OGH vom 27.05.2003, 11Os95/02
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden, den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Schindler und Mag. Strieder sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner, Dr. Rouschal, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gert G***** wegen der Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 11 E Vr 803/99-45, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalprokurators Dr. Hauptmann, des Angeklagten Gert G***** und dessen Verteidigers Dr. Soyer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Gert G***** war mit (in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 6 E Vr 1542/97-27, des Vergehens der fahrlässigen Krida nach §§ 159 Abs 1 Z 2, 161 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer - gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt worden. Mit Urteil desselben Gerichtes vom , GZ 11 E Vr 803/99-44, wurde der Genannte wegen der (in der Probezeit begangenen) Vergehen des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB und nach § 114 Abs 1 ASVG zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
Mit dem unter einem gefassten Beschluss sprach das Landesgericht für Strafsachen Graz aus, dass die eingangs erwähnte bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe nicht widerrufen, die bereits bestimmte Probezeit jedoch auf insgesamt fünf Jahre verlängert werde (ON 45). Gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom richtet sich die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, mit der er die - mit konkreter Wirkung verbundene - Feststellung beantragt, durch die Anordnung der Verlängerung der Probezeit sei das Gesetz in der Bestimmung des § 1 Abs 1 StGB (iVm § 159 StGB aF) verletzt worden. Im Einzelnen führt er aus:
"Mit Inkrafttreten des Bundesgesetzes, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung geändert werden, BGBl I Nr 58/2000, am (Art III Abs 1) wurde die bisherige Bestimmung der fahrlässigen Krida nach § 159 StGB durch den Tatbestand der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen ersetzt (Art I Z 1; vgl JABl 2000/23). Dass die Gert G***** mit dem eingangs angeführten Urteil angelastete Tat auch nach dieser neu eingeführten Bestimmung strafbar wäre, lässt sich dem Inhalt der (gekürzten) Urteilsausfertigung nicht entnehmen. Daraus folgt, dass im Zeitpunkt der Probezeitverlängerung (§ 494 Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO) das Gert G***** mit Urteil vom angelastete Tatverhalten nicht mehr strafbedroht war. Die Regelung des § 1 Abs 1 StGB, wonach eine Strafe (oder eine vorbeugende Maßnahme) nur wegen einer Tat verhängt werden darf, die unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und schon zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war, erstreckt sich auf sämtliche Phasen der damit erfassten Gesetzesanwendung, demnach auch auf alle den Täter beschwerenden richterlichen Beschlüsse im Zusammenhang mit einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung (§§ 43, 43a, 46 StGB), sohin nicht nur auf deren Widerruf, sondern auch auf eine Verlängerung der Probezeit, die Erteilung neuer Weisungen und die nachträgliche Bestellung eines Bewährungshelfers (§§ 53, 55 StGB). Bedeuten doch derartige Maßnahmen, die entweder sofort zur (bis dahin nicht angeordneten) Vollstreckung der Strafe führen oder doch jedenfalls potentiell die Zulässigkeit einer künftigen dahingehenden Entscheidung (in zeitlicher und/oder sachlicher Hinsicht) erweitern, allesamt eine verstärkte Effektuierung des auf dem abgeurteilten Tatverhalten beruhenden Strafanspruchs. Solche Anordnungen dürfen daher ebenfalls nur dann getroffen werden, wenn die verfahrensgegenständliche Tat zur Zeit der betreffenden Entscheidung nach wie vor unter eine gesetzliche Strafdrohung fällt (JBl 1991, 325; 2001, 738 = EvBl 2001/121). Da jener Teil des Beschlusses, mit dem die Probezeit auf fünf Jahre verlängert wurde, nachteilige Folgen für den Verurteilten nach sich ziehen kann, wäre er aufzuheben. Der wiedergegebene Judikaturstandpunkt hat jüngst durchaus überzeugende Kritik erfahren (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 37 f). Mit der vorliegenden Beschwerdeführung soll dem Obersten Gerichtshof eine prompte Gelegenheit geschaffen werden, seine Haltung in der zu Grunde liegenden Rechtsfrage im Lichte der Gegenargumente zu überprüfen."
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
§ 159 aF StGB ist durch das Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung geändert werden, BGBl I 2000/58 mit Ablauf des außer Kraft getreten und wurde durch eine ab geltende neue Bestimmung (§ 159 nF StGB) ersetzt. Die Übergangsbestimmung des Art III Abs 2 des Bundesgesetzes BGBl I 2000/58 normiert, dass die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden sind, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil in erster Instanz gefällt worden ist; (nur) nach Aufhebung eines Urteils infolge Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung, Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens oder infolge eines Einspruchs ist im Sinne der §§ 1, 61 StGB vorzugehen. In allen anderen Fällen hat demnach eine nach Fällung des Urteils erster Instanz erfolgte Gesetzesänderung außer Betracht zu bleiben. Im gegenständlichen Fall wurde das nach § 159 aF StGB schuldig sprechende Urteil erster Instanz am , somit vor Außerkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung, gefällt, sodass - nach dem klaren Wortlaut der zitierten Übergangsbestimmung - bei der nach Gesetzesänderung erfolgten Prüfung nach § 494a StPO die geänderten Strafbestimmungen nicht anzuwenden waren, somit nicht iSd §§ 1 und 61 StGB vorzugehen war, weshalb die erfolgte Verlängerung der Probezeit zulässig war (vgl Ratz, WK-StPO § 288 Rz 34 ff).
Die zu dieser Problematik vom Obersten Gerichtshof in der Vergangenheit vertretene gegenteilige Rechtsansicht (JBl 1991, 325; 13 Os 90/91; 13 Os 34/93; 13 Os 159/96; 11 Os 136/97 und 12 Os 149/00) kann nicht länger aufrecht erhalten werden. Ihr zufolge erstrecke sich der Begriff "Verhängung einer Strafe" iSd § 1 Abs 1 StGB auf sämtliche Phasen der damit erfassten Gesetzesanwendung, darunter auch die "Festlegung der Modalitäten der Effektuierung" der Strafe "durch die Entscheidung darüber, ob und allenfalls in welchem Umfang sowie unter welchen Prämissen die festgesetzte Strafe zu vollstrecken ist". Werde über diese mehrere Aspekte der Strafverhängung zu verschiedenen Zeiten entschieden, dann müsse jene Tat, um deren Ahndung es geht, zur Zeit jeder den Täter beschwerenden derartigen Entscheidung unter eine gesetzliche Strafdrohung fallen, damit "den in § 1 StGB verankerten Intentionen des Legalitätsprinzips" entsprochen werde (JBl 1991, 325). Eine Auseindersetzung mit den jeweiligen gesetzlichen Übergangsbestimmungen findet in diesen Entscheidungen nicht statt; die in enger Verbindung stehende Bestimmung des § 61 StGB (Höpfel, WK2 § 61 Rz 1) wird ebenfalls nicht erörtert.
Geht man von den Thesen der oben genannten Judikate aus, dann wäre bei jeder der "Effektuierung des Strafausspruchs" dienenden Entscheidung - solche sind aber in Wahrheit nicht nur die Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Widerruf bedingter Strafnachsicht, sondern (arg "Effektuierung") auch (von der bisherigen Judikatur jedoch nicht explizit erfasste) Beschlüsse über die bedingte Entlassung, die Gewährung eines Strafaufschubs, die Anordnung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe für eine uneinbringliche Geldstrafe, jede Strafvollzugsanordnung, darunter fällt weiters aber auch jede Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts über eine Strafberufung (die ja einen eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichtes, der an die Stelle des bekämpften tritt, beinhaltet - vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 2) - der Schuldspruch neu zu prüfen (JBl 1991, 325 ist dazu soweit widersprüchlich, als zwar zunächst zum Ausdruck gebracht wird, dass sich die vertretene Rechtsansicht auch auf Entscheidungen darüber bezieht, "ob ... die festgesetzte Strafe zu vollstrecken ist" [vierter Abs der Gründe], sodann aber "zur Klarstellung" vermerkt wird, es gehe "nicht um die bloße Vollziehung" der Sanktion, diese sei nicht "unter allen Umständen unzulässig geworden" [achter Abs der Gründe]). Eine neuerliche Prüfung des Schuldspruchs ist aber nach den Bestimmungen der österreichischen Strafprozessordnung nicht zulässig. Denn die Beurteilung, ob eine Tat (§ 1 StGB) eine (gerichtlich) strafbare Handlung (§ 17 StGB) darstellt, also die Subsumtion eines Sachverhalts unter ein im StGB oder einem strafrechtlichen Nebengesetz bezeichnetes Vergehen oder Verbrechen, findet bei der urteilsmäßigen Entscheidung über die Schuldfrage (§ 260 Abs 1 Z 1 und 2 StPO), nicht aber (erneut) bei allen den Strafausspruch und dessen Effektuierung betreffenden Entscheidungen statt.
Ob die vom (hier: wegen § 159 aF StGB) durch Urteil schuldig Gesprochenen begangene Tat zu einem späteren Zeitpunkt (einer Entscheidung über die "Effektuierung" der Strafe) auch noch unter (eine andere) gesetzliche Strafdrohung fällt (zB § 159 nF StGB), kann nach geltendem Recht nicht beurteilt werden. Dies wäre nur nach einer - in der Prozessordung jedoch nur in bestimmten taxativ aufgezählten Fällen, nämlich nach Aufhebung eines Schuldspruchs infolge Nichtigkeitsbeschwerde, Berufung, Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens oder infolge eines Einspruchs, nicht aber infolge einer nachträglichen Gesetzesänderung vorgesehenen - Neudurchführung des zum Schuldspruch führenden Verfahrens möglich.
Eine Beurteilung durch bloße Orientierung am Urteilstenor oder an den Urteilsfeststellungen erster Instanz (wie es anlässlich der zitierten Vorentscheidungen ersichtlich geschah), oder auch am "Inhalt der gekürzten Urteilsausfertigung" (wie von der Wahrungsbeschwerde intendiert), ist schon deshalb verfehlt, weil dieses Vorgehen von der unhaltbaren Prämisse ausgeht, das Urteilsgericht hätte die zukünftige Gesetzeslage voraussehen und seine Feststellungen auch auf diese abgestellt treffen sollen. Im Übrigen: Wenn dies (zufällig) tatsächlich geschehen wäre, hätte sich der Angeklagte gegen die im Zeitpunkt des Schuldspruchs für die rechtliche Beurteilung (noch) nicht maßgeblichen, daher überschießenden Urteilsfeststellungen nicht wirksam zur Wehr setzen können; ebenso wenig hätte der Ankläger zusätzliche (noch) nicht maßgebliche Feststellungen reklamieren können (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 5 E 26).
Eine Beurteilung "nach der Aktenlage" wiederum kommt einer - sogar dem Rechtsmittelgericht bei Überprüfung des erstinstanzlichen Schuldspruchs verwehrten (§ 288 Abs 2 Z 3, § 473 Abs 2 StPO) - unzulässigen bloßen Spekulation gleich.
Abgesehen von der prozessualen Unmöglichkeit ergeben sich aus der Rechtsansicht der Vorentscheidungen paradoxe Konsequenzen (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 38): Man denke an den Fall, dass eine bedingt nachgesehene Einheitsstrafe auf einem Schuldspruch wegen mehrerer strafbarer Handlungen gründet, von denen eine einzige nachträglich verändert wurde. Träfe die Meinung zu, wäre der Widerruf der bedingten Strafnachsicht jetzt unmöglich. Sollte auch der Widerruf der bedingten Entlassung aus einer wegen Mordes in Konkurrenz mit einer nachträglich geänderten Strafnorm nach dem Waffengesetz verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nicht zulässig sein, ja nicht einmal die Anordnung der Bewährungshilfe (vgl JBl 1991, 325)? Bereits aus § 295 Abs 1 StPO ist ableitbar, dass der rechtskräftige Schuldspruch Grundlage für alle den Strafausspruch betreffenden Ermessensentscheidungen ist. Denn wenn der Gerichtshof zweiter Instanz bei der (einen eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichtes, der an die Stelle des bekämpften tritt, beinhaltenden) Entscheidung über die Berufung wegen Strafe den Ausspruch des Gerichtes über die Schuld des Angeklagten und über das anzuwendende Strafgesetz zugrunde zu legen hat, kann für die anderen, der Effektuierung dieses Strafausspruchs dienenden Entscheidungen schon aufgrund eines Größenschlusses nichts anderes gelten (argumentum a maiori ad minus, vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 33). Grundlage für den Strafausspruch, dessen Kontrolle und dessen Effektuierung ist somit der Schuldspruch. Dieser begründet den - von den gesetzlich normierten Ausnahmen (vgl § 40 letzter Satz StGB, §§ 12, 13 JGG) abgesehen - jedenfalls zu effektuierenden Strafanspruch des Staates, der nicht durch die Bedingung eingeschränkt ist, dass es in der Folge zu keiner Gesetzesänderung kommt. Ein rechtmäßig zustande gekommener und rechtskräftiger Schuldspruch ist daher - abgesehen von der aufgezeigten prozessualen Unmöglichkeit - auch aus diesem Grund nicht bei Entscheidungen über die Strafe bzw deren Effektuierung neu zu prüfen. Daraus folgt: § 1 Abs 1 StGB stellt (ebenso wie § 61 StGB) nur auf den Zeitpunkt des Schuldspruchs und nicht auf jeden der eine "Effektuierung" des dadurch festgelegten Strafanspruchs dienenden Ermessensentscheidungen ab. Eine Mischung von Schuldspruch nach altem und Strafausspruch nach neuem Recht ist - wie zur Frage des § 61 StGB seit jeher unbestritten (Leukauf/Steininger Komm3 § 61 RN 8; Mayerhofer StGB5 § 61 E 1) - unzulässig, dies gilt auch aus der Sicht des § 1 StGB (in diesem Sinn im Ergebnis bereits abweichend von der aufgezeigten Vorjudikatur 11 Os 82/02 bei einer Strafneubemessung nach § 288 Abs 2 Z 3 StPO für einen ua wegen § 209 StGB ergangenen Schuldspruch; vgl auch 13 Os 3/03 zur Thematik des § 31a Abs 1 StGB).
Die Verlängerung der Probezeit der bedingten Strafnachsicht war daher
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- | ungeachtet des zwischenzeitigen Außerkrafttretens des § 159 aF StGB | |||||||||
- | grundsätzlich zulässig. Ob hingegen die von der Präventionsprognose abhängige Ermessensentscheidung über den Widerruf (welche dessen Zulässigkeit voraussetzt), im konkreten Fall die Probezeit der bedingt nachgesehenen wegen § 159 aF StGB verhängten Strafe zu verlängern, tatsächlich sachgerecht war, muss dahingestellt bleiben, ist diese Frage doch einer Beurteilung des Obersten Gerichtshofs im Rahmen seiner Prüfung nach § 33 StPO verwehrt (Foregger/Fabrizy StPO8 § 33 Rz 4). Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Widerruf kann dem Verstoß gegen eine nachträglich geminderte oder aufgehobene Bestimmung ein geringes oder gar kein Gewicht mehr beigemessen werden. | |||||||||
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - weil eine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in der Vergangenheit nicht einheitlich beantwortet worden ist, in der Zusammensetzung gemäß § 8 Abs 1 OGHG - zu verwerfen. |