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OGH 23.05.1997, 8ObS127/97b

OGH 23.05.1997, 8ObS127/97b

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Brigitte Augustin und Alfred Klair als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Günther R*****, Arbeiter, und 2.) Sibylle R*****, Angestellte, beide *****, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Oberösterreich, Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 529.768,39 sA und S 299.364,10 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 300/96s-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 95/96m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auszusprechen, daß der dritte Satz des § 7 Abs 1 IESG, BGBl 1977/324 idF des BGBl 1994/314 verfassungswidrig ist.

Mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung:

Die klagenden Parteien waren von Juli 1983 bzw Oktober 1992 bis März 1994 bei der Gemeinschuldnerin Tischlerei R***** GmbH, Regau, beschäftigt, über deren Vermögen zu S 28/94 beim Landesgericht Wels das Konkursverfahrens eröffnet wurde. Deren Entgelte (Lohn bzw Gehalt) sind zum Teil seit Anfang 1992 nicht ausgezahlt worden ("stehengelassen worden"). Der Masseverwalter anerkannte die Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis des Erstklägers von S 519.214,39, der Zweitklägerin von S 293.328,10. Gegen die abweisenden Bescheide der beklagten Partei richten sich die verbundenen Klagen mit dem Vorbringen, die vom Masseverwalter im Konkurs anerkannten und der Höhe nach außer Streit stehenden Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis seien gesicherte Forderungen im Sinne des IESG, sie seien aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung der Klagebegehren und brachte vor, es liege eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds vor, eine Bindung an die Feststellung im Konkursverfahren bestehe nicht.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß bei der durch Verwaltungsbehörde bzw Gericht vorzunehmenden Prüfung, ob die geltend gemachten arbeitsrechtlichen Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG gesichert sind, aufgrund der anspruchsbegründenden Feststellungen der anerkannten Anmeldung (Arbeitnehmerforderungen, aufgeschlüsselt in Lohn, Gehalt, Abfertigung, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen und Urlaubsabfindung) vom Vorliegen von Ansprüchen nach § 1 Abs 1 IESG auszugehen sei. Die Prüfung des Anspruches auf Insolvenzausfallgeld beschränke sich daher auf Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG. In den Fällen, in denen eine Bindung nach § 7 IESG vorliege, beschränkten sich letztere auf die Anfechtungstatbestände der Konkursordnung und Anfechtungsordnung. Solche seien durch die beklagte Partei trotz ausführlicher Erörterung nicht geltend gemacht worden, sondern die beklagte Partei habe ihre Bestreitung ausdrücklich nur auf eine sonstige Sittenwidrigkeit im Sinne einer Risikoverlagerung zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds gestützt. Dies habe jedoch in Anbetracht der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG im gegenständlichen Verfahren nicht geprüft werden können. Das Nichtvorliegen einer Darlehensgewährung durch ein "langes Stehenlassen von offenen Lohnforderungen" wurde außer Streit gestellt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds liege nicht vor. Die vom Obersten Gerichtshof geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 7 Abs 1 IESG teile das Berufungsgericht nicht. Die Befürchtung von "nicht auszuschließenden Gefahren" einer mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Manipulation zu Lasten Dritter, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeldfonds, sowie eines gravierenden Fehlers des Masseverwalters, der nicht im Wege eines Rechtsmittels überprüft werden könne, sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG zu erwecken. Eine gesetzliche Regelung sei am Durchschnittsfall zu messen; es könne nicht davon ausgegangen werden, daß in der Regel einem pflichtbewußten Masseverwalter beim Anerkennen von Forderungen ein gravierender Fehler unterlaufe oder bei Vorliegen einer mangelhaften Buchführung mit dem Arbeitgeber abgesprochene Manipulationen zu Lasten Dritter vorgenommen würden. Daß solche Gefahren im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könnten, bewirke noch keine Gleichheitswidrigkeit des Gesetzes. Der Schutz des Art 6 Abs 1 MRK komme hingegen einer öffentlich-rechtlichen Institution - wie vorliegend dem Insolvenz-Ausfallgeld - nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit der Anregung, § 7 Abs 1 dritter Satz IESG, BGBl 1977/324 idF des BG BGBl 1994/314 und der Verordnung BMAS BGBl 1994/960 beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innezuhalten. Im übrigen wird die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht beantragt.

Der Oberste Gerichtshof hegt gegen die im vorliegenden Fall anzuwendende Bestimmung des § 7 Abs 1 dritter Satz IESG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG Bedenken. Die Bindung des Arbeitsamtes führt dazu, daß die Ansprüche jener Arbeitnehmer, die vor der Entscheidung des Arbeitsamtes einen exekutionsfähigen Titel durch Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis (§ 108 KO) infolge Anerkennung durch den Masseverwalter und Nichtbestreitung eines hiezu berechtigten Konkursgläubigers (§ 108 KO) infolge Anerkennung durch den Masseverwalter und Nichtbestreitung eines hiezu berechtigten Konkursgläubigers (§ 109 Abs 1 KO) erlangt haben, im Rahmen der Zuerkennung der aus öffentlichen Mitteln zu erbringenden Leistungen des Insolvenz-Ausfallgeldfonds einer weniger umfassenden Überprüfung unterliegen, als die der Arbeitnehmer, die einen solchen Titel nicht erlangt haben. Zwar besteht bei der Anerkennung der Forderung durch den Masse- oder Ausgleichsverwalter, der die allgemeinen Interessen gegenüber den Sonderinteressen einzelner Gläubiger zu wahren hat und der Aufsicht durch das Insolvenz-Gericht unterliegt (vgl §§ 80 f KO, §§ 29 f AO), weniger die Gefahr einer mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Manipulation zu Lasten Dritter, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeldfonds (in diesem Sinn 8 ObS 12/94), doch sind einerseits solche Manipulationen nicht ausgeschlossen, ist doch der Masseverwalter in vielen Fällen, insbesondere bei mangelhafter Buchführung, auf die Auskünfte des Gemeinschuldners angewiesen, und sind andererseits auch gravierende Fehler des Masseverwalters, die nicht im Wege eines Rechtsmittels überprüft werden können, nie auszuschließen. Auch das Bestreben des Gesetzgebers, damit einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen und einen Verfahrensaufwand zu vermeiden, rechtfertigt es nicht, den Eintritt einer Rechtsfolge von Zufälligkeiten, insbesondere von der Manipulation zugänglichen Umständen, abhängig zu machen (s Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 1350).

Aber auch wegen einer allfälligen Verletzung des durch Art 6 Abs 1 MRK vor der Entscheidung über seine zivilrechtlichen Verpflichtungen jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs hegt der Oberste Gerichtshof gegen die angefochtene Gesetzesbestimmung Bedenken. Ungeachtet der öffentlich-rechtlichen Zuordnung im österreichischen Recht ist der Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld als "civil right" im Sinn des Art 6 Abs 1 MRK zu qualifizieren, weil es sich um die Fortwirkung des aus seinem privatrechtlichen Rechtsverhältnis abgeleiteten Entgeltanspruchs handelt (s auch Liebeg, WBl 1990, 261 ff [264 Anm 17]; Fink ZAS 1991, 67 ff [69]). Der Oberste Gerichtshof erachtet den Umstand, daß es sich bei dem Insolvenz-Ausfallgeldfonds um eine juristische Person des öffentlichen Rechtes handelt, für nicht so bedeutsam, daß es gerechtfertigt wäre, diesem Fonds, der nur aus den Beiträgen der Dienstgeber gespeist wird, den in der MRK grundsätzlich jedermann gewährleisteten Schutz zu versagen (s Ermacora, Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Rz 40). Auch dem Insolvenz-Ausfallgeldfonds muß daher wohl das Recht auf Prüfung der gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche in einem fairen Verfahren zugebilligt werden. Die angefochtene Regelung steht im Widerspruch zu dem in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten Recht, von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht gehört zu werden, das über ihn betreffende zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat, da das Arbeitsamt (und damit das Gericht) an die Entscheidung in einem anderen Verfahren gebunden ist, zu dem der Insolvenz-Ausfallgeldfonds aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen - es kommt ihm nur in Ausnahmsfällen die Stellung eines Gläubigers iSd § 109 Abs 1 KO zu - keinen Zugang hatte (s VfSlg 12.504). In diesem Sinn argumentiert auch die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung, die eine Bindungswirkung des § 7 Abs 1 IESG wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör überhaupt verneint.

Der Oberste Gerichtshof stützt daher den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag sowohl auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG als auch auf eine Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs.

Die in der Entscheidung 8 ObS 25/95, inzwischen veröffentlicht in EvBl 1996/30, 186 = ZIK 1996, 141, geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken werden durch die Ausführungen des Berufungsgerichtes nicht widerlegt, sondern geradezu bestätigt, sollte es nämlich ausgeschlossen sein, eine allfällige gröbliche Verkennung der Rechtslage durch den Masseverwalter im gerichtlichen Verfahren noch überprüfen zu können. Die in dem Erkenntnis vom , G 73/89, zur Aufhebung des § 268 ZPO führenden Erwägungen (Kundmachung BGBl 1990/706) insb zu § 6 MRK, verbieten eine Bindung des Insolvenz-Ausfallgeldfonds unter Ausschluß jeder Überprüfungsmöglichkeit, um auch letztlich den Grundsätzen der Sparsamkeit und Gesetzmäßigkeit der Verwendung öffentlicher Mittel Rechnung zu tragen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag. Veronika Bauer und RR Theodor Kubak als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien

1.) Günther R*****, Arbeiter, und 2.) Sibylle R*****, Angestellte, beide *****, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Oberösterreich, Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 529.768,39 sA und S 299.364,10 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 300/96s-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 95/96m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Antrag vom gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 B-VG auszusprechen, daß der dritte Satz des § 7 Abs 1 IESG verfassungswidrig sei, wird nicht aufrechterhalten.

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Im Hinblick auf die Entscheidung vom , G 1344/95-13, G 108/96-17, G 109/96-17, die vergleichbare Sachverhalte betraf, wird der Antrag nicht mehr aufrechterhalten.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Richard Warnung und Walter Benesch als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1.) Günther R*****, Arbeiter, und 2.) Sibylle R*****, Angestellte, beide *****, vertreten durch Mag.Herbert Schnetzinger, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz, Volksgartenstraße 40, im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Oberösterreich, Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld (S 529.768,39 sA und S 299.364,10 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 300/96s-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 18 Cgs 95/96m-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die klagenden Parteien waren von Juli 1983 bzw Oktober 1992 bis März 1994 bei der Gemeinschuldnerin Tischlerei R***** GmbH, Regau, beschäftigt, über deren Vermögen zu S 28/94 beim Landesgericht Wels am das Konkursverfahren eröffnet wurde. Deren Entgelte (Lohn bzw Gehalt) sind zum Teil seit Anfang 1992 nicht ausgezahlt worden ("stehengelassen worden"). Der Masseverwalter anerkannte die Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis des Erstklägers von S 519.214,39, der Zweitklägerin von S 293.328,10. Gegen die abweisenden Bescheide der beklagten Partei richteten sich die verbundenen Klagen mit dem Vorbringen, die vom Masseverwalter im Konkurs anerkannten und der Höhe nach außer Streit stehenden Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis seien gesicherte Forderungen im Sinne des IESG, sie seien aufrecht, nicht verjährt und nicht ausgeschlossen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagsvorbringen, beantragte die Abweisung der Klagebegehren und brachte vor, es liege eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds vor, eine Bindung an die Feststellung im Konkursverfahren bestehe nicht.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß bei der durch Verwaltungsbehörde bzw Gericht vorzunehmenden Prüfung, ob die geltend gemachten arbeitsrechtlichen Ansprüche nach § 1 Abs 2 IESG gesichert sind, aufgrund der anspruchsbegründenden Feststellungen der anerkannten Anmeldung (Arbeitnehmerforderungen, aufgeschlüsselt in Lohn, Gehalt, Abfertigung, Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen und Urlaubsabfindung) vom Vorliegen von Ansprüchen nach § 1 Abs 1 IESG auszugehen sei. Die Prüfung des Anspruches auf Insolvenzausfallgeld beschränke sich daher auf Anspruchsbegrenzungen und Anspruchsausschlüsse nach dem IESG. In den Fällen, in denen eine Bindung nach § 7 IESG vorliege, beschränke sich letztere auf die Anfechtungstatbestände der Konkursordnung und Anfechtungsordnung. Solche seien durch die beklagte Partei trotz ausführlicher Erörterung nicht geltend gemacht worden, sondern die beklagte Partei habe ihre Bestreitung ausdrücklich nur auf eine sonstige Sittenwidrigkeit im Sinne einer Risikoverlagerung zu Lasten des Insolvenzausfallgeldfonds gestützt. Dies habe jedoch in Anbetracht der Bindungswirkung nach § 7 Abs 1 IESG im gegenständlichen Verfahren nicht geprüft werden können. Das Nichtvorliegen einer Darlehensgewährung durch ein "langes Stehenlassen von offenen Lohnforderungen" wurde außer Streit gestellt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, eine sittenwidrige Risikoverlagerung zum Insolvenz-Ausfallgeldfonds liege nicht vor. Die vom Obersten Gerichtshof geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 7 Abs 1 IESG teile das Berufungsgericht nicht. Die Befürchtung von "nicht auszuschließenden Gefahren" einer mit dem Arbeitgeber abgesprochenen Manipulation zu Lasten Dritter, nämlich des Insolvenz-Ausfallgeldfonds, sowie eines gravierenden Fehlers des Masseverwalters, der nicht im Wege eines Rechtsmittels überprüft werden könne, sei nach Ansicht des Berufungsgerichtes nicht geeignet, verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art 7 Abs 1 B-VG zu erwecken. Eine gesetzliche Regelung sei am Durchschnittsfall zu messen; es könne nicht davon ausgegangen werden, daß in der Regel einem pflichtbewußten Masseverwalter beim Anerkennen von Forderungen ein gravierender Fehler unterlaufe oder bei Vorliegen einer mangelhaften Buchführung mit dem Arbeitgeber abgesprochene Manipulationen zu Lasten Dritter vorgenommen würden. Daß solche Gefahren im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden könnten, bewirke noch keine Gleichheitswidrigkeit des Gesetzes. Der Schutz des Art 6 Abs 1 MRK komme hingegen einer öffentlich-rechtlichen Institution - wie vorliegend dem Insolvenz-Ausfallgeld - nicht zu.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit der Anregung, § 7 Abs 1 dritter Satz IESG, BGBl 1977/324 idF des BG BGBl 1994/314 und der Verordnung BMAS BGBl 1994/960 beim Verfassungsgerichtshof anzufechten und mit der Fortführung des Rechtsmittelverfahrens gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innezuhalten. Im übrigen wird die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht beantragt.

Der Oberste Gerichtshof stellte mit Beschluß vom gemäß Art 89 Abs 2 und Art 140 B-VG den Antrag an den Verfassungsgerichtshof auszusprechen, daß der dritte Satz des § 7 Abs 1 IESG BGBl 1977/324 idF des BGBl 1994/314 verfassungswidrig sei und stützte diesen Gesetzesprüfungsantrag sowohl auf einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 7 Abs 1 B-VG als auch auf eine Verletzung des in Art 6 Abs 1 MRK jedermann gewährleisteten rechtlichen Gehörs.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , G 1344/95, G 108/96 und G 109/96, diesem Antrag vergleichbare Anträge des Obersten Gerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Innsbruck auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit des 2. Satzes des § 7 Abs 1 IESG in der Stammfassung abgewiesen. Der Oberste Gerichtshof hat daraufhin beschlossen, den gleichartigen Gesetzesprüfungsantrag im vorliegenden Fall nicht aufrechtzuerhalten.

Die klagenden Parteien beteiligten sich nicht am Revisionsverfahren und auch nicht am Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof.

Die Revision ist im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers der klagenden Parteien erfolgte am , somit nach dem ; es ist daher gemäß § 17a Abs 4 IESG idF des IRÄG 1994, BGBl 1994/153, § 7 Abs 1 IESG in der Neufassung anzuwenden.

§ 7 Abs 1 IESG idF des IRÄG 1994 sowie des AMS-BegleitG BGBl 1994/314 lautet (auszugsweise):

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ist bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruches an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind. Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung vor weniger als 6 Monate vor Eröffnung des Konkurses oder vor Erlassung eines nach § 1 Abs 1 gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist. Soweit der dritte Satz des § 6 Abs 5 anzuwenden ist, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen dem Antrag ohne weitere Prüfung insoweit stattzugeben, als nach dem übersendenden Auszug (Abschrift) des Anmeldungsverzeichnisses der gesicherte Anspruch im Konkurs oder Ausgleichsverfahren festgestellt ist, es sei denn, daß die gerichtliche Feststellung auf einer nicht bindenden gerichtlichen Entscheidung im Sinne des zweiten Satzes beruht..."

Die Materialien hiezu (RV 1384 BlgNR 18. GP, 12) führen hiezu aus:

"Versäumungsurteile und sonstige nicht streitige Gerichtsentscheidungen einschließlich der gerichtlichen Forderungsfeststellungen im Konkurs und Ausgleich sowie Anerkenntnisurteile waren nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht bindend. Seit dem Inkrafttreten des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes unterliegen Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld dem Rechtszug zum Obersten Gerichtshof. Dieser vertritt die Auffassung, daß auch Versäumungsurteile usw das Arbeitsamt hinsichtlich der Insolvenz-Ausfallgeld-Zuerkennung binden.

Da diese Rechtsauslegung in der Praxis zu Mißbräuchen geführt hat, sieht der Gesetzesentwurf entsprechend der seinerzeitigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Bindung vor. Diese soll gesetzlich so festgelegt werden, daß zB bei einem Versäumungsurteil das Arbeitsamt an eine solche Gerichtsentscheidung nicht gebunden ist, wenn diese weniger als sechs Monate vor zB der Konkurseröffnung rechtskräftig geworden ist.

Die im Ministerialentwurf vorgesehene "Überprüfung" des zB Versäumungsurteiles durch das Arbeitsamt dahin gehend, ob die im Gerichtsverfahren gepflogenen Erhebungen mit denen des Arbeitsamtes im erheblichen Widerspruch stehen, wurde im Hinblick auf die verschiedenen geäußerten massiven Bedenken im Begutachtungsverfahren in die Regierungsvorlage nicht mehr aufgenommen....".

Der Sache nach ist daher nach der Regierungsvorlage beabsichtigt, zur Rechtslage wie nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zurückzukehren (vgl insb VwSlg 9992 A: "Für den Bereich des IESG ist davon auszugehen, daß einerseits gerichtliche Entscheidungen, deren prozessuale Grundlage allein die Parteiendisposition ist (zB also Versäumungs- und Anerkenntnisurteile), hinsichtlich der Qualifizierung eines Anspruches als gesichertem ebensowenig bindend sind als andererseits Parteienerklärungen im Konkursverfahren, selbst wenn sie kraft positiver Bestimmung der Konkursordnung teils im Konkurs (§ 109 Abs 1 KO) teils außerhalb des Konkurses (§ 61 KO) bestimmte rechtskraftähnliche Wirkungen haben. Die belangte Behörde nahm daher mit Recht aus eigenem die Prüfung vor, ob ein gesicherter Anspruch vorliege hinsichtlich des als Masseforderung angemeldeten Betrages schon aufgrund des § 7 Abs 1 letzter Satz IESG").

Nach § 7 Abs 1 erster bis dritter Satz IESG besteht eine Bindung an kontradiktorische Urteile; eine Bindung an andere Gerichtsentscheidungen (zB Anerkenntnis- oder Versäumungsurteile) besteht nur mehr dann, wenn diese mindestens 6 Monate vor Konkurseröffnung oder gleichgestelltem Tatbestand rechtskräftig geworden sind. Die insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung entfaltet nur mehr dann eine Bindungswirkung, wenn sie auf einem kontradiktorischen Urteil oder einer mindestens 6 Monate vor Konkurseröffnung (oder gleichgestelltem Tatbestand) rechtskräftig gewordenen anderen Gerichtsentscheidung beruht. Keine Bindung besteht an eine "gewöhnliche" insolvenzrechtliche Feststellung der Forderung. Dies folgt aus § 7 Abs 1 dritter Satz letzter Satzteil IESG: Wenn nicht einmal eine andere Gerichtsentscheidung aus den letzten 6 Monaten vor Konkurseröffnung eine Bindungswirkung entfaltet, dann kann umsoweniger eine gewöhnliche Feststellung der Forderung zu einer Bindungswirkung führen (Liebeg, Komm IESG 162; derselbe, Die Änderungen der Rechtsstellung der Arbeitnehmer im Insolvenzverfahren, WBl 1994, 141, 146 f). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß - wie sich insbesondere aus § 110 Abs 2 KO ergibt - auch titulierte Forderungen anzumelden sind und sich der Masseverwalter gemäß § 105 Abs 3 KO auch hiezu bestimmt zu erklären hat, sodaß die Anwendung des 2. Satzes des § 7 Abs 1 IESG auf insolvenzrechtliche Forderungsfeststellungen durchaus Sinn macht. Die gegenteilige Meinung von Schwarz ua, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz, Nachtrag, 36 f, die Aufrechterhaltung der Bindung an die "gewöhnliche" insolvenzrechtliche Feststellung (§ 109 Abs 1 KO) ergebe sich aus dem Wortlaut und aus systematischen Überlegungen, überzeugt nicht. Mag auch die Feststellung der Forderung durch Anerkenntnis des Masseverwalters (§ 105 Abs 3 KO) sowie das Unterlassen der Bestreitung durch hiezu berechtigte Konkursgläubiger (§ 105 Abs 5 KO) sich durch die Möglichkeit einer Prüfung einem "streitigen Verfahren" etwas annähern, so darf doch diese Prüfung einem kontradiktorischen Verfahren mit den gesteigerten Möglichkeiten der Erforschung der materiellen Wahrheit nicht gleichgestellt werden, insbesondere wenn der erhöhte Zeitdruck für die Erklärung des Masseverwalters in der Prüfungstagsatzung - vor allen bei größeren Insolvenzverfahren - berücksichtigt wird. Bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten und Wertungen verdient diejenige den Vorzug, die die Verantwortlichkeit des Masseverwalters im Sinne des § 81 KO (vgl SZ 68/49 = Arb 11.377) nicht überfordert, indem ihm unter der Annahme einer Bindung des Bundesamtes eine solche Verantwortung hinsichtlich der von ihm im Insolvenzverfahren nicht geprüften Umstände aufgebürdet würde.

Die Vorinstanzen haben eine Bindung der beklagten Partei und in der Folge auch des im Wege der sukzessiven Zuständigkeit tätig gewordenen Gerichtes hinsichtlich der Umstände angenommen, die einen Ausschluß der Klagsforderungen als gesicherte Forderungen auch unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Überwälzung des über das gesicherte Risiko des Arbeitnehmers - die im Kernbereich vom Arbeitnehmer nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes seiner Ansprüche, auf die er typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes... angewiesen ist (zum Fall des Arbeitnehmer-Darlehens: SZ 64/54) - hinausgehenden Risikos atypischer Beschäftigungsverhältnisse bzw von Finanzierungsbeteiligungen nicht geprüft, was zum Ausschluß der Arbeitnehmerforderungen führen könnte. Die Arbeitsverhältnisse der klagenden Parteien begegnen einerseits als Familienangehörige des Geschäftsführers der insolventen Arbeitgeberin unter dem Gesichtspunkt des "Fremdvergleiches" (vgl 8 ObS 275/97t; vgl auch = ARD 4841/52/97) bzw als familienhafte Mitarbeit (8 ObS 19/95) und andererseits unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes (vgl 8 ObS 2107/96b = DRdA 1997/31, 289 mit Anm Geist; 8 Ob 254/97d = ecolex 1998, 35) bzw der Überwälzung des Finanzierungsrisikos (8 ObA 2011/96k = ZAS 1997/7, 78 mit Anm Grießer) im Zusammenhalt damit auch Bedenken, daß ein "typischer", dh nicht familienangehöriger Arbeitnehmer, wegen eines Entgeltrückstandes über so lange Zeit hindurch nicht auf die Ausübung seines Austrittsrechts verzichtet und sich weiterhin hätte vertrösten lassen.

Die in der IESG-Nov 1997, BGBl I 1997/107, normierte zeitliche Beschränkung des Anspruches auf Insolvenz-Ausfallgeld für die Zeit vor der Insolvenz (§ 3a Abs 1 IESG), womit eine Obliegenheit des Arbeitnehmers zur gerichtlichen Geltendmachung begründet wird, ist gemäß § 17a Abs 11 IESG hier noch nicht anzuwenden (vgl Liebeg, Ein Überblick über die IESG-Nov 1997, WBl 1997, 401, 402 f). Durch diese Einschränkung der "Zwangskreditfunktion" des Insolvenz-Ausfallgeldes will der Gesetzgeber einen weiteren typischen Mißbrauchsfall, das Stehenlassen von Entgeltforderungen von Arbeitnehmern im allgemeinen (und nicht nur von Familienangehörigen) hintanhalten. Für vor dem eröffnete Insolvenzverfahren (§ 17a Abs 11 IESG) bedeutet dies jedoch nicht, daß ein Verstoß gegen die Zwecke des IESG nicht anzunehmen wäre (§ 3a Abs 1 IESG), vielmehr ist dies nach dem zuvor dargelegten Zweck des IESG bzw unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) zu prüfen. Da hiezu die erforderlichen Feststellungen fehlen, hat eine Ergänzung des Verfahrens durch das Gericht erster Instanz zu erfolgen.

Ein Kostenvorbehalt gemäß § 52 Abs 1 ZPO kann unterbleiben, die klagenden Parteien haben sich am Revisionsverfahren und an dem Gesetzesprüfungsverfahren vor dem VfGH nicht beteiligt.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:1997:008OBS00127.97B.0523.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAE-08638