) gleichzuhalten ist (RS0113339). Auf eine meritorische Entscheidung durch das Insolvenzgericht hat der Oberste Gerichtshof dabei gerade nicht abgestellt.
4.4 Das Problem wurde zwischenzeitig durch die IESG-Novelle, BGBl I 2005/102, mit der die Löschung gemäß § 40 oder § 42 FBG wegen Vermögenslosigkeit der Insolvenzeröffnung gleichgestellt wurde, für Kapitalgesellschaften sowie Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften bzw Privatstiftungen entschärft (§ 1 Abs 1 Z 4 IESG). Diese Gleichstellung beruhte auf dem Gedanken, dass es unnötig erscheint, als Voraussetzung für den Entgeltsicherungsanspruch die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu verlangen, wenn die Vermögenslosigkeit des Arbeitgebers ohnehin schon durch ein Gericht in einem anderen Verfahren geprüft und bestätigt wurde (8 ObS 8/14f).
Für die Liquidation eines Vereins gibt es allerdings keine vergleichbare Bestimmung, obgleich unverändert der Bedarf besteht, auch dessen ehemaligen Arbeitnehmern für nicht erfüllte Ansprüche einen Anknüpfungstatbestand zu eröffnen.
5.1 Die Vorinstanzen haben die Auffassung vertreten, dass es hier an einer behördlich überprüften Insolvenz des Arbeitgebers fehle. Der von ihnen herangezogenen Entscheidung 8 ObS 8/14f lag allerdings die Frage zugrunde, ob die „dissolution“ einer Limited nach dem Recht des Vereinigten Königreichs mit der amtswegigen Löschung nach § 40 FBG bzw § 42 FBG gleichgesetzt werden kann. Das scheiterte – wie der Oberste Gerichtshof ausführte – schon daran, dass Letztere die Vermögenslosigkeit voraussetzt, Erstere aber nicht. Im Gegensatz zu 8 ObS 8/14f, in der es an einer insolvenzbehördlichen Entscheidung im Sinn des Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG fehlte, liegt jedoch in diesem Fall ein Beschluss des Insolvenzgerichts vor. Die zu 8 ObS 8/14f angestellten Erwägungen sind daher nicht auf den Anlassfall übertragbar. Es stellt sich auch nicht die Frage, ob die Löschung eines Vereins im Vereinsregister der Löschung einer Gesellschaft im Firmenbuch nach § 40, 42 FBG gleichgehalten werden kann.
5.2.1 Das Insolvenzgericht hat den Antrag des Klägers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vereins „infolge dessen Löschung aus dem Vereinsregister“ zurückgewiesen. Im Zusammenhang mit der Begründung, dass der Kläger ein „Vorbringen gemäß § 68 IO, wonach das Vermögen des Antragsgegners trotz dessen Auflösung noch nicht verteilt sei“, nicht erstattet habe, ergibt sich, dass der Antrag mangels Insolvenzfähigkeit des Antragsgegners (Vollbeendigung) zurückgewiesen wurde.
Damit ist hier nicht die Entscheidung 8 ObS 28/05h von Relevanz, weil es dort schon an der Behauptung der Vermögenslosigkeit des Vereins mangelte, sondern die Entscheidung 8 ObS 60/00g einschlägig, der eine vergleichbare Konstellation wie hier zugrunde lag.
5.2.2 Die Subsumption des Sachverhalts in 8 ObS 60/00g unter den damaligen Tatbestand „Ablehnung eines Antrags auf Eröffnung des Konkurses mangels hinreichenden Vermögens“ mag sich mit dessen weiter Fassung erklären lassen, die eine Deutung als Auffangtatbestand erlaubte (vgl Grießer, ZIK 1997, 37 ff). Seit der Umgestaltung der Sicherungstatbestände des § 1 Abs 1 IESG mit dem IRÄG 2010, BGBl I 2010/29, findet sich die „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ in der Z 3 des § 1 Abs 1 IESG. Die neue Z 2 des § 1 Abs 1 IESG bezieht sich dagegen explizit auf „die Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens“, womit der Tatbestand nunmehr begrifflich auf Beschlüsse nach § 71 ff IO abzielt. Die Neufassung sowie der ausdrückliche Hinweis auf § 68 IO in der Entscheidungsbegründung sprechen dafür, den vorliegenden Beschluss des Insolvenzgerichts – dem Standpunkt des Klägers folgend – dem § 1 Abs 1 Z 3 IESG nF zu unterstellen, zumal dort nach wie vor der weite – auch eine Zurückweisung deckende – Begriff „Ablehnung“ verwendet wird.
5.3 Das Berufungsgericht hat auf zweitinstanzliche Rechtsprechung und dieser folgende Literatur Bezug genommen (Dellinger in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 68 KO Rz 7 mwN; Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 II/2 § 68 Rz 10), wonach ein Gläubiger, der gemäß § 70 IO einen Insolvenzantrag gegen eine aufgelöste und bereits im Firmenbuch gelöschte Gesellschaft einbringt, unter anderem das Vorhandensein von Vermögen bescheinigen muss. Daraus folgerte es, das Insolvenzgericht sei ausgehend vom mangelnden Vorbringen des Klägers zu einem Vermögen des Vereins nicht zu einer weiteren Überprüfung verpflichtet gewesen.
Begründet wird die Bescheinigungspflicht des Antragstellers damit, dass die gemäß § 70 Abs 1 IO jedenfalls von ihm zu bescheinigende Insolvenzvoraussetzung der Zahlungsunfähigkeit das Vorhandensein eines insolvenzfähigen Rechtssubjekts erfordere. Der dagegen erhobene Einwand, die Kostendeckung sei als Insolvenzforderung von Amts wegen zu prüfen (Schumacher in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 71 Rz 1), wird für weniger überzeugend erachtet, weil die Voraussetzung schon in der Existenz eines Rechtssubjekts liegt (Dellinger aaO; Schumacher aaO).
Dabei ist aber zu beachten, dass die Prozessfähigkeit in jedem Zivil- und daher auch im Insolvenzverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (Pesendorfer in Koller/Lovrek/Spitzer, IO § 252 Rz 29).
Auch im Hinblick auf die Bedeutung eines Beschlusses des Insolvenzgerichts auf „Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit“ als ein den Anspruch auf Insolvenz-Entgelt auslösender Tatbestand hat das Insolvenzgericht daher die Angaben des Antragstellers zur Vermögenslosigkeit des ohne Abwicklung im Vereinsregister gelöschten Vereins, wenn Zweifel bestehen, von Amts wegen zu prüfen (vgl zum Gebot der richtlinienkonformen Interpretation zur Erreichung einer effektiven Umsetzung etwa 9 ObA 87/15g). Die Löschung ohne Abwicklung indiziert die Vollbeendigung. Sollte das Insolvenzgericht – wie hier – den Angaben des Antragstellers folgen, ist von der insolvenzgerichtlich festgestellten Vermögenslosigkeit des gelöschten Vereins auszugehen.
6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch die Zurückweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags gegen einen im Vereinsregister ohne Abwicklung gelöschten Verein mangels Vermögens eine Entscheidung des Insolvenzgerichts im Sinn des Art 2 Abs 1 der RL 2008/94/EG darstellt. Eine derartige Entscheidung ist dem Sicherungstatbestand des § 1 Abs 1 Z 3 IESG (Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 68 IO wegen Vermögenslosigkeit) zu unterstellen, weil bei zu enger Auslegung dem Kläger die Möglichkeit verwehrt bliebe, einen Anknüpfungstatbestand für die Sicherung der Arbeitnehmeransprüche nach dem IESG zu erwirken. Eine (ob der Tatbestandswirkung des Zurückweisungsbeschlusses gebotene) Missbrauchskontrolle obliegt dem Insolvenzgericht, das die Partei- und Insolvenzfähigkeit (im Zweifel) von Amts wegen zu prüfen hat.
7. Der Revision war daher überwiegend im klagestattgebenden Sinn Folge zu geben. Lediglich die Außerstreitstellung der Urlaubsersatzleistung mit dem Betrag von 100 EUR führt zu einer (kostenmäßig keinen Tarifsprung auslösenden) Teilabweisung von 19 EUR.
8. Eine Abänderung der Entscheidung in der Hauptsache bewirkt eine Änderung der Kostenentscheidung. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBS00013.19Y.0227.000 |
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