VfGH vom 20.09.2011, B774/10

VfGH vom 20.09.2011, B774/10

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Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Die Karl-Franzens-Universität Graz ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die Beschwerdeführerin ist Studierende des dritten Abschnittes des Diplomstudiums Übersetzen und Dolmetschen an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie hat den ersten und zweiten Studienabschnitt jeweils in Mindeststudienzeit absolviert und im dritten Studienabschnitt bereits ein zusätzliches Toleranzsemester aus dem zweiten Studienabschnitt (gemäß § 91 Abs 1 UG) konsumiert. Ihr Antrag auf Rückerstattung des Studienbeitrags für das Sommersemester 2009 wurde mit letztinstanzlichem Bescheid mit der Begründung abgewiesen, die Mitnahme eines (weiteren) Toleranzsemesters aus dem ersten in den dritten Studienabschnitt sei nicht zulässig, weil § 2a Abs 5 StubeiV 2004 nur die Mitnahme in den jeweils nachfolgenden Studienabschnitt zulasse.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G10/11, V6/11, § 91 Abs 1 bis 3 und 8 UG, BGBl. I 120/2002 idF BGBl. I 134/2008, als verfassungs- und § 2 Abs 3 StubeiV 2004, BGBl. II 55 idF BGBl. II 3/2009, als gesetzwidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass § 91 Abs 4 bis 6 UG, BGBl. I 120/2002 idF BGBl. I 134/2008, verfassungswidrig war.

2.2. Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 2.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).

2.3. Die nichtöffentliche Beratung im zu G10/11, V6/11 protokollierten Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren begann am . Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides § 91 Abs 1 UG idF BGBl. I 134/2008, sohin die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VfGG abgesehen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten. Die Verpflichtung der Karl-Franzens-Universität Graz zum Ersatz der Prozesskosten ergibt sich aus den §§4 und 5 UG (vgl. mwN).