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OGH vom 20.10.2020, 11Os95/20k

OGH vom 20.10.2020, 11Os95/20k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pöttinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adam S***** wegen der Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom , GZ 611 Hv 2/20h-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen, der im Übrigen unberührt bleibt, zur Hauptfrage 1./, zur Eventualfrage 1./ und zur Zusatzfrage 1./ (jeweils zur Hauptfrage 2./) sowie das darauf beruhende Urteil in den Schuldsprüchen, demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Geschworenengericht des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit dem Auftrag verwiesen, die unberührt gebliebenen Teile des Wahrspruchs der Entscheidung mit zugrunde zu legen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde der Angeklagte Adam S*****aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I./) und der Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ sich im Zeitraum 2010 bis in der Russischen Föderation als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung, nämlich der im Oktober 2007 von Doku C***** ausgerufenen und geführten, in der UN-Sanktionsliste (Quellen: UN-Sanktionsliste, www.un.org, Punkt QDe. 131) und der Verordnung (EG) Nr 881/2002 des Rates idF 02/2015 gelisteten Terrorvereinigung „Emirat Kaukasus“ (auch „Emarat Kavkaz“ bzw „Imarat Kavkaz“), die als tschetschenisch-separatistische und radikalislamisch-sunnitische Gruppierung das Ziel der Errichtung eines unabhängigen radikal-islamischen „Gottesstaats“ auf Grundlage der Scharia, bestehend aus der Russischen Teilrepublik Tschetschenien und weiteren Gebieten im Nordkaukasus, verfolgt und als ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung terroristische Straftaten (§ 278c StGB), und zwar insbesondere Morde und Körperverletzungen nach § 84 bis 87 StGB an Zivilpersonen und politischen, militärischen und administrativen Verantwortungsträgern der Russischen Föderation insbesondere in den Teilrepubliken Tschetschenien und Dagestan, begangen werden, im Wissen, dadurch die terroristische Vereinigung oder deren strafbare Handlungen zu fördern, auf andere Weise beteiligt, indem er sich

A./ ab 2010 einer von Muslim G***** und Hussein G***** geführten, im örtlichen Raum von Schalinski (südöstlich von Grosny) operierenden Untergruppe des „Emirats Kaukasus“ anschloss und sich von anderen Mitgliedern dieser Terrorvereinigung in der Handhabung von Schusswaffen, nämlich dem automatischen Sturm- und Maschinengewehr „Kalaschnikow AK-47“ und der Selbstladepistole „Makarow“, unterrichten ließ, um in der Folge aktiv an bewaffneten Kampfhandlungen gegen Soldaten der Russischen Föderation teilzunehmen;

B./ im Jahr 2010 einer von Rustam A***** (Kampfname „Abu Muslim“, „Emir des Sektors Achkoy-Martan“) geführten, im örtlichen Raum von Atschchoi-Martan (südwestlich von Grosny) operierenden Untergruppe des „Emirats Kaukasus“ anschloss, um in der Folge aktiv an Kampfhandlungen gegen Soldaten der Russischen Föderation teilzunehmen;

C./ im Zeitraum von 2010 bis an einer nicht feststellbaren Anzahl bewaffneter Kampfhandlungen unter Verwendung von Schusswaffen, nämlich einem automatischen Sturm- und Maschinengewehr „Kalaschnikow AK-47“ und einer Selbstladepistole „Makarow“, gegen Soldaten der Russischen Föderation teilnahm und Schüsse auf diese abgab;

II./ zwischen „“ bis im Gebiet der zur Russischen Föderation gehörenden Rayons Schalinski und Atschchoi-Martan in Tschetschenien und Sunzha (Ordschonikidsewskaja) in Inguschetien Angehörige der russischen Sicherheitskräfte zumindest zu töten versucht (§ 15 StGB), indem er als Mitglied der in den Punkten I./A./ und I./B./ näher dargestellten bewaffneten Gruppen „in einer noch festzustellenden“ Mehrzahl von Angriffen an bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem russischen Militär teilnahm, bei denen er aus unterschiedlichen Distanzen Schüsse mit seinem automatischen Sturmgewehr „Kalaschnikow AK-47“ und seiner Selbstladepistole „Makarow“ auf russische Soldaten abgab, wobei es – im Zweifel – beim Versuch geblieben ist, weil keine vom Angeklagten verursachten Schusstreffer objektiviert sind.

Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellte Hauptfrage 1./ in Richtung des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB bejaht, die Hauptfrage 2./ in Richtung des Verbrechens der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1, Abs 2 StGB verneint, die dazu in Richtung der Verbrechen des Mordes nach § 15, 75 StGB gestellte Eventualfrage 1./ bejaht und die Zusatzfrage 1./ (in Richtung Notwehr) verneint. Weiters haben sie die Hauptfrage 3./ nach dem Verbrechen der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 1 StGB verneint.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4 und 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 4) zeigt zutreffend auf, dass gegen die nichtigkeitsbewehrte Vorschrift des § 340 Abs 2 StPO verstoßen wurde: Nach dem Inhalt des – über Antrag des Beschwerdeführers berichtigten (ON 66, 67) – Protokolls über die Hauptverhandlung hat der Obmann der Geschworenen nach Wiedereröffnung der Sitzung nicht – wie nach § 340 Abs 2 StPO geboten (vgl RIS-Justiz RS0121890; Nimmervoll, Strafverfahren2, Kap V Rz 625) – die an die Geschworenen gerichteten Fragen, sondern lediglich deren Überschriften (und den beigefügten Wahrspruch) verlesen (ON 62 S 32).

Ein nachteiliger Einfluss dieser Formverletzung auf die Entscheidung kann nicht unzweifelhaft verneint werden (vgl § 345 Abs 3 StPO), weil die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit nicht unerheblich beeinträchtigt worden sein kann (vgl zu diesem Aspekt [im Zusammenhang mit der gleichfalls unter Nichtigkeitssanktion stehenden Verlesungspflicht in § 310 Abs 1, Abs 3 StPO]Lässig, WK-StPO § 310 Rz 9; anders gelagert RIS-Justiz RS0121890).

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher – in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde – wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Demgemäß erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00095.20K.1020.000

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